Mnterhaltlmgsblatt des Horwärts Nr. 123. Donnerstag, den 1. Juli. 1909 (Nachdruck verboten.) t) Die Infclbauem. Roman von August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Einleitung. Das Jnselmeer von Stockholm , dieSchären", aus Welcher Gegend ich Szenerien und Motive für diese Erzählung geholt habe, hat immer eine besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Melleicht weil meine engere Heimat, Stock- Holm und Umgebung, selbst einen Teil dieser Schären bildet. Der Mälar war ja ursprünglich ein Meeresarm, der durch die Wasserläufe bei Södra Telje und Stocksund bei Stock- Holm in Verbindung mit dem Meer stand die Kettenschäre. der jetzige Ritterholm, erinnerte ja durch ihren Namen an ihre älteste Natur, die einer Schäre: wie man noch bei einer Fahrt durch den Mälar mit seinen Tausenden von Inseln und Holmen an die Landschaft erinnert wird, die. eine Mischung von Land und Wasser, östlich von der schwe- drschen Hauptstadt sich etwa sieben Meilen ins Meer hinaus erstreckt. Dieser ganze zerrissene Küstenstrich ruht zum aller- gröstten Teil auf der Ursormation: Gneis, Granit und Eisen- erzen: von den letzten hat man nur die von Utö reich genug gefunden, um sie zu bearbeiten. Die Granitvarictät Pegmatit tritt zuweilen in so großen Mengen auf, daß sie des Feld- spats wegen gewonnen wird, den die Porzellanfabriken benutzen. Die Abwesenheit der jüngeren Formationen, mit ihren horizontalen Lagerungen in hellen, leichten Farbentönen, der- leiht der Schärenlandschaft diesen Zug von Wildheit und Düsterkeit, der die Ursormation begleitet. Die Landschafts- ikontur wird durch die losgerissenen, rohen, unregelmäßigen Blöcke kämm- und wogenförmig auf den Höhen: flach. höckerig, holperig, wo das Meer seine Schleifarbeit aus- geführt hat. DK partielle Schieferhaltigkeit des Gneises setzt auch die Strandklippen so der Sprengarbeit des Eises aus, daß Grotten, Höhlungen und tiefe Spalten das Wilde des Landfchaftscharakters steigern: der wird dadurch niemals einförmig wie die Kalk- oder Sandsteinklippen der franzö- fischen Nordküste. Diese Wildheit wird jedoch jäh unterbrochen durch die reiche Erde von der Ouartärperiode mit Moränenschutt und Glaciallehm, Schncckensand, Mooshumus und Tangverwand- Zungen: deren Fruchtbarkeit wird oft durch Abfall von den Großfischzügen der Jahrtausende, die reichen Schlamm auf den Versandungen bilden, und draußen auf den Kobben durch den Guano der Seevögel vermehrt. Auf dieser Erdschicht wachsen Kiefer und Fichte, obwohl' die Gotik der Fichte der Natur der inneren Schären ihren mehr hervortretenden Charakter verleiht, während die Kiefer abgehärteter ist und ganz weit hinaus bis an den Meeresstrand geht, sich auf den letzten Klippen nach dem am meisten herrschenden Wind drehend. In den Niederungen wird der Wiesenboden besonders prachtvoll durch Anschlämmungen und Salzwasser, und die natürliche Wiese bietet eine reiche Blumenflora mit allen wilden Prachtpflanzen des mittleren Schwedens , von denen vielleicht die Orchideen und das Adonisröschen die vor- nehmsten sind. An den Ufern leuchten Lythrum und Lysi- inachia, in den Wäldern wächst die Blaubeere, auf den offenen Fclsenplatten die Preiselbeere, und in den Mooren ist die Multbeere nicht selten. Tiefliegende Inseln mit besiercm Boden nehmen durch den Reichtum an Laubbäunien und Büschen einen besonders lächelnden Charakter an. Die Eiche belebt hier mit ihren weichen Linien und ihrem sehr hellen Laub die Nadelholzlandschaft. Und der Hag, diese Eigen- tümlichkeit des Nordens, eine Kreuzung von Wald, Unterholz und Wiese, ist vielleicht das Lieblichste, das man sehen kann, wenn unter einer Mischung von Birke und Nadelbaum die Haselbüsche eine Laube über dem Fahrweg bilden: er trägt hier den NamenDrog". Es sind Stücke eines englischen Parks, durch die man spaziert, bis man auf die Strand- klippe mit ihren Fichten und Kiefern stößt, auf Torfmoos und die Sandniederlage der Meeresbucht mit ihrem Tang- gürtel. Schiebt sich eine Bucht weiter ins Land hinein, ist sie immer von Erlen und reichen Schilfbänkcn schön ein, gefaßt. Diese Abwechselung von Dllsterm und Lächelndem, von Aermlichem und Reichem, von Lieblichem und Wildem," vom Binnenland und Meeresküste macht Schwedens östliches Insel- meer so fesselnd. Dazu kommt, daß die meist steinigen Ufer das Wasser rein und durchsichtig halten: auch wo der Sand ins Meer hinausgeht, ist er so schwer und so rein, daß ein Badender sich nicht zu ekeln braucht, wie an der französischen Nordküste, wo ein Meerbad ein Schlammbad ist. Man entgeht hier den meisten Unannehmlichkeiten des offenen Meeres und genießt die meisten Vorteile des Binnen- landes: ein Vorzug, den das östliche Jnselmeer vor der zerklüfteten öden Westküste hat. Die wilde Tierwelt weist keine Raubtiere beunruhigender Natur auf. Fuchs, Luchs, Hermelin sind die grimmigsten. Glänzende Jagdgelegenheiten bietet der Elch, der hierher geflüchtet ist und in den Sümpfen und Wäldern der größeren Inseln sein Standquartier aufgeschlagen hat. Dachs, Hase, Otter, Seehund lassen auch ihr Fell, und die Hasenjagd auf der Bifchofsinsel ist berühmt. Von den Vögeln des Waldes sind Birkhuhn und Auer- huhn sehr zahlreich, können aber von den Eingeborenen nicht gejagt werden: die haben keine Hunde der rechten Art und widmen sich ausschließlich dem Schießen von Seevögeln, am liebsten mit dem Balban: dabei wird die streichende Eider nicht geschont, die brütende dagegen sorgsam gepflegt, wenn auch das eine oder das andere Ei bei einer längeren Jagd- tour Proviant liefern muß. Aus dem Holk nimmt man meist der Sägegans Eier fort, die sich geduldig als Leg» Henne benutzen läßt. Das Fleisch der Eider wird gut, wenn man die fette Haut abzieht und den Vogel eine Nacht in Milch legt. Es schmeckt dann wie Renntierbraten und hat allen Tran- geschmack verloren. Ebenso werden auch Sägegans, Kolben- taucher und Samtente behandelt, die recht schmackhaft sind, besonders wenn sie gleich der Ente mit Petersilie gespickt werden. Der schlimmste Raubvogel ist der Fischadler, der unter den Hechten in dem seichten Wasser der Schilfbucht Ver- heerungcn anrichtet. Der Seeadler ist seltener zu sehen und jagt am liebsten am offenen Meer. Unangenehm und zuweilen gefährlich ist die häufig vor- kommende Natter, die man sowohl im Blaubcerbusch wie am Strand trifft, beinahe überall kann man sagen: und ihre Kühnheit draußen auf den äußeren Schären ist so groß, daß sie sich auf dem Schwanz erhebt und durch Bisse Fischer hindern will, aus dem Boot zu steigen. Das Volk schont sie nicht, obgleich es glaubt, sie sauge Gift aus der Erde. und eine Ehrfurcht vor der anderswo angebeteten Natter zeigt der Cchärenmann nicht. In dieser Provinz von umflossenen Inseln lebt nun eine Bevölkerung, die man nach den Vermögensverhältnissen in drei Klassen einteilen könnte: die Landwirtschaft treiben, meist auf den großen Inseln wohnend: die den Boden de- bauen und fischen, oder die Mittelklasse: und schließlich die eigentlichen Schärenmänner, die meist vom Fischen und Jagen leben, daneben aber eine Kuh, ein Schaf, einige Hühner füttern. Die Landwirtschaft ist dort, wo sie betrieben werden kann, durchaus nicht schlecht. Prächtiger Lehmboden gibt einen guten Weizen, und auch der kleine Bauer hat doch immer etwas Spelt zum Hausbedarf übrig. Die Salz- seeweide ist berühmt, und die Butter wird ausgezeichnet von den kali- und natronhaltigcn Strandgewächsen, außer denen die Kühe ja immer die grenzenlose Salzlake zur Ver- fügung haben. Das Fleisch des Hanimels wird von dem kurzen Gras der hohen Weideuser fest und lecker, wie das der französischen Meerstrandshammel. Dazu kommt ein verhältnismäßig mildes Klima, das bedeutend von dem des Binnenlandes auf gleichem Breiten- grad abweicht. Der Frühling kommt später, oft vierzehn Tage später als in Stockholm , so daß der Sommergast zwei- mal das Ausschlagen der Blume im seilen Jahr erleben kann: und der Herbst tritt später ein, weil das Meer dann