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Die beiden Freundinnen waren allein in der Stube, I Branntweins- aber im allgemeinen verstummte der Lärm... Artur war auf Mines Bitten gegangen, um sich rasieren und Im eintretenden nächtlichen Dunkel hörte man nur Stöhnen, das Haar schneiden zu lassen, so stoppelig und zottelig sollte Schnarchen, Seufzer, abgerissene Worte.

er doch nicht vor den Altar treten.

Mine saß regungslos, während Berta ihr mit der Brennschere auf dem Kopfe herum arbeitete und dabei in einem fort schwagte: Das Haarbrennen hab ich bei der Schmettana gelernt, aus'm Effeff. Wenn ich nich so'n Pech hätte, könnt ich bei' ner Gräfin als Jungfer sein. Na, bei der Schmettana, da kriegt eine schon was zu sehen! Manchmal muß ich mer totlachen- nich nich richtig lesen und schreiben konnt se, aber seidne Hemden und seidne Hosen un seidne Unterröcke. Riesig nobel! Eigentlich war se ganz nett, manchmal waren wer wie de Schwestern, un dann erzählte se mer alles. Aber wenn se denn ihre Mucken kriegte, wurd ich ooch tück'sch; von so eine wird man sich doch nischt gefallen lassen! Denn brannt ich se beim Frisieren gehörig mit de Brennschere. Halt doch still, Mine!"

Ihre flinken Finger zupften hier und zupften da, das straffe Haar der Braut war schwer zu kräuseln. Der Geschick­lichkeit Berthas gelang es aber doch; wenn es auch ein wenig berbrannt roch, bald sträubte es sich in einem Lockenwust um Stirn und Schläfen. Nun noch den ellenlangen Schleier be­festigt; dann den Kranz.

" Fertig," sagte Bertha wohlgefällig und half der Braut in die Taille des schwarzwollnen Kleides. Das war noch das selbe. das sich Mine ein Jahr vor Fridchens Geburt ange­schafft; es war noch so gut wie neu, nur an den jetzt doch aus­gelassenen Nähten zeigte es blanke Stellen.

Grete brachte Fridchen, die sollte auch fein gemacht werden. Das Kind schrie, als sich ihm die Mutter mit dem fremd­artigen Kopfputz entgegen neigte.

Auch Bertha machte Toilette; in einem Karton hatte sie ihren Hochzeitsstaat mitgebracht: ein elegantes, weißwollenes Kleid, noch von der Schmettana stammend, mit viel Spiken­schmuck und langwallenden Seidenbändern. Sie trippelte gerade mit bloßen Schultern, im gestickten Unterrock, in fein gewebten Strümpfen und ausgeschnittnen Ladschuhen, um den gedeckten Tisch, als Artur wiederfam. Er betrachtete sie mit großen Augen die hätte eine schöne Braut abgegeben!

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( Fortsetzung folgt.)

Ein Paria.

( Nachdruck verboten.)

Von Eugen Tschirikow.

IV.

Nabe dem Wolgatai lag ein Stadtviertel, das den Namen Aus­bau" führte. Dieser Stadtteil, ein regelloses Gewirr von Hütten und Häuschen, bestand vorwiegend aus Schenken, Kneipen, Spelunken, Asylen für Diebe und sonstigen Auswurf der menschlichen Gesell­schaft. Die engen Straßen und die geheimmisvollen Gassen und Sadgassen wimmelten, namentlich des Abends, von Individuen, die Grund haben mochten, das Tageslicht zu scheuen.

In diesem Ausbau" verloren sich Awdotja und Mitka. Sie hatten feine feste Wohnung hier, sondern trieben sich im ganzen Biertel umher, indem sie bald hier, bald dort übernachteten. Am häufigsten freilich geschah dies bei Terebilowka.

Terebilowka war der populärste Herbergswirt im Ausbau". Seine Herberge war ein großes, zweietagiges, hölzernes, altes Haus. Das mit grünem Moos bewachsene Dach schien sich zur Erde senten zu wollen, die Türpfosten waren angefault, die Fenster zum Teil eingeschlagen, zum Teil mit Papier   verklebt Die ganze obere Etage diente als Nachtherberge. Das Nachtlager toftete für eine Nacht zwei Kopelen, für die Woche zehn und für den ganzen Monat dreißig Ropeken

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Bisweilen verbreitete sich mitten in der Nacht wie ein Lauffeuer die Nachricht durch das ganze Asyl, die Polizei habe das Haus um stellt, um sich seine Bewohner wieder einmal näher anzusehen. Dann Die einen versteckten die entstand eine fürchterliche Verwirrung. Stöpfe wie der Vogel Strauß, andere flohen auf den Boden, Kinder begannen zu weinen, Weiber zu kreischen... Eine derartige Razzia wurde gewöhnlich alle drei Monate einmal veranstaltet und endigte immer mit dem Fang irgend eines interessanten Vogels"..

In diesem Asyl suchten Awdotja und Mitka am häufigsten Unterschlupf. Unter der Pritsche im Winkel schlief Mitka, auf der Pritsche wälzte sich Awdotja. Auf dem Nachbarlager schlief ein Truntenbold von adeliger Herkunft", vor dem Mitka im Anfang jedesmal heftig erschrat, so oft er, die Augenbrauen finster zu fammenziehend und den Zeigefinger zum Himmel erhebend, tragisch ausrief: Sic transit gloria mundi!"

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Dieser schreckliche Herr" sprach zu Mitka immer mit grober, böser Stimme, auch wenn er versuchte, mit dem Knaben zu scherzen. genuß heiseren Baß. Du gehst einer traurigen Zukunft ent­Mitta!" brüllte er mit seinem, von übermäßigem Branntwein­

gegen.

weinen.

Und Mitka fürchtete sich wieder und begann vor Angst zu Maminka!" winfelte er. sieht er mich immer so an?" Warum schläft er nicht? Warum Awdotja erhob den trunkenen verschlafenen, zerzausten Kopf, während der Herr" pathetisch Verse von Lermontow   oder Buschkin zu deklamieren begann.

die verschlafene Awdotja und warf sich wieder auf die Pritsche. Ach, laß' mich in Ruh'! Stopf' Dir den Mund!" zischte böse

Mitfa aber versteckte scheu seinen Kopf unter dem schmuzigen Leinwandsad, der ihm am Tage zum Einsammeln der Almosen, in Der Nacht als Kissen diente.

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bald fühlte er sich in seiner Umgebung heimisch und begann sogar Uebrigens gewöhnte fich Mitla recht schnell an diesen Nachbar­von selbst zum Herrn", der ihn häufig mit Pfefferkuchen, gedörrtem Fisch und Zucker fütterte, auf die Britsche zu kriechen. Später fand Mitta im Asyl Altersgefährten, fodaß er die Mutter bald nicht mehr brauchte und sich gar nicht darüber beunruhigte, daß Awdotja öfters verschwand und bisweilen erst nach zwei, drei Tagen wieder zum Vorschein fam. Er gewöhnte sich schnell an dieses Leben, in dem er niemals richtig satt zu essen bekam; er begnügte sich voll­ständig mit den Bissen, welche die Bewohner des Asyls ihm aus Mitleid zuwarfen...

Als er einmal im Herbst von seinen Wanderungen durch den Ausbau" zur Nacht ins Asyl kam und den Herrn" fragte, ob Maminka noch nicht da wäre, teilte ihm der Herr" mit, daß Maminka nicht gekommen sei und auch niemals mehr tommen werde. Sie hätte die Köpfe von Streichhölzern verschluckt, sei infolgedessen gestorben, und man hätte sie zum Ausweiden" fort gebracht

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Bist selbst gestorben... mußt selbst ausgeweidet werden..." entgegnete Mitka, den Herrn" mißtrauisch betrachtend. Maminka Aber es berging ein Tag, ein zweiter, ein dritter fam nicht. Mitka lief durch den Ausbau" und suchte die Mutter, weil er das, was ihm der Herr" mitgeteilt hatte, für Lüge hielt. Aber die Mutter fand sich nicht sie war und blieb ver schwunden.

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Man hat sie weggefahren, Schafskopf.

in einem schwarzen Ge

Kasten. Findest sie jetzt in alle Ewigkeit nicht. storben!".. versicherte der Wirt Terebilowka, den Mitka in der unteren Etage, in der Kneipe, aufsuchte, um sich noch einmal zu überzeugen, ob Maminka auch hier nicht sei.

Schließlich mußte er es doch glauben. Seine Lebensweise wurde dadurch wenig verändert: tagüber lief er sich im Ausbau" müde, abends kam er ins Asyl nächtigen.

,, Kind der Sünde und des Unglücks!" begrüßte ihn der Herr". Lege Dich jetzt auf Deiner Mutter Plaz. Sich auf der Erde zu wälzen verbietet die Hygiene... Batterien Bazillen. Kommas und Punkte.... Lege Dich auf die Pritsche, Schafs­topf 1..." Mitta gehorchte.

Lange fonnte er sich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß Maminka nicht mehr wiederkommen sollte.... Oft lag er mit weit. offenen Augen auf der Pritsche und dachte an Maminka. Und sonderbar aus dieser allerlegten Periode, da er mit ihr zusammen Auf den nackten im Asyl gelebt hatte, fonnte er sich, so sehr er sich auch bemühte, Brettern der Pritsche, bisweilen sogar noch unter den teine Vorstellung von der Mutter machen. In seinem Kinderhirn Pritschen, wälzten sich Betrunkene, Kranke, Hungrige, Männer, war nur die Erinnerung an jene furze, flüchtige Spanne Zeit Frauen und Kinder im wirren Durcheinander haften geblieben, als Awdotja ihn, das dreijährige Kind, einer Laume des Augenblickes folgend, für wenige Tage zu sich genommen hatte. Besonders ein Moment stand deutlich vor Mittas Geist. Mit diesem Moment freilich erschöpfte sich auch seine ganze Erinnerung an jene Zeit. Abend. Draußen heult ein böser Wind. Man hört, wie der Regen gegen die Fensterscheiben flatscht, und wie die Haustür in

Die stidige, dumpfe Luft, ein unerträglicher Gestant, der Lärm der Be­trunkenen, Lachen, Kinderweinen, Schimpfworte, Streit und Gesang bereinigten sich zu einen chaotischen Getöse, das erst aufhörte, wenn der Wirt aus der in der unteren Etage befindlichen Kneipe nach oben tam und die stark qualmenden Lampen auslöschte. Hier und da weinte wohl noch ein Kind, dieser oder jener zantte tohl noch mit dem Nachbar oder trant geräuschvoll den Nest seines