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Weiß der liebe Simmel, was Ihr da alles redet. Eine wich-| Die Gründe hierzu find abe nicht nur moralischer oder ästhetischer Natur. Das beweist schon die Tatsache, daß unter den Bauern feit tige Angelegenheit, daß eine Sau auf die Straße läuft!" Urzeiten die Vermeidung mancher Bezeichnung mit ängstlicher Strenge geübt wurde. Natürlich find bei dieser derbsten Menschen­lasse moralische Bebenken hinsichtlich des Sprachgebrauchs ebenso Wenn der Bauer ein Wort um­ausgeschlossen wie ästhetische. schreibt oder vermeidet, so tut er das aus Aberglauben! Jm einzelnen verwischen und vermischen sich oft die Gründe, die zur euphemistischen Beränderung der Sprache beigetragen haben.

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Erlauben Sie, Ihnen zu melden, erlauben Sie, wan Swa­nowitsch: das ist rein unmöglich! Was ist zu machen? Die Negie­rung befiehlt wir müssen gehorchen. Ich streite nicht, es laufen in den Straßen und selbst auf dem Marktplage Hühner und Gänse herum merkt wohl, Hühner und Gänse: betreffs der Schweine und Böcke habe ich aber noch im vorigen Jahre eine Borschrift er­laffen, solche nicht öffentlich herumlaufen zu laffen, welche Bor­schrift damals vor allem Volfe bekannt gemacht wurde."

Nein, Peter Fedorowitsch, ich sehe an alledem nur, daß ihr alle bemüht seid, mich tief zu kränken."

Das fönnen Sie durchaus nicht behaupten, daß ich Sie zu beleidigen trachte, geliebter Freund und Gönner. Erinnern Sie sich selbst: ich sagte im vorigen Jahre kein Sterbenswörtchen, als Sie das Dach um eine ganze Arschin höher als das vorgeschriebene Maß bauten. Ich machte im Gegenteil eine Miene, als ob ich es gar nicht bemerkte. Glauben Sie mir, wertester Freund, ich würde auch jetzt so sagen... aber meine Pflicht, mit einem Wort, die Pflicht und Schuldigkeit verlangen, auf Reinhaltung zu sehen. Urteilen Sie selbst, wenn plötzlich auf der Hauptstraße

Eure Hauptstraßen sehen sehr sauber aus! Jedes alte Weib wirft seinen Blunder darauf."

Erlauben Sie mir zu vermelden, Jwan Jwanowitsch, daß Sie der beleidigende Teil sind. Es ist wohl wahr, es ereignet sich manchmal, doch das geschieht größtenteils hinter den Zäunen, Schuppen und Kammern; aber daß auf der Hauptstraße sich eine trächtige Sau herumtreibt, das ist eine Sache...

Was ist denn dabei, Peter Fedorowitsch! Auch meine Sau Ift ein Geschöpf Gottes1" sd Sugegeben! Es ist der ganzen Welt bekannt, daß Sie ein grundgelehrter Mann, und in den Wissenschaften wie in sonstigen Gegenständen bewandert sind. Unleugbar, die Wissenschaften sind mir ganz fremd; erst in meinem dreißigsten Lebensjahr habe ich das Schnellschreiben zu lernen begonnen. Ich diene, wie Euch be­fannt, von der Bite auf."

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Sml" sagte Jwan Janowitsch. " Ja,"

fuhr der Polizeimeister fort, ich diente bei dem 42. Jägerregiment, in der vierten Rotte. Der Hauptmann Jere­mejeff war, mit Ihrer Erlaubnis, unser Sommandierender. Bei diesen Worten stedte der Polizeimeister die Finger in die Tabatsdose, die ihm Jwan Jwanowitsch offen hinhielt und begann den Tabat zu fneten.

Hm!" erwiderte Jivan Janowitsch.

" Aber es ist meine Pflicht," fuhr der Polizeimeifter fort, den Forderungen der Regierung Gehorsam zu leisten. Wissen Sie es, Swan Iwanowitsch, daß der Raub eines Attenstückes aus dem Ge­richte, wie jedes andere Berbrechen, dem Kriminalgerichte unter­liegt?"

Ich weiß es so gut, daß ich es, wenn Sie es wünschen, auch Sie zu lehren vermag. Das gilt von den Menschen, also wenn Sie 3. B. ein Attenstück geraubt oder gestohlen hätten, aber eine Sau ein Tier, ein Geschöpf Gottes

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Ja wohl, aber das Gesetz sagt: Schuldig des Raubes" Ich bitte aufmerksam zuzuhören: Schuldig! Hier wird weder Ge­schlecht, noch Land, noch Stand bezeichnet, es tann demnach auch ein Tier die Schuld tragen. Mit Ihrer Erlaubnis, dieses Tier muß nun, bevor das Urteil gesprochen und das Strafausmaß be stimmt wird, der Polizei als Störer der öffentlichen Ordnung über­

antwortet werden."

Rein, Peter Fedorowitsch," erwiderte Jwan Jwanowitsch faltblütig, das wird nicht geschehen."

Wie es Ihnen beliebt, aber ich muß mich an die Vorschriften der Regierung halten."

Was schreden Sie mich also? Ihr wollt sicherlich wegen meiner Sau den einarmigen Soldaten schicken? Ich werde meiner Magd den Auftrag geben ihm mit der Ofengabel den Weg zu zeigen; sie zerbricht ihm noch den zurückgebliebenen Arm,"

( Fortsetzung folgt.)

Vom Euphemismus.

Seit dem 17. Jahrhundert ist zur Unschädlichmachung an stößiger Wörter der Gebrauch eines Striches oder mehrerer Punkte sehr beliebt. Noch heute liest man ja oft verfl. statt, ber­flucht". Sehr begreiflich, daß man bald in solchen Fällen ein etc." feßte, um ein Schimpfort oder einen unanständigen" Störperteil zu umschreiben. Daneben spielt aber auch für die Bertvendung des Etcetera der Aberglaube eine Rolle: Bei Grimmelshausen z. B. ist die Redensart zu finden: zerreiß und hol mich der etc."( also der Teufel). Mehr und mehr entwickelte sich dieser Wortersatz zu einem selbständigen Schimpfwort, das im 17. Jahrhundert bereits als schwere Beleidigung galt, wie aus Prozeßatten hervorgeht, und im 18. Jahrhundert noch Grund zur Duellforderung war. Darum heißt es auch in der Jobfiade":

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Wer sich also in Bulunft würde vermessen

Und uns absurde Absichten beimessen,

Den erkläre ich hiemit und rund

Für einen et caetera und böjen Leumund."

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Weiblichen Personen gegenüber erfekte das Etcetera" geradezu das Hure". Abraham a St. Clara sagt z. B. dises Weib war gar eine saubere etcaetera". Und bei Gryphius , im Horribili cribifag" heißt es: Du Pulver Hure! Du Bleh- Schelme! Du Egcetral" So sagt benn auch Lauthard, dessen Leben und Schidjale" jüngst neu herausgekommen find: Etceterae. Das heißen die Huren bei den Leipziger Studenten." war vor hundert Jahren. Heute hat sich dieser Gebrauch des Bortes anscheinend völlig verloren.

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Es lag nahe, das, was man nicht nennen wollte, als unnenn­bar oder ungenannt zu bezeichnen. Den Ausdruck ungenannt" finden wir denn auch in den verschiedensten Bedeutungen. So heißt der vierte Finger, der als Unglücksfinger gefürchtet wird, der Un­genannte". Dagegen bedeutete der ungenannte Mann" den Schinder. Am verbreitetsten aber ist die Bezeichnung Ungenannter Gast" für den Wolf. In sehr alten Zeiten bezog sich der Ausdruck wohl auch auf den Bären und den Fuchs. Nachdem aber der eine ausgerottet und der andere feltener geworden war und weniger ge fürchtet wurde, schränkte sich die abergläubische Umschreibung den Wolf ein. Es heißt geradezu sprichwörtlich: auf bey denen dessen Name so angenehm wie des Wolfes, Bauern in zwölfften".( D. h. in den zwölf Nächten von Weih nachten bis Dreitönigs- Abend, wo die strenge Kälte den Wolf be fonders fühn machte.) Wie gefürchtet( und also verbreitet) der Wolf in Deutschland noch bis in die Neuzeit gewesen ist, dafür bietet uns auch die große Zahl ähnlicher Umschreibungen seines Namens einen Beweis. Untier, Unflat, Ungeziefer wird er genannt, wobei die be leidigende Bedeutung der Worte im Gegensatz steht zu sonstigen Schmeichelnamen wie Granhans" und besonders Badder mann" oder zu dem unverfänglichen Hölzing"( da der Wolf im Holz. also im Wald lebt). Beliebt und oft variiert ist der Schwant: Schäfer zu Wie sich's denn einmal begeben, daß ein feinem Pfarr gekommen, ein Kind taufen zu lassen, weil aber der farr mit Namen Wolf geheißen hat, hat der Schäfer feinen Auf­trag auf folgende Manier verrichtet: Guten Tag, Herr Ungeziefer! berzeihet mir, daß ich Euch jetzt in zwölf Nächten so heiße, denn ich darf den Teufel jezt nicht recht nennen, wenn ich nicht in Sorgen stehen will, daß das Nabenaas mir unter die Schaafe geräth."- Der Schäfer belegt also den Wolf mit den ärgften Schimpfnamen, vermeidet nur das Wort Wolf " und beweist dadurch, daß seine abergläubische Angst ganz sinnlos fonventionell ift.

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Wie man das Unmennbare als Ungenannt" bezeichnet, so das Un od aussprechbare als unaussprechlich". Der Ausdrud inexpressibles" für Hosen findet sich in England bereits 1790, in Deutschland erst ardan Mitte des 19. Jahrhunderts, bei Gerstäder. Gleichzeitig wird seine

Bedeutung auch auf das Gesäß ausgedehnt.

Statt völliger Unterbrüdung eines Wortes, durch Punkte, Strich oder Bezeichnungen wie die angeführten, ist schon frühzeitig eine breitere Umschreibung beliebt. 1621 findet fich für Gefäß der Ausdruck: Ort, da man die Cliftiere pflegt zu applicieren." St. Clara fagt( 1692): two die Berg- Knappen das Schurk- Fell tragen."

Ein Wort kann, ohne irgend eine erkennbare Anspielung zu enthalten, eine unanständige Bedeutung haben oder allmählich be­tommen, obwohl es doch, so gut wie jedes andere, aus an fich harmlosen Buchstaben besteht. Solche Worte verpönt die feinere Mit ähnlicher Weitschweifigkeit wird von der Verrichtung der Umgangs- und Schriftsprache. Sie umschreibt sie, ersetzt sie durch Notdurft geredet. So beißt es 1673: dasjenige zu verrichten, andere oder läßt sie einfach aus. Diese Tatsache des Euphemismus, welches der Römische Keyser in eigener Perion, und nicht durch einen der beschönigenden Umschreibung ist mehr eine psychologische als Ambassadeur, thun muß." Diesen Gedanken zeigt übrigens auch ein eine sprachliche Erscheinung, wie Hans Schulz in einer langen russisches Wort, das sich z. B. bei Tolstoi gelegentlich findet. Derlei Untersuchung über, Frühneuhochdeutsche Euphemism en" Umschreibungen erreichen ihren ursprünglichen und vorgeblichen Zweck ( Zeitschrift für deutsche Wortforschung", X, 2, 3) mit Recht natürlich nur zur Hälfte: indem fie ein berbes Wort vermeiden. hervorhebt. Schulz beschränkt sich bei der Fülle bes Materials im Dagegen machen sie durch ihre Umständlichkeit die Vorstellung nur wesentlichen auf Schriftwerke bes 16. und 17. Jahrhunderts. Be um so eindringlicher. greiflicherweise sind ja diese Jahrhunderte mit ihrem Reichtum an berichiedenartigsten Literaturerzeugnissen der seit etwa Anno 1500 neubelebten deutschen Sprache reich an mancherlei Ausdrücken, die eine Bermeidung oder Beredelung vulgärer Wendungen beztveden.

Aehnlich ist es mit jenen Buchstabenspielereien, bei denen zwar das direfte Wort vermieden wird, während andererseits der Leser, der es erst erraten muß, mun gerade darauf gestoßen wird. Worts wige wie Gesell ohne G"(=& fel), Fliegen ohne&"(= lügen),

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