religiöser Betätigung, die wir deutlich daran erkennen, daß er feine Toten begrub. Die Leiche wurde in der Weise bestattet, daß sie auf den Boden der Höhle gelegt und mit Erde überschüttet wurde. Der Kopf lag auf einem aus schwärzlichen Feuersteinstücken zusammengefügten Bfiafter. Die Stirne ruhte auf einem länglichen Feuersteinabschlag, gegen den sich der rechte Ueberaugenwulft so feft anges preßt hatte, daß in der auf ihm liegenden Erde ein deutlicher Abdrud davon entstand, der nach Durchtränkung mit Leim tonserviert werden konnte. Ja, sogar die Form der breiten, flachen Nase ließ fich noch an der auf dem Steinpolster liegenden Erde erkennen.
Dieses Stelett von Le Moustier, dessen Träger von Prof. Hermann& laatsch nach seinem Fundort und Entdeder als Homo Mousterienses Hauseri bezeichnet wurde, tann auf Grund von Berechnungen der Landabtragung in der Mittelschweiz seit dem Ende der vorletzten Zwischeneiszeit auf wenigstens 400000 Jahre zurüddatiert werden. Das ist in der Tat ein ungeheuer hohes Alter in Anbetracht dessen wir froh sein müssen, daß sich überhaupt noch Bruchstüde in dieser schon vor Anbruch der Mouftérienzeit böllig verschütteten Höhle bis auf unsere Tage erhielten!
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aus dem Ende der vorlegten Zwischeneiszeit seine Toten wenn au primitiv genug bestattete. Diese außerordentlich wichtige gefta stellung rückt die ersten Anfänge der religiösen Gefühle um mehrere Jahrhunderttausende zurück! Wer selbst unter den Sachverständi gen hätte eine solche Offenbarung auch nur entfernt erwartet! Bweifellos ist die Religion der Furcht entsprungen, insbeson dere der Furcht vor allem unerklärlichen Geschehen und was überhaupt unter allem, das dem Menschen täglich widerfuhr, fonnte er sich auf natürlichem Wege erklären? Und je beschränkter seine Einsicht in das natürliche Geschehen, in alle Vorgänge um ihn herum ist, um so üppiger wuchern in seiner Phantasie allerlei Vor ftellungen von übernatürlichen Dingen, mit denen er sich alles für ihn unbegreifbare zu erklären sucht. Besonders auf die Erfah rungen des Traumlebens geflüßt, wonach ein unsichtbares Etwas den Körper des ruhig im Schlafe Daliegenden zu verlassen scheint, um in weiter Ferne allerlei Abenteuer zu bestehen und sogar mit Berstorbenen zu verkehren, nimmt er an, daß diefes allerdings Un fichtbare und Ungreifbare, aber dennoch sicher als vorhanden An zunehmende über den Tod hinaus, auch nach dem Bergehen der förperlichen Hülle, weiterlebt. Weil es sich zu Lebzeiten des Körpers im Atem offenbarte und ihm mit dem letzten Hauche verließ, so Haben wir auch in ihm die weitaus ältesten, in unberührter bezeichnete es der Grieche als pneuma, der Römer als anima, was Bodenschicht gefundenen menschlichen Stelettreste vor uns, so find beides Hauch, ober auch in übertragener Bedeutung- Geist der es gleichwohl nicht die frühesten bis jetzt zutage geförderten hand- Seele heißt. Danach wurde der Geisterglaube, der sich als primigreiflichen Dokumente von der Gegenwart des Menschen auf tivste Art der Religion bis in die Gegenwart bei den wilden Völkerunserem Erdteile. Kurze Zeit vor diefem überaus wichtigen Funde, Stämmen der Erde erhielt, von der Wissenschaft als Animis. den wir den systematischen Grabungen des Herrn Hauser ver- mus, früher auch von den Portugiesen, die ihn bei den Neger danken, dessen auf noch wenigstens zehn Jahre berechnete Ausstämmen Afrikas fennen lernten, nach den von ihnen dabei ge grabungen in Südwestfrankreich uns mit noch manchem bemerkens brauchten Idolen und Amuletten nach dem portugiesischen Worte Iverten Funde bekanntmachen dürften, wurde auf deutschem Gebiete dafür feitigo, aus dem lateinischen faetitius fünftlich gemachteine nicht minder bedeutungsvolle Entdedung gemacht. Behn Stilo- als Fetischismus bezeichnet. 3chn meter südöstlich von Heidelberg wurde am 21. Oftober 1907 in einer an Tierfnochen ziemlich reichen Sandgrube des Dorfes Mauer in 24,5 Meter Tiefe beim Schaufeln ein höchst merkwürdiger UnterKiefer aus dem Boden befördert, der erst beim Hinfallen entzwei
ging. Ziemlich viel Sand und ein längeres Staffſteingeröl war mit Ein Tag in der Berliner Anatomie.
ihm durch eine Ausscheidung von fohlensaurem Staff verlittet, so daß die eine Zahnreihe dadurch verdeckt war. Sofort wurde der Heidelberger Privatdozent für Anthropologie Dr. Otto Schötensad, der seit über 20 Jahren von Zeit zu Zeit die Sandgrube besuchte, benachrichtigt. Am Tage nach dem Funde fam er herbeigeeilt, um ihn zu untersuchen und ein genaues notarielles Protofoll über die näheren gundumstände aufnehmen zu laffen. Es wurden dann noch einige Tierknochen gefunden, die mit den schon früber in denselben Schichten gefundenen erwünschten Aufschluß über das annähernde Alter dieser Schwemmschicht geben. Gie bestanden aus solchen des etruskischen Nashorns, des Stens schen Pferdes und des Ürelefanten, Tieren, die zu Ende des letzten Zertiärabschnittes, d. h. des Pliozäns und zu Beginn der Eiszeit Hier gelebt hatten. Diesem also aus Grenzschichten zwischen Tertiär und Diluvium stammenden Unterkiefer fehlen durchaus alle Merkmale, die ihn zu einem menschlichen stempeln würden; einzig die vollzählig erhaltenen Zähne laffen uns feinen Augenblid darüber im Zweifel, daß er einem Menschen und keinem Menschenaffen angehörte. Er ist noch sehr viel tierischer gebildet als der des Acheuléenjägers von Le Moustier und muß dem Vertreter einer weit primitiveren Menschengattung angehört haben, die der gemeinsamen Wurzel der von Starl von Linné als Primaten oder Herrentiere bezeichneten obersten Säugetiergruppe der Men fchenaffen und des Menschen noch sehr viel näher stand als jener. Welche enorme Dide und Brutalität weisen nicht nur die Kieferäfte, fondern auch die Kronen- und Gelentfortfäße auf! Wie ganz den Verhältnissen bei den Menschenaffen entsprechend ist diese Kinnbildung! Der Träger diefes Unterfiefers fann noch faum über die ersten Anfänge einer Sprache hinausgekommen fein, hatte fich auch noch nicht das Feuer untertan gemacht, schlug indeffen bereits die allereinfachten Werkzeuge aus Feuerstein, allerdings ohne die geringste Formgebung und so roh, daß es für die Forscher die größte Mühe foftete, bis ihre Artefafiratur an gewissen Merkmalen ficher festgestellt werden fonnte. Um anzudeuten, daß diefe überaus primitiven Feuersteinwerkzeuge, die nur in manchen Gegenden, so besonders in Nordfrankreich und Belgien gefunden werden, die Morgenröte der menschlichen Kultur anzeigen, hat man sie in Gegensatz zu den viel besser als solche Kunstprodufte erkennbaren palão und neolithischen Feuersteiniverkzeuge als Eolithen, b. h. Morgenrötefteine, bezeichnet.
Noch vor kurzem hatte man geglaubt, daß erst die Neolithifer, die wenige Jahrtausende vor der Gegenwart in Europa lebten, die Totenbestattung bei uns geübt hätten. Da fand man einige Fälle, in denen zweifellos schon die Mammut- und Renntierjäger Ser frühen Nacheiszeit, ja, in einem Falle fogar die nach dem Fundorte Solutré bei Lhon im Rhonetal als Solutréenjäger bezeichneten Bewohner Europas während der Steppenphase gegen das Ende der letzten Zwischeneiszeit diese Sitte betätigt hatten. In lekterem Falle fand man im Lößboden, den Staubstürme damals zusammengeweht hatten, in der Stadt Brünn in Mähren ein offenbar mit allerlei Amuletten aus Muschelschalen behangenes männ liches Individuum mit Beigabe eines rob aus Mammutelfenbein geschnitten männlichen Jdoles auf dem Rüden liegend bestattet. Nun aber beweist der jüngste glückliche Fund des Herrn Haufer aus der feinen Höhle von Le Moustier, daß schon der Acheuléenjäger
Nördlich von der Weidendammer Brüde liegt ein riesiges Säuferquadrat, umrahmt von der Friedrich, Karl- und Luisenstraße. Rings brandet die unermüdliche Hochflut des hauptstädtischen Lebens. Aber nur verworrenes Geräusch wallt über die Häufermauern hin über in den Bart, der sich im Innern befindet. Hier herrscht melancholische Stille, und in das ferne Murmeln des Straßenlärms mischt sich nur dann und wann ein heiseres Hundegeblaff aus dem köterspital oder von der Philippstraße her der dünne, blecherne Klang einer Kapellenglode, wenn sie ihre gequälte Stimme erhebt. Mitten durch fließt die Banke, an der bekanntlich Berlin liegt; mächtige weiße Rebel brodeln aus ihr empor. Unter den Gebäuden, die im Bart verstreut liegen, ist das größte die Anatomie, ein romanischer Ziegelrohbau aus den siebziger Jahren, mit trübfeliger Fassade. Hier ist der geheimnisvolle Ort, den der junge Mediziner mit Bagen betritt, um die Gefüge in der Werkstatt der Natur fennen zu lernen. Hier ist der Schredensort, von dem das Publikum nur mit Grufeln spricht, während es doch gar zu gern einmal hineinschauen würde. Aber dem Laien ist diese Halle verschlossen. Zwar geht in jedem Semester die Mär, ein Theologe hätte sich heimlicherweise eingefchlichen und wäre beim Anblick einer grün angelaufenen Leiche in Ohnmacht gefunken: aber das ist sicher Fafultätengeklatsch, und die Mediziner sind auf die Theologen über haupt nicht gut zu sprechen.
Das Justitut zerfällt im wesentlichen in die Sezierfäle parterre und in die Demonstrationsfäle, Hörsäle und Sammlungen im ersten Stod. Der Hörsaal ist ein hoher, amphitheatralischer Naum. Ueber vierhundert Sitzpläge verlaufen in zehn bis zwölf Reihen über einander, so daß man von jeder Stelle aus bequeme Uebersicht genießt. Unten, fozusagen in der Arena, steht ein langer, auf Schienen beweglicher, gläserner Tisch, zur Demonftration der Leichen. Dahinter große Tafeln zum Zeichnen, Abbildungen, Modelle mensch licher Drgane, Stelette, allerhand Präparate, getrocknet und in Spiritus. Ein Dunft von Alfohol lagert über dem Ganzen. Von oben her bringt das blendende Tageslicht bis in den entlegenften winkel, oder Bogenlampen beftrahlen die Szenerie. Der hell und freundlich gestrichene Naum macht durchaus keinen un heimlichen Eindruck. Bumal, wenn die akademische Jugend sich in Scharen hineindrängt, um den Geheimrat Waldener zu hören. Schon früh um acht, im Sommer um fieben, rücken die Wissensdurstigen an. Das Auditorium füllt sich, selbst die Gänge zwischen den Siz reihen werden in Beschlag genommen. Mit Heften jeden Formats und Buntstiften jeden Kalibers harren die Studenten auf den Ein tritt des Gelehrten. In diesem Winter, der auch den Frauen die Zulaffung zum Studium brachte, fieht man fie in eifriger Erwartung zwischen ihren männlichen Kollegen. Aus dem allgemeinen fröhlichen Geplauder vor Beginn der Vorlesung fönnte ein aufmerk fames Ohr die Laute sämtlicher europäischen und einiger egotischen Sprachen heraushören. Besonders zahlreich sind Ruffen und Amerikaner vertreten, und Japan entfendet alljährlich ein immer größeres Kontingent.
Mit dem akademischen Viertel" erscheint der berühmte Anatom mit dem stattlichen weißen Vollbart auf dem Play. Er ist eine äußerst fympathische, gewinnende Erscheinung. Er trägt einen eins fachen, schwarzen Stod, der stets bis oben zugeknöpft ist. Nun be.