da sie oft mit reichen Gaben weiterzogen zum nächsten Turnier, >ur nächsten Messe, so gab man ihnen Schutzvögte. Die hatten nicht nur die Sache ihrer Schützlinge zu vertreten, sie erhoben— auch einen Zins von den Spielleuten. Waren diese nun auch tributpflichtig geworden— so waren fie doch auch damit aus der grossen Masse der Fahrenden ge- hoben. Denn das Mittelalter hatte mit seinem Durcheinander, mit seinen Fehden von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt und Land zu Land, mit seinen Seuchen und seinen engherzigen Zunft- ordnungen, die viele von einem tätigen Erwerbsleben ausschloffen, einen breiten Strom von Menschen auf die Landstrassen gedrängt. Der edlen Minnesänger waren wenige. Und sie verschwanden auch bald wieder von den Wegen. Neben ihnen und hinter ihnen tauchten die Vaganten, die wandernden Kleriker auf. Und es war eine schneidende Ironie, datz gerade fie wieder heidnisches Er- freuen am Dasein predigten und sangen. Sie zogen in grossen Massen durch das Land— ein Zeichen, welcher Bedeutung, welcher Pfründen sich die Diener der Kirche erfreuten, dass solche Mengen von Jüngern diesem angesehenen Stande zuströmten— ohne doch aufgenommen werden zu können. Ueberhaupt stellten die gelehrten Stände von jeher einen ge- wissen Stamm zu den fahrenden Leuten. Was im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Vaganten waren, waren später die fahrenden Schüler. Und die Quacksalber und fahrenden Aerzte, die nach dem dreissigjährigcn Kriege ihre glänzenden Ge- schäfte machten, gehörten gewiss in eine gleiche Linie. Auch manche der Zeitungssingcr, die im sechzehnten und siebzehnten Jahr- hundert Berichte über Naturereignisse, Unglücksfälle. Krieg und Politik, Missgeburten und Verbrechen verbreiteten, hatten wohl irgendeine unglückliche Liebe zur Wissenschaft gehabt. Diese eitungsfinger verschwinden im achtzehnten Jahrhundert, als das eitungswesen geregelt und ausgebaut wurde. Uebrig blieben nur die Moritatensänger, die mit ihren schauerlichen, grellbunten Bildern seit drei Jahrhunderten die Phantasie des Volkes ver- giften. Was ausser und mit diesen in den vergangenen Jahrhunderten die Landstrassen bevölkerte, das waren vor allem die unzähligen Bettler, dann die Zigeuner, Kraftmenschen, Fechter, Tänzer, der Trotz der Landsknechtsheere mit seinem wüsten Bestände an Sol- datcnweibern, Marodeuren, Marketendern und ähnlichem Volk; später kamen die Hausierer hinzu und die fahrenden Komödianten. Die Puppenspieler, die Seiltänzer und Jongleure, die Kunstreiter und Schattenspieler, die Zauberer, die Besitzer der Wachsfiguren- kabinette, der Kunst- und Spielwerke, der Menagerien — ein buntes Gemisch, bunter und vielfältiger, als es heute die Land- prassen entlang zieht. Die Fahrenden von heute brauchen nur selten noch die Land- prassen zu benutzen— trotzdem aus den ausgefahrenen Landstrassen von einst, glatte Chausseen geworden sind. Die modernen Fahrenden lassen sich auf den stählernen Eisenbahnwagen von Ort zu Ort rollen. Ja, es gibt heute Fahrende, die sich und ihre Geräte gleich in einem Sonderzug von Staat zu Staat, von Grossstadt zu Gross- stadt eilen lassen: die grossen Zirkusse und Ticrschaustellungcn. Aber nicht nur die Art des„Fahrens" hat sich geändert, auch zu den Arten der Fahrenden sind neue hinzugekommen. Wer sie aufzählen und schildern will, der braucht ein Buch für sich. Streifzüge durch die Gcfcbicbtc der Oper. IL Was Mozart für die EntWickelung der deutschen Komischen Oper bedeutet, das ist Gluck (1714—1787) als Reformator der verwelschten „Opera seria ". Christoph Willibald Gluck hat als Erster der tragisch-pathctischen Oper den sittlichen Enist, das tiefe Gemüt und die leidenschaftliche Wahrhaftigkeit deutschen Kunstgeistes ein- zuhaucbcn verstanden. Sein ursprünglich nur dunkel geahntes, im späteren Schaffen bcwusst verfolgte« Ziel ging dahin, in der Oper der Dichtung höhere Rechte neben der Musik einzuräumen. Ein Ziel, das erst Wagner erreichen sollte. Die fünf Meisterwerke, die Gluck der Musikwelt hinterließ— sie heißen.Orpheus und E u r h d i c e",„A l c c st e\.Ar- m i& a",„Iphigenie in A u l i s".„Iphigenie in T a u r i S"— kann man am kürzesten charakterisieren, wenn man sie als gezeichnete, stilistische Studien und Skizzen zu den späteren dekorativen und farbig ausgeführten Gemälden Richard Wagners betrachtet. Von Gluck sagt sein Biograph Marx:„Kein Kom- ponist, auch die größten'nicht, selbst der gewaltige Händel mit dem Donnerschlag seiner Chöre nicht, hat eS dem Gluck in Macht und Feinheit, in Allregsamkeit und Bedeutsamkeit des Rhythmus gleich getan, nur Beethoven steht ihm hierin zur Seite. Man meint, besonders in den Iphigenien, den Nachhall der Verse des Acschylos und des Pindar zu hören." Während Deutschland die einander nahvcrwandten Mozart und Gluck hervorbrachte, die der Oper neue Bahnen, ueue EntWickelungen wiesen, trat in Italien Maestro Rossini, der»Schwan von Pesaro", wie er nach seiner Geburtsstadt genannt wird, auf ben'Plan und führte die italienische komische Oper im„Barbier von Sevilla " zur Bollendung im Sinne des romanischen Belcanto(Kunstgesanges) Die südliche Lebensfreude und unbedenkliche Lebhaftigkeit wenige, des Geistes als des Temperaments, die Galanterie und auch die soziale Satire des Italieners kommen in diesem unsterb« lichen Werk ebenso rein zur Darstellung, wie in de» Musik der üppige Wohllaut und der Reichtum tändelnde» Melodien. So versteht man. wie die Italiener den„Barbier" Rossinis ebenso hoch halten wie etwa wir Deutschen „Die Meister- sing er", in denen wir den Spiegel mittelalterlicher Kultur und zugleich ein Symbol der formel- und zunftfreien Zukunftskunst er- blicken. Rossini schrieb später in Paris , wohin er. empört über die laue Auftiahme seiner grossen Oper„Eemiramis" in Venedig , über- siedelt war. seine zweite weltberühmte Oper, den.Teil". Ab«» „Tell" war nicht mehr die Schöpfung eines naiven, rassigen und voll- blütigen Italieners, es war eine französierte Grosse Oper im Stile Mcyerbeers, d. h. die Hohlheit des Pathos trat in Rossinis„Schweize- rischem Freiheitshelden" in Verbindung mit Effekthascherei und Prunken mit dynamischen Kontrasten ohne innere Motivierung ebenso deutlich zutage wie etwa in MeyerbeerS„Propheten",„Robert der Teufel " oder in dey«Hugenotten ". Nachhaltigen Einfluss auf das Schaffen jener deutschen Opern- komponisten um Weber und Marschner übte die sittliche Grösse, der hohe Ernst aus, der von Beethovens einziger Oper „Fidelio " ausstrahlte. Denn hier hatte der Genius Beethovens, ohne lange kunstästhetische Gesetze und Schulregeln au studieren, ganz instinktiv, auö der Fülle seiner eingeborenen Fähigkeiten heraus, Töne angeschlagen, die jedes Menschen Herz aufs tiefste erschüttern und zugleich erheben mutzten. In„Florestan" und.Leonores Leiden" hat Beethoven das ewig-menschliche Hohe Lied von der aufopfernden Gattentreue gesungen. DaS war 1814. 45 Jahre später verherrlichte Richard Wagner in„Tri st an und Isolde" die freie, von der Gesellschaft als verboten bezeichnete Liebe und 1SV4 malte Richard Strauß die perverse Liebe in seiner„Salome " in höchst modernen Sensationstönen. In diesen Daten liegt, glaub' ich, eine Kulturperspektive nicht sehr rosiger Art eingeschlossen.... Der Meister, der neben Mozart und Beethoven dem Herzen des deutschen Volkes immer am nächsten gestanden hat, ist Carl Maria von Weber , der Romantiker. In seinem»Oberon ", in„Euryanthe". in„Prectosa", vor allem aber im „Freischütz " hat er die romantische heimliche Seele des Deutschen , die immer wach wird, wenn der Deutsche in den Wald tritt und träumerische Zwiesprache mit den Salamandern und Erd- geistern, den Panen und Kobolden in Hain und Flur hält, un- übertrefflich verkörpert. Die von Weber in unsterbliche Tone gebrachte Sage vom Frei- schützen Samiel, der in der Wolfsschlucht den jungen Jäger für die nächtliche wilde Jagd anwirbt»md nur durch die vertrauende Liebe einer reinen Jungfrau in seinen Plänen gehindert wird, stellt eine ganze Seite unseres deutschen GcistenSlebenS und Wesens zum erstenmal in der Oper dar. Will man den romantischen Eigen- zauber deS„Freischütz " verstehen, so mnss man sich freilich jene Welt reinen kindlichen Genrüts bewahrt haben, jene Welt märchenhafter Poesie und ahnungsvoller Beseelung der Natur- erscheinnngen, in der die Brüder Grimm , in der Andersen wirkten, die uns aus des„Knaben Wunderhorn" Brentanos und Arnims so naiv und treuherzig entgegenblickt. Können wir modernen Zeitgemäßen noch so ungehindert in den Zauber der romantischen Weli zurücktonchen oder in den Romantizisrnns von heute nicht vielmehr eine der Zeitseele imfgeschminkten MaSke. eine von den bildnngsmüden Aestheten diktierte Mode? Als die fertige Oper endlich zum erstenmal auf der Berliner Opernbühne erschien, da führte der„Freischütz" einen förmlichen Kampf um die deutsche Oper herbei. Er mußte mit der großen Oper„Olympia " des Italieners S p ontini um die Gunst des Publikums ringen. Und sonderbar, das Raunen und Rauschen des deutscheu Märchenwaldes, Agathes frommes Gebet, die frischen Jägerchöre und der „Jnngfernkranz", sie siegten über den Elefanten, der plump und protzig in„Olympia " das hohle Pathos der romanischen Prunk- und Effektoper verkörperte. Von dieser entscheidenden Stunde schlössen die Deutschen Karl Maria von Weber und den Textdichter Friedrich Kind in ihr Herz. Die unerhörte Volkstümlichkeit der Oper, die zum erstenmal das deutsche Seelenleben in Musik ausgedrückt hatte. spricht R. Wagner in folgenden Worten aus:„In der Bewunderung der Klänge dieser reinen und tiefen Elegie vereinigten sich seine Landslente vom Norden und Süden, von dem Anhänger der „Kritik der reinen Vernunft" bis zum Leser des Wiener Modejonrnals. ES lallte der Berliner Philosoph: Wir winden dir den Jungfernkranz, der Polizeidirektorwiederholtemit Begeisterung: Durch die Wälder, butchjbie Auen, während der Hoflakai mit heiserer Stimme krächzte: WaS gleicht wohl auf Erden? Der österreichische Grenadier marschierte nach den» Jägerchor, Fürst Metternich tanzte nach dem Ländler der böhmiscken Bauern und die Jenaer Studenten sangen ihren Professoren den Spottchor vor. Von einem Ende Deutschlands zum anderen wurde der„Freischütz" gehört, gesungen und getanzt." Und der alternde Beethoven faßt den vollen Sinn der unerhörten Begeisterung über den natnrlvahren deutschen Ton, den Weber so ficher ? getroffen hatte, in den originellen Ausspruch zusammen:„Da? onst weiche Männel, tch hätt'S ihm nimmermehr zugetraut. Nun mutz der Weber gerade Opern schreiben, eine über die ander«
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26 (13.3.1909) 51
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