Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 59.

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Donnerstag, den 25. März.

( Nachbruck berboten.)

Das tägliche Brot.

Roman von C. Viebig  .

Frau Bartuschewski schlang noch mit derselben Gier, wie als Mädchen im Reschkeschen Keller. Frau Reschkes Gesicht  glänzte wie lackiert; sie hatte das Taschentuch auf den Busen gebreitet, um sich nicht zu befleckern.

Der Schweinebraten war ausgezeichnet fett, am Salat war des Dels fast zu viel. Fein war das Menü gerade nicht, dafür lohnte es Mutter Reschke heute nicht, aber satt sollten sie wenigstens alle werden bei der Hochzeit ihres Artur.

Für eine Weile hörte man nichts, als ein Kau- Geräusch, ein Schmatzen und dann und wann ein Aufiapfen. Nur Berta nahm kleine Bissen mit gespiztem Mund; wählerisch stocherte fie auf ihrem Teller herum.

Bier war reichlich aufgesetzt; aber das Fette machte Durst, die leeren Flaschen mehrten sich rasch. Und je mehr Flaschen geleert waren, desto gehobener wurde die Stimmung. Frau Reschke hätte nie gedacht, daß sie auf dieser faulen" Hoch­zeit so bergnügt sein würde.

Kein Mißton störte die Harmonie, bis plötzlich Bater Reschke murmelnd, aber doch allen verständlich sagte: Wenn man Trudeken mitten mant wäre!" Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

Seine Frau warf ihm einen strafenden Blick zu- wie fonnte er nur jetzt davon anfangen?! Wat willste denn?" schrie sie Grete gereizt an, die sich neben den Vater gestellt und es gewagt hatte, bei seinem Seufzer ihre Wange an seine Schulter zu schmiegen. Laß Vatern, er hat ja schonst' nen Kleenen fitzen. Jeh, wat willste denn bloß?!"

Scheu verschwand Grete vom Tisch; sie besaß eine wahre Fertigkeit darin, lautlos unterzutauchen.

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Die junge Frau starrte auf ihren Teller zwischen den Töpfen mit Hyazinthen einer rosa papierenen und einer blau papierenen- dem Hochzeitsgeschenk von Bartuschewskis. Sie war schon längst satt, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Berstreut spielte ihre Hand mit Fridchens Haaren, ihre Ge­danken irrten umher, ihre Blicke umflorten sich, ihre Mund­winkel zogen sich abwärts es kümmerte sich gar keiner um fie.

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Berta führte jetzt das Wort. Sie hatte sich hintenüber gelehnt, die Arme über die Brust gekreuzt, und wippte mit dem Stuhl. Lachend gab fie, wie fie's nannte, einen Schwant nach dem anderen aus ihrem Leben zum besten.

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Nun war sie schon seit Selingers im neunten Dienst. Erst bei der Schmettana. Dann bei einem geschiedenen Herrn; da war sie aber nur acht Tage gebliebender war zu liebens­würdig", wie sie mit einem fofetten Auflachen sagte. Dann bei einer Baronin- Witwe die Töchter alle Tage fein ge­pußt aufs Eis, abends auf'n Ball, aber keine Rechnung bezahlt, un Lohn auch nich". Dann bei einem Bankteufel von Frau - die kriegte kein anständiges Mädchen mehr. Dann bei einer erotischen Herrschaft der Mann war aus Honolulu  , die Frau aus Nakel, aber Flöhe hatten sie alle beide". Dann nacheinander bei einem Parterregymnastiker, einem Theater­direktor, einem Afrikaforscher und jetzt im Chambre garnie. Sie hatte entschiedenes Pech gehabt; aber mit einem Aufziehen der Oberlippe zeigte sie ihre schönen weißen Zähne war's nicht hier, war's dort! Nun war sie das Wandern schon gewohnt und klug genug, nicht überall gleich ihre Sieben­fachen auszupacken.

Die Zuhörer hielten sich die Seiten vor Lachen; Frau Bartuschewski wurde es ganz unwohl vor Amüsement. Frau Reschkes Busen schütterte, fie schlug die Hände zusammen: Ne, die Bertchen! Wie' n Klohn, janz wie' n Klohn!"

Das meiste Vergnügen hatten Bartuschewski und Artur: sie bestanden darauf, Berta mußte sich zwischen sie beide sezen. Diese tat es lächelnd, aber sie blinzelte Mine dabei zu die brauchte keine Angst zu haben, sie wußte ganz genau, wie weit man sich die Männer fommen lassen durfte.

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Bartuschewski klopfte an sein Glas; man dachte, er würde das Brautpaar leben lassen, aber er rief: Fräulein Berta, hoch soll se leben! Hoch, hoch, hoch!" Als seine Frau mit

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ihm anstoßen wollte, wurde er geradezu grob. Eifersüchtig, Olle?! Weeßte, man hat nicht alle Lage Kuchen. Jeh man ab, Du olles Kommißbrot!"

Er war entschieden schon etwas angefäuselt. Sie waren es größtenteils alle. Die Kinder tellen um den Tisch; klirr, eine von den schönen Müldnerschen Tassen stürzte zur Erde Scherben.

Ein dicker, undurchdringlicher Tabaksqualm stieg hinauf zur Decke. Der Durst wuchs. Bartuschewski erbot sich, in eine nahegelegene Kneipe zu gehen und noch mehr Bier zu holen. Bringen Se ooch en paar Weiße mit," rief Bater Neschke ihm nach.

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Als er wiederfam, beide Arme voll Flaschen, behauptete er, Herr Reschke habe bestellt: En paar Schnäpse". Aus seinen hinteren Rocktaschen holte er je eine Flasche Nord häuser- Korn vor.

Der Alte schmunzelte; Nordhäuser war für den Magen sehr zuträglich, besonders nach so fettem Essen. Das fanden fie alle. Frau Bartuschewski hatte schon über Magen­beschwerden geflagt und Frau Reschte sich ein paar Knöpfe an der Taille geöffnet.

Die Männer saßen in Hemdärmeln. Es war drüden heiß in der Stube. Die Scheiben waren dick angelaufen, aber niemand öffnete ein Fenster. Bewahre, lieber ein biß­chen mollig!

Frau Nefajke hielt jetzt den Augenblick für gekommen, in dem ihr Wunderkind seinen Gesang produzieren und zum Schluß dem Brautpaar ein Staubtuchkörbchen überreichen sollte. Aber Bartuschewski tam ihr zuvor; er hatte seinen drei Aeltesten etwas einstudiert.

Auf seinen Wink traten sie vor das Brautpaar und plärrten unisono das Gedicht vom Klapperstorch herunter, das Herr Bartuschewski zu dieser Gelegenheit einigermaßen umgedichtet hatte. Der Vortrag fand großen Beifall von seiten des Vaters, der seine Kleinen zur Belohnung einmal ordentlich nippen licß; fie tranfen mit zugekniffenen Augen. Artur war von diesen Anspielungen sehr unangenehm berührt; er warf einen scheuen Blick auf Fridchen, hörte auf zu lachen und brütete stumm vor sich hin.

Elli hatte auf der Lauer gestanden. Primadonnenneis im Herzen; nun schmetterte fie los. Es war kein glücklicher Gedanke, daß sie anfing mit:

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Alma, unsre Alma ging futsch uns Knall und Fall."

In Reschkes Geficht begann es zu arbeiten und zu zucken, zog fein buntes Taschentuch, schneuzte sich, und num fing plötzlich an laut zu weinen.

Trude, unsre Trude," schluchzte er.

Aber der Refrain, vom ganzen Chor wiederholt, über* brauste bald sein Schluchzen.

Alma, Alma, wo mag das Mächen sein? Vielleicht ist ein Malör passiert.

Wer weiß, ob sie noch existiert!"

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Mutter Reschke fang fräftig mit. Wat hilft allens, fagte sie, während einer Gesangspause, zu Berta, eenmal will man doch ooch verjnügt sein. Et is doch allens Mumpit, bis wer in de rube fahren."

,, Wissen Se," flüsterte Berta zurück, die Schmettana war auch nicht viel weiter her, wie aus' n Keller. De Trude wird schon fein raus sein."

Meenen Se? Na, da hätte se ooch wat schicken können zu de Hochzeit."

Mine stieß ihren Mann an. Du, sag Elli, se soll aufs hören mit das Lied. Bater weint so."

Der junge Ehemann sah seine Frau an- gutmütig war sie, das mußte man ihr laffen! Willste jleich stille sein," herrschte er die Schwester an, hör auf mit dent Quatsch!" ,, Na, was soll ich denn fingen? Denn singe ich jar nich," Schmollte die Kleine.

De wirst doch nich, Ellichen?!" rief die Mutter erschrocken. Laß ihr doch, Atur! Wenn Vater so dämlicht is, is det feine Sache. Ellichen, det von die jute Tante aus Ruppin" oder noch scheenter, det von die Liebe"! Weeßte nich?" Und die Mutter begann mit schmettriger Stimme, mit Hand und Fuß den Takt schlagend;