Ein Arbeiterleben.
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Einer Erzählung der von Saidja und Adinda hat Multatuli eine ergreifende Einleitung vorangestellt. Meine Geschichte wird eintönig fein, beginnt er, eintönig wie die Geschichte von der Arbeitsamkeit der Ameise, die ihre Last den Berg hinanschleppen muß, aber jedesmal mit ihrer Fracht zurückfällt und doch versucht, festen Fuß zu fassen. Sie stürzt in die Tiefe, aber immer wieder ergreift sie ihre Last, aufwärts zu kommen. Allein nicht von Ameisen soll die Rede sein, sondern von Menschen, von Wesen, die ein Empfinden haben wie wir....
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wieder so eine Spizbubenbagage ba? Man darf nicht den Rücken wenden", und so ging's weiter. Als er sich doch ein bißchen beruhigte, stotterte ich ängstlich:" Bitte, Sie sollen mein Bate sein. Meine Mutter hat's gejagt, ich heiße Holet." Was, ich Dein Pate? Eines solchen Herumziehers? Marsch!" und schon fühlte ich seine Hand an meinem Kragen und flog aus dem Hofe auf die Straße. Lust und Liebe zum Lernen waren nun ganz erstickt. Trotz der allgemeinen Schulpflicht schwieg auch der Drtsschulrat zu all dem, und, wie Holet erzählt, nicht nur in diesem Falle. Um des Bettel lebens ledig zu werden, schlich sich der Junge einmal früh vom Hause in die Buderfabrit des nächsten Drtes, bat den Adjunkten um Arbeit und wurde zur Säuberung der Rübenschnitzelpressen verwendet. Solcher Art, düster und schwermütig wie eine slawische Melodie Der Lohn betrug fünfunddreißig Kreuzer täglich. Schon in der flingt alles, was Wenzel Holet aus seinem Leben zu berichten weiß.*) zweiten Nachtschicht wurde er von einem Treibriemen erfaßt und Nur felten, ganz selten springt ein heller Ton auf. In einem nord- durch die Luft über die Transmission an die Mauer geschleudert. böhmischen Dorf tommt er zur Welt. Sein Vater arbeitet in einer Schuhvorrichtungen gab es nicht, die kosten doch mehr als Menschen. Buckerfabrit. Früh lernt das Kind deutsch und tschechisch. Che noch Ein Zufall ließ das Kind am Leben. Da der Junge den Unfall der Schulbesuch beginnt, lehrt ihn der Vater, der selbst nicht gut seiner Unvorsichtigkeit zuschrieb, ließ er davon keinen Menschen etwas Tefen und fast gar nicht schreiben kann, buchstabieren, damit es dem wissen. In der Zuckerfabrit erlebte er auch etwas, das ihn für lange Kinde einmal beffer geht. Als dann der Kleine Junge in die Schule aus dem seelischen Gleichgewicht brachte. Er hatte dem Adjunkten tommt, ist er bald der Erste. Ein brennender Lerneifer und Ehr- etwas zu melden, fand ihn aber nicht im Laboratorium und ging geiz erfüllt ihn. Der Vater aber verliert die Arbeit. Bei einem ins Magazin. Als der Knabe die Tür öffnete, fand er den Adjunkten Bahnbau, der die Eltern bald beschäftigt, bekommt auch der mit der schönen Marie von Nouvzov in einer sehr verfänglichen fiebenjährige Knabe zu tun. Er hat Lehmhacken in die Schmiede Situation. Mit flopfendem Herzen lief er zurück an seinen Arbeitsplatz, zum Schürfen zu tragen, Bier aus der Kantine zu holen und setzte sich an den unteren Balken der Transmission und barg sein Gesicht andere Besorgungen zu machen. Statt der Schule das wüste Treiben in den Händen. Nach dem Ende der Zuckerkampagne zog der auf diesem Bahnbau!„ Schwein, Rindvich, Hund, Esel", das waren Vater nach Sachsen . Wenzel durfte ihm mit einigen Erwachsenen ihre liebsten Ausdrüde. Später kam Holet wieder in die Schule, nachziehen. So kam er als Zwölfjähriger zum ersten Male über das erste Schuljahr aber ist verloren. Wieder beginnt der Bahnbau die Grenze. Wie er hier von einem Orte in den andern zog, um und wieder wird der Knabe mitgenommen. Ich war zum geistigen den Vater zu finden, bis es schließlich in Mulda ein Wiedersehen Krüppel verurteilt!" Noch einmal kommt er für eine furze Zeit in gab, ist mit ergreifender Wucht geschildert. Nach einem mühevollen die Schule. Bum Unglüd muß der Vater nun ganz außer Haus in Halbjahr ging's wieder heimwärts oder vielmehr nach Dur auf den einer Buckerfabrik arbeiten, und der Grundsatz der Mutter lautet: Abraum, eine Stätte tiefsten Schmuzes, abschreckender Verwilderung Wer viel lernt und studiert, der wird verrückt, kommt ins Narren- und elender Schufterei. Männer und Frauen arbeiteten zusammen. So Haus. Sie gönnt dem Jungen nicht einmal einen Platz für seine wurde der Junge Beuge der häßlichsten geschlechtlichen Szenen und hatte Schulbücher und schimpft ihn, wenn er Schulaufgaben machen will. den ganzen Tag nichts als Flüche und Unflätigkeiten zu hören. Dabei Wenn sie Brennholz aus dem Walde oder Kohlen vom Schachte schindet sich einer mehr wie der andere, sein Schweiß regnet förmlich von holt, wenn sie bei Bauern zu dreschen hat oder waschen geht, der Stirn, läuft den Körper herunter und durchnäßt Hemd und Hose." muß der Kleine zu Hause bleiben und auf die Geschwister acht Schlafen mußte er auf Stoppeln. Zu essen gab es morgens ein geben. Töpfchen Kaffee, zum zweiten Frühstück für sechs Kreuzer Schnaps Wandte ich manchmal ein, daß ich so nichts lernen könne und oder Bier, dazu Brot mit Fett oder ein Stückchen Wurst, zu Mittag, wieder in der zweiten Bank figen bleibe, fuhr sie mich an:" So viel Vesper und abends dasselbe. Später zog der Vater mit ihm in du brauchst, wirst noch lernen, und ruhig!" Dft wurde ich stubig, eine Zuckerfabrik. Hier war das allgemeine Betragen besser, eine wollte mir den Schulgang erzwingen, aber da: ein Sprung und Folgeerscheinung der höheren Löhne. Diese Wanderungen wiederholten Griff hinter den Ofen, und schon spielte der Stiel des Ruten sich immer. Ist die Arbeit in der Zuckerfabrik zu Ende, so gehts wieder befens feine Künste auf meinem Rüden und Kopf." So wurde der nach Sachsen . Diesmal will sich für den Vater feine Arbeit finden, Schulbesuch wochenlang unterbrochen. Kam er dann doch einmal während für Wenzel in der Radecker Ziegelei Beschäftigung wäre. in die Schule und fand sich in feine Rechnung auf der Wandtafel Diese zwei Seiten, die von den inneren Stämpfen des Vaters er hinein, so griff auch der Lehrer zum Stock. Wie viele zählen, der den Jungen nicht allein lassen möchte und es doch muß, Schläge mußte ich da ertragen. Wie oft mußte ich mich so atmen schier homerischen Geist. Der Vater versucht schließlich noch herumstoßen, herumschütteln lassen? Unschuldig! Der alte, eine Umfrage und geht nach Berthelsdorf in die Ziegelei. Sch weißhaarige Mann war nicht imftande einzusehen, daß nicht ich an wartete draußen bei dem Bündel, das er im Straßengraben abgesetzt meiner Rückständigkeit schuld war, daß ich sehr gern lernen wollte, hatte. Er fam lange nicht wieder, und das steigerte in mir die aber durch Not und Dürftigkeit meiner Eltern hierin gehindert Hoffnung, daß wir doch vielleicht angenommen würden. Ach, mein wurde." Schließlich mußte der Junge ganz zu Hause bleiben und einziger Wunsch war ja, daß wir beisammen bleiben tönnten. Bazen"( Ziegeln) machen. 150 bis 200 Stück brachte er bald täg- Nach langem Warten sah ich ihn endlich um die Ecke des lich zustande. Früh, wenn die Arbeit begann, spürte ich schon Gartenzauns biegen. Als er näherfam, sah ich, daß er lächelte; Schmerz in allen Gliedern. In Beinen vom Laufen, in Händen das weckte in mir erst recht Neugierde; ich konnte es gar nicht und Rücken von dem Tragen. Den ersten Biegel anzugreifen, hat erwarten bis er heran war, und fragte schon von weitem: mir immer gegraut." Schlaf gab es nur wenig. Ja, die Mutter Bekommen wir Arbeit?" Er nickte. In diesem Augenblick fiel schlief gar nur drei Stunden! Gebenedeit seist du unter den von mir die ganze Last des Kummers und der Sorgen herunter; Weibern, du Heldin! Schon mur deswegen verdienst du ich fühlte mich glücklich, wie neugeboren." Im Herbst kam berehrt zu werden." Da lernte der Junge von einem wieder die Buderfabrik an die Reihe. Um diese Zeit wurde Nachbarn die Harmonika spielen und befam nach längerem Holek vierzehn Jahre. Alles, was er fonnte, war ein bißchen Lesen. Bitten eine eigene. Seine Freude, die grenzenlos war, follte freilich mit solchem Wissen also trat ich als reif in das gesellschaftliche bald verfladern. Vater und Mutter verloren die Arbeit, und Leben. Ach, was rede ich! Ich war ja schon längst darin." Weiter schließlich bestimmte die Mutter ihren Sohn Bettelmusikant zu verstrich Jahr um Jahr in schwerem, fraftverzehrendem Frondienst, bie- um in werden. Alles Sträuben des Kindes half nichts, es sah ja die Not- freudlos, ohne Aufschwung, in heißen Zuckermagazinen, wo nact wendigkeit ein. Von Haus zu Haus zog er, von Dorf zu Dorf, gearbeitet werden mußte. Wegen der Hize machte ich mir schließ durch Regen und Schnee, zu Kirchweihfesten und Jahrmärkten; aus lich nicht so viel daraus. Aber wenn der Sommerabend herrlich Angst und Schen wurde allmählich Keckheit und Routine. Und war und ich dann auf diese Nachtschicht gehen mußte, pacte mich der Knabe brachte Geld und Essen heim." Brot, Kuchen, o, o, ol jedesmal eine blinde Wut." riefen freudevoll die Geschwister. Die Mutter zwang sich auch zum Lachen, ich sah aber, wie ihr die Tränen in den Augen standen. In den Augenblicken vergaß ich meine Leiden, die ich beim Spielen ausgestanden." Einige Jahre ernährte der Junge auf solche Weise, hauptsächlich im Winter, die ganze Familie. Wieviel Schmähungen und Erniedrigungen mußte sein junges Herz dabei freilich leiden. Einmal sagte zu ihm die Mutter:" Wenzel! Wenn Du nach Stohotik kommst, so fannst Du bei der Gelegenheit dort Deinen Baten aufsuchen." Wenzel ging hin, es war aber nie mand daheim, so wartete er im Regen. Nach längerer Zeit, als es schon sehr dunkel geworden, kam schließlich ein langer, starter Mann mit einer Frau auf das Haus zu. Ich trat vor, schickte meine Zunge zu einem recht freundlichen Gruß zu, ehe ich aber dazu kam, erscholl schon die mächtige, donnernde Stimme des Mannes: Schau, ist nicht
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*) Wenzel Holet: Lebensgang eines deutsch- tschechischen Handarbeiters. Mit einem Vorwort herausgegeben von Baul Göhre. Berlegt bei Eugen Diederichs , Jena 1909. 328 Seiten. Broschiert 4,50 M., gebunden 5,50 M.
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In Mscheno lernte der Siebzehnjährige ein Fabrikmädchen kennen, die Luis, die ihm feiner und edler erschien, als die ganze Umwelt, und die später auch sein Weib wurde. Große Hoffnungen und ernste Vorfäße faßte er. Seine Luis sollte sich nicht so wie die Mutter schinden und plagen müssen. Unsere Kinder sollten sich nicht in ihren jungen Jahren bettelnd in der Welt heruma treiben dürfen, wie ich es tun mußte." Aber von allem Anfang zeigte es sich, daß die Geseze des Wirtschaftslebens mächtiger sind als alle Hoffnungen und Vorsätze eines Arbeiters. Auch die Luis mußte sich schinden und plagen für 60 Kreuzer den Tag. Beide zusammen verdienten zwölf bis dreizehn Gulden in der Woche. Tiefe Wehmut erfüllte den jungen Menschen.
Da zeigten sich die ersten Anfäße der nordböhmischen Arbeiter bewegung. Flugschriften kommen auch in Holets Hände, und langsam, aber wie mit Notwendigkeit werden in ihm Stimmen stärter, die er bisher überhört hat. Er findet bei Arbeitskollegen Aufklärung, fommt ins Horchen und Diskutieren. Zugleich wird in ihm ein heimlicher Ehrgeiz wach. Er leiht sich Bücher und Broschüren aus. Mit einem Schlage hat sein Leben neuen Inhalt,