Snb Erziehungsanstalten, We so eingerichtet find, daß fk jedem inde an jedem Orte nach Möglichkeit die Möglichkeit geben, all' seine Kräfte bis zu der Höhe auszubilden, wie sie die Natur vor- geschrieben bat." Sagte TewS. Zurzeit entsprechen unsere Schulen diesen Anforderungen noch nicht. Noch immer besteht das ungeheure Unrecht, dasi intelligente Volksschüler, die mit 14 Jahren in eine höhere Schule übergehen wollen, neben neunjährigen Vorschülern in der Sexta anfangen müssen. Noch immer sind reichlich zwei Drittel aller Volksichüler, die auf dem Lande oder in kleinen Städten aufwachsen, vom Besuch höherer Schulen so gut wie völlig ausgeschlossen. Noch immer durch- laufen SS Proz. aller Kinder nur die Volksschule und haben infolge ihrer mangelhaften Bildung fast gar keinen Anteil an unserer Kultur. Unsere Schulzustände sind noch dieselben wie vor Jahr- taufenden, wo es Freie und Sklaven gab. Unsere Volksschule ist eine K a st e n», eine A r ni e n-, eine K l a s s e n s ch u l e und nichts anderes. Sagte Tews— und schlug mit der Faust auf den Tisch. Diese Klassenschule ergibt sich aus dem Klassen st aat. So lange dieselbe st eht, ist aller Kampf gegen die Klassenschule umsonst. Darum fort mit dem Unter- schied zwischen Besitz und Besitzlosigkeit! Nieder mitdemKlassenstaatl Kamps demKapitaliSmuSl Her mit dem Sozialismus! Sagte Tews? O nein, das sagte er nicht! Hier schnappte seine Rede plötzlich ab. Zwar wäre dies die einzige Konsequenz seiner Ausführungen gewesen, aber Tews ist kein Konsequenzen- macher. Dies und die Gabe, durch eine phrasenreiche Rhetorik billige Augenblickswirkungen zu erzielen, hat er mit Bülow gemein. Es ist immer dasselbe Leidwesen, wenn man Tews hört. Es könnte auch Pautsch oder Kopsch oder Wiemer oder sonst einer der liberalen Leuchten sein. Immer dieselbe anscheinend resolute Kritik, dasselbe kecke Drauflosgehen und Maulausreisien— und dann, wenn es gilt, Farbe zu bekennen und die Konsequenz zu ziehen, dasselbe Abschwenken und feige Kneifen. Man weiß schon vorher, was Tews sagen und bis zu welchem Grade er den Zorn in seiner zottigen Mannesbrust aufflammen lassen wird; blitzschnell knickt er dann seinen Gedankengang ab, springt— als träte er auf heißes Eisen-- zur Seite und schlägt sich seitwärts in die Büsche... Der Erziehungstag spendete Tews langen und reichen Beifall. Das kennzeichnete den Geist, der ihn beherrschte. Ich sagte ja zu Anfang schon, daß Tews kein gutes Omen sei... « Ueber„Wege und Ziele der Schulreform" sprach zum Schluß Berthold Otto aus Gcoß-Lichterfelde , Heraus- geber des„Hauslehrer" und Begründer der Altersmundartbewegung. Die Erziehung des Kindes muß schon bei der Auslese der Eltern beginnen. Die Abstammung ist von viel größerer Wichtigkeit für die Erziehung, als man im allgemeinen annimmt. Nicht aus dem Kinde soll der Erzieher etwas machen, sondern aus dem. was im Kinde schon da ist. Er bemühe sich, anzunehmen, daß das Kind von HauS aus gut ist. Scheint dies nicht der Fall, so liegen Beobachtungsfehler vor. Feindschaft zwischen Lehrern und Schülern hat immer in Verschuldungen und Fehlern auf feiten der Lehrer ihre Ursache. Jeder Einwirkung auf das Kind hat sorgfältigste Be- obachtung boranzugehen. DaS trtfst auch für den Unterricht zu. DaS Resultat dieser Beobachtungen zwingt zu einer völligen Um- gestaltung des Unterrichts. Redner schilderte den Charakter und Verlauf deS Unterrichts in seiner„Hauslehrer"-Schule. Wenn man meine, daß die höchsten Schulbehörden der Entwickelung der Schule in dieser Richtung hinderlich seien, so irre man. Die mittleren Behörden seien schon unangenehmer, bureaukratischer. Eine der größten Hemmungen liege im Lehrerstande, die größte bei den Eltern. Deshalb müsse die Bewegung in die Kreise der Eltern getragen werden. Darin beruhe die Hauptaufgabe der Bewegung der deutschen Schulreform. ■ Ziehen wir die Summe: Die Bewegung für Schulreform verfolgt ein ohne Zweifel schönes und großes Ziel. Sie will die Erziehung frei machen und auf eine neue Grundlage stellen. Im Ziel berührt sich die Be- wegung mit dem Schulideal des klassenbewußten Proletariats. Auch wir wollen eine freie, einheitliche, aus Selbsttätigkeit ge- gründete und dazu weltliche Schule. Nur daß wir all das klarer, ausgesprochener, in reinerer Ausprägung wollen. Unsere Forderungen sind radikaler, herzhafter, unmittelbarer. Aber das ist im Grunde nicht das Trennende zwischen uns. Was uns scheidet, ist der Weg zum Ziele. Die Reformer wollen den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen. Wollen die Schule reformieren im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung. Nach dem altbekannten Rezept aller bürgerlichen Sozialreformer und utopisttschen Quacksalber. Wir sind dagegen überzeugt, daß einzig und allein die Ueber- Windung des kapitalistischen Klassen st aates zur Aufhebung der Klafien- und Armenschule, zum Sturze der herrschenden Erziehungsgnmdsätze führen kann. Helfen wir eine neue Gesellschaft schaffen, und wir werden die neue, freie Schule haben. Otto Rühle . Im Mrkifcben l�useum. 8. Haus und Straße. Die bürgerliche Kultur Berlins von der Mitte des 18. bis zu» Mitte des 19. Jahrhunderts etwa, die ihre äußeren Spuren in einer gewissen Stileinheit zurückgelassen hat, bahnte sich zunächst nur gleichsam in den vier Wänden an. Ein Einfluß auf das öffentliche, das politische und rechtliche Leben stand ihr unter dem Despotismus des 18. Jahrhunderts noch keineswegs zu. Erst nach dem Zu- sammenbruch dieses Systems, nach Jena , mußten die Machthaber, aus eigenstem bittersten Lebensinteresse, dieser mehr häuslichen Bürgerkultur auch im öffentlichen Genieinwesen einen bescheidenen Platz gönnen, um sie nach Napoleons Sturz durch die Reaktion auch daraus wieder zu verdrängen. Zeigt uns die kulturgeschichtliche Abteilung des Museums für das Mittelalter keine anderen Reste als Mordwaffen und Folterinstrumente(Saal 29 und 32), so sehen wir jetzt auch in den friedlichen Alltag des Bürgerhauses und der öffentlichen Plätze. Das Rokokozimmer mit den Rosenbergschen Wandgemälden aus dem noch stehenden Palais des Ministers b. Podewils in der Klosterstraße neben der Parochialkirche(Saal 45) ist natürlich als ein Prunkraum möbliert zu denken, wie ihn sich ein Berliner Bürgersmann jener Zeit kaum hätte leisten können und jedenfalls aus Sparsamkeit nicht geleistet hätte, mochte er sich selbst wie der Inhaber des Zuckermonopols David Splitt- gerber in seiner ganzen Wohlhabenheit in Oel abkonterfeien und von dem tüchtigen G. Fr. Scbmidt in Kupfer stechen lassen(Saal 24, zweiter Schrank). Einige Stücke möblieren ein Zimmer(Nr. 47) im Stil des ausgehenden Jahrhunderts. Die Kommode, auf der die Schoppeschen Zeichnungen liegen, gehört noch dem Rokoko an. Chodo- wieckis Blätter an den Wänden beleben Interieurs von 1769 etwa. Das grüne Ripssofa mit den Bronzebeschlögen und seinem runden Mahagonitisch davor ist bereits Empire. Denselben Stil hat der aus Birkenwurzel von der Tischlerinnung gearbeitete Kunstschrank mit Geheimfächern, der auö besonderen Umständen in den Besitz des Medailleurs Loos kam und von diesem mit den schönen Reliefs ver» sehen wurde(Raum 48). Die vollständigste Zimmereinrichtung ist die aus Birke von 1839 etwa(Raum 35): Sofa, Rundtifch und Stühle, Sekretär und Bücherschrank, Spieltisch und Nähtisch, Klavier, Eck- servante, Kommode mit Spiegel, dünnem Teppich und Prismen» kröne. Das ist das heute als Nachahmung so sehr in Mode und bei Verständigen bald wieder in Verruf gekommene sogenannte Biedermeier — eine nachträglich erfundene Bezeichnung übrigens, die von München aus durch die„Fliegenden Blätter " und die„Jugend" in die Sprache der heute so anpassungsfähigen Industrie und der von dieser abhängigen„Gebildeten" übergegangen ist, um in freien und angewandten Künsten ihr im Grunde recht sinnloses Wesen zu treiben. Genau so wie in unseren Tagen eine kulturverlassene Bourgeoisie sich in Biedermeierspielerei ge» fällt, entstand damals unter dein Einfluß der Nomantik und ihrer mittelalterlichen Tendenzen als Reaktion gegen die schlichte Schön» heit dieser einfachen, gradlinigen Möbelformen die gotische Mode, die dann, besonders unter dem Schutze des„kunstverständigen" vierten Friedrich Wilhelin, zu den wildesten Ausgeburten eine? mißleiteten Geschmackes führen sollte. Und kein Geringerer als Goethe ist es gewesen, der 1827 zu Eckermann diese Spielerei mit dem rechten Tadel traf:„Es ist immer eine Art von Maske- rade, die auf die Länge in keiner Hinsicht wohltun kann, vielmehr auf den Menschen, der sich damit befaßt, einen nachteiligen Ein» fluh haben muß. Denn so etwas steht im Widerspruch mit dem lebendigen Tage, in welchen wir gesetzt sind, und wie es aus einer leeren und hohlen Gesinnungs- und Denkungsweise hervor» geht, so wird es darin bestärken." Goethe selbst wohnte, wie man heute noch in seinem Weimarer Wohnhause sehen kann, in ähn- lichen Möbeln, wie das ausgestellte Berliner Zimmer sie hat, und empsand deutlich den inneren Zusammenhang des damaligen bürgerlichen Zeitgeistes mit den Formen dieser Gebrauchsgegcn- stände, die in ihrer nützlichen Einfachheit ihre eigene Scbönheit und Wahrheit, als dem Bewohner gemäß, hatte und doch noch eine leise Erinnerung an die ewig vorbildliche Antike besaß. Das Schoppesche Aquarell an der Wand desselben Raumes belebt ein ähnliches Interieur mit Figuren: eine Abendgesellschaft in einem Hause am Dönhoffplatz. Das eine weibliche Wesen, das sich eben am Klavier produziert hat, lauscht mit den anderen der Rezitation eines jungen Mannes, während die männlichen Zuhörer sich an den Wänden in einer elegischen Ergriffenheit winden, die unsere raschere Zeit wie tödliche Langeweile anmutet. Dies zeigt nur im engeren Familienkreise die Literatur- und Kunstschwärmcrei einer Zeit und einer Klasse, die vom öffentlichen Leben so gut wie ausgeschlossen war. Eine Art von Organisation gewannen solche häuslichen Abendzusammenkünfte zu Bildungszwccken für weitere Kreise in sogenannten Salons, die sich zu ihren franzö» fischen Vorbildern der Rokokozeit verhielten wie die vierkantigen Kien- oder Birkenmöbel dieser bürgerlichen Epoche zu dem ver» goldeten, gobelingeschmückten Schloßmöblement jener aristokra- tischen Zeit. Die leibliche Bewirtung kam in allerletzer Linie, und der Witz der Berliner , die gerade in ihrer erzwungenen Dürftigkeit einen iräst'-gen Happen nicht verachten gelernt hatten, kühlte weidlich s.!aen Mut an dem dünnen Tee und den sparsam be- legten Butterbroten, die auch in den wohlhabendsten Häusern bei solchen Abendgesellschaften gereicht wurden. Einer der bedeutend» sten und bekanntesten Salons jener Zeit war der der Rahel
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26 (5.6.1909) 107
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