- 314- «War's heut nifdjte mit'nem Verdienst?" „Ne." Sie seufzte tief Er auch. „Un's is dech heute so viel los uf der Straße!" «Jawoll, für den, der Jeld hat," sagte er ingrimmig. Sie merkte an seinem Atem, er hatte etwas getrunken. „Haste gar nischt?" fragte sie zögernd und streckte die Hand aus. Wenn sie doch wenigstens fünf Pfennig hätte, um Fridchen eine Ki/chenschnecke zu kaufen! Es war doch Weih- nachten!„Gar uischte—?!" „Verhör mich doch nich so! Zehn Pfennig hat mer eine jcjeben, der ich'ne Droschke rangeholt habe un de Pakete rein felangt. Zehn Pfennig— haha! Ob Du die hast oder nich, is janz schnuppe, langen tut's doch nich. Ich hatte noch nischt Warmes im Leibe jehabt, ich habe'neu Schnaps for je- trunken." „Jefes, Artur, nu habe ich gar nischte, ooch rein gar nischt for Fridchen!" „Fch kann Ter nich helfen!" Aber seine Stimme zitterte, als er das sagte. Er rief Fridchen heran und nahm sie auf seinen Schoß, und sie saß da ganz still. Sie merkte es wohl: heute durfte sie nicht plappern. Es war ein trauriges Schweigen in der kalten Küche. Mine trappte schwerfällig hin und her, zog den Tischschub auf. kramte im Schrank und durchsuchte die Taschen von Arturs Ueberzieher. Kein Stück Brot mehr, kein Endchen Wurst und auch kein Pfennig! Nur im Korb war noch eine Handvoll Kartoffeln und in der Tüte ein Restchen Kaffee. Ihre Hände zitterten, als sie von den lebten Preßkohlen in den Herd steckte und mit alten Zeitungen Feuer anmachte. Sollte sie zur Nachbarin gehen und etwas borgen? Ach, die hatte ja selber nischt! Zu den Schwiegereltern? Bei den'n ging's ja auch bald zu Ende! Wenn der Bäcker morgen nicht wieder borgte und der Kaufmann auch nicht, was dann---?! Heute hatten sie noch Kartoffeln, aber morgen—?! Eine plötzliche Schwäche ergriff sie: was sie in der Hand hielt, fahren lassend, sank sie niit einem lauten Aufseufzen auf den nächsten Sitz. lForisctzung folgt.) Die portrataiiöfteUuncr, In den Räumen der Akademie der Künste(Pariser Platz) hat der Kaiser Friedrich-Museumverein eine Ausstellung von Bildnisien aus dem lö.— 18. Jahrhundert veranstaltet, die in gewisser Hinsicht die vorjährige Ausstellung englischer Porträts er- ganzen soll. Sämtliche ausgestellten Gemälde befinden sich im Privatbesitz von Btitgliedern des Verein?, und die wenigsten sind bisher in Berlin ' ausgestellt gewesen. Die Veranstaltung, die in erster Linie natürlich für den Fachmann von Interesse ist, bietet auch dem großen Publikum vielerlei An- regungen, da sie, trotz zahlreicher Lücken, einen lehrreichen Ueberblick über die Entwickeluna der Bildnismalerei gibt und die Art und Weise der Porträtkunst in den einzelnen Entwickelungs» «pochen durch gute Beispiele charakterisiert. Eine eigentliche Bildnismalerei gibt cS erst seit dem 15. Jahr- hundert. Was das Altertum auf diesem Gebiete etwa geleistet haben mag, wissen wir nicht, da uns nur spärliche Reste aus später alexandrinischer Zeit(die sogenannten„Mumienporträts') er- halten sind. Während des Mittelalters, wo daS einzelne Individuum nur als unpersönliche Ziffer im Familien- verbände gezählt wurde, konnte sich die Porträtkunst nicht entwickeln. Sie entsteht erst als eine Folge der großen ökonomischen und geistiger, Umwälzungen, die das g e l d w i r t s ch a f t l i ch e Zeitalter begründeten und an die Stelle der gesellschaftlichen Ge- bundenheit und Beschränktheit des Mittelalters eine freiere, individualistische Kultur heraufführten. Damals, mit dem Beginn der Neuzeit, trat das menschliche Individuum als Machtsaktor in den Mittelpunkt der staatlichen, religiösen und künstlerischen EntWickelung, und die Werlschätzung des Einzelmenschen steigerte sich alsbald zu einem wahren Kultus der Persönlichkeit. Während die mittelalterliche Kunst inr Typischen stecken geblieben war, wandte sich die Kunst der Renaissancezeit mit Feuereifer der Dar- stellung deS individuell Charakteristischen zu. In der Poesie entstand das Drama, in der Malerei das Porträt. Diese Tendenzen wurden noch verstärkt durch die neu erwachende Liebe zur Natur. Die Lehre der mittelalterlichen Kirche, alles Natürliche und natürlich Sinnliche sei Teufelswerk, fand keinen Glauben mehr. Der vom Wust pfäffischcr Mystik gereinigte Geist und die befreiten Sinne vertieften sich in das Diesseits, in ein liebevolles Swdinm und ein freudiges Genießen der irdischen Welt. Die Nattir enthüllte ihre bisher unbeachteten oder gar verachteten Schönheiten. In jedem winzigen Detail entdeckte der Künstler neue, vorher nicht gekannte Reize, und mit sorgsamer Treue suchte er alleS wiederzugeben, wa8 er sah. Die ersten Bildnisse, die während der Frührenaissance in Italien und in den Niederlanden gemalt wurden, sind beredte Zeugen dieses neuen Geistes. Jede Falte und jede Runzel, jedes Haar, jede Warze und jede Bartstoppel wird dargestellt. Von den frühesten Erzeugnissen dieser Kunst zeigt die Ausstellung leider keine Probe. Aber das männliche Porträt(Nr. 5) aus der Schule des B e I l i n i, das Brustbild(Nr. 8) von B o t t i c e l I i und das Bildnis des niederländischen Meisters der Magdaleneir- legende(Nr. 78) geben einen Begriff von der Art und Weise der ältesten Porträtmalerci. Nachdem die Künstler sich die Natur erobert hatten, gingen sie daran, sie zu stilisieren. Die Autike, deren Studium man sich mit Eifer zuwandte, gab in gewisier Hinsicht die Norm. Ihr Ein- fluß macht sich zuerst in Italien und später auch in den anderen Kulturländern mehr und mehr geltend. Die getreue Wiedergabe der Natur genügte nicht mehr. Man strebte über sie hinaus nach stilvoll abgellärter Schönheit der Farbe und Linie. Die Errungenschaften der Vorbereitungszeit, eine vollendete malerische Technik und die unbedingte künstlerische Beherrschung aller Formen des Lebens, gestatteten den glücklichen Erben die freie Schöpfimg idealer Gebilde. Die Ausstellung enthält ans dieser Epoche, der sogenannten Hochrenaiffance, Arbeiten von Raffael (Nr. 125), Tizian (Rr. 147 und 148), V e c o n e s e(Nr. 17) und Tintoretto (Nr. 117—120). Der Unterschied zwischen ihnen und den Werken der vorhergegangenen Entwickeluiigsperiode springt so- fori in die Augen. Während die älteren Meister sich damit begnügt hatten, die äußere Erscheinung des Dargestellten einfach und treu wiederzugeben, streben diese Künstler nebenbei nach selbständigen ornamentalen Wirkungen. Sie suchen zu vermitteln zwischen dein persönlichen künstlerischen Drange und der Notwendigkeit, das Naturvorbild darzustellen. Das äußere Arrangement und die dekorativen Zutaten, wie z. B. reiche Stoffvorhänge, Dnsblicke in Landschaften usw., treten oft in den Vordergrund und dienen in ihrer Art, durch die besondere Stimmung der Linien und Farben, zur Verstärkung der Charakteristik. Ost verschwindet aber auch die Person des Dargestellten mehr oder weniger hinter dem schmückenden Beiwerk: die Orchesterbegleitung übertönt den Gesang. Nur die ganz großen Künstler wiffen den Zwiespalt zwijchen den beiden Tendenzen auszugleichen: bei den Geistern zweiten Ranges, an denen gerade die früher sehr überschätzte Hochrenaißance überreich war, heinmt und lähmt die Abhängigkeit des BildniskünstlerS vom Modell offen- sichtlich die Freiheit des Schaffens. Die Frage, ob und inwieweit ein Porträt„ähnlich" sein muffe, wird in der Stilkunst dieser Zeit zun: ersten Male aktuell. Auch die deutsche Malerei wurde vom Geiste der antikisierenden Renaissance berührt. Aber hier konnte das Streben nach formaler Schönheit den Sinn für das Charakteristische nicht wesentlich modifizieren. Wenn auch einzelne Künstler den italienischen Einflüssen unterlagen, so gingen doch die wirklich Großen ihre eigenen-Wege und trugen nur in gewissen Aenßerlichkeiten dem Zeitgeiste Rechnung. Die hervorragendsten deutschen Porträtmaler dieser Epoche, Dürer, Holbein und Lucas Eranach, find auf der Aus- stellung nicht vertreten. Rur von einem Meister zweiten Ranges, dem Kölner Bartholomäus B r u y n, finden wir eine Anzahl tüchtiger Bildnisse, unter denen namentlich das männliche Porträt auf olivgrünem Grunde(Nr. 12) durch kräftige Zeichnung und kolo- ristische Feinheit auffällt. Die niederländische Malerei hatte während des 17. Jahrhunderts ihre Glanzzeit. Zwei Schulen blühten nebeneinander: die vlämische im katholischen und spanischen Süden(dem heutigen Belgien ) und die holländische in dem politisch unabhängigen und proteftanlischen Norden(den heutigen Niederlanden). Das Haupt der vlämischen Schule war Rubens , das der holländischen R e m b r a n d t. Beide find auch als Porträtmaler tätig gewesen, und die Ausstellung zeigt von ihnen mehrere Arbeiten. RnbenS(Rr. 121, 122, 123 ist der blendendere, elegantere, geschmeidigere. Seine Gemälde sind mit effektvollem Schwung in virtuoser Technik auf die Leinwand geworfen. Die Freude am Leben, an strotzender Kraft und urwüchsiger Gesundheit spricht aus seinem Schaffen. Seine Zeitgenossen haben ihn in den Himmel erhoben, und noch vor wenigen Jahrzehnten galt er als einer der ewig leuchtenden Leitsterne in der Malerei. Ich will nicht behaupten, daß diese Begeisterung eine absolute Verirrnng war; cS ist möglich, daß nur eine vorübergehende Umwandlung des Zeit- geschmacks die Schuld trägt— aber man wird es nicht leugnen können: die Kunst des RnbenS steht uns heute recht fern. Sein barockes Pathos, seine oft schwülstige malerische Phrase und Pose, sein Mangel an Intimität und vertimter Innerlichkeit stoßen uns ab, trotz des Reichtums der Phantasie, trotz des echten Temperaments, das aus zahlreichen Bildern blitzt und funkelt, und trotz der glänzenden Bravour seiner Technik. Er kann unS blenden und berauschen, aber nicht erleuchten und erwärmen. Als BildniSmalcr arbeitete Rubens im allgemeinen gar zu sehr nach der Schablone. Die Menschen, die er darstellt, gehören alle einer Familie an und erfteuen sich durch- weg einer unwahrscheinlich blühenden Gesundheit. Sogar die ab- gelebten aristokratischen Schranzen, die er am spanischen Hofe zu porträtieren halte, erscheinen auf seinen Bildern als behäbige, rot- bäckige vlämische Spießbürger. WaS der Kunst des Rubens und der seines Schülers, des glatten und dekadenten van Dyck (Nr. 27—31) mangelt, Innerlichkeit
Ausgabe
26 (24.4.1909) 79
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