'„Ah, Schlvesterherz, wenn Du solch schlanke Taille, wie die Deine ist, suchst, dann kannst Du lange warten..." (Von einer anderen Ecke):„Dsrssii baschina!(Möge die Reihe bald an Dich kommen!) Weshalb fie nur so weinerlich aus- sieht?... Ich meine, daß sie wohl Grund hätte, sich zu freuen, denn der Bräutigam ist jedenfalls viel hübscher als siel" ..„Warum denn? Ich finde sie gar nicht so häßlich, die Arme... Er soll eine ockalilc haben, ist es wahr?"(cxiaHk, in Europa in „Odaliske" verunstaltet, bedeutet die— gesetzlich und gesellschaftlich anerkannte—„zum Zimmer Gehörig e"). „Ich habe auch so etwas gehört. Er soll sie verstoßen oder verkauft haben, sagt man. Genaues weiß ich nicht." „Ich habe gehört, daß sie krank und bettlägerig sein soll. Alle Hausbewohner sind in größter Sorge, daß der Braut dies Gerücht zu Ohren kommen könne..." Im Gewoge der Stimmen, im Geräusche treppauf, treppab eilender Füße erstarb die Musik der Spiellcute fast vollständig. Nachdem der Entschluß bekanntgegeben war, daß die Gäste zum Bleiben aufgefordert werden sollten, wurden im ganzen Hause die Kerzen, Lampen und Kronleuchter angesteckt. Die vom grellen Schein der Sonne unbarmherzig bestrahlten kleinsten Schönheits- fehler, Fältchcn und Flecke der jungen und alten Gesichter ver- schwanden wieder unter dem sanften Lichte der Lampen, noch schönere Schattierungen malte es in all die bunten Seidcnschleppen, noch fröhlicher und ungezwungener bewegten sich die Eingeladenen durch die weiten Räume. »' Es war gegen Mitternacht— die Musik spielte ihre schmelzendsten Weisen—, als eine junge Sklavin in hellrotem Seidenkleid, das lang herabhängende Haar mit einem roten Seiden- bände abgebunden, die Treppe zu einem Seitenflügel hinabstieg. Ab und zu duckte sie sich und blickte mit dem Ausdruck einer vom Löwen verfolgten Gazelle in den schönen schwarzen Augen hinter sich, bis sie in einen langen, schwach erleuchteten Gang einbog. Hier stand sie eine Zeitlang— die Hände auf die angstvoll wogende Brust gepreßt— still und lauschte angestrengt nach allen Seiten. Verworren und gedämpft drang das geräuschvolle Treiben des Festes bis hierher in diesen verlassenen Winkel. Das sanfte Licht des Mondes fiel durch ein Deckenfenstcr und umspielte zärtlich die sich an die kalte Wand schmiegende Gestalt der Lauschenden. Nach einer Weile huschte das Mädchen weiter und klopfte leise an eine am Ende des Ganges befindliche verschlossene Tür. Keine Ant- wort... Die Sklavin klopfte noch etwas stärker... wieder kein LautI Nachdem sie ein wenig gewartet hatte, klopfte sie zum dritten Male. Endlich fragte von innen eine zittrige Stimme:„Wer ist da?"„Macht auf, Großmütterchen, ich bin es!" rief das junge Ding leise. Ein altes Mütterchen, das Kopftuch um das Haupt geschlungen, öffnete. Dieses Zimmer war der Armut vom Reich- tum eingeräumt worden: Der vor den niedrigen, in den unge- pflegten Garten hinausgehenden Fenstern stehende Diwan ist von der Feuchtigkeit angefault, die Wände wiesen große schwarze Flecke auf. Auf der rechten Seite des Zimmers stand ein Bett; aus dessen Kissen blickte zwischen langem blondlockigen Haar ein wachsbleiches Gesicht, in das der Todcsengel feine furchtbaren Zeichen gegraben... Die Augen waren zwar offen, doch sah man nur das Weiße, die halbgeöffneten Lippen von derselben Farbe wie das Gesicht ließen die kleinen Zähne hervorschimmern, blaue Adern durchzogen die zarte Haut der Schläfen und des Halses. So wie die Farbe des Todes auf dem Antlitz der ihm Geweihten ausge- breitet lag, so breitete sich in diesem Gemache ein dumpfer Moder- geruch aus, atembeklemmend... * Dieses jetzt auf dem Totenbette liegende achtzehnjährige Mädchen war vor vier Jahren ein goldlockiges, rosiges, mit den Vögeln um die Wette zwitscherndes Kind. In dem von hohen Mauern umschlossenen Harem aufgewachsen, wußte fie nichts von den Gefahren und Sorgen des Lebens. Sie liebte die Blumen über alles, spielte mit den Schmetterlingen, sang in der Morgen- frühe ihre Lieder zum offenen Fenster in den Garten hinaus. Zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang sie die Treppe hinunter. Der verwöhnt« Liebling des Hauses, konnte fie tun und lassen, was fie wollt«. Alle Winkel des alten Hauses durchstöberte sie, kurz— sie benahm sich nicht anders als andere gesunde Kinder ihres Alters. Ihre roten Lippen lächelten stets, die zarte Röte ihrer Wangen stieg bis in die großen blauen Augen hinein, bei der geringsten Kleinigkeit brach sie in helles Gelächter aus. Sie war für ihr Alter zu schön, für ihre Stellung zu zart— dank der Freiheit, die man fie genießen ließ, hielt fie das Leben für eine lange Reihe von Vergnügungen und Freuden aller Art; sie ahnte nicht, daß schon morgen vielleicht eine erbarmungslose Hand ihr Blütcndasein knicken könne. (Schluß folgt.) Blindert Jahre Zichoncnhaffce. Eine neue Steuerbelastung des Kaffees droht und wird viel- leicht, wie all die anderen Steuerlasten, die auf die Armen und vermsien abgewälzt werden können, bald nicht nur mehr Drohung, sondern bittere Wahrheit sein. Der Zufall will eS nun, daß diese neue Steuerlast gerade hundert Jahre nach der Einführung der Zichorie als eines billigen Kaffeeersatzes zur Tat werden soll. Vor hundert Jahren war es die drakonische Maßregel der Kontinentalsperre, durch die Napoleon I. , der den Handel des trotzenden Englands vernichten wollte, die Kaffccpreife zu unerschwinglicken Höhen steigerte. Englands Schiffe dursten keinen europäischen Hafen anlaufen. Die Ware, die sie führten, war zur guten Prise erklärt. Da aber zumeist England es war, das den überseeischen Handel mit Kaffee vermittelte, so drohte allen an der Politik ganz unbeteiligten Kaffeeschwestern das Versiegen der Zufuhrquelle ihres Lieblingsgetränks. Da setzte zuerst die Fabri- kation von verschiedenen Kaffeesurrogaten ein, von denen die Cichorie lange den obersten Rang behauptet hat. Die Cichorie, auch Weg- wart genannt, ist in Indien , Aegypten , Griechenland und der Levante heimisch, wird aber auch in nördlichen Landstrichen gebaut. Als Endieviensalat ist fie allen Haus- stauen wohlbekannt, von allen Feinschmeckern hochgeschätzt. Die teils weißliche, teils zartgrüne Farbe dieses Salats ivird durch Lichtentziehung erzeugt, und er erhält so neben dem verlockenden Aussehen auch noch einen besonders angenehmen Geschmack. Das unter dem Namen Zichorie bekannte Kaffeesurrogat wird auS der Wurzel des gleichnamigen Gewächses gewonnen und zu diesem Zweck besonders im Braunschweigischen, Magdeburgischcn, in Hannover , Thüringen , im Breisgau und in Schlesien auf mehr als 12000 ha Landes angebaut. Auch in Holland , Belgien und Oesterreich-Ungarn gibt es ausgedehnte Zichorienkulturen zur Gewinnung des Kaffeesurrogats. Zu dessen Bereitung wird die Wurzel in rotierenden Trommeln ge» waschen, auf Maschinen geschnitten, auf Darren getrocknet, sodann geröstet und gemahlen. Beim Rösten wird zur Verbesserung des Geschmacks noch etwas Sesam- oder Erdnußöl hinzugesetzt. Das so gewonnene Mehl wird in Pakete getan und in künstlich feucht er- haltenen Kammern aufbewahrt. Vom Gehalt der Zichorie ähnelt nur das brenzliche, beim Rösten entwickelte O e l entfernt dem Aroma des Kaffees, und ihre Hauptwirkung besteht darin, daß es 13 Proz. lösliche Bestandteile an das Waffer abgibt, wodurch dieses dunkel ge- färbt wird. Neben der Cichorie existieren noch viele und teils bessere Kaffee» surrogate. Besonders geröstete Getreidekörner, am liebsten Roggen, werden durch Kochen und Rösten zum Kaffeeersatz zugerichtet. Ein klein wenig näher kommen die Gerbsäure enthaltenden Eicheln dem Kaffee, auch Runkelrüben und Mohrrüben, Dattel- und Wein- traubenkerne liefern ein vielgebrauchtes Surrogat. Der aus dem„Tragant" genannten Strauch gewonnene schwe- dische oder Kontinental kaffee galt eine Zeitlang für den besten Kaffeeersatz und deutet schon in seinem Namen auf den Ursprung der Kaffeesurrogate hin._ Der Hmeirenftaat/) Bei aller äußeren Aehnlichkeit von Menschen und Ameisenstaat sind doch die Grundlagen beider ganz verschieden. Die Arbeits- teilung, die die menschlichen Gemeinschaften auf eine so hohe Kulturstufe gehoben hat, die auch die Ameisen weit über die anderen Insekten, selbst noch über die ihnen ähnlichen Bienen erhebt, hat bei beiden ganz verschiedenen Ursprung. Die Menschen haben diese Höhe im Laufe der Jahrtausende durch eine Unsumme von geistiger Arbeit erklommen. Sie haben einen gewaltigen Schatz von Er- fahrungen und Entdeckungen aufgestapelt, und jedes neue Geschlecht baut auf den Ergebnissen dieser früheren Geistesarbeit weiter. Die Ameise lernt auch, aber nur ein klein, bescheiden Teil, und sie kann ihren Nachkommen nichts davon hinterlassen. Das aber, was wir gerade an ihr bewundern, die Höhepunkte ihrer Tätigkeit, die braucht sie nicht erst zu lernen, die bringt sie schon fertig mit auf die Welt: sie sind ihr angeboren. Eine Amazone ist vom ersten Augen» blick ihres Lebens an schon die unübertreffliche Sklavenjägerin, deren vollendete Kriegskunst von keiner anderen Ameisenart er» reicht wird. Sie handelt ohne Einsicht in die Nützlichkeit ihrer Kriegsweise, wie ein blinder, von ihren Vorfahren ererbter Triebs sie zu tun zwingt. Wäre es sonst wohl möglich, daß dieselbe Ameise die Fähigleit, selber zu stessen, verlernt haben könnte? Keine Ameisenart erfindet neute Künste, jede übt ihre besonderen, und nur diese. Neuen Verhältnissen kann sie sich entweder gar nicht oder nur in sehr geringem Maße anpassen. Der Mensch widmet sich dem Berufe, der seinen Anlagen oder seinen Neigungen ent- spricht. Die Ameise kann sich ihre Beschäftigung nicht wählen, sie ist ihr von der Natur vorgeschrieben. Ihre gesamte Tätigkeit ver» läuft im wesentlichen in derselben Weise, wie die einzelnen Teile eines Automaten ineinandergreifen. Wie sollte auch das winzige Ameisengehirn imstande sein, dieselben Leistungen hervorzubringen wie das hochentwickelte, 2V4— 3Ä, Pfund schwere MenschenhirnZ Selbst die Tugenden der Ameisen, ihre vielgepriesene Emsigkeit» die großartige Wut, mit der sie ihre Brut gegen feindliche An- griffe verteidigen, sind keine Tugenden im menschlichen Sinne; denn auch hier handelt das Tier unter dem Zwange des unbewußt *) Aus„Die Ameisen" von Hugo Viehmeyer(Naturwissen* schaftliche Bibliothek für Jugend und Volk. Leipzig , Verlag von Quelle u. Meyer. 159 Seiten. 48 Abbildungen, gebunden 1,80 W.
Ausgabe
26 (8.6.1909) 108
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten