Zweites Kapitel.

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Schwur der Treue. Zu Wasser und zu Lande. Am folgenden Morgen spannte Martin an, nach dem Kirchdorf zu fahren und den Sack Grüße zu holen. Er nahm den gelben Kastenwagen, die beiden Schimmel und, weil Sonntag, das neue Silbergeschirr. Das Handpferd band er, da es jung und flüchtig war, an des Leitpferds Bug.

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Er hatte als Feldartillerist gedient, war sogar Unter­offizier dieser Waffe, war groß und stark, wußte mit Pferden umzugehen. Flott rollte das Gefährt aus dem Hector, die Rosse wollten zum Galopp, ansetzen, durften aber nur tanzen und sich die Schaumflocken auf den Rücken werfent. Licht und warm stieg der Tag herauf, durch die Gebüsche des Knicks Ieuchteten fernher Wiesen im Sonnenglanz. Bei Bock und Bollert ging es vorbei, nach wenigen Minuten( der Bauern­hof Lust liegt am Rande) fuhr Martin in die Niederung hinab. Gradeaus der alte Fährdamm. Früher, als die Furt noch durch den Hechtsee ging, ein breiter Verbindungsweg, jezt nur noch ein Heuweg. Seitdem die Aubrücke gebaut ist, fährt man links unter der Höhe hin. Bei der Brücke mündet auch der über die Koppeln leitende Fußsteig.

Ein alter, langer, grader Mann stellte sich mitten im Wagengeleise auf, das war Peter Bauervogt, der nun schon manches Jahrzehnt das Zepter in Händen hält. Er hat was Biblisches, was Prophetisches in Bart und Antlig, hat ein lachendes, verwittertes, von Wind und Wetter und Ge­sundheit gedörrtes Faltengesicht. Er ist ein Allerweltsker!, heißt deshalb auch im ganzen Dorf Ohm.

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Dag, Matten wullt na Hamaschen?" Ja, Chm."

" Denn hest arigen langn Weg!"

,, A, dats wull ni so slim."

,, Wult wiß öwer de Brügg."

" Ja, wonehm schull ik denn sönst öwer willn?" " Ja, min Jung, dat geit man ni." ,, Warüm geit dat ni?"

,, De Brügg is' twei." ,, A, watt!"

Und Peter Ohm erzählte, wie die Brücke schon längst nicht mehr getaugt habe und daß es ein Wunder sei, wenn es ohne Unglück abgegangen. Heute morgen aber, als Hinnert Martens, der Maschinenmensch, mit seiner Lokomobile hin­übergefahren, sei der letzte, am andern Ufer stehende Pfeiler eingefnidt.

( Fortsekung folgt.)

Merkur."

( Nachdruck verboten.)

Unter dem heiteren Himmel Westarabiens fiben Männer aus dem Stamme der Asediten und halten eifrig Ausschau nach ihrem Gestirne, Merkur, dem Götterboten, der ihnen heilig ist und die olympischen Hallen verlassen will. In Helios Diensten wandelt er auf Uranias Pfaden und stimmt mit ein in das herrliche Lied der Sphären, das durch des Weltalls weite Räume flingt. Jugend­frisch und in strahlendem Glanze durcheilt er mit hastigem Schritte die weiten Täler der Sonnenau und kreist unaufhörlich um das Tagesgestirn, dessen kleinster Sohn er ist. Einst, vor Millionen bon Jahren, strahlte auch er noch als ein selbstleuchtender Stern; aber heute hat er in der Phase kosmischer Entwickelung schon einen großen Schritt vorwärts getan. Acht Millionen Meilen von der Sonne entfernt, läuft er dieser bald voran als Morgenstern, bald folgt er ihr, und dann funkelt er als Abendstern tief im Westen. Niemals zeigt er sich um Mitternacht am Firmamente. Immer bleibt er wie ein schüchternes Kind in der Nähe der Sonne, die ihn mit ihrem Strahlenmantel liebevoll bedeckt. Deshalb sehen wir ihn auch nur selten am Himmel.

Kopernikus  , der fiebzig Jahre alt wurde, soll es auf seinem Totenbette noch beklagt haben, daß er niemals den Merkur zu Gesicht bekommen hatte, und Mästlin, Keplers   berühmter Lehrer, verspottete jeden, der Lust zu Merkurbeobachtungen verspürte. Stets sind es nur einige wenige Tage während eines Merkur­umlaufes, wo der Planet über dem Horizonte weilt; aber dann muß sein Standort am Horizont von Dünsten frei sein, wenn wir ihn sehen wollen. Im Teleskop kann man ihn allerdings auch am hellen Tage auffinden, wenn man den Ort kennt, an dem er sich gerade befindet. 320 Meilen ist der Halbmesser dieser kleinen Welt­kugel lang, die nur dreimal größer ist als unser Mond.

Zwanzig Merkurbälle wären nötig, wenn wir einen Erdball aus ihnen formen wollten; aber vierzehn solcher Kugeln würden schon genügen, um, in die eine Wagschale gelegt, unserer Erde das Gleichgewicht zu halten. Im Laufe der letzten beiden Jahr­

*) Von Anfang Mai bis Mitte Juni d. J. ift der Planet Merkur für uns außergewöhnlich gut sichtbar.

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hunderte hat man wiederholt den Versuch gemacht, die Masse, bie Schwerkraft und die Dichtigkeit des Planeten genauer zu bes stimmen; indes alle diese Bemühungen führten bisher zu feinem befriedigenden Ergebnisse, weil die Dichtigkeits- und Gewichts­bestimmungen fich nur aus der Summe der Anziehung berechnen lassen, die Merkur auf seine beiden Nachbarn im Sonnensystem, übt, wenn dieser an ihm zufällig einmal nahe vorübergeht. Jener die Erde und die Venus  , oder auf einen Kometen zuweilen aus­Erdstern ist, ebenso wie unser Mond und die Venus  , einem Phasen. wechsel unterworfen, die Zupus im Jahre 1639 zuerst wahrnahm. Schröter in Lilienthal  , ein sehr tüchtiger Planetenforscher, hab diesem Lichtwechsel des Merkur dann größere Aufmerksamkeit ge­schenkt und wollte im Jahre 1802 an den Hörnerspißen der Sichel wiederholt dunkle Fieden gesehen haben, die er als Land und Wasser deutete. Bessel in Königsberg   hat aus diesen Flecken dann die Achfendrehung des Merkur zu 24 Stunden abgeleitet, aber Schiaparelli wies im Jahre 1882 auf Grund seiner Beobachtung daß also seine Rotation und Revolution einander gleich seien. Bon nach, daß der Merkur sich in 88 Tagen einmal um seine Achse drehe, dem Planeten hat Schiaparelli auch sehr schöne Karten entworfen, auf denen besonders die Fleden und Streifen charakteristisch her­vortreten. Polarflecken, die wir auf dem Mars   ja seit langem schon fennen, will man auch auf dem Merkur gefehen haben, und aus einer dunklen Region am Südhorn der Phase schloß Schröter schon auf das Dasein eines langen Gebirgsstodes, dem er die fabelhafte Höhe von 60 000 Fuß gab. Solche Berggiganten gibt die Sonne seine Spiken und Grate vergoldet, einen langen, tiefen es auf Erden nicht! Dieses gewaltige Merkurgebirge wirft, wenn Schatten in die noch im Dunkel der Nacht liegenden Täler zu seinen Füßen. Die letzten Ausläufer des Hornes bleiben uns deshalb berborgen, und es erscheint erst wieder in voller Tagesbeleuchtung, wenn der Sonnenball den Kamm des Gebirges überschritten hat und die dahinter liegende Landschaft mit seinem Strahle am jungen Frühmorgen dort verklärt. So kann man im Fernrohr aus den Schatten der Nacht und dem Morgengrauen auf jener Welt Schlüsse ziehen über die Länge des Tages dort und über die Höhe der Ge­birge. An der Hand des Experiments hat Villiger nachgewiesen, daß die parallel zur Lichtgrenze fich dehnenden dunklen Streifen und Banden weder Land noch Wasser, sondern optische Täuschung find, hervorgerufen durch Kontrastwirkungen. Spätere Beob achtungen des Merkur werden also auch in dieser Frage noch gar bieles aufzuklären haben, vor allem, welche Gebilde der Oberfläche des Planeten angehören und wie schnell er sich um seine Achse dreht. sehr hoch und dicht sein muß. Man hat dem Merkur diesen Luft­Der jüngste Bruder unserer Erde befißt eine Atmosphäre, die mantel nicht gönnen wollen; aber die jüngeren spektroskopischen Untersuchungen haben das Dasein seiner Atmosphäre erwiesen. Geht der Planet einmal über die lichte Scheibe der Sonne hinweg, dann ist er wie von einem Glorienschein umgeben, ein Beweis dafür, daß er einen Luftgürtel besitzt, wofür auch noch die Tat­sache spricht, daß der innere Rand der Merkursichel dem Auge des Beobachters fich als verwaschen zeigt. Infolge seiner großen Nähe bei der Sonne müssen die Lebensbedingungen auf jenem Körper auch ganz andere sein als bei uns auf der Erde. Wir Menschen fönnten dort oben nicht eriftieren, es sei denn, daß die Atmosphäre des Planeten eine ganz eigenartige Zusammensetzung aufweisen würde und den grellen Sonnenstrahlen nur bis zu einem ganz be­stimmten Grade den Eintritt gestattete. Unsere Meere und Seen, nach dem Merkur verpflanzt, würden dort oben gleich Kochtöpfen brodeln, und das siedende Wasser in ihnen würde am Tage ver­dampfen und zum Firmamente emporsteigen. Nachts aber gingen schauerliche Plazregen hernieder. Wenn es auf dem Planeten eine Flora gibt, dann müssen die Pflanzen ungemein zart gebaut sein. Zur Zeit der größten Sonnennähe sehen etwaige Merkurbewohner unser Tagesgestirn zehnmal größer und zur Zeit der größten Sonnenferne immer noch 42mal größer als wir Menschen. Welch riesenhafter Feuerball muß den Merkurtag erleuchten! Auf der in Nacht und eifige Kälte gehüllten Seite des Merkur, die ja nach Schiaparellis Ansicht der Sonne abgewendet ist, würde sich unserem Auge ein wunderbares Bild entfalten. 44 Tage lang weilt jeder Fixstern im dunklen Aether, und 58 Tage lang hängt unsere Erde mit purpurnem Lichte am nächtlichen Himmel des Merkur. Wenn aber einmal die Erde, die Venus   und der große Jupiter unter den Sternen dort stehen, dann muß das Bild des Sternenhimmels ent­güdend sein.

In seiner Erdnähe erscheint uns der Merkur unter einem Winkel von 13 Sekunden und in seiner Erdferne unter einem solchen von 4% Sekunden. In beiden Fällen sehen wir ihn nicht ,. weil er das ein Mal vor der Sonnenscheibe, das andere Mal aber hinter dieser steht. Zur Zeit seiner Erdnähe müßten wir ihn eigentlich jedesmal als ein kleines schwarzes Scheibchen über die Sonnenscheibe hinwegwandeln sehen, und zwar immer nach Ablauf von etwa 116 Tagen; aber das geschieht nicht, weil seine Bahn­ebene gegen die der Erde um sieben Grad geneigt ist. Er geht deshalb meist ober- oder unterhalb an dem Sonnenkörper vorbei. Steht nun aber einmal der Merkur mit unserer Erde und mit der Sonne in der Schnittlinie der beiden Bahnebenen, dann sehen wir auch den Planeten auf der Sonnenscheibe. Wie ein fleines schwarzes Perlchen hebt er sich von dieser ab und zieht langfam über sie hinweg. Ein solches Phänomen nennt man einen Mer­furdurchgang, und der 14. November 1907 brachte uns wieder einen solchen. Leider war infolge des Nebels nichts davon zu sehen.