Interhattungsblatt des vorwärts Nr. 71. Mittwoch, den 14 April. 1909 lNachdru« 6«Dpien.) 701 Das t'agttcbe Brot» Nomon von C. V i e b i g. Traurig?I" sagte das hübsche, rosige Dienstmädchen mit dem blendenden Schürzenlatz und stieß mit ihrem Korb 'eine andere Magd in die Seite.Was, Fräulein, wenn wir krank werden, das is noch viel trauriger. Nach uns kräht kein Hahn. Wir können tot und begraben sein, eh die zu Hause was von wissen kriegen. Auf meiner vorigten Stelle kriegt ich den Gelenkreißmathismus" Auweh," unterbrach jemand,da haben Se woll in'n Badezinuner jeschlafen?" Erst Hab ich mich geschleppt, nichts gesagt man will doch nich so kränklich sein denn, als ich nich mehr konnte, wollten se mich im Krankenhaus schaffen" Jawoll, Krankenhaus, allens voll, was?!" Acht Tage mußt ich erst bei de Herrschaft liegen sc waren sehr aufmerksam, das muß man sagen aber die Frau hatte nu selber alle Hände voll zu tun.'s war auch kein Ofen im Zimmer, un Winter, un ich so steif, ich könnt mich nich rühren, se mußten mich füttern." Das's noch gar nischt," schrie eine andere drein,wie ich bei Bülows war, kriegt ich's Nervenfieber: gleich die erste Nacht wollt ich aus'n Fenster springen. Festbinden mußten se mir!" Un mir haben se mal vier Stunden in de Stadt rum- fahren müssen mit'n zerbrochnen Bein, eh daß se mir in eenen Krankenhaus los jeworden sind!" Was Se nich sagen?!" Schändlich!" Ne, so was!" Die kleine rosige Magd wurde immer wieder unter- brachen, jede wollte von eignem Leid berichten. Endlich konnte sie sagen:Un wie ich denn im Krankenhaus kam, mußt ich noch fünf Wochen liegen auf einen» Fleck. Un denn in Stellung könnt ich doch nich wieder gehn denn fuhr ich nach Hause. Meine Mutter is Witfrau un noch sieben kleinere Geschwister die Freude war nich groß! O je, die Reise vergeß ich mein Lebtag nich! Nich sitzen können, nich stehen: nich wissen, wie ich aushalten soll. Un denn noch'ne Stunde mit der runipligm Karre von de Bahn nach'm Dorf fahren, durch Regen un schnee." Sind Se denn nu wieder janz gesund?" fragte eine Frau. J ja. Bloß'n kleinen Herzfehler Hab ich behalten!" Das junge Ding lachte vergnügt und sah dann er- schrocken nach der Reschke hin, ob die auch das Lachen nicht übel genommen. Aber diese war viel zu sehr bei der Sache: aufmerksam hörte sie zu. Verschiedene ähnliche und unähnliche Fälle wurden ausgetischt: die Unterhaltung kam in vollen Gang.~ Vater Reschke und Mine und Berta waren allein in der Stube zurückgeblieben. Sie standen alle drei am Bett. Der Alte noch immer in seiner vorigen Haltung, den Rücken ge- krümmt, die Hände ineinander geschlungen. Aber sein ver- legen umherirrender Blick war stetig geworden, starr ruhte er auf den stillen Zügen seines Kindes. Keine Muskel rührte sich in seinem faltigen Gesicht, dabei schütteten ihm die Tränen aus den Augen. Er schien sie gar nicht zu bemerke», er ließ sie rinnen. Vater, Du weinst Der ja blind!" Mine faßte seine Hand: jetzt mußte sie auch weinen.Vater, laß ihr, es is so am besten vor ihr!" Ja, for Jreten is es wohl so am besten," sagte der Alte mit einer seltsamen Betonung,aber for" Er sprach nicht aus, und Mine wußte nicht, an wen er dachte. Berta stand dabei, ohne sich zu riihren. Ihre Blicke bohrten sich förmlich in das wächserne Gesicht. Ihre Wimpern zuckten nicht, keine Träne feuchtete ihr Auge. Sie war wie gebannt. Also das war der Tod?! Sie hatte noch keinen Toten gesehn, nur ein paarmal, früher bei der Mutter, kleine tote Kinder: aber die glichen Puppen. I Hier der erste tote Mensch. Sie atmete tief auf das war doch gar nicht schlimm! Es ließ ihr keine Ruhe, si*. mußte den Zipfel heben und die Gestalt betrachten, die da unter dem Leintuch starr gestreckt lag. Und ihre Finger mußten über die regungslose Brust fahren, und dann über die Hände, die Arme, den Hals, die Wangen. Alles eiskalt. Aber sie empfand keine Furcht. Sie strich der Toten die Haare aus der Stirn. Als Berta sich nach einer halben Stunde durch den Laden drückte, fand sie nur noch wenige Teilnehmende vor, die meisten waren wieder ihren Geschäften nachgegangen. Auch Frau Reschke stand hinterm Ladentisch ; ihre Rechte hielt einer Käuferin ein Bund Zwiebeln hin, ihre Linke wischte die noch immer sickernden Tränen. Schon kam ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft und brachte für die tote Jungfrau den Myrtenkranz. 32. Weit draußen hinter den letzten Straßen, auf Grete? Grab, blühte der Geraniumstock, den Mine hingetragen, in rotleuchtender üppigster Fülle. Die Rasenstücke, die Ellis Kinderhände, in Spielerei, auf das schmale Grab gelegt, waren angewachsen und grünten lustig. Der Wind hatte allerlei Samen herzugetragen: Unkraut und Gänseblümchen schössen im Rasen auf, und schwanke Halme wiegten sich im Wind. Reschkes hatten nie ein besseres Kind gehabt. Alle Sonntag nachmittag ging Frau Reschke im wehenden Kreppschleier, mit der grünen Gießkanne am Arm, und begoß das Grab. Elli, die mit der Mutter kam, spielte derweilen zwischen den Gräbern: nie ging sie fort, ohne sich mit irgend einer geräuberten Rose geschmückt zu haben. Der Alte spazierte nicht mit auf den Kirchhof; er saß, wie immer, zu Hause und rauchte und trank eine Weiße. Aber sein Gesicht war ganz verschrumpelt. Artur hatte sich einen breiten Kreppstreifen um Hut und Paletotärmel heften lassen, er hielt auf den nötigenPli"; das hatte er von seiner Mutter. Er war noch immer in der Druckerei und schien sich so- weit auch ganz wohl dort zu fühlen. Freilich, im Lohn auf- gerückt war er noch nicht; er hatte noch immer nichts anderes zu tun, als Farbwalzen zu waschen, Maschinen zu ölen und zu reinigen, Formen einzuheben und auszuheben. Aber er hatte Kameraden gefunden, denen er mit seinerBildung" imponierte. Er führte das große Wort und gab sein Urteil über alles mögliche mit einer Sicherheit ab, die andere zwang, ihm unbedingt beizustimmen. Nur mit den Setzern hatte er ewigKrach". Das war ein eingebildetes, hochnäsiiges Pack. Die hatten denSetzer- größenwahn", wie Arwr sagte. Die meinten wohl gar, wenn sie mit den Buchstaben herumtippelten, sie hätten die Bücher selber geschrieben. Davon verstand er doch mindestens ebenso- viel, Wohl noch ein bißchen mehr; hatte er doch seine ganze Jugend zwischen Büchern verbracht. Von den Brüdern lasse er sich noch lange nicht einschüchtern! Und so hörte man im großen Arbeitssaal, trotz des Stampfens der Maschine und des Surrens der Treibriemen, seine helle Stimme; mochten die Setzer sich unwillig umsehen:Pst, Ruhe!" Was brauchten die sich so aufzuspielen! Die hatten zu ihrer mechanischen Arbeit noch längst Ruhe genug. Besonders zwischen Artur und einem Setzer, einem blassen, nervösen Menschen mit gereizter Stimme, bestand ewige Fehde. War dieser auf einen Dienst des Hilfsarbeiters angewiesen, konnte er sicher sein lange warten zu müssen; nie streifte Artur an seinem Pult vorüber, ohne besonders hart aufzutreten oder wohl gar einen Gegenstand, den er trug, zur Erde fallen zu lassen. Schreckte dann der nervöse Mann zusammen, so lachten die anderen. Der Faktor hatte Artur schon ein- oder zweimal ange- lasten; er machte sich nichts daraus. Im Gegenteil, die Käme- raden tranken ihm nachher zu in der Kneipe; dann schlug er lachend auf den Tisch, rief nach dem Wirt und bestellte eine Runde Bier., Ein flotter Mensch! Mutter Reschke hatte schon Ursache zu ihrem heimlichen Stolz auf ihn. Wenn er sie besucht