Ringsum war Finsternis und hütete das Geheimnis. Was habe ich gesehen?... Den Tod?... Nein?.. Sterbe ich oder werde ich wahnsinnig?,,, Was soll das henn, was soll das!" t Ihm schien, daß nur noch eine Anstrengung, eine letzte Anspannung nötig wäre, und er würde alles wissen. Un- 'sewisse Worte freisten in seinem Hirn. Sie wuchsen, näherten sich, wurden klarer... Die ganze Seele spannte sich.», doch plötzlich war alles verschwunden. » Blaß und erschrocken erhob sich Schewyrjoff mit gitternden, erschlafften Beinen, während er sich mit beiden Händen an der Wand hielt. -Ich werde verrückt... Ich halte es nicht mehr länger öusl" dachte er, verloren lächelnd, und sagte laut, mit sonder- bar unheimlicher Stimme: Wenn schon das Ende käme!" Ein Krachen dröhnte durch die Mauern des leeren Hauses und brachte Schewyrjoff zur Besinnung. Der Revolver, der heruntergefallen war, wurde von den über den Boden irrenden Händen ergriffen. - Die Berührung des kalten Stahls wirkte ernüchternd duf ihn. Er schauerte zusammen, spannte alle Kräfte an und -reckte die ganze Gestalt aus, hart, ruhig und kalt wie immer. Ich muß gehen!... Galgen, Wahnsinn oder Leben, als ob das nicht einerlei wäre! Früher oder später.. i Müde sah er sich um, steckte den Revolver in die Tasche Und begann die unsichtbaren Marmorstufen hinabzusteigen. Er war bereits an die Tür gekommen und sah schon den roten Schein des Straßenlichts, als er plötzlich stehen blieb und den Revolver hervorriß. Am Ausgang, ihm den Weg verlegend, stand ein langer schwarzer Schatten. In der Finsternis waren die an die Brust gepreßten Hände, das wirre Haar und blasse Gesicht, das ihm flehend zugewandt war, kaum zu erkennen. Wer ist da?" rief Schewyrjoff; gleich darauf brach er in Gelächter gus. Einen einfachen Balken, an dem einige Flecken zerzaustes Werg hingen, hatten die Finsternis und seine Unruhe zu einem majestätischen Dulderbilde gemacht. Er ging näher an ihn heran, schob ihn verächtlich mit dem Fuß beseite und trat in den Hof hinaus, (Schluß folgt.) Sin rllcKlicKtsvoUer JVIcnfcb.*) Von StefanGroßmann. Freundschaft ist bekanntlich Langeweile zu zweien. Gestern abends bin ich so, höchst freundschaftlich, mit meinem alten Schul- und Lebenskameraden Gutmann im Wirtshaus beisammengesessen. Es wurde elf Uhr nachts und auf der Basis unserer gemeinsamen Trägheit feierte unsere Freundschaft ein ausgedehntes Fest. Die Nachrichten, die wir uns mit halbem Interesse zu berichten hatten, waren erschöpft, die Meinungen, in denen wir noch übereinstimmten, waren besprochen, jetzt saßen wir ziemlich einsilbig da und es be- ftand sogar die Gefahr, daß wir von den Dingen zu reden anfingen, die einer am anderen nicht mehr begriff und deshalb verachtete. Zum Glück geschah da etwas, das den Krieg gieb es einen böseren als zwischen Freunden?' verhinderte. In dem ziemlich schwach besetzten Speisesaal saß ein junger Mann schon seit einer Stunde an einem Tische. Plötzlich rannte -ein junges Frauenzimmer durch die klirrende Glastür in den Saal herein. Die Blicke der Wirtshausgäste flogen ihr sogleich zu, wie das schon so ist, wenn ein weibliches Wesen einen Speisesaal betritt. Sie sah nicht übel aus. Ein zartes, schlankes Mädchen, nur ein bißchen zu bunt, zu lärmend gekleidet. Offenbar war sie in Zorn oder sonst in hitziger Erregung, jedenfalls sah man an ihrem festen Gange, daß sie nervös, sehr nervös war. Sie steuerte direkt auf den Tisch zu, an dem der junge Mann allein saß. In diesem Moment geschah etwas, was sogleich alle Gespräche an allen Tischen verdrängte. Der junge Mann, übrigens in ziemlich schofler Klei- dung, erblickte das Mädchen, stand blitzschnell auf, war mit einem Sprunge bei ihr und ein scharfer Klatsch! eine brillant ge­zielte Ohrfeige brannte schon auf der Wänge des Mädchens. Im nächsten Moment saß niemand von den Gästen mehr an den Tischen, die Herren waren empört aufgesprungen, die Damen, ein wenig gelassener, trippelten herzu..Ein dichter Kreis von Menschen stand *) Stefan Großmann hat seine Bilder und Erzählungen aus dem Alltag, die zumeist an dieser Stelle zuerst erschienen sind, unter dem TitelHerzliche Grüße" im Verlag der Buchhandlung Vorwärts gesammelt. Wir bieten unseren Lesern daraus eine ihnen noch nicht bekannte Skizze. nm die beiden vnd mitten zwischen ihnen mein guter, behäbiger FreuNd Gutmann, hochrot im Gesicht, schwer schnaufend vor Zorn. Eine Dame! Wie kann man nur eine Dame..." schrie er. Und von rückwärts fielen die Frauen gleich ein:An einer Dame sich vergreifen! Unglaublich!" Durch die Zustimmung noch couragierter gemacht, schrie Gutmann:Wie können Sie sich nur unterstehen? Ordinärer Mensch!! Gemeinheit! II Eine Dame! In einem öffentlichen Lokal II Unerhört! l! Wahrscheinlich wäre der junge Mann jetzt sofort geprügelt und gelyncht worden, wenn nicht der Wirt sich kategorisch ins Mittel gelegt hätte, mit der Auf- forderung:Zahlen Sie Ihre Rechnung!" Noch ganz bleich, am ganzen Leibe zitternd, zog der junge Mann folgsam seine Börse und gab wortlos so viele Münzen heraus, als der Kellner von ihm begehrte. Aber all die Menschen um sich schien er nicht zu sehen, das Entrüstungsgeschrei schien er nicht zu hören, er schaute nur mit vergrößerten Augen auf das Mädchen hin, das sich unter seinen rasenden Blicken zu ducken schien. Gutmann wurde immer couragierter:Entschuldigen Sie sich wenigstens!" schrie er drohend. Aber da drängte ihn das Mädchen zur Seite, reichte dem jungen Manne seinen Hut und Rock und flüsterte ihm zu:Komm' doch!" Im Nu war das Pärchen der- schwunden. Auf der Gasse, so erzählte dann der Kellner, half sie ihm noch in den Mantel, und als er mit riesigen Schritten davorv» zulaufen begann, da rannte sie ihm noch nach, so gut sie konnte. Wie die Sache ausging, das hat der Kellner leider nicht mehr mit- ansehen können. Die Stammgäste aber hatten, Gott sei Dank, für den Abend ausgesorgt. Sie heimsten die Zinsen der Erregung der anderen behaglich ein. Da saßen sie, und in ihr schweres, dumpfes Sumpern war wenigstens ein Funke von der Elektrizität der zwei Entschwundenen gefahen. Davon zehrten sie jetzt, bis sie allmählich wieder stumpf und träge wurden. Nur mein lieber Freund Gutmann wolle sich nicht beruhigen. Ich kann so etwas nicht sehen," sagte er noch mit beinahe funkeln- den Augen. Aber dem Mädel scheint die Sache nicht einmal so gräßlich gewesen zu sein," erwiderte ich.Wer weiß, was sie angestellt hat." Angestellt oder nicht, es ist eine unerhörte Roheit!" schrie Gutmann. Vergebens suchte ich auf die kuriose Haltung der Mißhandelten hinzuweisen:Wer weiß, wie billig die davongekommen ist." G.utmann sah mich fast bestürzt an:Ja, bist Du denn aüch ein so verrohter Patron? Siehst Du denn nicht ein, daß es eine Rücksichtslosigkeit sondergleichen ist, jemandem in einem öffentlichen Lokal... in... einem... öffentlichen.,, Lokal,,. eine Ohr. feige zu geben? Noch dazu einer Frau?" Das sah ich natürlich ein und so etwas würde mir natürlich nicht einfallen.Aber deshalb sind solche spontane Brutalitäten in manchen Fällen doch nicht das Aergste. Wahrscheinlich ist dieser junge Mann dem Frauenzimmer auf eine ganz besondere Nieder- trächtigkeit draufgekommen. Seine Fassungslosigkeit, diese unwill- kürliche Ohrfeige beweist vielleicht nur, wie gern er sie hat. Des- halb ist auch sie die erste gewesen, die sich damit abgefunden hat." Unsinnl" rief Gutmann,einer Frau gegenüber und über- Haupt jedem gegenüber, ist Rücksicht das erste!" Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis Gutmann wieder seine ganze Ruhe fand. Erst gegen eins die Gäste hatten sich schon verflüchtigt, wir waren die letzten stellte sich die alte gemütliche Freundschaftsvertraulichkeit wieder ein... Nein, nein, Du hast ganz unrecht," sagte er jetzt lächelnd, mit seiner ausgepolsterten Hand auf meinem Rücken klopfend,Rück- ficht ist das erste, was wir den Frauen schulden! Ein Mann darf sich nicht hinreißen lassen. Zu diesem Zwecke hat uns der Herr- gott ein Gehirn beschert, uns Männern. Dieser aufgeregte junge Mann war ein Laffe." Ich widersprach nicht, es war übrigens schon nach eins. Mir hatte der erregte junge Kerl sehr gut gefallen, um seines zuckenden Zornes willen konnte ich ihm sogar die Rücksichts- losigkeit vergeben. Gutmann schien etwas von meinen Gedanken zu erraten, denn plötzlich sagte er mit seinem vertraulichsten, zwinkernden Freundeslächeln:Falsch, ganz falsch! Der Mann ist verpflichtet, immer rücksichtsvoll zu bleiben. Wenn Du einmal verheiratet sein wirst, wirst Du das schon einsehen I" Wenn Gutmann um diese Zeit auf seine Ehe zu sprechen kam, dann gab es kein Entrinnen mehr. Vergebens nahm ich alle meine Behauptungen zurück und wiederholte, daß ich ein entschiedener Gegner des Ohrfeigens von Frauen sei. N-ein, nein, nein.,. Das ist nicht so... Du verstehst mich noch nicht," fing er an,zur Rücksicht auf die Frau muß man sich erziehen; das eine find wir ihnen schuldig, zumindest. Siehst Du, ich bin jetzt seit vierzehn Jahren glücklich verheiratet. Habe zu Hause zwei Kinderl Seit zwölf Jahren habe ich daneben. Du weißt es ja sowieso, es geht nicht anders, immer noch ein Verhältnis, stabil oder vorübergehend. Was Hab ich mit der Gusti durchgemacht! Sie hat drei Kinder von mir, sie hat fünf Wochenbetten durch- gemacht. Jetzt bin ich jedes Jahr im Sommer drei Wochen mit der Toni in Tirol. Was Hab ich mit der Choristin alles erlebt, mit dem Luder, das dann krank wurde!... Na, und siehst Du. Und meine Frau weiß nicht das davon!" Dabei zeigte er mir seine schwarzen Fingernägel. Ja, mein Lieber," sagte er jetzt triumphierend,das ist eine Leistung! Dieser Dressur zur peinlichsten, genauesten Rücksicht ver- danke ich eS, daß meine liebe Frau sich wahrhaft glücklich fühlt!!"