Schöne Brunnen. Stein Platz ist einsam, tvo ein Brunnen rauscht. Die Land- schaft wird lebendig, wenn ein Wäfferlein plaudert, und die Wanderung kurzweilig. Auch in der Stadt ist das Wasser be- lebendes Element. Hier hat sich die Kunst seiner bemächtigt, um die Wirkungskraft zu steigern. Brunnen sind fast die einzigen architektonischen Denkmäler, welche die Städte einst besaßen. Das haben die alten Städtebauer gut verstanden. Brunnen, die man in alten Städten oder Stadtteilen erblickt, sind ein Labsal, nicht nur für die Durstigen. Die rhythmische Monotonie des strömenden Wassers gleicht die disharmonischen Stratzengeräusche aus. Sie webt ein feines, gleichmafchiges Tonnetz durch den zerstückten und abgerissenen Lärm, bindet und verebnet, nimmt seine Härten und trägt ihn im ruhigen Flusse gebändigt und besänftigt fort. Und sinkt die Stille der Nacht auf den Stadtplatz herab, dann tönt sie wie sanfte, einlullende Musik. Der Stille nimmt sie das Bange, Membeklemmende, die Erstorbcnheit. Urweltslieder sind es, die jedem Röhrbrunnen entsteigen, ein Rauschen, das schon im Anfang der Welt dasselbe war. Eine Welt homerischer Stimmungen er- wacht, Böcklinsche Bilder, wenn man will, inmitten kleinstädtischer Philisterei. Tic Stimme des Meeres, der großen Mutter, lebt in dem kleinen Wasserstrahl, tönt nach: ein fernes Echo des Meeres. das nach Thales von Milet  . dem Schnherrn unserer Philosophie. der Urgrund aller Dinge war. Der Mensch schaut darin sein eigenes St)mbol. Beide sind verschwiegenes Nebelheim. Man kennt nicht die verborgenen Wunder des allumfließenden Wassers. Kein Blick durchdringt alle Tiefen der Seele, so streng und tief hüten beide ihre Geheimnisse. Ein Abgrund sind sie, ost ein grauen- voller Abgrund. Jeder Brunnen umschließt ein solches Symbol. Und aus der Tiefe des rauschenden Brunnens steigen alle rätsel- haften, wundersamen Gestalten, mit denen die wundersame Phan- tasie das Wasser belebt hat, empor und sind Stein geworden, ober- halb des Brunnenrandes. Edle Plastik I Und wie das Mas zwischen den Steinstusen sproßt, blüht unvermerkt und ungerufen das Volkslied empor.Am Brunnen vor dem Tore.. Das war einst der gesellige Sammelpunkt der Stadt, und unter dem Rauschen des Wassers ward der Klatsch gepflegt. Und die Kinder der Dienstbarkeit kamen mit Kannen und Krügen, und in das Plätschern mischte sich lautes Gelächter. Aber wenn es still ward und einsam, schlich oft ein Gretchen, mühselig und beladen, und jammerte vor dem Brunnen:Wie könnt ich einst so tapfer schmälen..." Und manche Klage verrinnt im Rauschen, und manche Träne rollt ins Becken, ein Tropfen unter Millionen von anderen, nur ein wenig salziger als die Brüder, und steigt zum Himmel empor als lichte Wolke und sinkt nieder in den Schoß des Meeres, wo sie mit unzählbaren anderen Tropfen in unendlicher Klage aufrauscht, scheu und wild, als ob alle Tränen der Welt da gesammelt wären und alles Weh zusammenklänge. O Menschl Alle Brunnen sind davon voll, und aus der Tiefe klingt es wie eine versunkene Glocke. Wie das Wasser zieht I Neigt man sich über den Rand, un, die heißen Lippen zu netzen, so erschaut man sein eigenes Bild. In allen Dingen erkennen wir gerne unsere Züge. So zu sehen ist eben Menschenart. Alle Kunst wurzelt darin. Vermenschlichen will sie die außermenschliche Natur, da° ist ihr Sinn. Am Brunnen wird es offenbar. Ein Naturelement yat sie zu fassen, und was hat sie da nicht alles getan I G'eht man durch irgendeine alte Stadt oder einen alten Stadtteil, so steht man oftmals still im Banne eines solchen edlen Gebildes. Die neuen Stadtteils entbehren eines derartigen Schmuckes. Das wäre den Stadtvätern zu sagen, und alle schönen Möglichkeiten wären ihnen ans Herz zu rücken, die sich bei der Betrachtung der Seele er- schließen. Ist diese Sache bloßer Schmuck? Ei, da wäre wegen des Aufwandes manches Bedenken zu erheben. In der Tat aber ist sie zugleich eine hygienische Notwendigkeit, die nur deshalb nicht erörtert wird, weil man sie ohnehin gerne einsieht, Wir haben also das Glück, die Angelegenheit rein künstlerisch betrachten zu dürfen. Steht der Künstler vor der Äufgo!»?, so er- schließen sich ihm tausend verlockende Wege. All: Geister haben ihm vorgcleuchtet, alle Kulturen bis ins graue Altertum hinein. Unerschöpflich sind die Gestaltungsmöglichkeiten, die das strömende, rinnende, spritzende oder ruhende Wasser darbietet. Die Phantasie aller Völker und aller Zeiten hat dem Meißel des Bildners vor- gearbeitet und eine Märchenpracht erschlossen, vor der die schön- heitssuchenöe Seele erschauern muß. Aber alle Wege, die in die Schatzkammer der Ueberlieferung führen, sind schon begangen worden. Viele dieser Wege sind sogar schon unzäh''ge Male be- gangen worden und werden es immer wieder. Fast überall arbeitet der Meißel dem Liede nach, folgte die plastische Bertörperung dem rein dichterischen Bilde. Der suchende Künstler mag die Ärgo- nautenfahrt versuchen, er mag die Griechenmeerc durchqueren und alle mythologischen Bewohner der Gewässer bis zur fernsten Quellennymphc im Hirtenrciche Arkadiens aufsuchen und sich ihre Legenden erzählen lassen. Er mag sich aus der Heiterkeit des griechischen Götterhimmels in das NiflHeim der Nibelungen be­geben, oder, wenn es ihn gelüstet, den Ritt ins alte romantische Land unternehmen, den deutschen Zauberwald erforschen und bei den Undinen und anderen Kindern des feuchten Elements sein Glück probieren. Aber er glaube nicht, daß er der erste sei. Und sei es der seltsamste und köstlichste Stoff in irgendeiner Stadt steht ein Brunnen, wo er sicherlich verwendet ist. Aber was liegt daran? Der selbständige Künstler wird jeden Stoff neu und inte« essant gestalten, denn schließlich ist in der bildenden Kunst die Form das Entscheidende. Könnte es nicht der Fall sein, daß unter den Plastikern einer kommt, der, mit einem Nnturgefühl begabt wie Böcklin   oder Segantini  , eine homerische Stimmung hinzaubert, mitten in den Alltag, ursprünglich und neuartig und dennoch nicht über den bekannten Vorstelluugskreis hinausgehend? Es könnte ganz gut möglich sein, meine ich. Jede Stadt könnte einen Nibe« lungenbrunnen haben, und er könnte in jeder Stadt merkwürdig und anziehend sein. In allen Fällen aber würde sehr viel darauf ankommen, daß das Wasser selbst in den Dienst der plastischen Idee gestellt, seiner Natur gemäß behandelt werde, was die Barock  - kunstler so trefflich verstanden haben, von denen die historischen Gärten manches gelungene Werk bis heute bewahren. Denn beim Brunnen und auch beim ornamentalen Brunnen ist das Wasser doch die Hauptsache, und die Architektur, die es einfaßt, zusammen- hält oder darbietet, und die edle Plastik, die das Werk beherrscht» um dem Gedanken des Ganzen einen bestimmteren, verdichteten symbolischen Ausdruck zu geben, sind doch eigentlich hervorgegangen aus dem Wesen dieses Naturelements und dadurch formal bedingt» Brunnen, an denen das Wasser durch Turbinen hervorgetrieben» gepeitscht und mißhandelt wird, so daß man an seiner Erscheinung nicht so sehr seine edle Natur betrachten als vielmehr die Wirkung der Maschine unerquicklich nachfühlen kann, sind unkünstlerisch. mag auch die Plastik für sich allein bedeutend sein. Denn dann ist e i n Teil nur Vorwand des anderen, und das Werk zerfällt iit zwei Hälften, die kein Ganzes bilden.' In einem öffentlichen Garten, wo viele Liebespärchen spazieren! gehen, glückliche und unglückliche, steht ein anmutiger Brunnen, mitten im Teich, darin sich hoch aus den Binsen ein seltsames Liebespärchen erhebt, ein Triton und eine Nymphe. Die Liebenden, die hier vorüberwandeln, können sich, sofern sie es beachten, an dem satyrischen Widerspiel erfreuen. Auf sie blinzelt der Triton aus dem Schilfe, er drückt die geraubte Nymphe, die sich schreiend wehrt, an sich, und weit im Bogen speiend höhnt er mit fratzen-» haftem Grinsen herab. Was mir an diesem Brunnen bedeutsam ist, das ist der Wasserspeier. Es liegt nichts Widerspruchsvolles oder gar Widerwärtiges darin, daß der Wasserstrahl aus dem Munde schießt, denn das Wasser ist des Tritons eigentliche Heimat» Dagegen wirkt es abstoßend, wenn irgendeine menschliche Figur, die nichts von dieser Amphibiennatur besitzt, als Wasserspeier ver- wendet wird, wie man es an Brunnen der Neuzeit oftmals vor- findet. Aeltere Kunstperioden haben sich vor solchen Mißgriffen Ivohl gehütet. Die Gotik verwendete Wasserspeier aller Art, aber sie verwendete als Vorbild nur Wesen, deren Lebenselement daS Wasser ist, oder sie erfand zu diesem Zweck mit erstaunlicher Phantasie eine ganze Welt von abenteuerlichen Fabelwesen. Tiefe Zusammenhänge müssen sichtbar werden, und jedes Kunstwerk soll ein reines Gefäß sein, des leuchtendsten Geistes erfüllt. O, ich kann mir denken, daß ein Künstler an allen Schätzen der Ucber- lieferung vorübergehen mag, ohne auch nur einmal das Zauber- wort zu sprechen: Berg Sesam, tu Dich aufl daß er lieber in das Wesen der Dinge hinabsteigt, um aus ihm die Form heraufzu- holen. Zu den Großen gehören immer nur solche, die den Kreis der herkömmlichen Darstellungsmittel durchbrochen und der Natur neue künstlerische Darstellungsmittel abgerungen haben. Es mag schon als bemerkenswerter Versuch zur selbständigen und unabhängigen Formschöpfung gelten, wenn der plastische Künstler in einer Brunnenidee auf die großen Ernährerinnen der Brunnen deutet, auf die Wolken, die das erquickende Naß herabträufeln. Auf den Steinpfeilern stehen streng architektonische Gestalten, oder sie scheinen aus dem Stein hervorzuwachsen, so hart und streng sind sie, und haben das Antlitz zum Himmel er- hoben, lechzend, die Himmelsgabe herabzuflehen, und die hohle Hand strecken sie vor,' den fallenden Regen aufzufangen. Alle Symbole sind in der Natur zu finden. Und. alle hohe Kunst ist symbolisch. Ich kenne einen solchen Brunnen. Architektur und Plastik sind hier zur Einheit verschmolzen. Eines die notwendige Ergänzung des anderen. Die Architektur als Ausdruck der reinen Zwecklichkeit, als Stufen und Brunnenrand, darauf in gleichen Abständen, gleicher Haltung und gleicher Gestalt, kniende Jüng- lingsgestalten sich erheben, die Hände um die eigenen Schultern gelegt, im ruhigen Schauen den Blick auf die Wasserfläche ge- bannt, darin das eigene Bild emportauchen muß. Sie sind das Synibol des ruhenden Wassers selbst, das die Schönheit der Schöpfung in seinem Spiegel auffängt, sie sind zugleich die Dar- stellung jener unendlich süßen und traurigen altgriechischcn Legende des Narcissus, freilich in die herbe asketische Sprache des gotischen Geistes übertragen._ Schöne Brunnen das wäre eine Angelegenheit für die schnell anwachsende Stadt. Die Stadtväter mögen das bedenken. Die Römer gaben dem Volke nicht nur panem, auch circenses. Aber wir errichten ja Denkmäler I Um jeden Preis. Wir nehmen späteren Geschlechtern Aufgaben vorweg, für die sich vielleicht einst größere Künstler fänden. Schöne Brunnen, das ist eine Aufgabe, bei der der Künstler nicht leicht danebengreift, und bei der die Stadt ihre Freude, ihren Nutzen hat. Daß es auch der Stadt nütze« daran sollen wir zunächst denken. Joseph Aug. Lux in der Türer-Bundcs-Korrespondenz»