diese neue Langenschs Ausgabe infolge ihrer Sorzüglichen Aus- stattung und Vollständigkeit, ihrer sorgfältigen Behandlung des Tertes, der Eindringlichkeit der lesbar gemachten Sprache und nicht zuletzt des humanen Preises wegen als ein empfehlenswertes und ausgezeichnetes Volksbuch. Der Herausgeber hat die Willkür- liche alte Orthographie und Interpunktion dem heutigen Sprach- gebrauch angepaßt, dabei doch das altertümliche Zeitkolorit ge- wahrt, so daß man den in früheren Ausgaben verstümmelten Text, durch eine spröde, widerborstige Schreibart erschwert, jetzt in er- gänzter Fassung mit willkommener Erleichterung und mit Genuß liest. Daß Wilhelm Schulz der rechte Mann für die Umschlag- Zeichnung war, bedarf weiter keiner Versicherung. « Millionen, Novellen vonArtzibaschef f. München Vnd Leipzig, Verlag Georg Müller. Nach dem glücklichen Geschick der Konfiszierung und Wieder- freigäbe seines Romans Ssanin steht Artzibascheff, ein un- erschrockener Flügelmann der jungrussischen Literatur, auch bei uns Westeuropäern im Vordergrund des Interesses. Der Streit der Meinungen über den Kultirrwert dieser grellfarbigen Zustands- schilderungen des gewissermaßen auf eine Zivischenstation ge- schleuderten heutigen intelligenten Rußlands , das nach Artzibascheff in einem erotischen Krampf liegt, war eine gute Propaganda auch für seine Novellen. Sie segeln im Kielwasser des durch den Zensor bewirkten Erfolges. Immerhin, wie die Bedeutung Ssanins als Dokument der nachrevolütionären Epoche Rußlands mit der halb- asiatischen Erotomanie einer Gruppe von Verfallstypen nicht zu leugnen ist, so fordern die früher geschriebenen Novellen ebenfalls von dieser Perspektive aus Aufmerksamkeit. Sie sind gewisser- maßen Skizzen zum Roman Ssanin, wurzeln in demselben sexuellen Radikalismus und offenbaren schon eine erstaunliche Sicherheit des Ausdrucks sowie ein lebendiges Schilderungsvermögen. Wieder zeigt Artzibascheff in den Hauptgestalten die Repräsentanten einer Generation der entfesselten Instinkte einerseits und ihre dekadenten Gegenspieler, die märtyrerbasten Heiligen andererseits. Ein voll- beleuchtetes Bild der Libertinage ist die erste Novelle: Millionen, in die Sphäre des Jdeenfanatismus führt die zweite: Der Tod des Iwan Lande. Mischujew, der von Millionen und Weibern beglückte Mann, leidet und stirbt am Ekel des Besitzes. Alles kann sich seine Gier kaufen, aber inmitten der brutalen Wollust schlagen die Wellen trostloser Oeds über ihm zusammen. Hinter der Philosophie des Lebensgenusses lauert grinsend das graue Gespenst der Verzweiflung. Und wer zwischen den Zeilen liest, dem erscheint dieser Sexual-Kankan der Jung- rusfcn eben auch Verzweiflung, eine wilde Betäubung. Ein Stimulant. Was bedeutet der geschlechtliche Rausch, was be- deuten Millionen für jenes Glück, das aus innerer Befriedigung lächelt?? In der Untersuchung des Verhältnisses des Menschen zum Dämon Geld, des Verhältnisses der Geschlechter zueinander bekundet Artzibascheff in den beiden Novellen einen bohrenden Tiefblick. In bezug auf feine Psychologie stelle ich über die Novelle vom Seelcnbankerott des Millionärs die Märtyrergeschichte vom krank- haften Lebenslaien Twan Lande. Tolstoi steht hinter diesem sonderbaren Heiligen, den der Autor hier mit plastischer Deutlich- keit in seiner himmlischen Selbstlosigkeit, seiner Güte der Selbst- Vernichtung und christlichen Opfersucht schildert. In beiden Ge- schichten aber steht der Schwäche, dem Pessimismus der Männer die Stärke, die Heiterkeit der Frauen gegenüber, einem im Herzen alten Männergeschlecht die Jugendkraft eines zur Freudigkeit er- wachten weiblichen Geschlechts. Auch das stimmt wohl im heutigen Rußland . Der kleine Dämon. Roman von Fjodor Ssologub. Verlag Georg Müller, München und Leipzig . Nicht allein weil Ssologub einen schlechteren Uebersetzcr hatte, tvirkt er schwächer als Artzibascheff. Sein Roman ist auch von viel gröberer Mache, ost sogar dilettantisch, und hat die Signatur eines experimentierenden Absichtenbuches, das auf Sensation aus- geht. Augenscheinlich hat der Siegeszug von Ssanin(in Rußland ) Ssologub zu diesem Buch befeuert, das gleichfalls.ein erschüttern- des Bild des sittlichen Verfalls im modernen Rußland " gdjen will. Indessen, es kann in seiner in künstlerischer Form und in seinem spekulativen Geiste kaum einen Anspruch auf kulturelle Wertung verlangen. Es ist nicht, wie bei Artzibascheff, aus einer Welt- anschauung herausgeschrieben, nicht gehoben durch die Vergrößerung der Gestalten zu Typen noch von Gedanken über sittliche oder Sittenprobleme erfüllt. Am meisten jedoch verstimmt die mangelnde Konzentration auf das Stigma der jungrusfischcn Kultur oder Nichtkultur, von der doch die Rede sein soll. Ssologub gibt einen Kehrichthaufen von Auswurfsmenschen, Gauner, Be- trüger, Idioten, Wüstlinge. Es wird ein Panoptikum ordinärer Individuen in den verschiedensten Phasen ihrer Roheit, ihres Suffs und ihrer gemeinen Laster vorgeführt, in dem die Frauen von boshafter Tücke und von hündischer Feigheit vor der Knute des Mannes sind, während die Männer, brutal und zynisch, sich das Weib nur in wollüstigen Lagen vorstellen können und zwischen Schnaps und Ausschweifungen hin und her taumeln. Dieser Stoff, der sich zum Kulturbild runden sollte, ist nicht bewältigt und geht nicht zusammem Es bleiben aneinandergereihte Begeben- Heiken ohne eigentliche innere Idee, die nur ihrerSchauderhaftig- keit" wegen herbeigeschafft scheinen. Keine der Personen wird zum Träger eines seelischen Zustandes, eines kulturellen Symptoms im Zusammenhang mit dem allgemeinen Zustand und mit den Symptomen des Lebens, Denkens und Fühlens im modernen Rußland nach der Abkehr vom sozialrevolutionären Programm. Es sei denn, daß man Peredonoff, einem Lehrer, gebraut aus Viehischkeit, Dummheit und Wahnsinn, eine Bedeutung zuschriebe. Indessen mit dieser Gestalt ist Ssologub nur über den Umweg einer..Kulturschilderung" wieder bei seinem Lieblingsthema an- gekommen: der Analyse des Gespenstigen, Grausigen, der pshchi- schen Störungen. In einem grauen Kater mit grünen Auger» symbolisiert sich der Dämon des Verfolgungswahns, der an» Schlüsse Peredonoff zum Mörder macht. Und Ssologub zeigt, wie der kleine Dämon", der geistzerstörende Aberglauben und die Ver- rücktheit Peredonoff immer mehr umkrallt. Im kleineren Rahmen seiner Novellen verstand Ssologub mit exzentrischen Stoffen zn fesseln, in der breiten Weitschweifigkeit des Romans ermüdet er. Orklfchc Ortsnamen« In gegenwärtiger Zeit, in der die türkischen OrtS« namen in den Zeitungen eine tägliche Erscheinung find, dürsten peinige Bemerkungen über jene nicht überflüssig er- scheinen. Zunächst sehen wir, daß die türkische Sprache sehr feine Nuancen hat, die dem Ohr des Abendländers meist entgehen oder verschieden aufgefaßt werden und daher auch zu verschiedener Aussprache führen. Die Verwechselung der Vokale ist eine sehr gewöhnliche und man liest Alma und Elma, Jeni-tscheri und Jani-tscheri(Neusoldaten), Kutschuk und Kütschük( klein, welches Wort im Tatarischen als kitschil erscheint und als solches auch in die ungarische Sprache übergegangen ist). Auch ist die Aussprache der Türken selber sehr verschieden; von Hammer, ein guter Kenner des Orients, sagt, daß er sowohl Mehmed wie Mohammed und Mahomud habe sprechen hören. Die türkische Sprache zerfällt in zwei Hauptdialekte: in das eigentlich Türkisches wie es in der europäischen Türkei , und in das Uigursche, das Vorzugs- weise in der asiatischen Türkei gesprochen wird. Beide Hauptdialekte find mit dem Tatarischen und mit der Sprache der Kaptfchaken sehr verwandt und enthalten auch fremde, besonders arabische und persische Wörter. Es ist also sehr natürlich, daß bei der Verschiedenheit der Dialekte auch die Benennungen sehr verschieden sind. So finden wir für das Wort Dorf die Benennung Kör, Tochori. Sola und in der Krim auch Eli, welch letzteres Wort mit den» ungarischen Hely, Ott, wie es z. B. in Ujhely(Reuort) oder Basarhelq(Marktott) gleichbedeutend mit Bazardschik zu finden ist. Es ist also Jenikvi und Jenisala gleichbedeutend, denn beides heißt Neudorf, und wie man in der Türkei ein Albani- tochori(Albanesendorf) findet, so trifft man in der Krim ein Ticherkes-öli(Tscherkeffendorf) air. WaS die TscherkessenAul* nennen, das heißt bei den Tataren Pauk, woraus durch Ver- Wandlung und Versetzung der Buchstaben das ungarische Jalu(Dorf) entstanden ist. Einen Berg, der einem Flusse oder einer Quelle den Ursprung gibt, nennt der Türke gern einen Fluß- oder Quellen- köpf, und daÖsen* in der Krim einen Fluß undBäsch" im Türkischen Kopf bedeutet, so ist der Name der vielgenannten Dörfer in der Krim Bujuk- Osenbasch(Großflußkopf) und Kütschük- Osenbasch(Kleinflußkopf) hiermit übersetzt. Zu bemerken ist nur, daß auf der Karte von Huot statt Bujuk stets Biiouk geschrieben steht, und es kommen auch noch viele andere wesentlichere Fehler vor. In der Türkei finden wir Bunarbasch(Ouellentopf), da Bunar Quelle oder Bnmnen bedeutet und auch wie viele andere türkische Wörter in die serbische oder, was dasselbe, in die illyrische Sprache aufgenommen worden ist. Der Berg, der in der türkischen Sprache Dagh" heißt, kommt oft mit dem Eigcnschastswott Kara(schwarz) vor, und es heißt also Kardagh der schwarzeBerg; man findet aber auch Akdagh(der weiße Berg), Babadagh(der Vaterberg) und viele andere Verbindungen mit Dagh. Eine in der türkischen Sprache sehr oft vorkommende Bezeichnung eines Gebirges ist das Wort Jaili oder Jailasst, das ganz unseren Alpen entspricht. Sowie bei uns auf den Alpen oder Almen Sennhütten find, so findet man aus den türkischen Bergen die Jaila, was eine Sommer- Wohnung bedeutet und dem Gebirge den Namen gegeben hat. Auch in der südöstlichen Krim findet man ein Jailagebirge und anderweitig die KiraSli-jaila(Kirschalpe), Kisbunar-jailassi(Jungfrau- brunnenalpe). Ein enger Gebirgspaß heißt bei den Türken gewöhn- lich Demir-Kapu(Eiscntor), und das sogenannteeiserne Tor" ist mir eine Ilebertragung des Tüttischen in die deutsche Sprache. Das WottDerbend" oderDer-band" hat v. Hammer sehr entsprechend mit.Torband" übersetzt. Auch wird bei den Türken, ebenso wie bei anderen Völkern, das WortTo ich"(Stein) oft als Otts- name gebraucht, z. B. Attun-tasch(Goldstem), Abtasch(Weißstem) in der Krim , Kisil-tasch(Notstein) usw. Bei den Flüssen, die Tschai, Ozen oder Usen, Tarja oder schlechtweg Su, Waffer, genannt werden, spielt das Eigenschasts- wort Kara eine große Rolle, und man findet nicht nur in der europäischen und asiatischen Türkei das Schwarz-Wasscr, Karasu,