Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 75.
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Dienstag, den 20. April.
( Nachdruck verboten.)
Will nich, was, will nich?! Haha, Sie sind mer' n scheener Held! Nu kommen Se aber man ileich fig mit! Det Herz bibbert ein'n ja in'n Leibe.' nen Kleenen Kümmel oder' nen Lippentriller, was? Denn helfe it Ihnen ooch nachher' n bißken schieben, Se bleiben ja sons doch unterwegs liejen, Sie Schwachmatikus!"
Artur widerstrebte noch.
wahrhaftig annehmen, Se wollen mir for alle Freundschaft, Na, man voran, Mensch, man voran! Sons muß it die if for Ihnen jehabt habe, nich mal traktieren?"
Diesen Verdacht konnte Artur doch nicht auf sich fiten Lassen alles, nur nicht.poplig"! Seine Gedanken mit einem Rud abschüttelnd, den Hut auf die Seite schiebend, faßte er Bartuschewski unter den Arm.
Verlassen stand der bepackte Handwagen. Der Regen hatte etwas nachgelassen, aber Tisch und Schrank und Stuhl und Bett waren doch schon feucht. Wenige Menschen gingen borüber, keiner schenkte dem ärmlichen Krempel einen Blick; nur ein neugieriger Hund schnoberte um die Räder und schnappte nach einem herunterhängenden Strickende.
Eine Viertelstunde war vergangen, noch immer stand die Karre allein.
Jest näherte sich eine Frauengestalt. Sie tam eilig Längs der Häuser gelaufen, ihr Rod, ihre Schürze und ihr unbedecktes Haar wehten im Wind; sie mußte sich nicht Zeit genommen haben, irgend etwas Schüßendes umzubinden. Auch war sie in niedrigen Hausschuhen, bei jedem hastigen Schritt flapperten die Pantöffelchen.
Es war Berta. Wie ein flüchtiger Schatten verschwand fie im Torweg.
Ein Wind hatte sich aufgemacht, recht ungehindert pfiff er über den freien Bahndamm und die leere Straße. Eine feine Dämmerung fing an niederzufinken, wie wehende Nebel jagten unruhige Wolfen am Himmel.
Und wie durch einen Nebel sah Berta alles, als sie nach einer Weile aus dem Torflur wieder heraustrat. Ihr Gesicht war blaß und langgezogen in einer großen Enttäuschung Mine war nicht da!
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Ein eisiger Schrecken hatte sie ergriffen, als sie oben die Zür sperrangelbreit offen gefunden, die ganze Stube leer, ausgeräumt bis aufs lette. Im Defchen glimmte fein Fünfchen glühender Asche mehr; kalt war alles, ausgestorben. Sie war an den kahlen Wänden entlang geirrt, hatte dann lange am Fenster gestanden und in die graue herbstliche Luft hinaus gestarrt. Wo war Mine? Wenn die doch jetzt herein träte, wenn sie sich an die kräftige Gestalt flammern könnte: Du, Mine, verlaß mer nich, wir sind ja aus einer Heimat!"
Noch nie hatte Berta der Heimat gedacht, Berlin war ja so viel schöner. Aber als sie jetzt so einsam am zugigen Tor stand und mit unruhigen Blicken die Straße hinauf und hinab spähte, dachte sie an daheim. Aber hatte sie denn ein " Daheim"? Kein Stückchen Acker, an dem die Seele hängt, zu eigen; im Häuschen wohnten sie zur Miete. Und die Mutter, halb Bäuerin, halb Städterin, und ewig aus dem Haus! Und wenn sie wiederkam und überwacht, angestrengt, durchfroren, durchgerüttelt vom Bauernwägelein stieg, mußte sie eins trinken zur Beruhigung, und dann schlief sie ein, und dann trant sie nach dem Erwachen abermals eins, um sich wieder zu beleben, Mumm" zu kriegen für eine neue Verantwortlichkeit, die ihr Gewerbe mit sich brachte.
Berta schüttelte sich: nein, nicht nach Hause! Aber wohin denn, was wollte sie denn eigentlich?!
Sie war verzweifelt. Heute hatte sie von ihrem Küchenfenster aus gesehen, wie die Dienstmädchen ihre Sachen gepackt fie zogen fast alle im Hause- wie die Paketfahrt kam, die Körbe und Kommoden und Rasten abzuholen. Nur sie, fie allein mußte bleiben! Aushalten, verkommen in dieser Dedenei! Aber warum denn?! Warum suchte sie feinen anderen Dienst? Ha! Die Finger in die Haare getrallt, hatte sie zu den anderen hinübergestarrt
1909
Die hatten noch Hoffnung. Hoffnungen auf einen besseren Dienst, auf höheren Lohn, auf freiere Tage. Neh was, das war ja alles Mumpig"! Ein neuer Dienst und wieder ein neuer Dienst und wieder einer, und doch alles immer dasselbe. Sie hatte keine Hoffnung mehr.
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die ihr die Tränen in die Augen trieb, und ein scheinbar Und eine wilde Verzweiflung war über sie gekommen, gegenstandsloser, dumpfer Haß, der danach verlangte, sich in lauten, irren Schreien auszutoben.
Wenn sie doch wenigstens Mine mal sprechen könnte! Eine heiße Sehnsucht überfiel sie nach deren ehrlichem Gesicht, Drang, der Ketten sprengen will; den Riegel der Hintertür ihrem ruhigen Wort. Sie hatte plötzlich einen Drang in sich gefühlt, einen zurückschiebend, war sie davongestürzt ohne Erlaubnis. Weg! Und nun war Mine nicht einmal da. Die Sachen, die Sie trat näher: ja, das war Mines Schrank, das ihr Bett, man da auf die Karre gepackt, waren das an Ende die ihren? der ganze ärmliche Hausrat!
Eine Frau, mit einem Storb am Arm, wollte eben in das Tor einbiegen; da vertrat ihr Berta den Weg. Hastig fuhren ihre Augen umher, mit erregter Stimme fragte sie nach Reschkes.
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Die Frau zögerte mit der Antwort. Mißtrauisch betrachtete sie das Mädchen wie sah die aus?! Das war gewiß eine, die nichts Gutes im Schilde führte. Vielleicht schuldeten ihr Reschkes was, oder die Frau dachte an Artur: der war so ein richtiger Durchgänger vielleicht gar die Liebste von dem Mann! Der armen Reschken mit dem berarbeiteten Gesicht und dem kleinen Mädel mit den unschuldigen Augen wollte sie doch den Krach ersparen; so sagte sie widerwillig: " De Neschkes sind schonst lange fort!" ,, Wohin denn?"
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Weeß nich."
„ Aber das sind doch ihre Sachen?"
„ So?"
,, Wohin verziehn se denn, sagen Se doch?"
Weeß it nich.' n Abend!"
Unschlüssig zögerte Berta noch, dann irrte ihr wilder Blick nach rechts und links- keine Mine zu sehen! Nur grauere und grauere Dämmerung. Und dann schoß es ihr plöglich durch den Sinn: Fräulein Haberkorn würde sie vermiffen! Und sie setzte sich in Trab und rannte übers Trottoir, an den Häusern entlang; mit wehendem Rock, mit wehender Schürze und wehendem Haar. Der Wind schnob hinter ihr drein.
Sie rannte sich außer Atem, sie zitterte vor Furcht, und augleich empörte sich alles in ihr: Nur heute keinen Vormurf! Sie fühlte es, heut durfte ihr die nicht eflig kommen; die sollte sich nur unterstehen, ein scheeler Blick, und--1 Hatte sie als Kind eine Ohrfeige bekommen, so hatte sie sich auf der Erde gefielt und mit Händen und Füßen gestrampelt und laut geschrien; nicht immer kam das so, aber zuweilen. Und heute? Sie knirschte mit den Zähnen, vor ihren Augen tanzten lauter rote Funken. Die Knie bebten ihr, die Zunge lag ihr trocken im Munde- ha, nur einen Schluck! Gut, daß die Flasche noch halb voll war, heut früh hatte sie sie erst frisch füllen lassen. In solcher Stimmung war sie des Süßen" doppelt bedürftig. Ansetzen, profit! Austrinken bis zum letzten Tropfen, und dann bergessen, schlafen, liegen wie tot!
Sie leckte sich über die Lippen, die aufgesprungen und wie vertrocknet waren. Rasch noch einen Schluck! Die Gier hegte sie; zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte sie die Treppe hinan.
Plöglich stuzte sie, mit einem Aufschrei griff sie nach dem Geländer aus der Nische löste sich eine schwarze Gestalt, pflanzte sich vor sie hin
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" Fort, fort!" Aechzend stieß Berta um sich. Keuchend langte sie oben an.
Aha, die Tür verschlossen! Sie war vermißt worden. Sich ein impertinentes Gesicht aufzwingend, stand sie und wartete sie hatte schon mehrmals geklopft, jezt auch leise an die Klingel gerührt, aber ihr Herz pochte ängstlich.
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