Nnterhaltungsblatt des HorwürtsNr. 97. Donnerstag, den 20. Mai. 190S(Nachdruck verboten.).,sz Erkaltung der Kraft.Novelle von Timm Kröger.Jürn Alpen schwieg einen Augenblick, um das Gesichtseiner Braut zu prüfen. Es war aber ruhig und entschlossenwie zuvor. Da sing er wieder an:„Sieh, ich bin älter alsDu und auch älter als Martin. Ich denke anders, ich sprecheanders als ihr, das macht die Erfahrung. Da kannst Dunicht gegen an.— Nun denkst Du hin und denkst her, aberdas gibt sich alles, Kind."— Jürn faßte sie am Kinn.—„Wenn ich Dich erst hier habe, wenn Du erst hier schaltestund waltest über Küche und Keller und über Mädchen befiehlst,wenn Du unserem Töchterchen nur erst nähergekommen bist,wenn ich Dich nur erst ein paarmal im Arm gehabt habe..."Als Jürn das sagte, zog Elsbe seine Hand von ihremKinn hinweg. Jürn Alpen wollte dies nicht bemerken, jeden-falls nicht beachten, er sprach ruhig weiter:„Ja, wenn das alles erst da ist, dann wirst Du DeinenMann gegen Martin Uhrhammer nicht eintauschen wollen.Und dann kommt es doch nicht nur auf den Mann an, eskommt auch darauf an, was er ist und was er hat. Und daHab ich doch ganz was andres unter den Füßen als Martin... Die Stelle kriegt Martin nicht, und was ist dann über-Haupt in Altenhof los? Schulden... und wieder Schulden.... Schuld und Sch... wie man so sagt. Da ist es beimir anders, und das ist doch gewiß nicht zu verachten...So wie Du zu sitzen kommst, sitzt keine Frau im Kirchspiel.Peter Bauervogt prahlt wohl, als ob er das meiste Geldhabe... Es ist aber nur Prahlen, Elsbe... Die reichsteBäuerin im Kirchspiel wird meine Frau."„Jürn," entgegnete Elsbe Wulfsen harsch,„Du siehstdie Sache so an. Ich sehe sie anders an. Ich kann DeineFrau nicht sein."Nach einer Pause kam es milder:„Du hast gewiß guteSeiten, in gewissen Dingen hast Du— ich will es glauben—auch Herz. Ich wende mich an den guten Jürn... Jürn,gib mich frei!"Jürn Alpen antwortete kein Wort, aber ein„Nein!"stand in seinem Gesicht geschrieben.„Ich sehe, Du willst nicht. Jürn, als ich herging, konnteich mir nicht denken, daß Du ein Mädchen würdest haltenwollen, das einen andern liebt, eine nehmen wolltest, dieDich nicht mag und es Dir sagt. Ich dachte, er wird Dichschlagen, er wird Dich mißhandeln und zur Tür hinauswerfen.Das hoffte ich, dann wäre alles ausgewesen. Aber Du schlägstmich nicht, Du schimpfst nicht einmal, dafür bestehst Du aufmeinem Wort. Und da Du so bist, so muß es sein, wasich sagen will. Ja, da muß ich ein Wort sagen, das michsicher frei macht. Ich hätte es gern für mich behalten, aberich sehe, es geht nicht anders.— Jürn," sagte und trat dichtvor ihn hin,„Du glaubst ein reines Mädchen zu freien,das ist nicht wahr, ich bin es nicht mehr."Als Elsbe Wulfsen das gesagt hatte, da flammte inseinem Auge etwas auf, was man für Empörung haltenkonnte.„Das ist stark," erwiderte er. Es übermannte ihn sogar.„Pfui! Braut und das?"„Nein, Jürgen, lügen will ich nicht darum. So langeich mit Dir versprochen gewesen bin, habe ich mir nichtszuschulden kommen lassen... Martin hat mich aber vonHans Jägers Jort nach Hause gebracht."Jürn Alpen wurde wieder ruhig, ging in der Stubeauf und ab und trat dann vor Elsbe hin.„Nun muß ich Dich was fragen," begann er ernst.„Sprich!"„Und wenn es zwischen uns trotzdem beim alten bliebe,würdest Du mir was ins Hans tragen, etwas, das mir nichtzugehörte?"„Jürn, ich wollte, ich könnte„ja" sagen. Leider darfich nur„nein" antworten."Der Bauer maß noch einmal die Länge der Stube.„Wenn die Sache so ist, Elsbe, dann kann ich in dem,was Du gefehlt hast, nichts sehen, was Dich unwert machte,meine Frau zu werden. Und nun, Elsbe, denke ich, brechenwir ab. Nimm mir's nichts übel, ich muß nach der Busch«koppel."Die nach der Hausdiele führende Stubentllr war zu«geschlossen. Jürn hatte sie aufgemacht und war schon draußen.„Jürn," rief Elsbe hinter ihm her,„ich will aber nicht!"Jürn Alpen hörte nicht mehr, er schritt schon über dieDielenschwelle ins Freie.Achtes Kapitel.Durch den Hechtsee.„Wir nehmen die Schimmel," erklärte Martin,„reitenkannst Du ja ganz gut, das bringt uns rascher und heimlicheraus dem Dorfe als Fuhrwerk. Morgen früh halb vier halteich bei der Sternkate am Drehkreuz hinter den Tannen. DiePferde stellen wir in Hamaschen bei Gastwirt Jhmsen ein,von Altona aus schreiben wir alles... Klaus ist noch nichtzurück, das ist mir in gewisser Hinsicht lieb, ich lege ihmeinen Zettel hin. Mit Deiner Mutter, scheint mir, machstDu's ebenso. Es ist ja nicht auf ewig.— Punkt halb vierhalte ich mit den Schimmeln im Redder hinter den Tannenvor dem Drehkreuz."Ihr Entweichen hatte etwas von Flucht an sich... mankann es geradezu so nennen. Sie ritten eine abgelegeneStraße hinter dem Wiesenweg um die sogenannte Kirchhofs-koppel herum. Auf diese Weise trafen sie keine andre Wohn«stätte als Kühls Jnstenkate.Es war ziemlich dunkel, der Tag graute kaum, und dieLuft hing voll Rauch und Nebel. Bei der 5)irchhofskoppelbrach ein Tier aus dem Knick und sprang in großen Sätzendavon. Die Pferde scheuten, Martin aber zwang nicht alleinseinen Gaul, sondern brachte auch des Mädchens Roß mitraschem Griff zum Stehen. Und in demselben Augenblicklöste sich im Dorf der erste Hahnenschrei.Die Flüchtlinge sprengten weiter... sie dachten...der eine an KlauS... die andere an die Mutter... unddachten an den Schreck, wenn die die Zettel fänden... DemMädchen zieht's wie Frostschauer durch die Glieder.Aber nun ist alles vorbei...Sie sind schon bei der Brücke.Martin stieg ab und gab Elsbe die Zügel.„Behalteinen Augenblick!" sagte er.„Ich will sehen, ob wir nichthinüberklettern können. Können wir, dann lasseil wir dipSchimmel nach Hause traben und gehen zu Fuß."Er drückte sich durch das Lattenwerk(die Bauleute warennoch nicht da) und tappte vorsichtig die Bohlen entlang. DasGeländer war weg, eigentlich waren nur noch Balken da,überall klaffende Lücken; einige Male mußte er weit aus-schreiten, Löcher zu nehmen, nach dem vorletzten Pfeiler gähnteihn die breite Leere an.— Der Strom drängte sich schwarzund unheimlich, leise brodelnd und drohend, an dem steilenFaschinenufer hin.„Das geht nicht," erklärte Martin, als er durch die Lattenzurückgekrochen kam.„Das geht nicht. Wir reiten überTodendorf."Wortkarg ging es weiter, immer an der Höhe hin.—Die breiten Nebel, die auf den feuchten Wiesen lagen, be-gannen sich von der Nacht zu trennen— der Weg, den dieReiter verfolgten, lag in höherer Ebene... so übersahensie die ziehenden, die wogenden Wellen.Bei Bockhorst, einem Hof nicht weit vor Todendorf, istein schmaler Nebenarm der Au durch ein Steinsiel überwölbt.Den Reitern war bis dahin noch keine Spur wacher Menschenaufgefallen— die Leute von Bockhorst aber hatten die Augenaufgetan. Ein alter Knecht ging schläfrig in Holzstiefelnüber den Hofplatz und sah staunend die Schimmel und ihreReiter. Stumm blieb er so lange, wie nötig ist, die Er-scheinung seinem Verstandskasten zu übermitteln und An-Weisung daher zu empfangen. Dann rief er:„Hoi, hoi!"und winkte mit der Hand.Die Reiter hielten an. Da ging er langsam bis zumHecktor und fragte:„Nun, wohin mit der Mamsell zu Pferde, wenn's erlaubtist zu fragen?"„Nach Todcndorf und Seefeld."„Da kommt Ihr nicht durch."