Die Ausstellung der Sezeffion, L SluS dem Kampf der Jungen gegen die Alten ist ihrerzeit die Berliner Sezession   hervorgegangen. Es waren nicht nur ideale, rein künstlerische Gründe, die die Spaltung verursachten. Einige Vertreter der alten Schule, die auf den Akademien und in den Ausstcllungs- leitungen die Macht in den Händen hatten, mitzbrauchten ihre ein- flustreichen offiziellen Stellungen dazu, die neue Kunst und ihre Jünger nach Möglichkeit mundtod zu mache». Ein ehr- licher Konkurrenzkanipf war unter diesen Umstünden unmög- lich. und so trennten fich die Anhänger der damals modernen Richtung und diejenigen Alten, denen das unwürdige Treiben ihrer Genossen zuwider war, von der staatlich subventionierten und von oben her protegierten Klique. Inzwischen ist nun die künstlerische Entwickelnng bei einem neuen Wendepunkte angelangt. Innerhalb der moderneu Kunst sucht eine allermodernste Richtung sich Bahn zu brechen und ringt nach Luft und Licht. Im Kreise der Sezessionisten selber gibt es heute Alte und Junge, zwischen denen unüberbrückbare prinzipielle Klüstes gähnen. Aber die sczcssionistischen Machthaber sind vornehmer und klüger als die akademischen Bonzen es war-n: sie räumen der Jugend, die mehr oder weniger ungestüm an ihre Türen klopft, freiwillig einen Platz neben sich ein; sie er- möglichen ihr einen ehrlichen Konkurrenzkampf mit gleichen Waffen. auch aus die Gefahr hin, dag sie selber unterliegen oder wenigstens ins Hintertreffen gedrängt werden. Künstlerische Revolutionen vollziehen sich, wenigstens in unserem Kulturzeitalter, stets im Zeichen des Naturalismus. Wenn da« Schönheits- und Stilgefühl einer Epoche verknöchert und abgestumpft ist, die ästhetischen Schulbegriffe vom Wesen und Ziel der Kunst in »ffenbarem Widerspruch zu dem lebendigen Empfinden des Volkes stehen und nicht die im weitesten Sinne sozialen Bedürf­nisse der Nationen, sondern die Theorien weltfremder Schön­geister der künstlerischen EntWickelung die Wege weisen: dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Künstler durch die Rückkehr zur Natur ihrem Schaffen einen neuen Inhalt und neue Formen zu aeben suchen, wo sie die färbenden und verzerrenden Brillen der Traivlion ablegen und mit eigenen unbefangenen Augen in die Welt blicken, wo die Ideale der Vergangenheit erbleichen und die künstlerische Er- »berung der lebendigen Wirklichkeit anhebt. Wir haben jetzt eine solche Revolutionszeit hinter uns. In den sechziger Jahren des vorigen Jahr- Hunderts brach ein neuer Frühling im europäischen   Kunstleben an, der von Frankreich   aus sich über alle Kulturländer verbreitete. Deutschland  hat, wenn wir von einigen Vorläufern absehen, sich verhältnismäßig spät der neuen Kunst erschlossen. Erst die neunziger Jahre bracoten uns die entscheidende» Känipfe. Die moderne künstlerische Revo- lution hat sich, wie ihre Vorgängerinnen, unter dem Banner des Naturalismus vollzogen, das exakte Studium und die möglichst «bjektive Wiedergabe der Wirklichkeit waren ihre Ziele. Ihr Resultat ist eine immense Vervollkommnung der malerischen Technik, die fich vor allem in der Darstellung der Luft und des Lichts dokumentiert. Dem angehenden Künsllei unserer Tage ist ein Handwerkszeug geschaffen, das ihn in den Stand setzt, fast alles, was die Natur den Sinnen des modernen Menschen darbietet, in Linien und Farben zu übertragen. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Naturalismus nunmehr bedeutungslos und überflüssig geworden sei. Er ist noch immer die einzige solide Grundlage, von der aus höhere Flüge ins Reich der Phantasie mit Aussicht auf Erfolg unteniommcn werden können; durch sein« Schule muß jeder Künstler gegangen sein, auch derjenige, der auf dem Gebiete der Stilkunst seine letzten Ziele sieht. Er ist das Er- frischungs- und Stärkungsbad, das dem Ermattenden neuen Schwung und neue Kraft verleiht. Von einerUebernjindung" des Naturalismus können nur snobistische Modenarren faseln, und wer für die eigen« artigen Reize der Liebermannschen, Slevogtschen, Kalckreuthschen Kunst heute nicht mehr empfänglich zu sein behauptet, der sollte in künsl- lerischcn Dingen überhaupt nicht mitreden. Der Naturalismus ist noch am Leben und strotzt in voller Kraft und Gesundheit. Das beweisen auch die neuesten Arbeiten seiner Meister, die die Sezessionsausstellung uns vorführt. An der Spitze steht Max Liebermann   mit seinem Porträt des Direktors Emil Rathenau  <Nr. 161) und seiner Amsterdamer Judengasse lNr. 163). Das erstcre kann als ein vollendetes Meisterwerk moderner Charakterisierungskunst gelten, die unter Verzicht auf alle wohlfeilen Mätzchen mit den diskretesten Mitteln wirkt, neben der Person des Dargestellten auch das bezeichnende Milieu mitsprechen läßt und nicht nur das eindrucksvolle Abbild des Modells, sondern auch ein Kunstwerk von selbständigem Werte zu geben trachtet. Mit stärkeren (aber künstlerisch durchaus vornehmen) Effekten als das sorgfältig. ruhig und fein abgetönte Porträt wirkt die Judengasse, die man am besten auS möglichst weiter Entfernung, etwa von Zimmer VHl aus, betrachtet. Neben Liebermann   erscheint Leopold v. Kalchreuth mit ?incm lebendgroßen Damenbildnis(Nr. 125). Wundervoll ist hier namentlich das Interieur gelungen: der Blick in das Hinterzimmer und durch das Fenster hinaus in die hellbeleuchtete Landschaft. Wilhelm Trübner   sandte sechs Gemälde jNr. 237 242) aus alter und neuerer Zeit. Es ist nicht leicht, dem Schaffen dieser starken, ernsten und den höchsten Zielen zustrebenden Künstler- persönlichkeit vollkommen gerecht zu werden. Dieser Meister stellt fich prinzipiell die schwierigsten und dabei undankbarsten Probleme� und mit musterhaftem Fleiß, mit unerschütterlicher Ehrlichkeit und staunenswertem technischen Können löst er das Unlösbare. Er hat eine ganz eigenartige, man möchte sagen: brutal« Manier, die Natur zu sehen und wiederzugeben. Jedes Bild zerlegt er in eine grobe Mosaik von breiten, knalligen Farbflecken, von denen immer einige, selbst aus der größten Eni- sernung betrachtet, sich dem Ganzen nicht einordnen wollen. Di« Technik Trübners, so virtuos sie im allgemeinen gehandhabt wird, hinterläßt den Eindruck, daß sie nicht aus dem natürlichen Empfinden des Künstlers organisch erwachsen, sondern das Produkt theoretischen Grübelns sei. Alle seine Bilder(ausgenommen der weibliche Akt von 1872, der kaum etwas von der späteren Art Trübners zeigt) haben etwa? Gequältes und Maniriertes. Das trotzige Wollen und sichere Können nötigen uns Achtung und teilweise Bewunderung ab, aber die höchsten und schönsten künstlerischen Wirkungen werden nicht erreicht. Unter den modernen Naturalisten ist heute LoviS Eorinth vielleicht der populärste. Seine Manier erscheint besonders geeignet, die Kunstphilister zu schrecken, die Snobs zu begeistern und das große Publikum aus diesen oder jenen Gründen zu verblüffen. Er ist einer der virtuosesten Handwerker unter den Naturalisten; die Bravour seines Vortroges ist kaum noch zu übertreffen. Aber hinter dem brillanten Techniker steht keine starke und kultivierte Künstlerpersönlichkeit. CorinthsBaihseba"(Rr. 44) ist ein wunderbar schön genialter Akt. Wie die dicken, fett» gepolsterten Gliedmaßen schwer und träge in den Gelenken hängen, wie das Licht auf der schwammigen, großporigen Haut glänzt und leuchtet und in den Specksalten des aufgedunsenen Körpers in tausend Reflexen flimmert das ist mit einer schlechthin voll- endeten Meisterschaft gegeben. Aber daS Gemälde ist trotzdem kein fertiges Kunstwerk. Was soll die mit wenigen hastigen Pinsel- strichen angedeutete Gestalt zur Linken? Sie lenkt, trotzdem sie in dunklen Tönen gehalten ist, die Aufmerksamkeit von der lichten Hauptfigur ab, sie ist in anderer Manier gemalt als die Hauptfigur, fie fällt auS dem Rahmen der Komposition heraus und gibt ein Bild für fich. So wirkt daS Ganze un­ruhig, unfertig und unbefriedigend. DaS Beste, was Corinth zu geben hat, find naturalistische Aktstudien. Er ist in seiner Art vielleicht der größte Aktnialer unserer Zeit. Je schlichter, redlicher und unmittelbarer er nach der Natur und nach dem Modell Arbeitet, desto erfreulicher wirkt er. Sobald er aber mehr geben, geistreich oder phantastisch sein will, wird er entweder banal oder ftatzcnhaft. Das beweisen seine geschmackloseSusanne im Bade'(Bild) und der reichlich alberne.Orpheus'(Nr. 46). Die Sucht, daS Publikum zu bluffen und dadurch die Auf- merksamkeit auf fich zu lenken, beherrscht leider eine ganze Anzahl junger Künstler, deren Begabung im übrigen außer Zweifel steht. So füllt Max Beckmann   drei umfangreiche Leinwandflächen mit Akt- und Figurenskizzen und bezeichnet die Arbeiten dann als.Auf- erstehung'(Nr. 7),Sintflut'(Nr. 8) oder gar»Szene aus dem Untergang MessinaS'(Nr. S). Wenn der Maler das wirklich dar» stellen ivollte, waS er mit den Bildertiteln andeutet, so hält« jedes der Werke seine besonderen charakteristischen Stimmungswerte haben müffcn. In Wahrheit aber find sie alle drei nach demselben Schema heruntergepinselt: fle zeigen alle drei die gleichen gallig graugrünen Farben und geben alle drei nichts weiter als ein Konglomerat von menschlichen Gestalten in mehr oder weniger unwahrscheinlichen Gliederverrenkungen. Daß Beckinann malen kann, weiß man von früheren Arbeiten her, und er beweist es auch hier an zahlreichen gelungenen Details. WeS- halb also dieses törichte Haschen nach unkünstlerischen stofflichen Effekten? Weshalb diese banausische Krafthuberei, die durch ein wüstes, ungegliedertes Kuddelmuddel von wild bewegten Gestalten Genie und Leidenschaft dokumentieren möchte? Wer wirkliches malerisches Temperament besitzt, der kann es auch in der Darstellung einer Zitrone oder eines Spargclbündels beweisen. Von Hans Baluschek   sieht man zwei Bilder. Da« eine stellt zwei am Waldrand schlafende«Tippelschicksen'(Nr. 5), daS andere den Sturm der Reisenden auf einen Eisenbahnwagen vierter Klasse(Nr. 6) dar. Beide Arbeiten bekunden die leider. wie eS scheint, unaufhaltsame künstlerische Verlotterung dieses begabten Malers, der einst als origineller und eindringlicher Schilderer des Berliner   Vorstadtlebens so verheißungsvoll begann, von Jahr zu Jahr verflachte und versimpelte er mehr und mehr und ist jetzt in ein ödes und gedankenloses Handwerkertum herabgesunken. Seine ewig gleichen, in Wirklichkeit nirgends existierenden Berliner  Proletariertypen wirken ebenso aufdringlich und unwahr wie daS häßliche blaugraue Licht, das er über alle seine Schilderungen ausgießt. In einen, Porträt des Musikdirektors v. Schiich(Nr. 222) zeigt Robert Sterl   seine flotte und kernige Manier, lvährend sein früherer Genoffe aus der Dresdener Sezession, Msx Artur S tremel, der Meister kühler, klarer Jnterieurs, uns einen stimmungsvollen Blick in die langgestreckten Bogenhallen der Wafferburger Lauben(Nr. 227) tun läßt. Fritz von Uhd« erfreut uns mit zwei neuen Arbeiten(darunter eine sehr schöne, von Sonnenlicht durchflutete und durchtränkte.Gartenszene', skr. 244). Max Sievogt schickte eine große in mächtigen, Volklingenden Tönen dahinrauschende Farbensymphonie,«Dame in Gelb"(Nr. 218), Robert Breyer   außer ein paar Stilleben das umfangreiche