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15. Januar. Heute fanten unsere Sachen. Höchste Zeit! Ich hatte kein anständiges Kleid und keinen heilen Stiefel mehr. 20. Januar. Wir haben wieder eine fünftägige Kunstreise hinter uns morgen geht's wieder heim in unser Notstandsquartier, wo das Elend inzwischen auf uns gewartet hat.
Ich hatte der ersten Sah. Mitten drift machte der rota[ die übrigen 8,58 m. verbiente ich mir zu, indem ich Lampen Lappen manchmal einen Fallverfuchy, darauf ernentes Sallo, und putte, Saal und Bühne fegte und für die Wirtin Strümpfe ich von der Bühne. Große Pause. Keiner wollte mehr raus. stridte. Schließlich ging der Komiter nach vielem Zureden auf die Szene, ich ebenfalls; wir spielten mühselig weiter, ich die bittersten Tränen bergießend, vor Heulen faum reden könnend. Mühselig ging der erste Aft zu Ende. Da der Vorhand tief hinunterhing, fonnte man unsere Köpfe nicht fehen, wir sprachen unsichtbar von oben, wie die Stimme des Herrn im" Faust". Als der Jammerfeßen zum zweiten Att hochgehen sollte, wiederholte sich das Manöver wie borher unter den Beifallsstürmen des Volfes. Schließlich stellt unser Inspizient, eine arme Jammergestalt, einen Stuhl vorn in die Mitte und rollt den Vorhang mit den Händen auf. Glücklich hat er ihn oben, schwabb, purzelt er wieder runter. Beifallsjalve erfter Güte! Nun erflärten wir, auf feinen Fall weiterspielen zu wollen. Der Regiffeur, vollkommen mit uns einig, teilte es dem Publikum mit. Ein Herr stand a tempo auf, fagte, wir hätten vollkommen recht, die meisten stimmten bei, die Leute tranten ihren Grog aus, ließen sich ihr Geld zurückgeben und setzten sich unten ins warme Wirtshaus. Wir heulten noch einen Strehmel, die Herren fluchten, dann krochen wir in den Leiterwagen und ratterten im Winterfrost heim.
Von Sch. aus machten wir 19 Abstecher, davon 17 per Leiter wagen. Manche waren 20 bis 22 kilometer weit und der nach Burgdorf sogar 32 Kilometer.
Kein Tier wird so mißhandelt, wie wir es wurden! Josefsthal, 4. Januar.
Nun bin ich hier bei Direktor Adolf Schulz. Ein durchaus reeller Mensch, ein vorzüglicher Regisseur, ein guter Schauspieler, aber ein armer Mann.
Wie kann solchen Leuten ohne all und jedes Besitztum das Recht auerteilt werden, die Existenz so vieler auf sich zu laden?! Wir fihen nun schon den ganzen Winter im Dalles. Anfangs gab's noch Geld, aber schon seit 2% Monaten hilft man sich so fleinweise durch. Da unser Frachtgut zum drittenmal als Mietsbfand zurückblieb, leihen wir uns gegenseitig die paar Sachen, die wir bei uns haben, aber nun darf kein anderes Stück mehr herauskommen. Am Sonntag sollen wir die Lustige Witwe " fpielen, wie mir gehn und stehn. Der Gesang ist herausgestrichen bis auf fünf Nummern. Die Balancienne verführt den Rosillion, in den Pavillion zu gehen, weil es ihm an Stimme mangelt, und Die lustige Witwe singt für ihn die Aufklärung:" Wie eine Rosen Inofpe".
Ich bin schon ganz apathisch. Infolge der nie endenden Sorgen und der Ueberanstrengung bin ich nahe daran, umzufallen. Durch die paar Tage Rube hier tritt bei mir ein Rüdschlag ein; ich fiebere zumeist, mein Körper ist wie aufgequollen, dazu Blutleere im Gehirn und entfehliche Schwäche. Ich bleibe möglichst viel im Pett, nur nicht immer, um nicht nachts zubiel wach liegen zu müssen und nicht die Ueberzeugung zu gewinnen, ich sei wirklich trant. Den Lurus einer Krankheit darf ich mir nicht gestatten. 11. Januar.
Vorgestern war Abstecher nach Saarburg . Drei Kollegen und ich fuhren gestern früh schon mit dem ersten Zug zurück. Der Weg vom Hotel zur Bahn war schreckich. Es hatte schon mehrere Lage fast ununterbrochen geschneit und gerade in dieser Nacht so arg, daß der Schnee meterhoch lag. Früh 27 1hr war natürlich in dieser Residenz noch kein Weg geebnet, hier wird es meist etwas igem Tauwetter überlassen, die Straßen gangbar zu machen. Wir armen Würmer wateten durch den Schnee bis an die Stnie. Klatschenab tamen wir auf dem Bahnhof an, was Warmes zu frinken gab's da noch nicht, das Kupee standesgemäß vierter Klaffe war auch eiskalt, dann hier nochmal derselbe scheußliche Weg, von der Bahn zur Stadt wir waren alle hundeelend. Ich besize noch 2 Pfennig in bar! Der Direktor hat auch kein Geld.
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Aber Montag soll endlich unser Frachtgut kommen.
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12. Januar. Hier ist ein altes Ehepaar engagiert, er 65, sie 68 Jahre, nette, faubere Leutchen, die wohl bessere Beiten saben. Das Herz blutet einem, wenn man sieht, wie das weißhaarige, dünne Weibele frisch und lebensluftig auf der Bühne umherspringt. Sie spielt bald tomische Alte, dann humoristische Bäter und als jugend. licher Romifer ist sie von bewundernswerter Ausgelassenheit. Ihr Mann muß früher auch mal gut gewesen sein, jetzt ist er verschmiert. Er erzählt, daß er sonst oft selbst Direktion hatte. Jedes Frühjahr reiste er nach Berlin , dort fannte er die richtigen Quellen, two er erfolgreich Rollette machen fonnte. Wenn er dann mit einer Reihe derartiger Besuche seine 100 bis 120 m. gesammelt hatte, fing er wieder aufs neue Direktion an.
Dann lungerte bei uns ein ehemaliger Landstreicher herum, Der die Liebhaber spielte.
Ein anderer, auch einer von der Walze, wurde aus Mitleid dabehalten. Ich hatte ihm erst 50 Bf. geschenkt, damit er sich was au effen faufen fonnte, dafür machte er mir am nächsten Tage einen Heiratsantrag. Als er nach einer Woche durchbrannte, wurde er gleich darauf von Gotha aus stedbrieflich verfolgt.
Meinen Wirtsleuten helfe ich tüchtig im Haushalt mit. Sie haben einen Gasthof und Landwirtschaft. Da gibt es von früh an ordentlich zu tun. Meine Gesamteinnahme in den letten sechs Wochen betrug bar 36,07 M., davon 27,49 M. auf meinen Teil;
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Neue Erzählungsliteratur.
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( Verlag Cotta, Stuttgart .) Sm jenseits der Mittagshöhe feines Hermann Sudermann : Das hohe Lied", Roman Lebens und feines Rubmes, schickt Hermann Sudermann noch einmal einen Roman in die Welt. Ein Leben von 15 Jahren liegt zwischen feinen legten erzählenden Büchern und dieser neuen Geschichte. Eine lange Zeit, um den Weg zu sich selber zu finden. Sudermann wird und sie uns bieten. Wir werden die Summe einer Weltanschauung, den Gewinn dieses Lebens wie eine reife Frucht vom Baume brechen ftille Herzensworte, das Klingen eines friedlichen Feierabendglöckchens hören das alles erwarteten wir. Oder erwarteten wir es nicht von diesem Salonfeuerwerker, der die Leute wohl heiß machte, aber sie niemals warm werden ließ? Seelenwärme, Mittelpunkt! Gin starles, erlämpftes Ethos! Die Verklärtheit des Alters Vielleicht ist doch dies alles und ein Stück Ich in den neuen Roman hinüber Ach nein, Sudermann ist der große Bauten geftoffen...? schläger, der fpekulative Theatralifer geblieben. Auch dieses " Hohe Lied" ist auf faltem Wege hergestellt. Es ist trop feiner ausschweifenden Phantasie, trop der Fülle der Begeben beiten, trop des ein glänzenden Effektstils und es ist ein armes Buch trotz der verschwenderischen Begabung leeres Buch. des Autors. Wiederum ist in dem breitgepinselten Unfittenbilde ein Sodom aufgetan. Lilly Czepanek hat von ihrem liederlichen Vater, einem anrüchigen davongelaufenen Talischäger, die Partitur eines Dratoriums hinterlassen bekommen: das" Hohe Lied". Es wird für sie zum Talisman, wenn die Verführungen der fündhaften Welt an fie herantreten. Aber das Symbol der Reinheit ist doch nicht start fie, trotz gut veranlagtem, und wie Sudermann uns glauben machen genug, Lilly vor Verderbnis und Schmug zu schüßen, und so sinkt will, adeligem Wesen, von Stufe au Stufe. Der Mann allein ist nach Sudermann der Verderber diefer Lilly. Immer wieder taucht fie, berlockt von diesem Satanas, in Gemeinheit und Schlamm unter, Staleidoskopisch wechseln Abenteuer und Gefühle dieses Geschöpfes, und immer wieder hört sie dazwischen das Hohe Lied " erklingen. das wir tragisch nehmen sollen und das doch, entblößt von dem Sudermannschen Theatermantel, nicht mehr als eine vom Dutzend ist. Mit einer reichen Heirat ist das angebliche Martyrium der Silly Czepanek und das Buch zu Ende. Keine Szene wirkt echt, alles ist böse Romanhaftigkeit. Die Gier nach dem Effekt spricht aus jeder Zeile, jedes Kapitel ein Reißer, die Menschen nur von der Wahrheit der Minute, sonst Experimentalfiguren. In der Milieu schilderung allerdings stößt man wieder auf Sudermannsd bewährte Meisterschaft die Nachtseiten des Großstadtlebens steigen orgiastisch auf. Die Menschenschilderung jedoch ist schwüle fleischlicher Makartstil und hier wie dort Grothik als Selbstzwed, obwohl mit raffinierter Geschicklichkeit die Maste des Moralisten vorgenommen ist. Man verfolge nur die Analyse diefer Lilly. Ihr besseres Teil lebt einzig in Sudermanns Wort gepränge. Sudermann sieht das Weib nur geschlechtlich. Der Gedanke, daß es einen weit wirksameren Talismus für Korruption gibt, als die Hohe Lied"-Partitur, nämlich Arbeit und Charakters zucht, tommt ihm gar nicht. Nein, Herr Sudermann , Ihre Tragik ift Farce. Wir wissen besseres vom Weib, vom Leben, vom Menschen. Sie haben, wie Ihre Adah in dem anderen Sodom, nur die Altüren der Leidenschaft und find innerlich talt wie ein Hundee Schnäuzchen. Alle Ihre Helden aus dem Bereich der Defadeng haben das Erlösungs- und Schußwort: Arbeit nie gefannt. So mögen fie getrost mitergehen. Ihr Buch ist mißraten. Sie wissen wohl, daß es auch wundervoll mißratene Bücher gibt. Aber au diefer innerlich ehrlichen Gattung gehört Ihr Hohes Lied" der Lebensfälschung nicht. Es ist ohne die göttlichen Vorzüge" des Irrenden, ohne Bertiefung, es ist Blendwerk, Erfindung ohne Empfindung. Theatercoup. Sie waren niemals ein Werdender, Sie find immer ein fertiger gewefen. Und darum find wir auch mit Ihnen, Meister hypnotischer Griffe, schon lange fertig.
Gerhart Hauptmann :„ Griechischer Frühling". ( Verlag S. Fischer, Berlin .) Auch dieser Dramatiker kommt mit einem epischen Buch. Es ist ein Bericht seiner Neise durch Griechens land. Es ist schwer zu entscheiden, was in diesen Aufzeichnungen uns deutlicher entgegentritt: das attische Land oder der Künstler und der Mensch Hauptmann. Denn wir sehen hinter den Schilderungen ein Stück der sehnenden Dichterfeele, hinter den brillierenden Blättern des Hohen Liedes" sahen wir höchftens den schön gepflegten Bart Sudermanns. Eine echte Pilgerfahrt zu Hellas Göttern und Helden wurde Hauptmanns peloponnesische Fabrt. Der griechische Mythos