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Genossin Adelheid Popp   eine neue Art in der deutschen   Literatur dar. Jahrtausendelang gibt es Arbeiterleid und Fronschmach, Er. niedrigung und Zurücksetzung der Geknechteten und Besiklofen. Das Schrifttum nahm davon keine Notiz. Denn das ganze geistige Leben war von den Besitzenden beherrscht. Die Demokratisierung unserer Zeit machte auch das Arbeiterleben literaturfähig". Künstler famen und eroberten dieses Stoffgebiet der Dichtung, der Malerei und der Plastik. Aber es war doch noch nicht die Wirklichkeit, war doch alles mehr beobachtet als erlebt. Den Dar­stellungen fehlte im großen und ganzen nicht der Wille zur Kunst, aber doch ihre eigentliche Seele: das Erlebnis, Es fehlte die Un mittelbarkeit des Arbeiterdaseins mit seinen Empfindungen und Gedanken, mit seinem namenlosen Leid und seinem ewigen Trob. Erst diese Arbeiterbücher erschließen die Tiefen einer Welt, die an Schändlichkeit und Ungerechtigkeit so überreich ist wie keine vor­dem; sie lehren auch, wie Paul Göhre  , der verdienstvolle Heraus­geber dieses Buches im Vorwort sagt, daß die Masse der modernen Arbeiter, auf deren breiten Schultern der Bau unserer glänzenden Kultur hauptsächlich ruht, noch heute nicht an deren Gütern Teil hat. Noch lebt sie ein wahrhaft untermenschliches Dasein, wenn man Menschendasein mißt an dem Maßstab der Kulturgemein schaft." Und doch sind diese Bücher zugleich die Feuerzeichen einer großen Wende. Ohne die moderne Arbeiterbewegung wären fie nicht geschrieben worden. Sie sind der Ausdruck eines unver­gleichlichen Erwachens. Das Proletariat wird sich seiner ganzen förperlichen und geistigen Not bewußt. Und in diesem Bewußt­werden liegt die Bürgschaft seiner Selbstbefreiung. Josef Luitpold.  

aeuen Wert. Aufgaben treten an ihn heran, Freuden kommen in Igraphien Karl Fischers, William Brommes und der österreichischen  bie grauen Tage. Er ist Sozialist geworden. Hier gibt es die lichtesten Punkte im Dunkel des Buches. Wie ber­gnüglich lesen sich die Stellen, die von den Bücherverstecken der Arbeiter erzählen. Bald war es der Kohlenkasten beim Ofen, bald der Unterteil des Stuhlsizes, bald die Rollvorhänge an den Fenstern, die als Verstecke benutzt wurden, um der schnüffelnden Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Holet schob seine Bücher gar auf den Boden zwischen die schiefe Stubendecke und das Dach. Wollte er ein Buch haben, mußte er sich auf den Bauch legen, um mit der Hand unter das Dach langen zu können. Manchmal waren die Bücher zu weit hinuntergerutscht und mußten mit einem Schürhaten hervorgeangelt werden. Und manche hatten sich gar so weit nach hinten verirrt, daß sie überhaupt nicht mehr erreichbar waren. In der Antoniegasse Nummer sieben( in Aussig  ) stecken fie bielleicht heute noch." Alle Leiden und Freuden einer neuen Bewegung lernen wir kennen: wie es zuerst neun ganze Sozialisten anter der tschechischen Arbeiterschaft Aussigs gibt, wie man sich am Waldrand zusammenfand, um über den Zukunftsstaat eifrigst zu debattieren. Holet, der nun zweiundzwanzig Jahre alt war und das Tauffest seines Erstgeborenen feiern konnte, faufte sich eine Sprachlehre und ein Lesebuch o du alter Lehrer Behounat, las Bücher und Zeitungen und studierte, und wurde ein glühender Agitator. Arbeitervereine wurden gegründet. Holet bekam das Amt eines Bibliothekars. Bald wurde seine Ge­finnung dem Arbeitgeber bekannt, und die erste Entlassung er­folgte. Indeffen wurde er bei den Arbeitskollegen immer be­liebter und zu Vorträgen aufgefordert. Arbeiter und Bildung", Arbeiter und Literatur" waren seine Lieblingsthemen. Wechsel­bolle Schicksale wollen ihm seinen Sinn brechen. Seine Frau kommt mit ihm in Zant. Er verliert oftmals den Posten; zum Algenten fehlt ihm die Rücksichtslosigkeit; bittere Not zivingt ihn schließlich vom Parteileben abzusehen. Am Ende aber treibt es ihn doch wieder obenan. Eine Funktion nach der anderen erhält er. Als in Prag   ein Parteitag stattfindet, wird er Delegierter. Er spricht in Versammlungen, er schreibt für die neuen Zeitungen. Der Geist der Massen loderte empor wie Flammen brennenden Strobes." Maßregelung über Maßregelung kommt über Holek.

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Nach einer Rede, die er am 1. Mai gehalten hatte, bekam er in sein Arbeitsbuch den Vermerk: Austritt am 2. Mai." Nun konnte er Arbeit suchen, wo er wollte, überall wurde er zurück­gewiefen. Der Reinertrag vom Maifeste aber wurde zur Gründung eines Arbeiterblattes verwendet, und zum Redakteur bestimmte man Holek. Mit der sechsten Nummer waren die letzten Geld­mittel erschöpft. Freunde bestimmten nun Holet, ein Viktualien­geschäft zu eröffnen. Hilfsbereitschaft und Vertrauensseligkeit find aber schlechte kaufmännische Berater. Das Ende war ein Konkurs. Der Konkursverwalter fragte: Sagen Sie mir nur, twie Sie den Leuten so viel borgen konnten?"" Ich wußte wirk­lich nicht, was ich dem Herrn Doktor da antworten sollte. Was verstand der davon, was arbeitslos, ohne Verdienst, ohne Geld zu leben heißt?" Auch der Konsumverein, dessen Filiale er darauf zu leiten bekam, mußte geschlossen werden. Dazu gab es in der Partei viel persönliche Reibereien. Holek wurde ausgeschlossen. Eine rechte Beschäftigung wollte sich auch nicht finden. Ein halbes Jahr blieb er schließlich in der Nestomizer Zuckerfabrik als Träger. Es war eine zerrüttende Arbeit, tagaus, tagein über die Kraft hinaus. Aller Sinn für geistige Interessen ging dabei unter. In dieser bitteren Zeit starb Luis. Holek wurde in seiner Not so verzweifelt, daß er schon daran war, die Kinder und sich zu ver­giften. Man redete ihm zu, nochmals zu heiraten. Er tat es. Auch später trieb ihn Elend und Krankheit immer weiter in die Tiefe. Selbst das mußte er schließlich aus Not zulassen, daß seine Frau Amme wurde. Einmal wurde er Ziegelmeister; schließlich schickte ihn der Herr" doch wieder fort, weil er mit den Leuten zu gut war. Als der älteste Sohn vom Schulbesuch frei wurde, mußte er mitarbeiten, Ziegel formen, ganz wie Holek einmal felbst. Die Bücher wanderten ins Antiquariat. Ich mußte das, was mich am meisten freute, opfern. Wenn mir ein Kind starb, fühlte ich mich nicht so schmerzlich betroffen, als damals, wo ich die Bücher aus dem Hause tragen mußte." Schließlich fand ich es war nun 1904 eine Stelle in einer Dresdener   Glas­fabrik. Als Holek in diesem Jahre wegen der Uebersiedlung noch male nach Böhmen   fuhr, sah er sich in Aussig   ein Volksfest des sechsten böhmischen Wahlkreises an. Aus den neun Mann vor zwanzig Jahren war ein Zug von achtzehntausend Menschen ge­worden. Holek mußte sich bezwingen, um nicht laut aufzuweinen, so ergriff ihn dieser Umschwung, und er stand und schaute dem Buge nach..

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Mit dieser Szene schließt die Lebensgeschichte, mit einer Szene, bie zugleich ein mächtiges Symbol des Arbeiterlebens ist: das Einzelgeschick des Proletariers ist eintönig wie die Geschichte von der Arbeitsamkeit der Ameise. Aber es schreitet ein Zug durch unsere Zeit, der immer größer und gewaltiger wird und den Einzelnen alles Leid überwinden heißt im Vorgefühl neuer Zeiten. Holets Selbstbiographie ist ein Buch voll tiefer Erlebnisse. Die Schmach unserer Zeit ruft aus jeder Seite. Man wird gepackt und gerüttelt und mit gesteigertem Zorn und erneuter Kampffraft er­füllt. Nicht mit dem landläufigen literarischen Maß darf man an die Bewertung dieses Buches heran. Es stellt ebenso wie die Bio­

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Kleines feuilleton.

Sprachwissenschaftliches.

Motor oder Motor? Motore oder Motoren? Einigkeit über diese Fragen zu erzielen, wird von Tag zu Tag dring­licher, da immer wieder Zweifel über die richtige Aussprache und Mehr­zahlformen des Wortes auftauchen. Kein Wunder in unserer an Motoren aller Art so reichen Zeit, in der eigentlich jedermann Be scheid wissen sollte, wie das Wort sprachlich zu behandeln ist. In Wirklichkeit aber herrscht darüber die allergrößte Unsicherheit. Täglich kann man hören der Motor, des Motors statt der Mótor, des Motors, und in der Mehrzahl vollends laufen selbst in den besten Beitungen die Motore und die Motoren wild durcheinander, gerade als ob man nach Willkür bald so, bald so sagen und schreiben fönnte. Demt ist aber nicht so. Es gibt zwar leider, führt die Zeit­schrift des Allg. Deutschen Sprachvereins  " aus, eine Anzahl von Fremdwörtern, über deren Formen sich die Gelehrten nicht einig find, die in gelehrten Werken wie im Volksmunde in verschiedenen Formen erscheinen, zum Beispiel Monolith  , das im Wesfall bald Monolithes, bald Monolithen und in der Mehrzahl bald Monolithe, bald Monolithen heißt. Aber Motor gehört nicht zu diesen unsicheren" Kantonisten", sondern es stimmt seiner Wortbildung nach überein mit den vielen anderen aus dem Lateinischen übernommenen, auf der Stammsilbe betonten Wörtern auf or wie Doktor, Kontor, Roktor, ist daher auch ebenso wie sie zu behandeln. Es heißt also Mótor und in der Mehrzahl Motor e n. Anders steht es mit den wenigen aus dem Spanischen   entnommenen und wenigen anderen Fremdwörtern, die auf ein betontes or ausgehen, zum Beispiel Matador, Majór  , Mehrzahl Matadore, Majore. Diese ein­fache Regelung ist damit begründet, daß das Wort Motor ganz gewiß nicht das französische   Moteur, sondern unmittelbar aus dem Lateinischen entlehnt ist. Gegen sie wird nun aber von vielen Seiten das Wort Pastor, und zwar in dieser Sprechweise, geltend gemacht, wo offenbar die Mehrzahlform Pastoren für die Betonung der Einzahl maßgebend geworden ist. Allein das Wort Bastor nimmt in bezug auf Mehrzahlform und Betonung eine Stelle für sich ein, weil es in den verschiedenen Landschaften auf ganz verschiedene Art behandelt wird. Im Westen klingt der Pastor lächerlich, ja verächtlich sogar, während der Badenser über den Pastor ufft. So schroff sind die Gegensätze. Und in der Mehrzahl überwiegt zwar die Form Pastoren, aber es kommt auch die Form Pastore vor, und der Volksmund hat sich stellenweise daneben Bastöre geleistet. Man muß zugestehen, daß ein selbst so unsicheres, schwankendes Wort nicht zum Vorbild für die Be­handlung von Motor geeignet ist. Weiter aber hat man die Be­tonung von Motor auf der letzten Silbe zu entschuldigen gesucht durch den Hinweis auf andere Fremdwörter, die Sachnamen sind, wie Legát, Kristáll, Altár  . Allein, wenn solche fremdsprachlichen Sachnamen mit der Ableitungsfilbe or gebildet sind, und es gibt deren genug, so betonen wir sie auch nicht auf der Endung, sondern sprechen allgemein Irrigátor, Lubrilátor, Reflektor, Regenerátor, Respirátor, Injektor, Induktor usw. Weshalb sollen wir also bei Motor eine Ausnahme davon machen?

Berantwortl. Nedakteur: Hans Weber, Berlin  . Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.

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