Nnlerhaltungsblan des vorwärts Nr. 232. Mittwoch, den 80 Dezember. 1908 (NachdniS vcrSstcn.) s; Drei'Code, Erzählung von L e o T o l st o i. Ach und was für ein Schmutzt antwortete Mascha und teide liefen zum Tore zurück. „Ich mutz wohl schrecklich aussehen, dachte die Kranke. — Nur so schnell als möglich ins Ausland, dort werde ich bald wieder gesund werden." Nun. wie geht es Dir. meine Liebe? sagte der Gatte, in- dem er an die Kutsche herantrat, noch mit einem Bissen im Munde. „Immer ein und dieselbe Frage." dachte die Kranke,„und ißt dabei." So so. murmelte sie durch die Zähne. Weißt Du. meine Liebe, ich fürchte, die Reise wird Dir schaden bei diesem Wetter. Eduard Jwanowitsch meint es euch. Sollen wir nicht umkehren? Sie war ärgerlich und schwieg. Das Wetter wird besser werden, der Weg wird vielleicht glatter sein, und auch Dir kann besser werden, dann könnten wir alle zusammen fahren. Verzeihe. Hätte ich Dir nur früher nicht gefolgt, ich wäre jetzt in Berlin und wäre ganz gesund. WaS soll man tun. mein Engel? Es war unmöglich. Du weißt es ja: aber jetzt, wo Du einen Monat hier bleiben wolltest, würde Dir bedeutend besser werden, ich würde meine Geschäfte erledigen, wir könnten die Kinder mitnehmen... Die Kinder sind gesund und ich nicht. Aber bedenke doch, meine Liebe, bei diesem Wetter? Wenn Dir unterwegs schlimmer würde... so ist man wonigstens zu Hause. Und wenn schon zu Hause?... sterben zu Hause? ant- ivortetc die Kranke erregt. Aber das Wort„ste'-ben" hatte sie offenbar erschreckt, sie sah ihren Gatten flehend und fragend an. Er senkte die Augen und schwieg. Der Mund der Kranken zuckte plötzlich wie bei einem Kinde, und Tränen stürzten aus ihren Augen. Der Gatte bedeckte sein Gesicht mit einem Tuche und entfernte sich schweigend von der Kutsche. Nein, ich will fahren, sagte die Kranke: sie richtete die Augen gen Himmel, faltete die Hände und flüsterte un° zusammenhängende Worte.— Mein Gott, wofür das? sagte sie, und ihre Tränen strömten immer reichlicher. Sie betete lange und inbrünstig, aber in ihrer Brust war ein schmerz- liches,-beklommenes Gefühl; auch der Himmel, auch Felder und Wege waren so grau und düster und derselbe herbstliche Nebel lag ohne dichter, obne lickter zu werden aus dem Schmutz der Strotzen, auf den Dächern, auf der Kutsche, auf den Schafpelzen der Kutscher , die unter fröhlichem, lautem Geplauder die Räder schmierten und die Pferde schirrten.. II. Die Kutsche war angespannt, aber der Kutscher fehlte. Er war in die Kutschcrstube gegangen. In der Stube war cs schwül, dumpfig, dunkel und drückend; es roch nach Menschen, nach srisch gcbackencm Brot, nach Kohl und Schaffellen. Mehrere Kutscher waren im Zimmer, die� Köchin mächte sich am Ofen zu schaffen, oben aus dem Ofen lag in einen Schafpelz gehüllt ein Kranker. Onkel Elifjodor I he Onkel Ehsjodor, sagte ein junger Bursche, ein Kutscher, der im Schafpelz, die Peitsche am Gürtel, ins Zimmer trat und sich deni Kranken zuwendete. Was willst Dn von Fjodor. Du Strolch? rief einer der Kutscher . Dort in der Kutsche wartet mau auf Dich. Ich will ihn um die Stiefel bitten, meine sind schlecht geworden, antwortete der Bursche, ivarf dabei sein Haar zu- rück und steckte seine Handschutze in den Gürtel. Schläft er clwa? He. Onkel Chfjodorl rief er. näher an den Ofen heran- tretend. Was denn? ließ sich eine fchivache Stimme vernehmen. und ein rotes, mageres Gesicht beugte sich über den Ofen- rand. Eine breite, hagere, bleiefc. mit Haaren bedeckte Hand zog den Rock über die eckige Schulter, die in ein schmutziges Hemd gehüllt war.— Gib mir zu trinken, Bruder. WaS willst Du?... Der Bursche reichte ihm den Wasserkrug hm. Sieh mal an. Fedja, sagte er stockend— steh mal an, gelt. Du brauchst doch jetzt die neuen Stiefel nicht, gib sie mir— Du wirst ja nicht drin gehen. Der Kranke sank mit dem müden Kopf auf den glänzender» Krug, tauchte den dünnen, herabhängenden Schnurrbart in das dunkle Wasser und trank schwach und gierig. Sein wirrer Bart war unsauber. Die hohlen, trüben Augen konnten sich rair mit Mühe zu dem Gesicht des Burschen erheben. Als er genug getrunken hatte, wollte er die Hand erbeben, um die feuchten Lippen zu trocknen, aber er konnte nicht und trocknete sie an dem Aermel des Rockes. Er sprach kein Wort, atmete schwer durch die Nase, sah dem Burützen fest in die Angel» und nahm alle seine Kräfte zusammen. Hast Du sie vielleicht schon jemand versprochen? sagte der Bursche, dann ist cs umsonst. Die Hauptsache ist, cs ist drautzcn naß und ich muß fahren. Da dachte ich mir. willst den Fjedka um die Stiefel bitten, gelt, er braucht sie ja nicht. Wenn Du sie vielleicht selbst brauchst, sag's nur... In der Brust des Kranken begann cs zu glucksen und zu röcheln: er beugte sich vornüber und erstickte fast an einem hohlen Husten tief im Halse. Ei, wie. selbst brauchen? schrie die Köchin gellend durchs ganze Zimmer. Schon den zweiten Monat kommt er nicht vom Ofen herunter. Sieh doch, wie er sich quält, es tut einem selbst förmlich web. wenn man's nur mit anhört. Wie sollte der Stiesel brauchen. In neuen Stiefeln werden sie ihn nicht begraben... und Zeit wär's längst. Gott verzeih' mir die Sünde. Sich, wie er sick quält I Wenn man ihn wenigstens in eine andere Stube brächte oder sonst wohin. Da heißt c3. in der Stadt sind Krankenhäuser. Geht denn das— er nimmt die ganze Ecke ein, na. und fertig! Nicht rühren kann man sich, und da verlangt Inan noch Reinlichkeit i Heda. Serjoga i Mach, daß Du auf den Bock kommst, die Herrschaft wartet, rief der Postmeister durch die Tür. Scrjoga wollte schon gehe», ohne die Antwort abzu- warten, aber der 5kranke gab ihm während des Hustens mit den Augen zu verstehen, daß er antworten wollte. Nimm Dir die Stiefel. Serjoqa, sagte er. nachdem er den Husten unterdrückt und ein wenia gerutzt hatte; aber Hove , einen Stein kaufst Du mir. wenn ich sterbe, fügte er mit heiserer Stimme hinzu. Dans schön, Onkel, ich nehme sie also, und den. Stein, ja bei Gott, den Stein kauf' ich Dir. Nicht wahr, Kinder, Ihr habt's gehört? konnte der Kranke noch sagen, dann legte er sich wieder zurück und begann wieder zu husten. Gewiß haben wir's gehört, sagte einer von den Kutschern. — Geh, Serjoga, auf Deinen Bock, da ko.mmt schon wieder der Postmeister gelanscn. Die gnädige Frau von Schirkin ist dock krank. Serjoga zog schleunigst seine abgerissenen. unVerhältnis- mäßig großen Stiesel ab und schleuderte sie unter die Bank. Tie neuen Stiefel von Onkel Fjodor paßten ihm vortrcsflich. Serjoga betrachtete sie von allen Seiten, dann aina er zur Kutsche. Eil prächtiae Stiefelt Gib her. ich will sie schmieren. sagte einer der Kutscher, der einen Teerpinsel in der Hand hielt, gerade als Scrsoga aus den Nock gekrochen war und die Zügel ergreifen wollte.— Hat er sie umsonst gegeben? Bist Tu cttva neidisch, antwortete Serjoga, indem er sich erheb, um die Schöße seines Rockes über die Beine zu werfen. — Laß nur! nun los, meine Freundchen, schrie er den Vierden zu. fuhr mit der Peitsche durch die Luft, und die Kutsche nnt» die Kalelche mit ihren Insassen, Koffern und Kisten rollten schnell über die feuchte Landstraße dahin und verschwanden in dem grauen Herbstnebel. Der kranke Kutscher war in der dumpfen Stube auf dem Ofen geblieben. Er hustete nicht, drehte sich erschöpft aus die andere Seite imd ward stille. In der Stube gingen bis zum Abend Leute ein und auS und aßen und tranken. Ten Kranken hörte man nicht mehr. Bevor es Nacht wurde, kroch die Köchin auf den Ofen und warf ihm einen Schafpelz über die Füße. Sei nicht böse aus mich, Nastaßja, murmelte der Kranke: ich iverde Dir bald den Winkel räumen.
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25 (30.12.1908) 252
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