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an feine Stelle bekommt das Ganze eine berauschende Wirkung nach dem Genuß. Man nennt diesen Vorgang die Gärung. Sie tritt in den verschiedensten Formen auf, oft da, wo wir sie gar nicht beachten, z. B. an Getreide, an Früchten, an Reimen usw. In die Augen springend erscheint sie beim Auflockern des Teiges zum Backen, bei der Gärung von Fruchtsäften usw. Sie greift also auch äußerlich tief in die Braris des Lebens hinein, ja, fie hängt aufs innigfte mit dem Problem des Lebens selbst zusammen. Der erste, der den Gärungsvorgang wissenschaftlich betrachtete, war der Chemiker Lavoisier . Er beobachtete, daß in Zuckerlösung der Zucker verschwand und statt dessen Weingeist und Kohlensäure auftrat. Bei anderen Gärungserscheinungen hielt man die Hefe für eine Unreinigkeit, die in die Lösung hineingeriet, und schentte ihr feine Beachtung. Man beobachtete auch, daß man die Gärung verhindern könne, wenn man die Lösungen austochte und während des Kochens unter luftdichten Verschluß brachte. Darauf beruht die bekannte und noch heute geübte Ronservierungsmethode von Nahrungsmitteln, namentlich von Gemüse und Früchten in Büchsen. Man sette das Hintanhalten der Gärungserscheinungen dabei auf das Konto der Abwesenheit der Luft. Diese Anschauung erwies fich aber als irrig, denn man fonnte zeigen, daß auch beim Luftzutritt unter gewiffen Vorsichtsmaßregeln die Gärung nicht auftrat.
Man stand diesen Problemen sehr lange gänzlich machtlos gegenüber. Zwar hatte der berühmte Mikroskopiter Leeuwenhoek schon 1680 unter dem Mikroskop die regelmäßige Struktur der Hefe erkannt, aber diese Erkenninis ist in der Folge der Wissenschaft wieder verloren gegangen. Erst in den dreißiger Jahren des verflossenen Jahrhunderts erfolgte in den wissenschaftlichen Anschauungen ein Umsturz. Fast gleichzeitig tamen drei bekannte Forscher auf den Gedanken, daß die Sefe ein pflanzlicher Organismus sein könne, der also auch an gewisse Lebensbedingungen, wie Temperatur usw., gebunden sei. Der Berliner Schwann nahm an, daß in der Luft die Lebenskeime in Massen vorhanden seien und in der. bekannten Zuderlösung die Gärungserscheinungen hervor riefen. Er belegte feine Anschauungsweise mit einem Experiment. Er ließ nach dem Kochen durch ein langes Glasrohr Luft in die Zuderlösung eintreten, die aber auf ihrem Wege durch Erhizen geglüht wurde. Es zeigte sich, daß unter diesen Umständen in der Flüssigkeit keine Gärung mehr auftrat, womit er erwiesen hatte, daß Organismen die Ursachen der Gärung sein müßten. Den Gärungsvorgang betrachtete er als den Prozeß des Stoffwechsels, bestehend in der Aufnahme von Nahrungsstoffen und der Abgabe anderer Substanzen, wie wir sie an jedem Organismus beobachten. Diese vitalistische Anschauung, welche also den Gärungsvorgang auf einen Prozeß lebender Organismen zurüdführte, stieß nament lich bei den berühmten Chemikern der damaligen Zeit auf den schärfsten Widerspruch, und zwar besonders aus dem Grunde, weil gegen die vitalistische Weltanschauung überhaupt gerade ein harter Schlag geführt worden war. Man war sehr lange der Ansicht gewesen, daß es gewisse Stoffe gibt, die nur der lebende Organismus erzeuge, deren Darstellung der anorganischen Chemie nicht gelingen fönne. Darunter figurierte auch der Harnstoff. Nun war es aber gerade gelungen, den Harnstoff auch unorganisch im chemischen Laboratorium zu erzeugen, und dieser wissenschaft liche Fortschritt wurde von den Anhängern der mechanistischen und chemistischen Anschauung mit großem Jubel begrüßt. Es war daher verständlich, daß nun, als Schwann mit seiner Theorie der Gärung auftrat, eine heftige Bewegung gegen ihn einseßte. Die großen Chemiter Liebig und Wöhler verfaßten sogar eine satirische Broschüre, in der sie mit Humor ausführten, wie sie unter dem Mikroskop gefeben hätten, daß die kleinen Tierchen den Buder in der Lösung auffraßen und daraus Weingeist und Kohlensäure produzierten und wieder abgäben. Diese Verspottung der Ansichten Schwanns war nun nicht sehr schwer, viel schwerer aber war es für die Chemiker, statt dessen eine chemische Erklärung der Gärungsborgänge zu geben. Es war absolut nicht einzusehen, warum bei dem Gärungsvorgang die Hefe dablieb und die Gewichtsverhält niffe fich änderten, statt wie bei jedem anderen chemischen Borgange, nach wie vor dieselben zu bleiben. Berzelius tam auf die Idee, zur Erklärung des Vorganges die Wasserstoffperoxydzersetzung durch Platin( sogenannte Katalyse) heranzuziehen. Bei diesem Borgange entsteht außerordentlich viel Sauerstoff, ähnlich wie bei der Gärung die Gasentwidelung. Daß Berzelius damit eine zutreffende Erklärung gegeben hatte, fonnte awar niemand anerkennen, dennoch blieb die vitalistische Anschauung unter der gewaltigen Autorität eines Liebig berpönt, obwohl die vierziger Jahre mancherlei Versuche von Mitscherlich , Helmholtz , Schröter und anderen brachten, die sie zu stüßen geeignet waren. Zu ihrem Siege aber verhalfen ihr erst die Arbeiten von Louis Pasteur . Er zeigte das Wachstum der Hefe und setzte fünstliche Nährstoffe ein, womit er nachwies, daß gar keine zerseßenden Stoffe anwesend zu sein brauchen. Daß tatsächlich die in der Luft schwebenden Reime von Organismen die Ursache der Gärungserscheinungen waren, erwies er schlagend durch folgenden Versuch. Er ließ Luft durch Kollodiumwolle( schwach nitrierte Watte) streichen und warf diese dann in eine Mischung von Alkohol und Aether . In dieser löst sich die fefte Baumwolle gänzlich auf, und es bleibt nur ein geringer Rüdftand, der sich unter dem Mikroskop als organischer Natur erwies. Damit war der Vorgang der Gärung auf die Anwesenheit von lebenden Wesen zurückgeführt
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Nun fam 1858 Morib Traube in Berlin auf die Idee, gu untersuchen, ob denn tatsächlich die Anwesenheit des lebenden Dr ganismus erforderlich sei, um die Gärung hervorzurufen, oder ob nicht etwa bloß der lebende Organismus Stoffe enthalte, die die Gärung herbeiführten. Man bezeichnete damals solche Stoffe als Enzyme". Diese Meinung fand namentlich bei den Chemikern der Zeit großen Beifall, obwohl die Pflanzenphyfiologen dagegen den schweren und nicht abzuweisenden Einwand machten, daß es isolieren, herauszuziehen und als für sich wirksam zu erweisen. dann auch gelingen müßte, diese Stoffe aus den Organismen zw Das konnte man nicht. Nägeli machte darauf aufmerksam, daß die Gärung von dem lebenden Protoplasma, dem Stoffe in den Zellen der Lebewesen, mit dem die Lebenserscheinungen untrennbar verknüpft sind, nicht zu trennen sei. Daran schienen die Versuche zu scheitern. Die Hefe besteht nun aus einzelnen lebenden Zellen, beren jede eine feste unter dem Mikroskop als lückenlos zu ers kennende Umhüllung, die Bellmembran, besitzt. Im Innern der Belle liegt an der Wandung das Protoplasma. Jede solche Zelle fann sich vermehren; es tritt dann außen an der Bellmembran eine kleine Knospe auf, die größer und größer wird und sich bei manchen Heferassen abtrennt, monach Mutter- und Tochterzelle getrennt weiter leben. Zellmembran und Protoplasma regeln in dem Körperchen den Stoffwechsel, der das Leben unterhält. Nachdem sich die Versuche, die Enzyme mit Wasser oder anderen Stoffen auszuziehen oder auszutochen, als aussichtslos erwiesen hatten, tam Buchner auf den Gedanken, daß man zum Studium des Inhaltes der Hefezellen die Zellmembran zerreißen und die Inhaltstoffe sehr rasch untersuchen müsse, ehe die sehr labilen Eiweißverbindungen zerfallen und chemische Reaktionen eintreten. Um das zu bewirken, zerrieb Buchner 1 Teil Hefe mit 1 Teil Sand und ½ Teil KieselAur.( Kiefelgur besteht aus den Kieselpanzern kleiner Sezo tierchen[ meistens Diatomeen], die sehr porös und daher vorzüglich geeignet find, Feuchtigkeit aufzusaugen.) Dieses trockene Pulvergemisch nimmt beim Zerreiben eine teigartige Beschaffenheit an, weil aus der Hefe die feuchte Protoplasmamasse entweicht und von dem Kiefelgur aufgesaugt wird. Preßt man den Teig unter hohem Drud( 300 Atmosphären), so erhält man in wenigen Stunden eine helle Flüssigkeit, etwa 2 Kilogramm aus 1 Kilogramm Hefe, und einen Rückstand, den Breßkuchen. Erwärmt man den Breßsaft, so gerinnt er wie Hühnereiweiß. Das war der erste Nachiveis von Eiweiß im Innern der Zelle.
Die interessanteste Eigenschaft des Preßsaftes ist es nun, daß er, mit Buderlösung verfeßt, Gärung erzeugt; es tritt dabei eine fortwährende Gasentvidelung auf. Man kann durch verschiedene Versuche einwandfrei nachweisen, daß die wenigen noch vorhandenen lebenden Zellen und Zellstückchen nicht die Ursache der Gärung find. Man kann z. B. den Preßsaft eindampfen, daß ein trockener Rückstand bleibt, man kann ihn eintrocknen lassen, als Niederschlag ausfällen ufiv.: immer behält er seine Gärkraft. Bea merkenswert ist nun aber, daß der Preßsaft beim Aufbewahren seine Gärkraft nach und nach verliert. Als Ursache dieser Erscheinung fand man, daß noch andere Enzyme auftreten, die die Wirkung der im Breßfaft vorhandenen Gärungsagentien nach wenigen Tagen vernichten können. Man kann ihre Anwesenheit auf verschiedene Weise nachweisen, z. B. durch Verfärbung, und ist dann imstande, die Prozesse zu verfolgen, wie sie bei den Leichen von Tieren und Menschen auftreten, also die Veränderung der Substanz auch nach dem Tode. Diese Enzyme nannte Buchner 3hmafe".
Es stellte sich bald die Vermutung ein, daß die Zymase nicht einheitlicher Natur sind. Es müssen verschiedene Enzyme vorhanden sein, und ihr Zusammenwirken bringt erst die Gärung zustande. Wahrscheinlich tritt Milchsäure als Zwischenprodutt auf. Die Gär traft des Preßfaftes nimmt übrigens wieder zu, wenn man dem Breßfaft nicht nur Buder, sondern auch gefochten Breßsaft zusetzt, in dem ein sogenanntes Ko- Enzym vorhanden ist, das das Kochen berträgt, ohne seine Wirkungsweise einzubüßen. Auf diese Weise ist es möglich, die Gärkraft des ursprünglichen Breßsaftes zu re generieren, wobei als Zwischenprodukt wahrscheinlich Phosphor fäure auftritt.
Durch diese neueren Untersuchungen hat sich das Gärungsproblem wieder sehr stark verwidelt. Was man als einen Lebensprozeß erkannt und aufgefaßt zu haben glaubte, scheint gar keiner au sein, sondern ein anderer Vorgang, vielleicht rein chemischer Natur oder ein zusammengesetter Prozeß, der vielleicht unter Mitwirkung des Lebens verläuft. Die Frage ist also im Grunde auch jetzt noch ebenso ungelöst wie vor hundert Jahren. Wohl sind wir in der Kenntnis der Tatsachen sehr viel weiter gekommen, aber die Entscheidung, ob der Prozeß der Gärung vitalistischer oder materieller, mechanistischer Natur ist, steht noch ganz aus. Bis jetzt mag noch jede der beiden Anschauungen ihre Berechtigung haben. Wenn man sich ein Urteil erlauben darf, so kann man höchstens sagen, daß wir mit Liebig und Karl Ludwig annehmen können, daß die sogenannten fatalytischen Vorgänge die Hauptfache zu sein scheinen, wobei die Enzyme die Rolle der Werkmeister spielen.
Ohne Lebensvorgänge also scheint der Akt der Gärung ber laufen zu können, der ehedem so sehr mit dem Leben zusammenzu hängen schien!
Man neigt damit der mechanistischen Auffassung zu, und wir müssen zugeben, daß der Gewinn unseres Wissens gegen die Anschauungen der Liebig und Wöhler nicht groß ist. Dennoch ist er recht erfreulich und wir können zufrieden sein, wenn die Pfade