endgültige Verwirrung gedra'Ht hatte, wandte sich der lang- halsige Mann zu Schewyrjoff und wies verbindlich lächelnd auf den Burschen hin: „Das wird Wohl auch so ein Durchgänger sein!"- „Ja.. Schewyrjoff erwiderte nur ungern. Ter langhalsige Mann drehte sich, als ob er nur ge- wartet hätte, entschlossen zu ihm um und sagte mit einem Gesichtsausdruck, als stürze er ins Wasser: „Genosse, Sie sind einer von uns, was... ein Arbeiter?" „Ja," antwortete Schewyrjoff ebenso kurz. Ter langhalsige Mann zuckte mit dem ganzen Körper. „Hören Sie, kann ich Sie bitten,,. es sind erst drei Tage, daß ich in der Hauptstadt bin... Wissen Sie nicht, wie ich mir Arbeit verschaffen kann.,, Ich bin Schlosser... was?" Seine Augen sahen Schewyrjoff bittend an, sein Gesicht bewahrte dabei den früheren verzückten Ausdruck. Schewyrjoff schwieg eine Weile. „Ich weiß nicht," antwortete er.«Ich bin selber arbeits- los. Ist keine Arbeit zu finden... Stillstand. In der Stadt gibt es jetzt ein paar zehntausend Arbeitslose...." Ter Mann mit deni verzückten Gesicht starrte Schewyrjoff an: sein Mund war halb geöffnet. Dann begann sich sein Gesicht zu verändern, blaß und entkräftet zu werden, es nahm plötzlich den Ausdruck naiver wehrloser Verzweiflung an. Er warf den Rücken gegen die Stuhllehne und schlug die Hände hoffnungslos auseinander. .(Fortsetzung solgt.jj k)albfeiäene Mäagogik. (Vom sechsten Erziehungstag in Weimar .) Als ich auf dem Bahnsteig in Weimar den ersten Schritt tat, stieß ich auf— Tews. Ich bin nicht abergläubisch, noch weniger möchte ich den ehrenwerten Schulpapst des Berliner Kopsch- und Wiemer-Frcisinns beleidigen. Aber soviel stand augenblicklich bei niir fest, daß diese Begegnung kein gutcS Omen war. » Eine Pfingstfahrt nach Weimar ist ein Fest für sich. Wenn man jemand etwas recht SlböneS und Liebliches wünschen will, sollte man ihm eine solche Pfingstfahrt wünschen. Alles, was in diesen lenzfrohen Tagen Herz und Gemüt entzückt, vereinigt sich hier in Weimar zu einer herrlichen, volltönenden Harmonie. Der schimmernde Duft, der die leichten Rebenhöhen Naumburgs um- flieht, und der romantische Sagenzauber, der von der Rudels- bürg herniedergrüßt; das bunte Farbenspiel der Wiesenteppiche im Saaletal und die sonntäglich-seierliche Stimmung, die mit märchenhcimlichen Schritten durch die Lenzgefilde schreitet— in Weimar findest du alles wieder, und viel schöner noch, viel reiner, edler, ab- geklärter.... Durch die engen Gassen summt und quirlt ein bunt Gewimmel. Geputzte Menschen strömen den Behausungen zu, denn schon breitet der Abend seine langen Schatten über die Stadt. Der zweite Pfingsttag neigt sich seinein Ende. » Im kleinen Saale der„Erholung" fitzen an langen Tischen zwei Dutzend Menschen beisammen. Alte und Junge, Männer und Frauen. Daran ist nichts Besonderes. Auch die Menschen selbst wollen nichts Besonderes sein. Und doch find sie'S. Unter den vielen Nöten, an denen das deutsche Volk leidet, hat besonders die Schulnot frühzeitig und in hohem Maße die Auf- merksamkeit auf sich gelenkt. Nicht die Aufmerksamkeit der Lehrer als Gesamtheit— das sind fast allesamt banale Durchschnitts- menschen, die ihren Trott gehen, ihren König loben und den lieben Gott einen guten Mann sein lasse», höchstens daß sie sich einmal um Gehaltsfragen streiten und erhitzen. Aber es sind doch einige unter ihnen, denen die Erziehungsnot ganz ernstlich ans Herz ge- gangen ist. Und diese Wenigen pflegen sich alljährlich zu Pfingsten tn Weimar ein Stelldichein zu geben. Manche davon sind wunder- liche Käuze mit schnurrigen Ansichten und oft noch wunderlicheren Reformvorschlägen. Andere find zn einseitig, zu fanatisch, als daß man ihre geistige Gesellschaft auf die Dauer ertragen könnte. Aus alle trifft das Wort zn, daß sie gute Menschen, aber schlechte Musikanten sind. Ihnen allen schwebt die Schule als etwas vor, das isoliert in der Lust hängt, losgelöst von allen Bedingtheiten und Beziehungen des gesellschaftlichen Lebens, und was'man nun nach Belieben modeln und ändern, bessern und reformieren könne. In ihrem Kopfe fitzt eine Idee, die Idee erweitert und entwickelt sich zum System— nun, Welt, danke deinen Schöpfer, daß solch ein genialer Kopf diese beglückende Idee gebar, und tue, was du tun kannst, um dieses trefflichste aller Systeme zu verwirklichen! Daß die Schule, der Jugendunterricht und die Erziehungsprinzipien nur Teil- erscheinungen de? jeweiligen Komplexes der gesamten sozialen Organisation find. auS der sie nicht herausgelöst werden können und dürfen, und daß sie nur in diesem lebendigen wechselseitigen Zu« sammenhange verstanden, bewertet und beurteilt werden können. das ist jenen ein tiefeS Geheimnis. Sie erheben Auflagen gegen Minister und Geheimräte, machen Menschen für Mängel und Schäden verantwortlich und erwarten Heil und Hilfe von Menschen, wo immer nur tiefliegende, für die ganze Gesellschaftsstruktur entscheidende ökonomische Grundlagen in Betracht kommen. Es sind unheilbare Ideologen und Schwärm- geister, Sektierer und Reformer, inkonsequent bis ins Himmelblaue hinein und von einem Glauben, einem naiven Optimismus beseelt. der oft rührend wirkt. Die Rousseau und Proudhon, Fourier und Owen, wie wir sie aus der Geschichte des Sozialismus kennen. waren aus demselben, zwar edlen, aber für den realen Gebrauchs- zweck des Lebens untauglichen Holze geschnitzt. • Die Tagung begann am Dienstag mit einem Bericht über die Fortschritte der Bewegung, den Artur Schulz« Birken- werder, Herausgeber der„Blätter für deutsche Erziehung", erstattete. Schulz ist zweifellos eine Persönlichkeit von eigener Prägung, erfüllt von Eifer und Beharrlichkeit, Opfermut und Glauben an den Sieg seiner Sache. Dabei Optimist und Utopist vom reinsten Wasser. Ein schwacher Lichtblick nur auf dem freudearmen Dornenwege, und sofort erhebt sich seine Seele mit breiten Flügeln in die Regionen rosenfarbigster Stimmungen. Welche Hoffnungsscligkeit sprach aus seinem Bericht, und wie armselig waren die Ursachen, die ihm dazu Anlaß gaben I Da hat man zum ersten Male das preußische Kultusministerium gebeten, einen Vertreter zu der Tagung zu ent» senden. Schwarzkopff denkt natürlich nicht daran, dem Wunsche zu entsprechen. Aber er hat den Herrn Schulreformern keinen Fußtritt versetzt, sie auch nicht kühl ignoriert, sondern ihnen telegraphisch ab- lehnenden Bescheid zugehen lassen. Darüber große Freude in Israeli Man denke: eine Antwort! Welche Perspektive tut sich da dem Vülklein von Utopia auf I Auch sonst machen sich angeblich im Schul- leben allerhand Wendungen zum Besseren bemerkbar. Zwar stinkt das preußische Schulelend zum Himmel, und erst die letzten Kultus- etat-Debatten im Abgeordnetenhause haben die Abgründe der schmachvollen Schulreaktion blitzartig in ihren Tiefen erhellt— aber was tut's I Schon darf ein einziger preußischer Lehrer in einer einzigen Schulklasse(Namen und Ort werden nicht genannt, da« mit der böse Teufel Bitru das Wachstum des zarten Veilchens im Verborgeneu nicht störe Ij ein halbes Jahr Elementaristen v e r» s u ch s w e i s e ohne Lehr- und Stundenplan, ohne Lesen. Schreiben, Rechnen und Religion unterrichten! Welch ein Erfolg! Man schlage drei Purzelbäume ob dieses Triumphes der reforme« rischen Bewegung I Nun sollen die Lehrervereine nur kräftig weiterbohren und-drängen. Alle Energie aufbieten und Mut zeigen I Die Minister sind ja gar nicht so reaktionär, wie's immer behauptet wird. Im Gegenteil, kein Mensch ist dankbarer als sie für jede Anregung von außen. Nächstens wird auch in Oesterreich ein Erziehungstag abgehalten werden. Dann, Reaktion, nimm dich in Acht I Dein Dasein ist gemessen, der schönen und großen Sache der Schulreform ist der Sieg gewiß.... Soll man lachen oder den Kopf schütteln? Ist das Ernst oder Ironie? Schulz hat die Ausführungen mit ernstem, was sage ich— mit einem vor Hoffnungsfreudigkeit strahlendem Geficht gemacht. Lassen wir dem wackeren Gemüt seinen schönen Glauben!! • Zweiter Redner war Prof. O st w a l d- Leipzig. Man mußte ein Renommierpferd haben I Rosegger, den man auch zu gewinnen versucht hatte, wäre als Aushängeschild gewiß wirksamer gewesen. Aber er hatte abgelehnt. Nun: Ostwald— Geh. Hoftat. Professor Dr.— bot in seinem gegen das humanistische Gymnasium gerichteten Vortrage über Idealismus und Humanis nius eine ge- haltvolle und abgerundete Leistung. Bei dem enormen Wissen dieses Gelehrten nichts Verwunderliches, lieber Plato und die flassische Antike. den Humanismus, Goethe und die Weimarsche Zeit hinweg führte er, immer aus dem Vollen schöpfend, den Nachweis, daß Vergongenheits- ideale keine Ideale der Entwickelung sind. Darum ist das huma- nistische BildungSziel des Gymnasiums abzulehnen, um so mehr, als die Unterrichtsmethode der Gymnasien die kindliche Individualität vernichtet, alle schöpferischen Fähigkeiten erstickt, den Geist verödet und den werdenden Menschen allen Lebensrealitäten entfremdet. Justiz- und UnterrichtSvcrwaltung, zu schreienden Notständen geworden. führen die Früchte der gerühmten humanistischen Bildung in lapidarer Anschaulichkeit vor Augen. » Nun ergriff Tews, der Unvermeidliche, daS Wort. Auch ich lehne das Vergangenheitsideal ab. DaS Kulturziel deS Humanismus ist unwahr und unvereinbar mit den Forderungen unserer Zeit und unseres Volkes. Die Völker der Antike stellten keine Volkseinheit dar. Immer gab eS Klassen, Freie und Sklaven. Es ist der größte Fortschritt der modernen Staa ten, daß sie wenigstens in der Theorie die Gleichberechtigung aller an- erkannt haben. Sagte Tews. In der Praxis freilich will die Gleichberechtigung erst errungen werden. Darum ist unser Ziel ein Zukunstsideal. Ein einheit- liches Volk wollen wir sein.„Das beste Mittel, die? zu werden,
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26 (5.6.1909) 107
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