Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 23.
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Mittwoch den 3 Februar.
( Nachdrud verboten.)
Sie schnitt eine Grimasse hinter ihm drein; der sollte ihr fehlen! Dann huschte sie ans Fenster und guckte hinunter. Mit wem der jetzt wohl losbummelte?!
Da ging er hin mit eiligen Schritten quer über den Damm. Seine gelben Schuhe, der helle Anzug, der weiße Strohhut, die rote Nelfe im Knopfloch leuchteten weit, Ein paar junge Mädchen drehten sich nach ihm um. Die Gänse! Bertas Lippen kräuselten sich verächtlich.
Sich ins Zimmer zurücwendend, begann sie aufzuräumen. Sie verfehlte dabei nicht, die Schübe der Toilette und die Fächer des Schreibtischs einer gründlichen Visitation zu unterziehen. Neulich hatte sie eine Düte feiner Pralinés gefunden, die ihr herrlich gemundet; heute entdeckte sie zu ihrem Leidwesen nichts, gar nichts, so sehr sie auch suchte und Kragen und Schlipse, Handschuhe und Briefschaften durchwühlte. Sie mußte sich mit dem Rest Likör begnügen, der im Kristallflacon neben der geleerten Kaffetasse des jungen Herrn stand.
Nachdem sie sich noch diskret mit etwas Eau de Cologne besprißt und einen Griff in den Kasten mit Zigaretten getan, verließ sie nach einem letzten lüsternen Ümherspähen das Bimmer.
Leo Selinger traf an der Ecke hinterm Kaiserhof sein Kleines Mädchen. Rasch und erhißt trippelte sie da hin und her, sie war sehr eilig aus dem Geschäft hergelaufen, aus lauter Furcht, zu spät zu kommen. Es war ihr gelungen, sich heute etwas eher freizumachen. Nun stürzte sie mit einem so freudeStrahlenden Geficht auf ihn zu: Leo, ich bin da!" daß er mahnend ihren Arm drückte:„ Na, na!"
"
1909
,, Ach diel" Sie errötete tief und warf die Lippen auf. Laß doch!"
Nanu? Was ist denn los? Du bist ja beleidigt!" Nein," sagte sie zögernd. Aber man merkte es ihr an, sie war verstimmt.
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Er lachte. Aber, Trude, tu man nicht so! Als ob Du spröde wärst!"
Es war ein merkwürdiger Blick, mit dem sie ihn ansah: Beschämung lag darin, Vorwurf und zugleich Hingebung.
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„ Du sollst nicht so was sagen," murmelte sie und senkte tief den Kopf. Du nicht heute nicht!" Sie seufzte; und nun haschte sie doch nach seinem Arm und drückte ihn. Ich bin Dir so gut!"
,, Das ist brav von Dir! So- laß los! Und nun komm, Trude, nun wollen wir uns heut mal famos amüsieren!" Ob sie sich auch amüsierte, war ihm bis jetzt nicht klar. Jm verdunkelten Parkett des Theaters am Schiffbauerdamm faß sie dicht an ihn gerückt und hielt verstohlen seine Hand. Mit großen Augen folgte sie den Vorgängen auf der Bühne; ihre Ohren glühten dunkelrot, aber ihr Gesicht wurde immer blaffer.
In der Pause führte er sie in die Restauration. Er konnte das jetzt ruhig riskieren, die meisten seiner Bekannten waren bereits auf der Sommerreise, und wenn ihn irgend einer sah na, wenn schon, sie war ja ein riesig schickes Mädel! Sie weigerte sich, etwas zu essen, nur trinken wollte sie; fie batte einen brennenden Durst, das große Bierseidel faßte sie mit beiden Händen und leerte es auf einen Zug.
Als sie dann nach dem letzten Klingelzeichen im dichten Gewühl durch das Foyer drängten, und er, leicht den Arm hinter ihre Taille legend, sie voran schob, zog sie seinen Arm fester um sich. Er merkte, wie ihr schlanker Körper bebte; durch das leichte Sommerkleid durch fühlte er das Pulsen ihres warmen Fleisches. Er drückte sie fester. Das hatte er sich gleich gedacht, dieses Stück war so was!
Von dieser Jugend" da oben auf der Bühne wehte ein heißer Hauch hinab ins Parkett; ein seltsamer Duft, ein Geruch nach Flieder und Jasmin , in dunklen Lauben blühend, in
Neben ihr herschlendernd, musterte er sie. Donnerwetter, wie niedlich! Das hätte er selber nicht gedacht, daß die Trude fich so herausmachen würde; um die würde ihn mancher beneiden. Wie ihr das simple Piquékleidchen saß! Die blusige Taille, der große Matrosenkragen, der vorn das blasse Häls- schwüler treibender Lenznacht. chen ein wenig freiließ, der breite schwarze Gurt, gaben ihrer jugendlich unentwickelten Gestalt etwas knabenhaft Schlankes. Sie sah blutjung aus.
Er preßte Trudes Hand, die in der feinen zuckte, und neigte sich dicht an ihr heißes Ohr." Trudel, süße Trude!" Sie fenkte die Wimpern, Tränen hingen daran. Er hatte Er schmunzelte. Na, Schat, freuſt Du Dich?" sie noch nie weinend gesehen, immer nur mit einem lustigen Unter dem weißen Matrosenhütchen sahen ihn ihre Augen Fräßchen. Er wollte sie necken, aber dann war er förmlich zärtlich blinzelnd an. Riesig!" geniert und fah sich scheu um das war ja gräßlich, wie sie schluchzte! ,, Aber Trude!"
Willst Du noch was essen?"
Ne, ne, ich bin ganz satt. Vor Freude. Ich könnte jekt nichts essen. Nachher! Nachher!"
Wie aufgeregt die kleine Trude war! Er führte sie heute zum ersten Mal ins Theater, in die Jugend"; er war fich felbst nicht klar darüber, warum er grade dies Stück gewählt hatte. Und nachher wollte er mit ihr soupieren.
Bum erstenmal würde sie ganz ohne Gêne ausbleiben können. Die Eltern machten mit dem Berein„ Fidelitas" die alljährliche Landpartie nach Stralau, da wurde es spät bis zur Rückfehr; vielmehr früh. Im vorigen Jahre war Trude mitgewesen, da hatten sie bei Sonnenaufgang noch draußen Kaffee getrunken.
Die Mutter mit Artur und Elli war schon um drei nach mittags ausgerückt, man mußte das feltene Vergnügen doch voll ausgenießen. Bater Reschke tam am Abend nach; es war das einzige Mal im Jahr, daß der Keller früher geschlossen wurde. Nur Grete blieb zu Haus.
Trude lachte übermütig, als sie ihrem Leo erzählte, wie schwer es ihr geworden war, sich von der Partie loszueisen.
Ich habe Muttern ordentlich was vorreden müssen. Wir Hatten Krach. Aber was schad's. Nun fann ich lange bei dir fein!"
Bon einem Strom der Zärtlichkeit mit fortgerissen, drängte sie sich näher an ihn; so dicht schritt sie neben ihm her, daß ihr Kleid bei jedem Schritt um seine Sniee schlug. Sie wußte, daß sie sich im Hellen nicht an seinen Arm hängen durfte, aber heut abend im Dunklen ach ja!
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Er neckte sie. Aber die Courmacher von Stralau, Trude, was? Da hättest Du Dir doch einen zulegen können!"
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Sie drückte krampfhaft seine Hand und biß in ihr Taschen. tuch. Unaufhaltsam stürzten ihre Tränen.
Gut, daß der lezte Akt zu Ende war!
spöttisch, halb ein bißchen mitleidig: Kleines Schaft" Als er sich mit ihr dem Ausgang zuschob, sagte er, halb
Sie lachte schon wieder und hing sich vergnügt an seinen Arm. Ne, so dumm, was?!"
wußt" hätte, daß Du so heulen würdest, hätte ich Dich wahr Sehr richtig. Das kann ich Dir sagen, wenn ich gehaftig nicht hergeführt! Das nennt sich nun ein Vergnügen!"
Sie nichte heftig. Doch, es war auch eins! Ich hab das reicht für lange! Ach, Leo, war das schön," sie stieß mich riesig amüsiert. Ha, da hab' ich mal tüchtig geheult; einen zitternden Seufzer ausne, zu schön!" Die Zähne aufeinanderbeißend, schüttelte sie sich: Aber nu los!"
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" Du hast wohl jezt' nen Riesenhunger? Ich auch. Na, denn komm! Heut spendir ich Dir Sekt!"
Sie klatschte in die Hände. Hei, wie nobel! Den hab' ich schon immer mal gern trinken wollen!" Aber gleich darauf wurde sie stumm, ein fröstelnder Schauer überflog fie.„ Erst noch' n bißchen draußen rumbummeln- ja?" bat sie mit stockender Stimme.
Er tat ihr den Willen, langsam führte er sie am Wasser weiter hinauf. Der Menschenstrom hatte sich verlaufen, sie waren allein. Er drängte sie in eine dunkle Tornische und füßte fie ab. Sie füßte ihn heftig wieder, ihre Lippen lagen heiß auf den seinen; minutenlang hing fie an ihm.
Bärtlich flüsternd schlenderten sie dann weiter. Massig hob sich der Bau der Marschallbrücke, vereinzelter