Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 26. Sonnabend den 6 Februar. 1909 (Nachdruck verdate».) 261 Das tägliche Brot. Roman von C. V i e b i g. Immer behaglicher nestelte sich Artur ein: er verbarg das Gesicht in Mines Kleid, die Sonne blendete ihn. Beide Arme hielt er um ihre Taille geschlungen. Sie hörte ihn gleichmäßig atmen und wagte nicht, sich zu rühren: den Sonnenschirm hielt sie aufgespannt, damit ihn kein Strahl störe. Eine lähmende Schläfrigkeit kam auch über sie, ein zarter Nebel legte sich vor ihre Augen, sie wußte es nicht, daß der Schirm ihrer Hand entsank. Sie schlummerten.------ Ein spielendes Lüftchen schreckte Mine auf. War's mög> lich, so lange schon saßen sie hier? Ein weiches Licht war statt des Sonnenglastes gekommen. Die abgeernteten Felder, die Kartoffeläcker, die sandigen Wege waren schön. Mines Augen schwammen, sie dachte an daheim: und doch hätte sie jetzt nicht mehr dort sein mögen, um alles in der Welt nicht, denn— sie lächelte und seufzte leise und strich mit ungeschickter Zärtlichkeit über die schön pomadisierten Haar- wellen an Arturs Hinterkopf. Er erwachte. Erst jetzt, als sie aufstehen wollte, merkte sie, daß ihr der Rücken ganz steif geworden war, und in den Füßen kribbelte es. wie von tausend Ameisen. Sie mußte hell aufschreien: „Au, ineine Füße sind eingeschlafen l" Er rieb sie ihr um die Knöchel, und aus Scherz kniff er ein wenig in die Wade: da zog sie verschämt das Kleid tiefer und sprang rajch auf. Auf dem Rasen, neben der Einbuchtung, die ihre Körper gedrückt, welkten die abgepflückten Blumen unbeachtet. Hand in Hand gingen die Beiden davon. Eine feine Dämmerung umhüllte sie wie mit sanften Schleiern. Silbergrau war die ganze Welt, silbern der Mondkahn in den silbernen Wellen des Aethers. Zart wie ein Hauch kam etwas geflogen mit dem Abend» wind und stahl sich ins Herz. Drüben vom Secpark kamen schmachtende langgezogene Melodien. Artur begann mitzusummen:„Das Meer er- glänzte weit hinaus." Ein wunderbares Pistonsolo ließ sich hören. Mine lauschte wie verzückt und lehnte sich an Artur. Er umschlang sie fester und küßte sie so heftig, daß er ihr den Hut vom Kopf stieß. Er wollte sie gar nicht loslassen. „nen Kuß, " stammelte er,„gib mir'nen Kuß, noch einen!" Sie tat ihm den Willen, sie selbst war ganz willenlos. Immer die schöne Musik und der Hauch von den Feldern, der sie gedankenlos froh machte, wie ein Kind auf der Heimatflur. Sie lachte. Er lachte. Hinter einander herjagend, rannten sie den Rain entlang. Nun waren sie im Heckenpfad: das alte Mütterchen war weg, der Mann ohne Beine nur noch allein da. aber er spielte nicht mehr die Harmonika, müde ließ er den Kopf über die Brust hängen und wartete auf sein Weib, sein Kind oder den Unternehmer, der ihn heimführen sollte. Auf flinken Füßen jagte das junge Paar an ihm vorbei. Da hielt Mine plötzlich an:„Artur, gib ihm was!" Und Artur zog die für den Kellner bestimmten fünf Pfennige und gab sie ihr, und sie legte sie dem Krüppel auf die Harmonika. So leicht hatte sich Mine noch nie in ihrem Leben von fünf Pfennigen getrennt, selbst einen Groschen hätte sie willig gegeben. Ein plötzliches Mitgefühl für andere hatte sie erfaßt. Stolz gingen sie am Seepark vorbei: wie Leuchtkäferchen schimmerten die vielen Laternen im Dunkel des Gartens. Schon war die Straße belebt von Heimwärtsziehendcn, von müden Eltern, müden Kindern: die tanzlustigen Pärchen fingen jetzt erst recht an. Sie suchten die Menge zu vermeiden: sich zärtlich führend, schlichen sie hinter den anderen drein oder stolperten abseits vom Wege zwischen Sandkuhlen und Heckengestrüpp. Mit- unter blieben sie stehen und iahen sich an: sie hätten sich gern umarmt, aber Mine war scheu— da waren zu viel Augen! Immer wieder wies sie ihn zurück. So drückte er nur ihre Hand, ihren Arm, ihre Taille. Ihre Gesichter glühten. Die Lust ging lau und trug auf ihren Schwingen verirrten Duft von fernen Gärten. ES hatte lange nicht geregnet, das Land war dürr, und trocken waren auch ihre Kehlen: ihre Lippen brannten. In einem kleinen Gartenrestaurant, das an ihrem Wege lag. kehrten sie ein. Im„Landhaus" war sonst kein Amüsement zu holen, keine Musik, keine Wllrfelbuden, keine Rutschbahn: aber heut war der lauschige stille Garten so recht etwas für sie. Sie drückten sich in den entferntesten Winkel und rückten so ganz nah zusammen: seine Rechte lag auf ihrer Schulter, seine Linke hielt sie zwischen ihren beiden Händen unterm Tisch. Ihr Bier war ausgetrunken. Neue Gäste kamen, ein ganzer Strom schon auf dem Heimweg Begriffener ergoß sich noch einmal hier herein, alle Tische waren rasch besetzt. Schon warf der Kellner ärgerliche Blicke auf das Pärchen in der Ecke, das da wie angenagelt saß und doch so gut wie nichts verzehrte.—„Poplige Gesellschaft! Nicht mal fünf Pfennig Trinkgeld hatten die gegeben!" Mit Absicht streifte er immer wieder an ihnen vorbei: nun wies er ein paar Platzsuchende an ihr Tischchen. Da flohen sie. „Wie lange darfste ausbleiben?" flüsterte Artur, als sie draußen unter den schwarzen Bäumen der Allee standen. „Ich Hab den Schlüssel— bis zwölwel" Jetzt ging es erst auf zehn. „Wir gehn noch nick nach Hause, noch lange nich," flüsterte er wieder und zog ihren Arm fester in den seinen. „Komm! Js's hier nich schöner?" „Ja," seufzte sie und ließ sich willig ziehen, immer weiter hinein, unter die schwarzen Bäume. -------- Zwei, drei Villen noch, schattenhast hinter dichtem Laub» werk auftauchend. Hinter den Gittern betäubender Blüten- duft— Reseden, Levkojen— dann eine unendliche, dunkle» einsame Leere, von weltfernen Sternen nicht erhellt. Glühende Wange an glühende Wange geschmiegt, heißer Hauch heißem Hauch entgegen zitternd. Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte. Sie schritten dahin, immer tiefer hinein in die Einsam- keit, die ihnen zu eigen gehört, ihnen jetzt ganz allein. 13. Der erste Oktober war vor der Tür. Jetzt war die Gänsesaison bald in vollem Schwung. Mutter Rrschke hielt sich auch welche, in einem kleinen Ställchen im Sand- und Kartoffelkeller. Ganz mager und dürr vom Händler gekauft, wurden sie da fett gemacht— genudelt— und dann als „pikfeine Oderbrüchcr" wieder verkauft. Man hatte immer einen guten Profit dabei, selbst wenn eine aus Mangel an Licht und Luft, oder wegen einer Nudel, die ihr zu unsanft eingestopft worden, rasch geschlachtet werden mußte. Dann aß man eben auch mal Gänsebraten. Mutter Neschke war, wie sie sagte,„für'nen juten Happen immer zu haben", und Vater Reschke, der bei saurer Milch und Schalenkartoffeln groß geworden, ließ für was Feines sein Leben. In letzter Zeit wurde der Tisch bei Reschkes überhaupt besser geführt: Mutter Reschke fühlte sich, trotz ihrer Dicke, oft klapprig, vom vielen Stehen und ewigen Schwatzen im Laden todmüde: da war's immer besser, man spendierte dem Magen etwas, als man trug das Geld in die Apotheke. Und es blieb auch so manches von der Ware übrig: gerade Feines, was sich nicht so leicht verkaufte, das man aber dann doch nicht umkommen lassen konnte. Hatte das Ehepaar sich recht angegessen, so lag es, an» geschwollenen Riesenschlangen nach dem Fraß gleich, in den Sofaecken und hielt einen Verdauungsschlaf. Mochte vorn die Klingel sich rühren mit eindringlich mahnendem Gellen, das lvar jetzt nicht seine Sache, im Laden zu bedienen! Ein- mal muß der Mensch seine Ruhe haben. Elli stand dann hinterm Ladentisch auf einer Fußbank und überschaute altklugen Blickes das ihr Anvertraute. Um diese Zeit war nicht viel los: höchstens, daß ein Arbeiter vom Neubau kam und sich eine Zigarre holte— seit in der Näbe
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26 (6.2.1909) 26
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