Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 29. Dmmerstcig� den 11. Februar. 1909 Machdruck verboten.) 281 Vas täglieke Brot. Roman von C. Viebig. Endlich, endlich! Ihre Zähne malmten; sie schmatzte und schluckte und schlang gierig. Da der Bissen blieb ihr in der Kehle stecken, mit einem unartikulierten Laut fuhr sie zusammen eine Hand hatte sich auf ihre Schulter gelegt. Entsetzt starrte sie in Herrn Leos schwarze �ugen. Nanu?" Sie brachte kein Wort heraus. Also Sie sind die Näscherin. Sieh mal einer an!" Er verschlang sie fast mit seinen schwarzen Augen, fest drückte sich seine Hand in ihre weiche Schulter. Lassen Sie mich doch los!" Ihre zitternden Lippen konnten kaum die Worte formen. Nein, Diebe hält man festl" 'ne Diebin bin ich nich!" Na, was denn?" sagte er gleichmütig.Die Tür mit 'nem Nachschlüssel aufmachen über verschlossene Sachen gehn mitten in der Nacht na, wenn das nicht Diebe tun?! Ich kann nicht schlafen ich höre ein Kraspeln ich schleiche an die Tür   ich denke: bricht einer ein? Ich mache leise auf und traue meinen Augen nicht ne, ne, reden Sie nur gar nicht erst, ich weiß es doch! Sie haben ja noch den Mund voll." Seien Sie still! O bitte, bitte, feien Sie still!" Berta zitterte am ganzen Leibe; krampfhaft hielt ihre Hand noch ein Stückchen Kuchen. Na warten Sie nur!" Er hielt sie immer fester. Sie stieß ihn von sich. Pfui, schämen Sie sich! Ich werde es Mama sagen!" Ach nein, nein!" Natürlich! Es ist ja ganz unerhört von Ihnen. Was haben Sie denn hier mitten in der Nacht im Büfett zu suchen?!" Ich ich" Sie konnte nicht weiter sprechen; alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.O bitte, Herr Selinger," sagte sie mit aller Anstrengung,bitte!" Er stellte sich sehr zornig und konnte doch nicht umhin über ihre Angst zu lächeln. Mama wird sich schön wundern," sagte er sanfter. Sagen Sie nichts," ächzte sie, ließ das Stück Kuchen fallen und hob flehend die Hände.Bitte, bitte!" Na, wir wollen mal sehen. Wenn Sie's nicht wieder tun" Nein, nein!" Und mir versprechen" Er sprach nicht weiter, er musterte nur die notdürftig bekleidete Gestalt, der das schöne Blondhaar lang um die Schultern fiel. Seine Blicke glitzerten. Jetzt erst wurde sie sich ihres Aufzuges bewußt. Mit einem leisen Aufschrei flüchtete sie hinter den Eßtisch. Er ihr nach. Sie wollte in ihre Kammer. Er drängte sich mit hinein. Sie drängte ihn wieder hinaus. Es war ein stummes Ringen auf der Schwelle. Kein lauter Ton. Lassen Sie mich los," flüsterte sie. Morgen früh weiß es Mama!" Ihre Kraft erlahmte vor Schrecken; er benutzte es. um sie zu küssen. Aber, als er, kühn gemacht, sie fester um- schlang, setzte sie sich wie eine Wilde zur Wehr. Lassen Sie mich in Ruh ich sag es Ihrer Mutter!" Das lasten Sie lieber sein, der Hab ich entschieden mehr zu sagen!" Sie brach in ein trockenes, wütendes Schluchzen aus, m?t der Faust stieß sie ihn vor die Brust, daß er zurücktaumelte. Donnerwetter! Berta, seien Sie doch vernünftig, sonst" Er riß ihr die Tür, die sie hinter sich zuziehen wollte, aus der Hand. Sie riß sie wieder an sich. Das Licht, das bis dahin auf dem Büfett geflackert, er« losch plötzlich stinkend: es war nur ein Stümpfchen gewesen. Stockdunkelheit. Ohne Laut, die Aäbne zusammenbeißend, alle Kraft anwendend, suchte si. ihre Tür zuzudrücken. Er drängte dagegen.Berta," flüsterte er drohend,ich sag'sl" Keine Antwort. Verzweifelt strengte sie sich an. Jetzt schnappte die Tür ins Schloß   jetzt schob sie innen den Riegel vor sie lachte kurz auf. Mochte er klopfen! Aber die Knie zitterten ihr, wankend sank sie auf den Haufen der gebrauchten Tischwäsche, die hier am Boden lag. Sie lauschte was machte er jetzt draußen?! Sie hörte ihn davon schleichen. Lange danach erst kroch sie in ihr Bett zurück und zog sich schaudernd die Decke bis hoch hinauf. Ihr Atem flog, ihr Kopf glühte, rasend pochte ihr Herz ob er sie verriet?! Sie mußte ausdenken, wie sie ihn verschwiegen machte, ohne sich doch allznviel zu vergeben. Und sie sann und sann; der Morgen graute längst, und noch war keinen Augenblick Schlaf über sie gekommen. Der Kopf schmerzte ihr, sie war wie gebrochen an Leib und Seele. Halb triumphierte sie, halb fürchtete sie, und dabei mußte sie uoch immer an das Stückchen Kuchen denken, das ihrer Hand entfallen war. Ehe die anderen aufstanden, würde sie da sein, es vom Teppich auslesen und es essen. 14. Der Winter war gekommen. Berta- saß fröstelnd in der Küche, hatte sich ganz in einen Winkel gedrückt und horchte scheu auf jedes Geräusch in der Vorderwohnung. Gott   sei Dank, Herr Leo kam nicht den langen Gang herunter! Er hatte keine Ahnung, daß sie beide allein auf der Etage waren. Frau Seiinger war zum 5konzert gefahren, und die Köchin hatte sich nicht zurückhalten lassen, die Gelegenheit zu benutzen und auch auszugehen; sie wollte aber gleich wieder da sein. Wenn sie doch käme! Berta lauschte ängstlich; auf ihrem schmaler und zarter gewordenen Gesicht kam und ging die Farbe. Ihr Teint leuchtete förmlich, die Haut schimmerte durchsichtig: ihre Augen, von dunklen Ringen umgeben, schienen größer, aber der Blick war matt. Sie war bleichsüchtig: Frau Selinger, besorgt um ihr hübsches Mädchen, hatte vom Hausarzt Eisentropfen der» schreiben lassen, aber Berta hatte sie zum Fenster hinaus» gegossen und nur den Zucker, den man ihr zum Einnehmen gegeben, hinter den weißen Zähnen verschwinden lasten. Was sollten ihr wohl Eisentropfen helfen?! Wenn sie nur besser hätte schlafen können! Da lag sie des Nachts in steter Angst und horchte auf einen Tritt und schreckte zusammen beim leisesten Knistern der Tapete, beim Knacken eines Möbels, beim Fallen eines Regentropfens und beim Hauch des Windes draußen vorm Fenster. Dann hielt sie den Atem an und zog krainpfhaft die Decke um sich. Oder sie fuhr jäh auf aus schrecklichen Träumen ein drohendes Etwas hatte sich über sie gebeugt, sie angehaucht mit glühendem Atem mit gleichen Füßen sprang sie aus dem Bett zur Tür und versicherte sich, ob der Riegel auch noch vorlag., t.. Wie er sie quälte! Oft bei Tisch, wenn sie bediente, zu» mal wenn sie das Süße präsentierte, sah er sie so seltsam lächelnd an, daß die Schüssel in ihrer Hand schwankte. Sie hatte keine Waffe gegen ihn. Wie gern hätte sie gekündigt! An der guten Stelle hier lag ihr nichts mehr. Aber das wußte sie, noch ließ er sie nicht ohne Denkzettel gehen. Und sie fürchtete für ihre Zukunft; so blieb sie in scheuer Furcht. Keine Stunde war sie sicher vor ihm. Oft, wenn sie ihn am wenigsten vermutete, stand er hinter ihr und pustete sie in den Nacken. Eilte sie durch den langen dunklen Korridor, die Arme voller Geschirr, so vertrat er ihr den Weg. Räumte sie seine Stube auf. so kam er dazu; immer und überall fühlte sie sein Auge auf sich ruhen, und dieser Blick nagte an ihr. Sie haßte Herrn Leo wie der Sklave seinen Peiniger; aber wenn sie ihn am meisten haßte, daß ein verräterischer