Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 11.

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Sonnabend den 16. Januar.

( Nachdruk berboten.)

Das tägliche Brot.

Noman von C. Biebig.

"

Die Hauptmännin hielt sich die Borgnette vor die Augen, dann faßte sie sich ein Herz: Entschuldigen Sie, Frau Reschke, das scheint mir doch viel eher das Mädchen zu sein, von dem unser Bursche mir gesprochen hat. Suchen Sie nicht auch Stellung?" wandte sie sich an Berta.

Sawohl, gnädige Frau!" Berta hatte ein kindliches, offenes Lächeln, das sofort für sie einnahm.

Verstehen Sie Küche und Hausarbeit?" " Ich hab meiner Mutter den Haushalt geführt, wer hatten sehr viel zu tun. Ich habe alles alleine gemacht, de Mutter brauchte sich um nischt zu kümmern."

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Frau Reschke war ganz starr die wußte fich aber an zubringen! Eine leise Bewunderung stieg in ihr auf, zugleich aber auch ein tüchtiger Merger, daß das dreiste Ding ihre Hilfe gar nicht zu gebrauchen schien! Berta", sagte sie scharf, die inäb'ie Frau Hauptmann von Saldern will unfre Mine mieten."

Ach, ich weiß doch nicht ich möchte doch lieber nicht", sagte die junge Frau zögernd und betrachtete unentschlossen Mine, die mit ihren linkischen Manieren und der verdroffenen Miene gewaltig gegen Berta abstach.

Von Saldern Hauptmann von Saldern! Das war was Feines; Bertas Lächeln wurde immer gewinnender. Diese ist so freundlich," sagte Frau von Saldern, gleich­fam entschuldigend zur Reschke. Ich habe so gern freundliche Leute um mich; es ist auch so gut für die Kinder." Und dann mit einer plöglichen Entschlossenheit zu Berta: Ich gebe Ihnen sechzig Taler."

Die Reschke wurde dunkelrot. Mit Mühe nur behielt fie Biederton und Biedermiene bei. Noch schöner! Die Miene, die so schwer zu vermieten war nicht mal die Haupt­mannsche wollte fie!- blieb ihr auf dem Salse, und der Racker da brachte sich gleich selber an! Aber sie gönnte es der kleinen Kröte, wenn sie auf den hungerleidigen Haus halt reinfiel. Und so bestärkte sie in geheimer Schadenfreude die junge Frau eifrig in ihrer günstigen Meinung über Berta.

Nur der Lohn schien noch ein Hindernis. Berta ver­langte in aller Bescheidenheit siebzig Taler und ließ ein­fließen, daß der Deftillateur drüben ihr eben das gleiche geboten, und die Kaufmannsfrau, an der anderen Ecke der Stirchbachstraße, sogar noch fünf Taler mehr.

Frau Reschke zitterte vor verhaltener Wut die Bandel Also nicht bloß, daß sie einem die Kunden wegfdhnappten, auch den Nebenverdienst, durch den mal ein paar Mart erübrigte, ruinierten sie einem. Der Polizei mußte man's anzeigen, so'ne Gemeinheit! Einem die Mädchen Hinterrücks wegzumieten!

Aber jest wollte sie zu ihrem Gelde kommen. So schwa­dronierte sie denn los: Seben Sie siebzig, inäd'je Frau, Sie finden kein Mächen, det mehr for Ihnen paßte. Ja, die Berta, det is en Mächen, wie aus de Lade genommen! Un fo fig. ne, einfach iroßartig! Berta, haben Sie'n Flücke, bei so'ne Herrschaft! Da kommen immer die Mächens je Laufen: Noch feene Aussicht bei die Frau Hauptmann an­zukommen?" Aber von den'n würde it Ihnen ja jar feene rekommandieren, inäb'ie Frau! I wo, man sieht doch, wen man vor sich hat; det jinge mir jejent Jewissen. Nanu", fag if immer zu die Mächens, ihr wollt über de Herrschaft flagen? Schämt euch." I det ne Manier, sich so ufzu­plundern? Bonnis gebrannt, alle vierzehn Tage uf'n Ball? Un en iroßes Maul haben, und faul bei de Arbeet. Un An­Sprüche da is das Ende von weg!"

Ach ja," seufzte die junge Frau, ich hab auch schon böse Erfahrungen gemacht."

Na, wie war's denn mit die Mathilde?" forschte die Reschke neugierig.

Die ist eine sehr ordentliche Person. Ich hätte ihr sicher nicht gekündigt; aber sie heiratet ja."

1908

Sieh eener den Stader an!" Frau Reschke schlug schallend die Hände zusammen. Die un heiraten! Nee, inäd'je Frau, det Sie so wat ilauben! Vermieten will se sich anderswo. Siebzig Laler, dafor dient se nich mehr; hundert will se haben. Un denn vier Treppen! I du meine Süte, Belletasche mus es sind und in'n Zierjartenviertell Die Zuchten kennt man schont"

Frau Reschke hatte sich in Eifer geschwatt; fie unterbrach den Fluß ihrer Rede nicht cher, als bis Frau von Saldern, ganz klein gemacht durch die Niedertracht ihrer Mathilde, Berta siebzig Taler zusagte.

Als die Dame gegangen war, fing Mine, die bis dahin in mürrischem Schweigen in einer Ede gestanden hatte, an zu weinen. Alles, was sich an diesem Tage von Merger und Erbitterung in ihr aufgespeichert hatte, floß in diesen Tränen zutage; Heimweh war auch dabei. Sie machte der Tante Vorwürfe in einer groben Art, so daß diese, über so viel Undankbarkeit ganz entrüstet, etwas von unjehobelte Bauern. dirne" schrie, für die sie keinen Finger mehr rühren würde, und beleidigt die Glastür hinter sich zuschmetterte.

Im dunklen Laden hockte Mine auf der umgestülpten Tonne und hielt sich die Hände vor die Augen. Berta stand bor   ihr; der lezte Schimmer von Licht, der in den Keller fiel, weilte auf ihrem lieblichen Gesicht.

Weene nich, Mine," sagte sie schmeichelnd und strich der Schluchzenden übers Haar. Daß de der darum so hasti Laß doch den alten Drachen! Weeßte, ich haa' ne sehr scheene, ' ne fehr gutte Stelle for Dir, drüben bein Herrn im Restorang!"

Siebzig Taler, fagste, gibt der?" Mine hörte auf zu

weinen.

Ne!" Berta lachte hell. Wo denkste hin?! Das war nur so zu der Dame gefagt. Aber vierzig wird er der schon geben. Geh doch mal rüber bei ihn!"

Geb Du mit," bat Mine und faßte ihre Hand. Na, denn komm!" Berta wollte fie emporziehen, aber, wie sich befinnend, schrie Mine: Gefes, all die Wäscht Dis muß ich erscht fertig machen!"

Berta sah ihr fopfschüttelnd nach, wie sie durch das nun vollends hereingebrochene Dunkel nach der Küche rannte. Ein mitleidig geringschägiges Lächeln spielte um ihren hübschen Mund. 6.

Alle Abend nach neun war großer Kongreß in dem von Seringen, Zwiebeln und faulenden Obst durchdufteten, nach Moder und Schimmel   riechenden Raum.

für

Da hockten sie schwabend auf Tonnen und Körben; tunften hier ihre Finger hinein und da, kosteten dieses und jenes, musterten gegenseitig die Kleider und die Frisuren, prahlten und strichen sich heraus. Da wurde die Herrschaft durchgehechelt wie Flachs, den man durch die scharfen Zähne der Hechel   zieht. Die eine Herrschaft war zu streng, die andere zu nachsichtig: die zu schlumpig, jene zu geizig, jene zu genäschig drinnen auf den Tisch nichts gut genug, für die Dienstboten draußen alles zu teuer. Jene Madam war ein Bankteufel und der Herr ein Efel; die zweite Madam zu pupsüchtig, die dritte scheinheilig, die vierte dämlich, die fünfte ver­gnügungstoll, die sechste hatte einen Liebhaber und der Ehe­mann belästigte die Dienstmagd. So ging es fort ins un. endliche.

Sie konnten gar kein Ende finden. Ein immerwährender Neid bebte in all diesen Herzen unterm Mägdekleid; ein dumpfer, unbewußter, aber unauslöschlicher Groll hatte sich da eingenistet. Immer dienen, dienen! Immer gehorchen, wenn die befahlen; nur alle vierzehn Tage einmal fein freier Herr sein dürfen, unkontrolliert genießen können, wie jene alle Tage genossen!

Das waren Gluten, die da unten im dunklen Keller alimmten. Sie schwelten langsam in gefährlicher Stetigkeit, nur ab und zu fauchte ein Windstoß hinein, dann loderten Flammen auf und setzten neue Stellen in Brand.

Die Mägde schrien alle auf in heller Entrüstung, wenn eine von ihnen eine besonders furchtbare Geschichte zum besten gab. Wie konnte man sich so etwas bieten lassen! Wegen einet angebrannten Suppe! Ein ohrenbetäubender Lärm