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Derklag ich'n; denn folt ihn de Pollezei. Aber ich will gar feen Geld. Heut nacht hab ich mer'sch überlegt, ich will lieber, daß er mer heirat.' s is beffer for de Fridchen, wenn se' n Batter hat. Gelle, Artur" fie trat dicht an ihn heran, der noch immer das Kind steif auf dem Arm hielt, und faßte treuherzig seine Hand- De heiratst mer? Wegen der Fridchen! Gelle?"
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Artur räusperte sich verlegen, er war heiß und rot, wie ein ertappter Schuljunge. Ohne Wort, sah er nur immer das Kleine Mädchen an.
" Ja," rief Mine eifrig ,,, fud Ter'sch nur an,' s sieht Der ganz gleich. eses, ne, wie de Fridchen Der ähnelt!"
Atur, laß Der nich dumm machen," schrie Mutter Reschke von der anderen Seite, det kann jede sagen. Beweise, Beweise! Du Schlemihl, ich sag Der, schmeiß se raus! So' ne Schwindlerin! So' ne Rumtreibern! So' ne-" Die Stimme schnappte ihr ab, mit erhobnen Armen fuhr sie auf Mine los, immer die geballten Fäuste in der Luft schüttelnd. Sag's noch mal, daß der Atur Der heiraten muß! So' ne Ausverschämtheit! Untersteh Der! Was jeht Dir mein Atur an?! Raus! Raus!" Sie pacte Mine am Aermel.
Laß man, Mutter!" Artur zerrt die Aufgebrachte gewaltsam von Mine fort. Die Reschke ließ sich ziehen, aber ihre Fäuste blieben immer noch drohend in der Luft; sie retirierte hinter den Ladentisch , und von da aus ergoß sich der Schwall ihrer weiteren Schimpfreden.
Da gab es fein Einhalten. Noch nie hatte sich Frau Reschkes Zunge so flink gerührt. Das floß ihr wie Wasser bom Mund. Nur wenn ihr der Atem ausging, hielt sie einen Augenblick inne.
In Arturs Gesicht zuckten die Muskeln, nervös faute er an seinem Schnurrbart.
Mine stand ruhig, nur das wechselnde Rot und Blaß auf ihren Wangen zeigte ihre Erregung. Sie hatte hastig das Kind wieder an sich genommen; nun neigte sie ihren Kopf auf das blonde Köpfchen.
Raus," schrie die Reschke und spuckte aus,„ mach, det'ste ihr los wirst, die Bettel!"
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Mit einem großen Schritt trat Mine plötzlich an den Ladentisch, gerade der Wütenden gegenüber. Er wird mer nich los." Sie stützte die freie Hand auf den Ladentisch und erwiderte furchtlos den Blick der funkelnden Augen. Halten Se Ihren Mund! Se machen mer doch nich bange; ich hab schon so viel mitgemacht, daß ich mer for nischt mehr fürchte. Dazumal haben Se mer rausgebracht aus' n Keller, da hab ich mer nich getraut- heut steh ich da mit de Fridchen, heut trau ich mer. Was meinen Se woll, zu meinem Bläsier bin ich nich wieder hergekommen. Gutt hab ich's nie bei Ihnen gebatt. Wissen Se noch, wie Se mer ans Waschfaß gestellt haben, gleich den erschten Tag? De ganze dreckige Wäsche mußt ich waschen. Un noch dreißig Pfennig Kostgeld zugeben. Un ich hatt Sie doch frische Eier mitgebracht, ganze fünf Mandeln! Jawoll. Aber davon will ich jez nich reden." Ihre Stimme wurde weich. Da hab ich nu das kleene Mädel, weiter nischte uf der Welt. Zu Hause haben se mer rausgeschmissen, in'n Dienst kann ich de Fridchen nich bei mer behalten un ich will se bei mir behalten, ich muß se bei mer behalten! Rumstoßen lassen, mein Fridchen-?!" Ihre Stimme sant bis zu leiſem Murmeln, ein Zug von Schmerz zog ihre Mundwinkel abwärts, ihre Lippen zitterten. Sefes, ne!" Sie war ganz blaß geworden; wie in tiefen Gedanken starrte sie vor sich hin.
2]
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( Fortsetzung folgt.)
Єin Paria.
( Nachdruck verboten.)
Von Eugen Tschiriko w.
II.
Es ist spät in der Nacht. Die langen, hohen Sorridore des Krankenhauses werden von den halb heruntergefchraubten Gasflammen nur schwach erhellt und erscheinen in dieser Beleuchtung noch länger als gewöhnlich.... An beiden Seiten der Korridore zeichnen fich in regelmäßigen Abständen von einander als weißliche Quadrate die Türen der einzelnen Krankensäle ab.
Im Bureau des Krankenhauses geschieht etwas in diesen Räumen ganz alltägliches: ein Schumann bringt einen von der Straße aufgelesenen Kranken und übergibt ihn dem wachthabenden Feldicher.
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herab, die beschleunigte Atmung und die dicken Schweißtropfen auf der Stirn zeugen davon, daß der Wermste hohes Fieber hat. Von Beit zu Zeit flüstern seine Lippen verworrene Laute, und er versucht sich aufzurichten, aber die neben ihm stehende Krankenschwester und der Wärter drücken ihn wieder auf den Tisch zurück. Am Tisch sitzt, verschlafen, mit zerzausten Haaren, der wach habende Feldscher ." Unzufrieden über die nächtliche Störung, schreibt er träge in einem großen Buch. gerade als wenn es absolut nicht bis zum Morgen Zeit gehabt hätte..." brummt er dazwischen und taucht böse die Feder ins Tintenfaß..
Kommt des Nachts gekrochen
Der Schußmann ist ebenfalls unzufrieden.
" Ja, was soll man machen, wenn doch der Leutnant befiehlt- fofort!... Hätte meinetwegen ganz gut bis morgen auf der Wache bleiben können.... Aber nein: sofort 1... Ganz verdreht ift hr seid alle ganz verdreht!" bruminte böse der Feldscher . ,, Stirbt, sagt er. Bringe ihn sofort hin, sagt er.... Nichts
er.
"
dagegen zu machen.
" Ach Unsinn! Wenn er sterben soll, stirbt er bei uns auch... Wie ist der Vor- und Zuname, Stand, Alter, Wohnung?" Unteroffizier Jwan Petrowitsch Tschernow..."
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" Ich frage Dich nach dem Jungen, und Du... Unteroffizier!" " Ich dachte, Sie wollten meinen Namen. Vom Knaben fann ich Ihnen nichts... Gott weiß? Gott weiß?... Haben uns abgequält und abgequält, um was rauszubekommen... Auf der Straße aufgelesen..." Na, wie trage ich ihn denn aber ein? As Bauer? M3 Kleinbürger? Oder wie?
,, Rann ich nicht sagen.. Der Knabe stöhnte leise.
Nach weiteren endlos langen zehn Minuten war die Aufnahmeprozedur beendigt. Bekomme ich keine Bescheinigung?" fragte unsicher der Schutz
"
mann.
Was für eine Bescheinigung denn noch? Ich habe doch ins Expeditionsbuch eingetragen, was für Lumpen er am Leibe hat... zum Teufel!" aber ich dachte, ich muß eine Bescheinigung darüber bekommen, daß ich den Jungen abgeliefert habe.
"
Stören Sie hier nicht!" unterbrach ihn der Feldscher .
" Ich dachte... der Ordnung wegen..." flüsterte der Schutzmann. ,, Die Sache ist erledigt!... Adieu!"
Der Schußmann ging. Der Feldicher näherte fich dem Tisch, tippte dem Kranken mit dem Zeigefinger auf die Wange, ergriff seine Sand und ließ sie wieder fallen. Das Händchen hing schlaff vom Tisch herunter.
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baden
"
Wie aus der Dunggrube gezogen... Vor allen Dingen mal ." fagte er gähnend.
Auf welchen Krantensaal tommt er?"
Typhus
" Nach oben, auf Nr. 2... ansteckende Krankheiten oder Scharlach... Temperatur muß gemeffen werden. und trug ihn ins Bad, während die Schwester nach der KleiderDer Wärter zog den Knaben aus, nahm ihn auf beide Arme fammer ging, um die Anstaltskleidung zu holen.
Man badete den Kranten, wusch ihm den Schmutz ab, zog ihm reine Wäsche an und brachte ihn in den Saal für ansteckende Krantheiten, wo foeben ein Bett freigeworden war.
Der Krankenſaal Nr. 2 ist ein großes, hohes Zimmer mit fünf Fenstern an der einen Seite. An beiden Längswänden stehen in gleichmäßigen Abständen von einander die Betten. Die am Kopfende eines jeden Bettes befestigte hohe Stange mit dem schwarzen Täfelchen und dem Krankenjournal" verleihen dem ganzen Saal das Aussehen eines Kirchhofes: gerade als wenn man zwischen den Kreuzen in einer der armen Straßen der Stadt der Toten" steht. Der Saal ist nur schwach beleuchtet. Dicht unter der Decke hängt eine Lampe, deren Flamme durch einen Schirm aus farbigem Stoff gedämpft wird. Durch den Lampenschirm dringt nur ein bläulichmattes Licht, weich und zart wie die Bläue des Himmels, so daß der Krankensaal in einem durchsichtigen, bläulichen Nebel zu schwimmen scheint.
"
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und der durch Die Lampe bewegt sich schwach und langsam fichtige, bläuliche Nebel zittert und wogt wie zarter Dunst über einem See bei leichtem Sommerwinde...
Durch die hohen Fenster des Krantensaales blickt dunkle Nacht. Die Lichter der Stadt flimmern wie weit, weit entfernte Sternchen. Als Mitta die Augen aufschlug, erichrat er, fein Herz begann heftig zu klopfen und ein Schrei des Entsegens erstarb auf den halbgeöffneten Lippen. Die unbekannte, sonderbare Umgebung und die phantastische Beleuchtung des Kranfensaales erschienen Witka wie etwas unwahrscheinliches, Unerklärliches, lebernatürliches. Er lag auf Die Decke, dem Rücken und blickte unverwandt vor sich hin. die Wände, die Fenster, alles umhüllt von bläulichem Nebel, schienen in einem unbegrenzten Aethermeer zu verschwinden, und Mitka vermochte nicht zu unterscheiden, wo oben, wo unten, wo Ende und wo Anfang. Nur er selbst, sein„ Ich" sonderte fich scharf von der ganzen Umgebung ab: er fühlte, daß nur er selbst existiere, alles übrige aber unverständlich, unlösbar sei...
Mitka empfand plötzlich das Verlangen, sich zu berühren. Er Auf dem mittelgroßen, wachstuchbezogenen Tisch liegt in Lumpen berührte seinen Kopf und führte die Hand über die Brust, in welcher gehüllt ein Knabe. Er ist bewußtlos: seine Augen blicken starr das erschreckte Herzchen flopfte. Dann betrachtete er die nächste Umunter den halbgeschlossenen Liedern, die Händchen hängen schlaff gebung. Alles so sonderbar und unverständlich... Unter