dienen, als sein Wächter hier draußen, der schon im nächsten Monat froh zur Heimat in die blauen Berge des Unterharzeis zu ziehen hoffen durfte. Und welche Dienstzeit machte der Arme hier durch, eingeschlossen in diesem öden Hof. in jenem Kerker dort unten, den er allerdings mit vielen Letdens�enossen teilte. Freilich Trencks einsames Grabesloch war noch viel schlimmer und der hatte es zehn Jahre ertragen müssen. Der Posten schauderte trotz der Hitze; die Uhr schlug ein Viertel auf zwölf. Hatte nicht der Mann vorhin erzählt, daß Trencks erster Kerker hier nebenan in der Mauer wirklich zu finden wäre, in dem Hofe, den man vom Walle oben sehr gut übersehen könne? Dort rechts führte eine Treppe empor zu einer hölzernen Galerie, von der man in die Bodengelasse des kleinen Wirtschaftsgebäudes gelangte. Dies Bodenstockiverk war nur niedrig, halbmannshoch, und auf- rechtstehend mußte man von der Galerie auf das flachschräge Teer- dach hinaufsehen, auch leicht hinaufsteigen können. Von dort hatte man freien Blick in den düsteren Hof nebenan mit dem Mord- feller? Lockt auch ihn der Teufel? Er verspürt unbezwingliche Lust, dort aufs Dach hinaufzusteigen, um einen Blick in die finstere Höhle zu werfen und sich die Situation zu vergegenwärtigen. Warnend steht ihm das Schicksal des dort in der Kasematte schlafenden Gefangenen vor der Seele. Die Anteilnahme an Trencks Schicksal wurde dem zum Verderben. Aber ihm gchts wie jenem! Er kann dem geheimnisvollen Reize nicht widerstehen, er muß dort hinauf. Ihn verfolgte ja kein Greuel, alles schlief hier, und von draußen her konnte sich niemand heranschleichen, ohne daß er selbst ihm die Pforte aufschloß. Aber wie wenn draußen die Ronde rief, während er gerade oben auf dem Dache säße? Nun, dann hatte ihn ein verdächtiges Geräusch, dessen Ursache er er- gründen wollte, dort hinaufgelockt. Schon stand er auf der Holz- galerie, das Gewehr an die Mauer gelehnt, und schwang sich hinauf. Es war ein Pappdach, das unter seinem Schritte knirschte. Das Gewehr, das er als Posten nicht aus der Hand lassen durfte, zog er nach. Das Dach lief schräg hinauf und er konnte auf ihm bis zur Höhe jener Mauer dcS Hinterhofes enmporstcigen. Ungehindert ging von dort sein Blick hinunter in den dunklen, gähnenden Schacht, in welchen die sternklare Augustmitternacht keinen Licht- strahl sandte. Drohend starrte die Finsternis zu ihm herauf. Nichts vermochte«er dort zu unterscheiden. Totenstille herrschte in diesem Grabe und eS überrieselte den einsamen Mann oben eis- kalt, als er des Unglücklichen gedachte, der einst dort unten ver- loren und vergessen saß und sein Schicksal erwartete, das nur der Tod oder ewige Kerkernacht sein konnte. Da was war das? Tort unten an der Wand blitzte ein Lichtlcin auf und bei dessen unsicherem Scheine erkannte er, wäh- rend sein Haar unter dem Helm sich sträubte, daß sich die schwere Eisentür des VerließeS öffnete und ein Wesen herausließ, bei dessen Anblick das Blut in den Adern erstarren konnte. Eine hohe, hagere Gestalt wars, mit einer in Lumpen zerfallenden Uniform bekleidet und mit schweren Fesseln belastet. Grauenerregend zeich- nete sich das bleiche Gesicht vom finsteren Hintergrund der Mauer ab. Und nun hob das Gespenst die Laterne, die es in der Hand trug, blickte hohläugig umher und gewahrte den entsetzten Lauscher dort oben. Drohend reckte es den dürren, mit Fesseln belasteten Arm gegen diesen, schüttelte die Faust, daß die Ketten klirrten, und zu Martins Entsetzen wuchs der Arm und die Faust aus der Finsternis und Tiefe empor, immer größer und größer werdend, indem sie sich seiner Brust näherte. Im sinnlosen Schreck fällt der Mann sein Gewehr und stößt nach der ihn drohenden Riesenfaust. Aber bei Berührung mit dem Feinde erhält das Gewehr einen Schlag, daß es ihm aus den Händen in die Tiefe stürzt, und im nächsten Augenblick haben ihn die Teufelsfinger an der Brust er- faßt. Er stemmt sich verzweifelungsvoll mit allen Kräften gegen fein Verderben, aber eS nützt ihm nichts, unwiderstehlich zieht es ,hn vorwärts, über den Rand der Mauer hinweg, und er stürzt hinab. Deutlich hört er das Aufklatschen dcS der Länge nach hin- schlagenden Gewehres. Deutlich fühlt er den Fall durch die Luft und den Anprall von Arm und Kopf auf dem Pflaster. Der Helm fliegt ihm vom Kopf und rollt einige Meter dahin.--' Verstört blickte er jetzt um sich und erkannte in der Finsternis zunächst überhaupt nichts, fah auch nirgends den gespenstischen Riesenfuß, vor dem er doch niedergestürzt sein mußte, um im nächsten Augenblicke zertreten zu werden. Die Uhr am Portal ließ einen einzelnen Schlag ertönen. Das brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. WaS war mit ihm cigcnt- lich geschehen? Ach so! Gott   sei Dank! Ter Spuk war fort. Er war. auf dem Ständer sitzend, eingeschlafen gewesen und hatte, die Geschichte des Sträflings noch immer im Kopfe, die Geistererichei- nung als Fortsetzung g< träumt. Schließlich war er mitsamt dem Gewehr vornüber gestützt. Sofort ernüchtert und wie von einem Alp befreit, fand er sich blitzschnell wieder in die wirkliche Situation. Er war ja auf Posten, niemand durfte ahnen, daß er geschlafen. Den Helm auf! Das Gewehr über! Schon stand der Posten wieder vorschriftsmäßig auf der Wacht. (Schluß folgt.) Geber das Gedacbtms. Von Dr. A. Lipfchütz. Wir wollen eine Erklärung für jene psychischen Vorgänge finden, die wir Gedächtnis nennen. Hier verlohnt fich das Suchen, denn das Gedächtnis ist der Ausgangspunkt all unserer bewußten Tätigkeit. Vor allein was ist Gedächtnis? Durch Sinnesreize, die von den Dingen der Außenwelt ausgehen, entstehen in uns Empfin» düngen. Auf Grund von Empfiudungen bilden wir unsere Vor« stellungen. Diese sind Erinnerungsbilder von Empfin« düngen, die wir in unserem Bewußtsein wieder wachrufen können, ohne daß ein neuer Sinnesreiz von den betreffenden Dingen der Außenwelt uns wieder getroffen hätte auch nachdem das ErinnerungS  - bild lange Zeit unterhalb unseres Bewußtseins geschlummert hatte. Diese Fähigkeit nennen wir Gedächtnis. Nun ist alles Leben Leben von Zellen, auch die psychischen Vorgänge. Diese spielen sich in den Nervenzellen, den Ganglien» zellen. ab, die in ihrer Masse die Hirnrinde bilden. Von den Ganglienzellen müssen wir also ausgehen, wenn wir uns daS Ge- dächtnis erklären wollen. Schon seit alter Zeit hat man angenommen, daß die Erregungen der Ganglienzellen, die durch Sinnesreize einmal oder öfter hervor- gerufen werde», irgend welche VeränderungenSpuren",Ein- drücke" in ihnen zurücklassen, die fich nur äußerst langsam ver- wischen. Besteht diese Annahme zu Recht? Und welcher Art find diese Spuren, wie kommen sie zustande? Werfen wir unser» Blick aus andere Zellformen, auf die Zellen der Muskeln. Ein Muskel nimmt an Masse zu, wenn er däusig gebraucht wird. Das ist eine Erfahrung, die einem jeden geläufig ist. Die Muskelfasern werden breiter, massiger. Wird der Muskel längere Zeit nicht gebraucht, treffen ihn keine Reize, keine Impulse sdie das Nervensystem an den Muskel sendet), so nimmt er an Masse wieder ab, ja er kann bei völligem Nichtgebrauch atrophisch werden sschwinden). ES hat sich nun gezeigt, daß das auch bei den Gang« lienzellen der Fall ist. Die Vermehrung der Ganglienzellen erreicht beim Säugetier schon vor der Geburt ihren Abschluß, ihre Zahl bleibt später unvcr« ändert. Aber die Entwicklung der Ganglienzelle ist mit der Geburt noch nicht abgeschlossen. Parallel mit der Jnanspruch- nähme der Ganglienzelle sehen wir ihren Protoplasmakörper sich vergrößern und die Zellausläufer, die die Ganglienzellen unter- einander verbinden, sich reichlicher entivickeln und verzweigen. Greifen wir zu einer Beobachtung. Wir haben ein neugeborenes Kaninchen vor unS. Es ver­sucht zu gehen, macht aber nur strampelnde und unbeholfene Bewegungen mit den Beinen und kommt trotz großer An- strengungen nicht vom Flecke: der Körper kippt und fällt auf die Seite. Ganz allmählich werden in den nächsten Tagen die Bc- wegungen sicherer, wenn auch die Anstrengung dabei noch groß ist. In den folgenden Tagen wird die Unbehotfenheit noch geringer, und schließlich hat das Tier gelernt, sich aus den Beinen zu erhalten. umherzugehen und wenn man es umdreht, in die normale Körper- läge zurückzukehren. Sehen wir nun zu, wie sich zu dieser Zeit die Ganglienzellen verhalten, die ihre Impulse an die Muskeln senden. Hier kommen die Ganglienzellen des Kleinhirns in Betracht, durch welche die Koordination sZusammenfasiung) der Bewegungen und die Erhaltung des Körvergleichgewichts vermittelt wird. ES zeigt fich unter dem Mikroskop, daß die Ganglienzellen bei einein mehrere Tage nach der Geburt getöteten Kaninchen viel größer sind alö bei einem Tiere, das wir unmittelbar nach der Geburt getötet haben. Sie haben an Masse zugenommen, ihre Ausläufer sind länger und verzweigter geworden. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Bei neugeborenen Hunden ein- und desselben Wurfes werden der Hälfte der Tiere die Augen zugenäht, während die andere Hälfte der Tiere mit offenen Augen herumläuft. Tötet man nun die Tiere nach einigen Monaten und untersucht mikroskogisch das Gehirn, so zeigt es sich, daß bei den Tieren mit den zugenähten Augen, bei den Tieren, die keine Gesichtsempfindungen hatten, weil ihre Augen von Licht- strahlen nicht getroffen wurden, die Ganglienzellen in der Seh- phäre der Großhirnrinde ihren embryonalen Charakter behalten haben, im embryonalen Zustand verharren. Dagegen haben die entsprechenden Zellen bei den Tieren, die mit offenen Augen herum- gelaufen waren, deren Sehsphäre also jeden Tag in Anspruch gc- nommckn war, an Große, an Masse bedeutend zugenommen. Die Abbildungen, die der Forscher, von dessen Untersuchungen wir hier prechen, gegeben hat, zeigen uns aufs deutlichste, welch eine Be- deutung der Inanspruchnahme der Ganglienzellen für die Entwickeluug dieser zukommt. Ein weiteres Beispiel. Leute, die ein Glied Arm oder Bein verlieren, gewöhnen sich allmählich, keine Impulse an dieses Glied zu senden: bestimmte Ganglienzellen des Rückenmarkes sind nun außer Funktion gesetzt und werden atrophisch, nehmen an Masse ab. ") Wir folgen hier den interessanten Ausführungen von Prof. M. Verworn   in seiner AbhandlungDie zellularphyfiologische Grundlage des Gedächtnisses"(Zeitschrift für allgemeine Physiologie Band VI).