Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 88. Dienstag, den 4. Mai. 1909 (Nachdruck perdotetr) t] Erkaltung der Kraft. Novelle von Timm Kröger. 1. Kapitel. Erhaltung der Kraft. Martin Uhrhammer, der jetzt den Hof verwaltet, war ein kleiner Knabe. So lang ist es her. Im vorigen Jahrhundert war es. im Aufstieg zur Mitte, öamals als empfindliche Nerven schon das gewaltige, im tollen Jahr sich entladende Gewitter verspürten. Es war, als man anfing, die im All aufgesammelte Energie als eine bleibende, in alle Formen wandlungsfähige zu erkennen. Um die Zeit, als man versuchte, das Gesetz von der Erhaltung der Kraft zu formulieren. Gedanken und Ideen fliegen wie Distelsamen an schönen Herbsttagen. Nach Altenhof, der Besitzung der Uhrhammer- familie, war auch etwas hingeflogen. Wenn man aus dem Baumschutz des Hofes tritt und am Backhaus vorbei den Fußsteig entlang über die hohe Koppel geht, dann hat man eine weite Aussicht über Wiesen und Moore. Denn Altenhof liegt auf freiem gegen die Niederung vorgeschobenen Gelände und ist von einem Hügel gehoben. Nach West und Süd und Nord fliegt der Blick. In langer Binsenlinie windet sich der Fluß, und durch weiche Wiesen nach Norden zu blinkt der Hechtsee aus Ried und Rohr. Dies Wild vor Augen ging ein Sohn des Hauses über die hohe Koppel in die Fremde, damals als man in der gelehrten Welt anfing, von der Erhaltung der Kraft zu reden. Warum? Mit dem Hinweis auf die Zeit und ihre Triebkräfte kommt man nicht aus. Hier lag es tiefer, lag in der Natur der einanderstoßenden Kräfte, es lag im Wesen von Vater und Sohn. Vielleicht lag es schon bei Eltern und Voreltern oder gar im Ackcrgrund von Altenhof: mit einem Wort es lag in dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft. Die Heimat der Uhrhammer war für die Ausgestaltung eigenartiger Rechtsbildungen fruchtbarer als andere deutsche Länder. Man muß dort immer ein paar Spatenstiche tiefer graben als anderswo. Ueppig wuchern die Rechtsfornien, Rechtsbildungen und Gebräuche zumal bei V-rerbung von Bauernstellen. Denn der Landmann fühlt, daß eine fort- währende Teilung von Grund und Boden dem Selbsterbal- tungstrieb des Standes widerspricht; deshalb hat es die Sitte mit sich gebracht, daß ein Vater bei gesunden Tagen an eines der Kinder Haus und Hof zu billigen Bedingungen abtrirt, sich selbst einen Altenteil(Verlehnt) vorbehält und den andern Kindern eine mäßige Abfindung, wie sie die Stelle tragen kann, sichert. Meistens war der älteste Sohn der gegebene Stammerbe, zuweilen aber auch, am häufigsten bei jungen Eltern, der jüngste. In den meisten Gegenden blieb es bei dieser Sitte, ohne daß sich die Obrigkeit dahinter stellte, in andern verdichtete sich das, was Sitte gewesen war, zu einem erzwingbaren Reckst, was denn grob und plump mit seinem Kolben auf die Fuß- bodenbretter stieß, die einen Tag vorher noch die Sargfüße getragen hatten. War bei Lebzeiten nicht Vorsorge getroffen, dann schlüpfte die weiche, bleiche Sitte in den harten Panzer des Gewohnheitsrechts, ließ den Zeigefinger im Kreise der Kinder umlaufen und wies meistens auf den Aeltesten: Du bist Anerbe! zuweilen aber auch auf den Jüngsten: Du hast das Recht, den Hof zur sogenannten Bruder- und Schwestertaxe zu übernehmen! Distrikte mit dem Anerbcnrecht des Jüngsten gab es in- dessen nur wenige; wie Sprengstücke war es über das Land hingeflogen, aber gerade in Altenhof war ein solches nieder- gefallen. In Altenhof galt das Anerbenrecht des jüngsten Sohnes. Und das war es, was Fritz Uhrhammer am Back­haus vorbei über die hohe Koppel in die Fremde trieb. Der alte Uhrhamnier war nicht früh zur Heirat ge- kommen. Nach Fritz eine Reihe schwächlicher Abkönimlinge, von denen keiner groß geworden war, zuletzt ist Martin gc- boren. Die Mutter ist dann unerwartet gestorben, der Witwer hat mit seiner Schwester bis zu ihrer Verheiratung(sie bekam Karsten Schröder, den Besitzer von Falkenstein auf der anderen Seite des Hechtsees) Haus gehalten, hat dann seinen Witwer- stuhl selbst verrückt, ein ältliches Mädchen geheiratet und mit ihr noch den Spätling Klaus, den jüngsten Sproß des Stam- ' mes, erhalten. Bald darauf hat er die zweite Frau auch der- loren die alte Magd Grete Todsen steht seitdem dem Haus« halt vor. Die Vermögensumstände waren nicht günstig, ohne Fritz wäre der Hof nicht zu halten gewesen. Fritz aber tat, was er konnte und hielt ihn. Und er tat es mehr aus Pflichtgefühl als aus Neigung. Denn in ihm lebte etwas von dem Klüter- geist, den man seiner Sippe nachsagte. Ein Urältervater sollte schon vor hundert Jahren eine Dreschmaschine hergestellt haben, deren Gedanken in den modernen Erfindungen wieder- kehren. Am liebsten hätte er ein Handwerk erlernt, er wollte aber darauf verzichten, wenn der Alte ihm den Hof zusage. Das tat der aber nicht. Die Billigkeit des Begehrens sah er wohl ein, er konnte aber nicht über gewisse Zwangsvorstellun- gen hinweg. Gott hatte das Anerbenrecht des Jüngsten an- geordnet, dabei mußte es bleiben. Gott werde seine Gründe gehabt haben, für Altenhof festzusetzen, was er festgesetzt hatte. Es sei nicht gut, klüger sein zu wollen als der liebe Gott. Eines Tages kam es zum Bruch. Fritz war jung, sein Vater alt, sie verstanden sich nicht. Der Alte nicht den Lebens- trieb des Jungen, der Junge nicht die Scheu des Alten vor der hergebrachten Ordnung. In seinen Augen hatte sie eher einen gotteslästerlichen Anstrich als einen gottesfiirchtigen. Er konnte sich nicht Helsen , sie reizte ihn und machte ihn heftig. Gut, Vater", antwortete er,dann kannst Du mir nicht verdenken, daß ich anderswo mein Glück suche. Ich will mich hier nicht alt und krumm arbeiten und dann mit einem Stock davon gehen. Da nehme ich lieber gleich Stock und Ranzen."Das tu," antwortete der Alte.Das, was Dir von Mutterwegen zukommt und ein wenig zur Abfindung vom Hof das sollst Du gleich haben. Dann sind wir aber auch quitt." Er bekam wirklich, mußte aber vor Notar und Zeugen bescheinigen,daß ihm nunmehr keinerlei Rechte, sie möchten Namen haben, welche sie wollten, auch keine Erbrechte an Altenhof, an seinen Vater und seines Vaters und feiner Mutter Nachlaß zuständen, daß er vielmehr vollständig ab- gefunden sei." Den größten Teil seiner Abfindung brachte Fritz nach der Sparkasse, das andere tat er in seinen Geld- beutel, packte seine Habseligkeiten, schnürte sein Bündel und ging aus der Stube, die große Diele entlang aus dem Dielen- tor und dann nach dem am Backhaus auslaufenden Hinter� steig zu. Es war gegen Abend, die Sonne stand nicht mehr hoch, der Vater rief in einer Anwandlung von Milde dem Davon- gehenden nach:Fritz! Peter kann morgen früh anspannen und Dich hinfahren: mich dünkt, heute schlaf man noch in Deines Vaters Haus." Tut nicht nötig, Vater, ich komm leicht über, in der Kühle geht sich's gut und in unserer Abrechnung steht nichts von Fuhrlohn." Fritz hatte sich seinem Vater zugewendet, als er das sagte, er kehrte sich gleich wieder um und ging. Dem Alten zitterte die Lippe, er antwortete aber nichts. Er tappte auf die Diele zurück und die Diele entlang nach der Stube hin. So ging Fritz über die hohe Koppel, der kleine Martin weinte neben ihm her. Der Sonnenball war groß und rot geworden und fing an zu versinken, und dort, wo Hamaschen, das Kirchdorf, lag, ragte das feine Fingcrchen eines Türmchens auf. Den Kleinen hielt Fritz an der Hand und tröstete ihn. Er wolle wiederkommen und Martin ein Rüterpferd mit- bringen. Der Kleine aber weinte und' weinte. Ein Rüter- Pferd wollte er gar nicht. Er wollte wissen, wenn Fritz zurückkehre. Wenn Du so groß bist, daß Du ein Fuder Heu aufstaken kannst. Und das wird doch nicht lange dauern was?" Sie waren auf cher Höhe der Koppel angekommen, die Sonne war hinab, und Abendrot stand am Himmel. Und aus Ried und Rohr leuchtete der Hechtsee wie Blut und Feuer herauf.