Unterhattungsblatt des vorwärts Nr. 79. Sonnabend, den 24 Zlpril. 1909 78] (Nachdruck set&eten.), Das täc[Uche Brot Roman von C. Viebig. 3o. Vater Reschke hatte alle Fahre Weihnachtsbäume für die Kundschaft zu verkaufen gehabt, mehr aus Gefälligkeit als wegen des Verdienstes, und weil er an den grünen Bäumen, die aus Wald und Heide stammten, sein Vergnügen hatte. Dieser Gewohnheit wollte er auch dies Jahr nicht ent- sagen. Eine Erinnerung an jenen schlanken, jungen Fichten- stamm, den er sich als Knabe allweihnachtlich aus dem Gol- mützer Forst stibitzt, beherrschte ihn ganz und gar: selbst hier unten, im modrigen Keller, glaubte er den harzigen Duft jener jungen Fichte zu spüren. Diesmal hatte er nur Bäume für kleine Leute, kleines, krepliges Zeug, schief und knorrig gewachsen und halb ab- genadelt, das die großen Händler, die gleich niit Wagen und Pferden an den Bahnhöfen erschienen, nicht mochten. Vor dem Kcllereingang war ein Trüppchen aufs Trottoir ge- pflanzt, und der Alte stand auf der Treppe und bewachte mit halb zugekniffenen Augen seinen Wald. Mit geblähten Nasenflikgeln witterte er den Tannenduft: er war so in Träumen verloren, daß er nicht merkte, wie Elli und die Straßenrangcn, die zwischen den Bäumchen Zeck spielten, sie umrissen, trotz der Ständer, die er ihnen aus Kistendeckeln gemacht. Das einzige hübsche Bäumchen, das frisch grün war und rund gewachsen, hatte Vater Reschke beiseite gestellt: wenn Leute das kaufen wollten auf die anderen hatten sie keine besondere Lnst sagte er jedesmal:Bedaure, det is schonst verjcbenl" Mine hatte sich von ihrem Schwiegervater ein Bäumchen ausbitten wollen, aber als sie am Morgen des vierund- zwanzigsten hinkam, hatte er gerade das letzte losgeschlagen. Großvater, De hätt'st wohl ooch an Fridchen denken können," sagte sie vorwurfsvoll. Verlegen sah der Alte umher. Da stand ja noch ein Bäumchen, halb versteckt hinterm Türflügel. Ei, das war rund gewachsen und voll frischer, grüner Nadeln l Mine fuhr dem kleinen Baum über die krausen Zweige, wie sie ihrem Fridchen über die Haare streichelte.Der is aber scheene!" Laß man," sagte der Alte unruhig und trat unschlüssig zwischen ihr und dem Bäumchen hin und her. Man merkte ihm an, daß er schwankte. Aber dann gab er sich einen Ruck: Ne, ne, laß man, mein Dochter, ich kann wahrhaftig nich der is schonst verjebcn!" Mine ging traurig weg: wenn sie Fridchen auch weiter nichts bescheren konnte nur ein Ääumchen mit ein paar Lichtern daran I Die träumte ja Tag und Nacht von einem Viellichterbaum". Aber auch dazu war kein Groschen übrig Noch nie war sich Mine ihrer Armut vollständig klar be� wüßt geworden: heute war sie zum erstenmal ganz arm ihr Kind bekam keinen Baum. Umflorten Blickes, mühselig und beladen, wankte sie über die Bülowpromenade. Wo die hohen Edeltannen gestanden, lagen noch einzelne abgehackte Zwciglein: sie las sie auf, aber wie sie auch das Grün hin und her wendete und ordnete, zum Baum wollte es nicht werden. Am Nachmittag schritt Vater Reschke. den kleinen, runden Tännling unterm Arm. iibers eisige Feld dem Kirchhof zu. Der Wind stemmte sich ihm entgegen und warf ihm Hände voll kristallisierten Sandes in die Augen: es war ein muh- sames Geben. Endlich hatte er das Gittertor erreicht, cnd- lich zwischen all den Hügeln durchgefundcn I Nun war er am Ziel: nun pflanzte er den Weihnachtsbaum auf Gretes eisiges Grab. Da Jrete!".. Weiter sagte er nickts: aber er blieb eine lange Weile am Hügel stehen, de*, Hut zwischen den gefalteten Händen: und die rauhe Winterluft spielte mit seinem grauen Haan ES war zwischen Hell und Dunkel. Als er sich zur Heim kehr umwandte, kam's auf ihn zugeflattert wie eine große Krähe: das war ein wehender Kreppschleier, aber erst ganz in der Nähe erkannte er, wer ihn trug. Nanu Mutter?!" rief er, mit den geröteten Augeit blinzelnd. Auch Mutter Reschke brachte ein Bäumchen: es war ge- putzt mit bunten Ketten mit Goldpapiersternen und roten und blauen Kerzchen. Steck man an for Jreten," sagte sie leise und reichte ihrem Manne eine Streichholzdose. Aber wie sich der Alte auch mühte, und die Frau sich als Windschirm vorstellte und die Kleider ausbreitete, die Lichter verloschen immer wieder. Sie wollte schon ungeduldig werden, aber er sagte re- signiert:Laß man, Mutter, et muß ooch ohne Licht jehnl" Und dann faßte er nach ihrer Hand und zog sie neben sich: Stell der man hierher, Amalchen!" So standen sie beide Seite an Seite: sie sprachen kein Wort mehr. Er schneuzte sich nur einmal, und sie zog Plötz- lich ihren Kreppschleier, der ihr so viel zu schaffen machte. sich jetzt im Winde wie ein Segel blähte, sich wie ein Strick um ihren Hals schnürte, mit heftigem Ruck vors Gesicht. und dann seufzten sie alle beide aus Herzensgrund. Sie hatten es gar nicht eilig, nach Hause zu kommen Elli vertrat sie ganz genügend es war ja im Geschäft so wenig zu tun, fast gar nichts! Eine bitter kalte Dämmerung sank nieder, ein schneidender Nord sauste durch die Straßen. Das war kein festliches Wehen , und doch eilten die Menschen froh. Alle Mienen schienen erhellt, auf den Kindergesichtern schimmerte die Ahnung baldiger Herrlichkeit. Mine hatte ihre Kleine auf den Arm nehmen müssen, die wäre sonst umgerannt worden. Vor den Kaufläden staute sich die Menge: jeder wollte noch rasch ein Geschenk erstehen, und Männer und Frauen eilten beladen, und Herren und Damen fuhren in Droschken und sahen kaum über alle Pakete weg. Weihnachtsstollen wurden getragen: wenn der Wind das weiße Tuch über dem Blech lüftete, wurden Fridchens Augen ganz groß. Kinder kamen von einer Schulbescherung: Hand in Hand. das Trottoir mit ihrer langen Reihe versperrend, sangen sie aus hohlen Kehlen ein Wcihnachtslicd. Der Wind riß ihnen die Worte vom Munde weg, aber wenn man die auch nicht ver» stand, man ahnte sie. Die Glocken der Kirchen läuteten dazu. So viele Kirchen Berlin auch hat, heute schienen es ihrer noch mehr: die ganze Luft war durchzittert von Glockenklang. Das müde, blasse Gesicht Mines rötete sich allmählich. aber nicht allein von der scharfen Luft: ihr Herz klopfte, und ihrem Herzschlag antwortete tief, tief innen ein anderer Herz» schlag, leise, wie ein Ticken. Sei stille," sagte sie zu Fridchen, die vor Hunger und Kälte zu wimmern anfing.Paß uf, gleich stecken se de scheenen Lichterbäume an!" Und das Kind hörte auf zu weinen, reckte sich und paßte auf. Endlich hatte Mine ihre letzten Zeitungen ansgetragen: eS war auch gut, daß sie fertig war, die vielen Treppen wurden ihr zu schwer, auf jedem Absatz mußte sie rasten, und sich, nach Luft ringend, am Geländer halten. Als sie nach Hause ging, brannten die Weihnachtskerzen schon in den Erkern hinter den Fenstern und warfen ihren Glanz hinaus in die Dunkelheit. Fridchen freute sich wohl, aber sie streckte die Händchen auS und wollte auch einenViellichterbaum" haben. Quäl mer nich so," sagte Mine endlich ganz erschöpft. Sie kamen zu Hause an: die Küche war noch dunkel, auch in der Kammer brannte das Lämpchen nicht, und doch war Artur schon da. Er saß beim kalten Herd: als Mine im Finstern nach den Streichhölzern tastete, faßte sie zufällig auf sein Haar. JeseS, Arturl" Er rührte sich nicht. Biste schon lange da?".... Er stieß einen unartikulierten Laut auS, ungefähr klang es wie:Ja."