Fülle, und kann der Ertrng des BodenS nicht noch so unberechenbar gesteigert werden, daß nicht bloß die jetzige Bevölkerung, sondern eine viel größere, ihren hinlänglichen Unterhalt findet? Werden nicht jährlich viele ICO 000 Scheffel an Getreide und Mehl aus- geführt? Und der Weber sollte auswandern, wo soviel Ueber- fluß? Wo eine Menge Nichtstuer täglich Unmassen von Fleisch, Wein und Bäckereien vergeudet, da sollte für den Weber kein Stück Brot, kein Glas Bier mehr übrig sein? Der Weber hat lange genug als Kind in der Schule, als Erwachsener sonntäglich in der Kirche von derchristlichen Liebe" undAufopferung", von der Pflicht", seinenNächsten zu helfen" mit allem, was dem ein» zelnen zu Gebote steht, salbungsvoll reden hören und er sollte jetzt vor dieser vielgepriesenen Liebe Reißaus nehmen? Er fängt viel- mehr an zu ahnen, daß, wenn Mühe. Drangsal und Hunger hienieden zur Krone des ewigen Lebens berechtigen, ihm die Reichen und Gebildeten längst dieses Privilegium entrissen hätten, und der Gedanke beginnt in ihm zu tagen, daß da, wo Millionen- reiche Fabrikanten, Gutsherren, die 10 000, 20 000 bis 100 000 Morgen Landes besitzen, viele, viele Tausend jährlich einnehmen, es nur einer vernünftigen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft bedürfe, um schon hienieden den Himmel zu gründen und aus dem jetzigen Ueberfluß der einen den Mangel der anderen zu ergänzen. Es kommen aber noch andere Aerzte, die bringen Schutzzölle in Vorschlag, wieder andere ein beschränkendes Gewerbepolizeigesetz und derAeichen. Wer über die Natur des Privateigentums und seine Konsequenzen ernstlich nachgedacht, wird von Dingen, die höchstens einige Zeit als kleines Palliativ wirken könnten, keine Radikalkur hoffen. Nur eine Reorganisation, eine Umgestaltung der Gesellschaft auf dem Prinzips der Solidarität, der Gegenseitig- keit und Eemeinschaftlichkeit, mit einem Worte der Gerechtigkeit, kann uns zum Frieden und zum Glücke führen. Das Stadtbild Pekings.' Ein merkwürdiges farbenreiches und phantastisches LandschastS« vild erschließt sich dem, der einmal auf den Mauern Pekings und zumal auf der Südmauer gewandelt ist. Denn wem sollte nicht vor allen andern das Bild lebendig werden, das der Europäer   auf diesem Lieblingsspaziergang so gern genießt: der Blick von dort, wenn die Sonne zur Rüste geht. Langsam kriecht die Dämmerung über!die endlose Ebene her und deckt einen fahlen Schleier über die Stadt, aus dem nur gespenstig noch die fernen Türme ragen. Zu gestaltlos dunklen Massen ballt ssch der Baumschlag, und graue Schatten gleiten höher und höher an Mauer und Türmen und Häusern hinauf. Alles grau in grau, beklemmend und düster in der Tiefe. Nur da und dort erglimmt schon ein tröstlicher Lichtschein, und draußen blinktS überall in Teich und Rinnsal auf, hier wie geschmolzenes Silber glänzend, dort, im Stadtgraben etwa, wo die steißigen Wäscher noch an der Arbeit sind, mit roten und grünlichen Reflexen. Doch in bleichem Golde gleißt es noch von den hohen Dächern der Kaiserburg, und ein tiefes, warmes, feuriges Rot verklärt einem Lächeln gleich die alten Zinnen und Türme, wo sie der letzte Kuß des Tages trifft. Und nun beginnt es im Westen mit magischem Schein zu leuchten: eS er­glüht mit einem Schlage fast die ganze Bergkette, die mit der plastischen Schönheit ihres kühn nnd sein geschnittenen Profils den Horizont im Westen und Nordosten abschließt, an Haupt und Flanken in einer so zauberischen Farbenpracht, wie ich sie nur noch in Suez beobachtet habe: denn wie dort wird der scheidende Strahl vom Wüstcnstaub zu einer Farbenskala gebrochen, die alle Töne vom zartesten Rosa bis zum tiessten Violett zu einer wahren Orgie ver- einigt; wie durchgeistigt und aller Erdenschwere bar steht das Ge- birge vor dem ruhigen Golde des Abendhimmels. Wahrlich, das ist ein Bild so eigenartig und einzig schön, daß eS sich unvergeßlich und jeden anderen Eindruck überschichtend in die Seele prägen muß. Doch auch im nüchternen Blick des TageS ist der Blick von der Mauer meinem Empfinden nach alles andere als reizlos und ein- tönig, wenn und wo man sie auch betreten mag. Denn vor allem: das gerode, was das Panorama emer europäischen   Stadt von gleicher Ebenenlage so unausstehlich nüchtern macht: das endlose Meer von Dächern, das sieht man von der Pekinger   Mauer eben nicht; es ist in einem Meer von Wipfeln begraben, die uns das Bild nicht einer Großstadt, sondern eines unermeßlichen Parkes vor« täuschen. Zwar fehlt allerdings die unregelmäßige Gruppierung ragender Bauten in wechselndem Stil fast ganz, die übrigens das Kirchturnibild einer Großstadt nicht notwendig verschönt; die rein chinesische Architektur ist ganz unleugbar ein- förmig nnd von jeher mehr der horizontalen als der vertikalen Eni- Wickelung zugetan, und sie bevorzugt auch die symmetrische An- ordnung und Verteilung ihrer Werke. Geradlinig zieht die Mauer mit regelmäßigen Basteien und Türmen, gradlinig ziehen die Haupt- straßen in unabsehbarer Länge hin, und die Hochbauten sind weder hoch noch zahlreich genug für den Riesenraum. Aber dennoch mag nun der Blick das melancholische Band des Tung-tschou-Kanals ver- folgen, mag er gen Norden hin über das weite Land mit seinen ) Aus Professor A. ConradhS Beiträgen zu dem Werke WassiljewsDie Erschließung Chinas". In deutscher Bearbeitung von Dr. R. Stübe. Leipzig   1909. Dieterichsche Verlagsbuch- Handlung. Sandstreifen, Feldern und Weihern, seinen Gehölzen und blitzende» Wasserfäden bis zu den Schlössern des Sommerpalastes gehen, die weißen Würfelchen und Strichen gleich vor dem düsteren Hinter« grund der Berge stehen, oder endlich über das grüne Meer der Stadt und die gelbe» Dächer der Tempel und Schlösser mit der sanften Kontur des Kohlcnhügels hinschweifen, bis wo der Zinnen» kränz der Mauer und ihr letzter Turm als zartes Filigran am Horizont verdämmert, auf den wieder die Wand der Westberge in bläulichem Schimmer gehaucht ist: immer zeigt auch die Sicht in die Ferne ein fesselndes Bild. Und dabei gibt ihm die wunderbare Durchsichtigkeit der Luft, die Luftperspektive, die so plastisch ab- zustufen und doch die feinste und kleinste Erhöhung als zarte Silhouette vom Hintergrunde zu trennen versteht, nicht nur einen eigenen malerischen Reiz, sondern mittelbar auch eine mächttge Wirkung. Ist jener winzige blaue Würfel dort wirklich dasselbe wie die finstere Wucht des TurmkolosseS über mir? Und jenes Stick» muster, die unendlich feinen Jäckchen daneben, sind das die breiten, kräfttgen Zinnen, wie die, auf der ich ruhe? Fast wie Ehrfurcht über» kommt es vor dieser gewalligen Leistung der Menschenhand I Ja. fünfzig Fuß hoch und fünfzig Fuß breit, alle zweihundert Schritt etwa eine mächtige Bastei   hinausschiebend, die ihren Durchmesser fast verdoppelt, von massigen Türmen drohend überragt: so zieht diese Stadtmauer trotzig, schwer, brutal, in China   selber einem Riesen» tiere der Urzeit, einem Dinotherinm vergleichbar, auf mehr als dreißig Kilometer hin, eine sprechende Verkörperung despottschen Willens und unbegrenzter Macht, der das Menschenleben wie ein Sandkorn galt. Ich sehe sie vor mir, die wimmelnden Scharen der Fronarbciter und ein ganzes Volk, wie fie in unabsehbaren Reihen schaufeln und graben und die Erde der Füllmauer zwischen starken Brettern ausschütten; im Takt ertönt die mahnende Trommel und der rhythmische Gesang, zu dem die Füllung gestampft und die Steine geschichtet werden. Aber ich seh« auch jene anderen Scharen, das Rebellenheer, daS zur Berennung herbeizieht, und dort blickt der Kohlenhügel her, auf dem sich der letzte Ming-Kaiser unter Rauch und Flammen der brennenden Hauptstadt erhängt hat. Man sieht die Maurer zerschossen und gedemütigt, ein deutsches Ssserrfort auf dem Nacken, und langsam bröckelt Stein um Stein; aber aus allen Fugen ihrer Pflasterung sprießt üppig blühendes Gesträuch, es rankt die Winde, und lustige Falter umflattern sie ein Idyll auf blutigem Hintergrund und so recht auch ein Symbol des heutigen Chinas.   Ich kann nicht sagen, daß ich mich hier gelangweilt hätte l Dazu klingt aus der Tiefe auch viel zu frisch das bunte Leben herauf. Denn gerade dieses, gerade der Vordergrund ist es, der dem Blick von der Mauer ein immer neues und wechselndes Jnter» esse gibt. Es fügt dem architektonischen Bilde vor allem den Reiz der Farbe hinzu, die aus dem gleichförmigen Gelbgrau von Erde und Mauerwerk und dem satten Grün der Bäume bald die rote Wand und daS glänzend gelbe Dach eines Tempels, bald eine Laden» front mit ihrer blau, grün und rot bemalten Schnitzerei oder die bunten Giebelchen eines der schlanken Straßentore heraushebt und kräftig gegen das heitere Blau des Himmels abhebt, und durch Licht und Schatten, durch die tausenderlei willkürlichen Zutaten, die daS regelmäßige Bauschema verwirren, und zuletzt auch durch die kleinen Unterschiede der Bodengestaltung wird es dann zerlegt, belebt und plastisch gegliedert. Springt hier ein Schutzdach vor. das einen scharfen, ttesschwarzen Schatten in die helle Straße schnpitutt, so ragt dort ein zweites Stockwerk mit Galerie und Altan  ; ist feiieiZassade glast, so hat diese dafür in den weit herausgehängten langen�dilnschJl-qrn UM so reicheren Schmuck, und eine dritte wieder öffnet.' ssH zur Lesen, gastlich kühlen Halle. Drüben über dem Stadtgräben rnit' seinem grünlichen Wasser und dem malerischen Brückenbogen erheben fich auf hoher gelber Böschung mannigfach gestaffelt die Dächer und Giebel der Chinesenstadt, während das Auge diesseits eine lange, lange Straße hinaufwandern muß, deren abgezirkelte Regelmäßigkeit aber schon durch die Doppelreihe verschiedenartigst gestalteter Hütten, Buden. Zelte und Marktschirme der Händler, die hier eine Straße in der Straße gebaut haben, durch ihre Rostöfen, Kueiptische und Garküchen, Fleischbänke, Topf- und Ziegellager usw., und hin und wieder auch durch das freundliche Bild eine? Ziehbrunnens unter schirmendem Baumdach gebrochen und nahezu verwischt wird. Und gewiß nicht zuletzt auch durch die Staffage I Wie das durch« eiuanderwunmelt und drängt, wie das schwatzt und lacht und feilscht, sich verbeugt und gestikuliert l Die Schenktische an den Rändern der Bürgorsteige find alle besetzt, und aus jeder Ladentür schauen Ge« sichtan in dichten Gruppen steht es um die Auslage des Straßen» händkerS, über der sich der Schirm mit den geschweiften Ecken des chinestschsnvaches breitet, oder drängt sich begierig um einen Jongl- eur, einui ZWärchenerzähler, ein Katperltheater her; da Ivird ein Hammel geschlachtet und da wird rasiert, hier röstet man Nüsse und dort werden Pasteten gebacken. Und dazwischen schiebt sich und wogt-thniauf und hinab ein unaushörlicher Strom von Vastaittkrl; da schleicht der Mönch, da eilt der Geschäfts» mann, da schlendert behaglich ein altes Weib mit der langen Pfeife im Mund oder ein Großvater, der seinen Enkel, ein Tierfreund, der seinen Vogel spazieren trägt; würdevoll schreitet der kleine Beamte im Staatsgewand und der promenierende Dandy, den Bambusstab quer über den Schultern trottet ein Lastträger daher. mit Klingel. Gong, Kastagnetten oder Horn oder welches Instrument sein Gewerbe verkünden mag wandert geschäftig der Hausierer und Handwerker, und mit unglaublicher Schnelligkeit winden sich mit ihren Wägelchen noch durch all dies Gewühl die Rikschalulis, deren