Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 33.

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Mittwoch, den 17. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Das tägliche Brot.

Roman von C. Viebig . 16.

Man muß den Flücke die Hand bieten," war eine be­liebte Redensart von Mutter Reschke; darum schickte sie ihre Tochter Trude so oft als möglich herüber in Handkes Laden. Elli durfte nicht mehr einholen, immer Trude. Sogar nach Sachen, die sie selber im Laden führten, schickte sie. Für zehn Pfennige Salz! Ein halb Liter Petroleum; ein viertel Pfund Kaffee" und so weiter.

Es war ein wichtiger Tag, an dem Trude zum erstenmal berichten konnte:" Mutter, er hat alle, die vor mir da waren, wohl Stücker sieben, stehen lassen un mich zuerst bedient!"

Frau Reschkes befümmertes Gesicht hellte sich auf; das war doch eine frohe Aussicht! Und die hatte sie iegt wahr haftig nötig, wo ihr armer Artur so drinne saß. Gestern erst war er dagewesen und hatte Stein und Bein geklagt. War das eine Schindereil Von morgens früh bis abends spät frumm fizen wie ein Fiedelbogen, immer die Feder in der Hand, und dann war's immer noch nicht rasch genug ge­schrieben; nur eine Stunde Mittag, und dann wieder in das finstere Bureau, wo man sich die Augen verdarb. Und alles für fünfzig Mark! Ein Skandal! Nein, lange würde er's da nicht mehr machen, hatte Artur gesagt.

Wie elend er aussah! Klapperdürr, die Kleider schlotterten ihm ordentlich, und die schwache Linie des dunklen Schnurrbärtchens hob noch mehr die Blässe der blutleeren Lippen.

1909

sehen," raunte fie, wie er ihr anplinkert? Sorje man, det er heute ordentlich wat trinkt, denn schießt er loswetten?!" ,, Denn faufe ich mer'n Militärjaul," murmelte Reschke, für nach de Halle zu fahren. Un Sonntags nach'n Jrune wald!"

" wo, biste verrückt?! Denn seßen wir uns zur Ruhe, fage ick Dir. Mit'n Jeschäft is sowieso nich ville mehr los. den Zylinder vor und" fraute sich den Kopf. Bei's Bücher. Das sah er ein. Da haste recht, Amalchen!" Er schob führen kommt nischte nich raus."

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,, Arthurn wer'n wer denn doch noch studieren lassen," sagte sie nachdenklich.

Jez bist Du woll verrückt," schrie er ziemlich laut und grob. Arthur hier un Arthur da! Arthur hier un Arthur dal Was jeht mir der Bengel an? Nirgendswo hält er aus, der Faulenzer, der" Bit, pit!" Sie drückte seinen Arm.

Und Elli, die an der Mutter Hand einherstolzierte, sagte mit ihrer spißigen Kinderstimine: Aber, Papa, er hört Dir ja!"

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Ja, Ellichen hat ganz recht!" Frau Reschke zitterte vor Empörung. Du hast teen Herz vor Deine Kinder. Wenn der" sie wies mit dem Blick nach dem voranschreiten­den Courmacher ,, Dir so'n Nadau machen hört, schnappt er jleich ab. fte stille!" Sie kniff ihm in den Arm, und dann rief sie mit her Stimme: Schlag nich so'n Jalopp an, Trudeken, mein Kind! Herr Ladewig fann der ja jar nich beibleiben!"

Trude hatte in der Tat ihre Schritte so beschleunigt, als ob sie verfolgt würde. Von weitem glaubte sie in der Sieges. allee, dort wo ei.e jayaulustige Menge sich um die neu­errichteten Standbilder drängte, in einer Droschke erster Klaffe, im Fond neben einer älteren Dame, einen jungen, hübschen Mann zu sehen Leo! Blindlings stürzte sie in einen schmalen Seitenpfad.

Die Mutter hatte für ihn in die Kasse gegriffen, leider Gottes war nicht viel darin; der Grünkram in der Kirchbach­straße tat ihnen zuviel Abbruch, und seit sich, sechs Häuser weiter in der Göbenstraße, auch noch ein neuer aufgetan hatte, war gar nichts mehr los. Unerhört, daß Krethi und Plethi dem jungen Paar folgen wollte, am Aermel zurück. Laß ,, Komm," sagte Frau Reschke und hielt ihren Mann, der die Konzession friegte! Und was die den Dienstmädchen für se man alleene!" Präsente zugaben! Freilich, dagegen konnten reelle Leute Die Eltern mit Ellichen gingen strats nach Hause zu­rüd. Es war Frau Reschke angenehm, noch ungestört einige Vorbereitungen treffen zu können. Der Tisch war zwar ge strauß, aber draußen in der Bratröhre freischte die Pute. deckt, in der Mitte ein vom Gärtner gewundener Blumen­Grete, die sie unaufhörlich hatte begießen sollen, lag auf dem Küchentischbett und schlief; kaum, daß eine derbe Ohrfeige sie erweďte.

nicht ankommen.

Wenn nur der Kommis drüben auf Trude anbiß, dann war alles gut!

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Und so hörte denn Trude, wenn sie mittags nach Hause fam, wenn sie abends nach Hause kam abgespannt und müde wenn fie morgens gähnend stand und ihr Haar brannte, immer nur von dem reizenden Menschen"." So' n Reicher! Ee eijnet Jeschäft! Da is eene fein raus!"

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Laßt mich zufrieden," hatte sie zuerst gebrummt, und dann lässig gesagt: Meinswegen", und dann zu guter Lett doch die Ohren gespigt.

Am letzten Sonntag des März luden Reschkes ihn"

zum erstenmal ein.

Da das Wetter angenehm, war vorerst ein kleiner Spaziergang verabredet. Punkt fünf Uhr erwartete Herr Ladewig aus Kottbus die Herrschaften vor ihrer Tür.

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Und sie kamen; Ellichen voran. Frau Reschke in schwarzer Seide die stammte noch von ihrer Hochzeit her, Sert Reschke im Zylinder und Trude mit einem knapp sipenden Kleidchen von leuchtendem Not. Sie ging per Taille" und steckte das Veilchensträußchen, das ihr Herr Ladewig init einer Verbeugung überreichte, vorn an den Busen.

Alle Herren drehten sich nach ihr um; ihr rotes Kleid fchimmerte weithin durch die mattgrün knospenden Büsche des Tiergartens. Der Kommis, der an ihrer Seite, zehn Schritt vor den Eltern, Herschlenderte, fühlte sich sehr geschmeichelt. Nun sollte ihn mal einer aus Rottbus sehen! Riesig schneidiges Mädchen!

Er sagte ihr das auch, und sie blinzelte ihn an, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. Na, na, das werden Sie schon vielen gesagt haben!"

Ehrenwort, Fräulein, noch nich," beteuerte er und wagte es, zur Bekräftigung, ihre Hand zu drücken. Sie ließ ihm die zierlichen Fingerspißen ein paar Augenblicke, ein ganzer Strom prickelnden, begehrlichen Lebens glitt in seine dicken, roten, ewig verfrorenen Finger über.

Frau Reschke, die am Arm ihres Gatten, aufmerksam be­obachtend, hinterher rauschte, war sehr befriedigt. Haste je­

die Glieder so todmüde, der Kopf bleischwer. Das blasse Mädel stammelte, daß ihm nicht wohl sei,

,, Warum nich jar?! Immer dalli, mach Dir man nüß­lich. Aber daß de mer nachher nich rumhockst, wenn der Be­such da is! Fig, hol mer man en bißfen Zucker um überzu­Streuen, denn wird se schöner braun. Un Vater soll den Wein ufstellen,' ne Flasche vor jedet Kuwehr! Hier, den Apfelmus fannste rintragen und den Jurkensalat. Daß de mer nich an de Torte rumpolkſt und bei de Schlagsahne jehst! Los, was stehste denn noch?!" Ich hab Hunger," sagte mühsam das Kind. ,, Nanu?! Jes jibt's noch nischt. Deine Schmalz stullen wer' it Der nachher uf'n Ladentisch lejen. Du kannst der im Laden ufhalten, da kommt feener hin. Hier kannste nich bleiben. So- da- es kloppt schon hinten! Mach, daß δα de rauskommst, fir!"

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Wie ein flüchtiger Schatten verschwand Grete.

Es war noch nicht das junge Baar. Nur Artur. Blaß und mißmutig fam er nach der Küche, stellte sich an den Herd, die Hände in den Hosentaschen, und sah zu, wie seine Mutter noch frische Butter auf den Braten tat.

hr laßt Euch ja nischt abgehn," sagte er verbissen. Nanu? Heute! Sie hob den Blick nicht von der Bute , auf ihr gerötetes Vollmondgesicht warf der flackernde Schein des Feuers fettig strahlende Reflege. ,, Was is denn los?"

Na, Trude berlobt sich!"

,, So," brummte er gleichgiltig und biß an seinen Nägeln. En reizender Mensch! En janz besondrer Mensch!" Artur zuckte die Achseln. Wahrscheinlich hat er Geld!"