NtlkerhaltlmgsUatt des vorwärts Nr. 99. Dienstage den 25 Mai� 1909 (Nachdruck verVoten.) is] Erkältung der Kraft. ■ Novelle von Timm Kröger, (Schluß.) 9. Kapitel. Erhaltung der Kraft. Und im September desselben Jahres rollte der gelbe Kastenwagen aus dem Hoftor von Altenhof— die Schimmel an der Deichsel. Die Schimmel sind guter Dinge, sie spielen und beißen sich in die Mähnen... die drei Menschen im Wagen sind auch aufgeräumt und lachen und sprechen. Bei Jochen Bocks Kate hängt der Sohn von Nachbar Bollert in den Pflaumenbäumen und füllt sich die Blauen in die Tasche. Martin droht mit der Peitsche und lacht dabei, der Wagen springt von einem Steinkopf auf den andern. Jochen Bocks Teckel bellt an den Speichen— nun kommt auch Bollerts mächtiger Hofhund— überlegen, würdig— ruhig. Er sagt zweimal„Wau! Waul" und läßt dann Wagen Wagen sein, beriecht einen Binsenbüschel und tut dem Büschel darauf eine Ehre an, die dieser ein paarmal von ihm am Tage zu erfahren pflegt. Zum Schluß macht Tolk , hochmütig in die Wolken blickend, dem Büschel von hinten Kratzfuß und Aufwartung. Martins junge Frau Elsbe geborne Wulfsen und Fritz Ilhrhammer sitzen im zweiten Stuhl. Wer?... Fritz... Fritz, der Fabrikant vom Rhein ?... Jawohl... der klein- gewachsene, aber großgewordene Fabrikant. Er ist unlängst in die Polterabendherrlichkeit hineingeschneit.— Was hat er für einen schönen braunen, weichen Bart und was für ein großstädtisches Gesicht!— Er war auf der Rückfahrt von Schweden , von Malmö kam eine Depesche... am dritten Tag war er selbst da. Hinter Bollerts Haus hörte der Knüppeldamm auf, der Wagen fällt in einen weichen, stillen Sand. „Hast mit Klaus gesprochen, Fritz?" „Ja, Elsbe." „Wollte er nicht mit?" „Nein— er gab vor, er habe bei seinen Rädern zu tun." „Ist denn da noch was mit los? Ich meinte, damit sei er fertig." „Ist er auch... Ich hab's ihm auch nochmal gesagt.— Aber er scheint was mit der Haushaltungsmaschine vorzu- haben." „Haushaltungsmaschine? Du meinst das Ding, das auf dem Bort steht? Es ragt wie eine Windmühle aus der Dachfirst." „Dasselbe." „Mit der Windmühle will er buttern und Häcksel schneiden und dreschen und alles, sagt Martin." „Das will er." �..Jst denn da'was dran? Wird es gehen?" „Ob's gehen wird, das heißt, ob die regelmäßige Wind- kraft ausreicht— das kann man nicht sagen. Uebrigens sind ja auch Hilfskräfte vorgesehen. Und ob es die Kosten lohnt... und das alles... das muß man erst berechnen und schließlich probieren. Technische Fehler sind nicht drin, es wird also. wenn alles drangesetzt wird— gehen. Der Gedanke ist auch nicht neu, es ist das gleiche schon von vielen versucht worden — insofern ist es also Altes.— Aber der Plan, die Art, die Ausführung, die Idee, das ist'was Originelles,'was durch- aus Neues. Da kann er gleich ein Patent darauf nehmen. Das konnte nur einer fertig bringen, der von Haus aus viele An- lagen dazu hat." „Was Du sagst!"_ � „Martin war dabei, als wir darüber sprachen, �ch habe ihm alles auseinandergesetzt, es schien Eindruck zu machen... Der Baurat hat es ja auch gesagt. Martin meinte auch, er lolle es tun „Was tun, Schwager?" „Ich habe ihm vorgeschlagen, mit mir zu kommen und mir seine weitere Ausbildung zu überlassen. Die Maschinen- bauerei muß er natürlich von Grund aus erlernen, wie ich auch getan habe. Daneben muß er die Fortbildungsschule besuchen und schließlich die Baugewerkschule. Und dann muß man weiter sehen." „Sollte das gehen?" „Warum nicht gehen, Elsbe?" „Klaus ist einundzwanzig." „Was sagt denn das?— War ich jünger, als ich in die Welt ging?" „Ob er es wohl tun wird?" „Schwägerin, das ist eine Wegescheide, da führen die Straßen nicht wieder zusammen, man kann kaum noch zurück. Das sind Entschlüsse, da drängt man nicht. Er will sich's überlegen, hat er gesagt. Aber ich hoffe, er wird es gründlich tun und dann„ja" sagen." Martin drehte sich im Wagenstuhl um. „Wenn ich meinen Klaus recht kenne", fiel er ein,„dann ist er schon in sich fertig... er braucht nur noch Zeit, zu über- denken, wie er es sagen will und soll. Da ist er eigeüün... Bloß sagen, das langt nach seiner Ansicht nicht, es muß bei ihm immer ein Tun dabei sein, das da ein Siegel aufdrückt. Fritz, er wird mit Dir gehen!"— Der Sprecher hob die Peitsche und ließ die Schimmel traben.„Er wird mit Dir gehen, Fritz— da kannst Du sicher sein." Erst ging es nach der Brücke, die der Fabrikant bewundern sollte, dann an der Au längs nach dem Hechtsee. Bon der Brücke sagte Fritz nichts weiter als„Gut gemacht, aber alte Konstruktion."— Ob Klaus später auch wohl so'was fertig bringe?—„Nun, das wäre denn wohl nichts Besonderes." Der Austrom wiegte sich hin und wiegte sich her, und wenn er nahe war, dann leuchteten ernst und weiß, seltener golden, die kühlen Wasserrosen auf.„Ich sehe sie gern", bemerkte Elsbe,„in stehenden Tümpeln wachsen sie nicht." „Sie tauchen nur aus reiner Welle auf", bestätigte der Fabrikant. Auf die kleine Gesellschaft legte sich die Stimmung der Einsamkeit. — Die Tagessorgen ausgeschaltet... etwas wie Vogelfreiheit in der Seele... Königsgefühl... mir der Himmel über ihnen... Menschenrechte hingeworfen... Hlmmdsrechte wieder gewonnen... Fritz Uhrhammcr grub zugleich die Idee ungetrübter Jugcndtage wieder aus. Man sprach nicht viel— was sollte man auch sagen? Wenn die inneren Stimmen reden, dann klingt ein von den Lippen gefallenes Wort immer geheuchelt, unzulänglich, un- beholfen und matt. An Hans Horns Bultwiese im Graben lag ein Kahn, der von Peter Bauervogt als Notbehelf für die Dauer der Totalsperre angeschafft worden war. Der Kahn führte die drei Menschen über den blanken Spiegel des Sees nach dem Grasfeld hin.— Als sie im Grasfeld waren, bekam Martin den dort gebräuchlich gewordenen Zoll. „Martin", sagte der Fabrikant, als sie wieder auf der Wiese standen.„Die Natur, wenn man sie so ansieht, hat doch manches an sich." So war es. Die Wiesen... und der blank und rein und fleckenlos in Schilf und Binsen versteckte See...zwei grasende Schimmel... nach der Eider hin ein mit vollem Leinen prangendes Segel... am Horizont blaue Wedel seliger Ge- büsche, als könnten nur gute Menschen in ihrem Schatten ruhen... westwärts das große Moor...zackiger, schwarzer Rand... darüber graubraunes Einerlei, einem von Leid aufgeschwollenen, alle Freude ausgetrunken habenden Untier gleichend...und über allem die Natur selbst... ein großes, einsames Wesen... mit Riesenschritten von Mittag kommend ... mit Riesenschritten gen Mitternacht gehend... Fritz Uhrhammer hatte recht: die Natur, wenn man sie so an- schaute, hatte mancherlei an sich. Der Pflaumendieb Hinrich Bollert lag, als sie zurück- kehrten, auf seines Vaters Bank. Martin gab ihm Pferd«
Ausgabe
26 (25.5.1909) 99
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten