Gestalt, wird aber dabei merkwürdigerweis« etwas kleiner. Er frißt nicht nur nichts, sondern zehrt von seiner eigenen, ohnehin nicht ausgiebigen Leibesmasse noch auf. Früher war er farblos, jetzt bekommt er etwas Pigment, ist aber trotzdem fast durchsichtig, daher sein Name: Glasaal. Solche Glasaale steigen in Massen aus dem Atlantischen Ozean in die Meeresbuchten, wie in den Golf von Biscaya , den englischen Kanal und den Bristolkanal ein. Hier tritt der Glasaal in solchen Mengen auf, daß man entweder daraus— Pfannkuchen backt oder ihn als Viehfutter verwendet. Auf der Elbe wird er zu diesem Zweck von Raubfischern mit engmaschigen Hamen gefangen. Im Jahre 1906 wurden solchen Wasserraubrittern vier Zentner junger Aale abgenommen, die zwischen Sägespänen verpackt werden sollten, um als Viehfutter in die Lüneburger Heide zu gehen. Warum man an einer Stelle viele solcher Glasaale, an einer anderen wieder weniger trifft, das hat seinen Grund in der kleineren oder größeren Entfernung des betreffenden Gebietes von dem Laichrevier des Aales. Unterwegs sind die durchsichtigen zarten Wanderer vielen Fährnissen, wie Stürmen, Temperatur- Schwankungen, Raubfischen usw. ausgesetzt. Darum kommen z. B. in die Ostsee nur wenige von ihnen. Die Aalwiege begnügt sich mit keiner kleineren Tiefe als 100k) Meter. Im Atlantischen Ozean läßt sich eine ganze Zone dieser Tiefe verfolgen. Je näher nun die Flußmündung dieser Tiefenzone liegt, um so früher erscheinen hier die Glasaale. Trotz ihrer Kleinheit sind sie oppositionelle Geschöpfe, sie schwimmen partout gegen den Strom. Kommen sie in das ihnen zusagende Milieu, ruhiges, nicht zu kaltes Wasser mit weichem Grunde, so bleiben sie. Bei Tag sind sie verborgen, nachts suchen sie sich Nahrung. Diese besteht aus Insekten und deren Larven, Würmern, Schnecken, später auch aus kleinen Fischen und Aas. Mit Vorliebe stellen sie>— wie schon bemerkt— dem Fischlaich nach, an dem sie sich bis zur Unförmlichkeit vollfressen. Auch Flußkrebse verspeisen sie gern, solche holen sie sich, wenn sie noch weich sind (aber nach der Häutung), aus ihren Verstecken hervor. In den Flüssen, wo sie über ein so reichliches Menu mit Krebsen und Kaviar verfügen, bleiben nach den neuesten For- schungen die Männchen durchschnittlich 6 Jahre lang, den Weibchen gefällt es da besser, sie verweilen hier ungefähr 7% Jahre lang. Beide bleiben nur so lange, bis sie die Geschlechtsreife erlangt haben, die nach der für die beiden Geschlechter eben angegebenen Zeit eintritt. Dann im Spätsommer oder im Herbst begeben sich die reifen Männchen und Weibchen auf die Wanderichaft. Viel- leicht regt sie das erwachende Geschlechtsleben an. Tatsache ist� daß sie alle stromabwärts schwimmen, aus dem Teich in den ab- fließenden Bach, aus ihm in den Nebenfluß, in den Hauptfluß, in den Strom und schließlich ins Meer. Aus allen Tümpeln, Seen, Bächen und Flüssen, von den Alpen an durch ganz Mittel- europa wandern die Aale nach dem Meere zu. Darum treffen sie an den Mündungen in großen Scharen ein. Raubfische leben nicht gesellig, auch der Aal nicht, nur durch daS Herbeiwimmeln großer Mengen erweckt er den Anschein, als würde er seinesgleichen auf- suchen. Im Meere, dem sie zustreben, machen sie noch einige Ver- Wandlungen durch, d. h. sie ziehen die Hochzeitskleider an. Recht tief unten— unberufenen Augen entzogen— bei etwa 1000 Meter, dort, wohin kaum mehr das Rauschen der Wogen noch dringt, in diesem Reiche der Ruhe und der Finsternis— dort ist Hochzeit, Kindtaufe und— Leichenbegängnis. Denn kurze Zeit, nachdem die Männchen der Liebe gefrönt und die Weibchen gelaicht haben, gehen beide zugrunde. Im nächsten Frühjahre steigen die Aal- larven aus der Tiefe in die Meeresbuchten, machen die vorhin er- wähnten Verwandlungen durch und ziehen den entgegengesetzten Weg ihrer Eltern stromaufwärts. Es zieht sie mächtig hinauf, denn sie überwinden alle Hindernisse, Felsen, Wehren, selbst Wasserfälle. Sogar an Steinen und Holzbarrieren klettern sie empor. Dabei kommt ihnen die schleimige Substanz, die sie zeit- weise ausscheiden können und die ihnen— wie früher gesagt— die Verwechselung mit Nacktschnecken zugezogen hat, sehr zu statten. Der unbezähmbare Trieb, der den reifen Aal dem Meere zu- führt, begründet das Fehlen dieses Fisches in der Donau . Träte er da, nachdem seine Sützwasserzeit um ist, die Reise durch einige bis vor kurzem politisch aufgeregte Gebiete ins Salzwasser an, so käme er ins Schwarze Meer . Dort mühte er, um sich fortzupflanzen, in die Tiefe gehen. Weit käme er nicht, denn im Schwarzen Meer herrscht schon in geringer Tiefe auch der— schwarze Tod. Schwefelwasserstoff und Ammoniak von seit alters her hier verwesenden Tieren machen es schon von etwa 300 Meter abwärts unbewohn- bar. Wenn der Aal ins Schwarze Meer ginge, so käme doch keine Larve in die Donau . Es existiert darum kein Aalchen und wäre es noch so winzig, das nicht aus dem Atlantischen Ozean und seinen Teilen oder dem Mittelländischen Meere kommt. Wenn doch irgendwo, in einem gänzlich abgeschlossenen Tümpel, plötzlich ein junger Aal auftaucht, so ist er gewiß nicht aus dem Schlamme von unten gekommen, sondern er hing als kleine Aallarve an einem Büschel Wasserlinsen, das irgend ein Sumpf- oder Schwimmvogel durch die Lüfte in den Tümpel trug. Das Wandern des Aals in die Flüsse und wieder zum Meere zurück und seine merkwürdige EntWickelung sind, abgesehen von seiner Gestalt und scheinbaren Schuppenlosigkeit, an und für sich so seltsam, daß es nicht erst der Fabeln und Mythen bedarf, um den Aal zu einem der interessantesten Fische zu stempeln.— Hltbabylomfchea und perltfcbes in der Cbriftusmythc. Auf den Einfluß altbabhlonischer und persischer Gebräuche auf die Darstellung der Passionszeit Christi in den Evangelien macht Prof. A. Drews in dem kürzlich hier besprochenen Buche„Die Christusmhthe"(Verlag von E. Diederichs in Jena ) aufmerksam. Bei dem uralten Neujahrsfest der Babylonier stand ein Schein« könig, ein zum Tode verurteilter Verbrecher im Mittelpunkt, dem für wenige Tage absolute Freiheit, jede Act von Lustbarkeit, ja. sogar die Benutzung des königlichen Harems eingeräumt war, bis er am letzten Tage seiner erborgten Würde entkleidet und erhängt wurde. Die Juden entlehnten dieses Fest in der babylonischen Gefangenschaft und feierten es kurz vor dem Passahfest als P u r i m f e st. Dort wurde eine Puppe, die den bösen Haman(den ursprünglichen elamitischen Gott Haman als Vertreter des alten Jahres) vorstellte, an den Galgen gehängt und verbrannt. Dann wurde der Mardachai feierlich eingeholt. Dieser ist nicht als Oheim der Esther zu verstehen, wie das Buch Esther glauben machen will, sondern stellt Marbeck , den Sohn der babylonischen Fruchlbarkeitsgöttin dar.„Mardachai", so heißt es im Buche Esther,„ging aus von dem Könige in königlichen Kleidern, gelb und weiß mit einer großen goldenen Krone, angetan mit einem Leinen- und Purpurmantel. Und die Stadt Susa jauchzte und war fröhlich." In den ersten Jahrhunderten des Christentums ist dieses Fest oft als eine Verhöhnung des christlichen Glaubens aufgefaßt worden. Nun hat Lagarde die Aufmerksamkeit auf einen alten persischen Brauch gelenkt, der alljährlich zu Beginn des Frühlings in den ersten Tagen des März ausgeübt zu werden pflegte und als der„Ritt des Bartlosen" bekannt ist. Bei dieser Gelegenheit nämlich wurde ein bartloser und womöglich einäugiger Hanswurst, völlig ent« kleidet und begleitet von einer königlichen Leibwache und einer Schar von Berittenen, unter dem Hallo der Menge in feierlichem Aufzuge durch die Stadt geleitet. Er hatte das Recht, von den Reichen und Ladeninhabern auf dem Wege, den er zog. Kontributionen ein- zutreiben, die teils in den Schatz des Königs abgeführt, teils auch ihm selber zugesprochen wurden, und durfte sich ohne weiteres das ftemde Gut aneignen, falls jemand ihm seine Forderungen abschlug. Innerhalb einer festgesetzten Zeit jedoch mußte«'seinen Ritt beendet haben und verschwinden, widrigenfalls er sich der Gefahr aussetzte, von der Menge angehalten und mitleidslos zu Tode geprügelt zu werden. Man versprach sich von diesem Umzug des„Bartlosen" die baldige Beendigung des Winters und ein gutes Jahr, woraus hervorgeht, daß es sich auch hierbei um einen jener zahlreichen und mannigfaltig ausgestalteten Frühlings« bräuche handelt, die zu allen Zeiten und bei den verschiedensten Völkern dazu dienen, die Ankunft der guten Jahreszeit zu be« schleunigen. Der persische„Bartlose" entsprach mithin dem babylonischen Scheinkönig und scheint der Repräsentant des scheidenden Winters gewesen zu sein. Nach einer Bemerkung PhiloS ist zu schließen, daß der Ver« treter, der die Rolle des jüdischen„Mardachai" spielt, in ähnlichem Aufzuge wie der„Bartlose" durch die Stadt geritten ist und mit diesem Spaße, den er dem Volk bereitete, sich die Freiheit hat er« kaufen müssen. Bei Gelegenheit des Einzuges des jüdischen Königs Agrippa in Alexandria wurde nämlich ein armer halbver« rückt« Straßenkehrer nach Art des„Bartlosen" auf einen Esel gesetzt, mit Papierkrone, Mantel und Stock versehen, durch die Stadt geleitet und feierlich zum König ausgerufen. Philo nennt den armen Tropf Carabbas. Das scheint jedoch nur ein Schreibfehler für das hebräische Barabbas zu fein, und dieses bedeutet so viel wie„Sohn des Vaters" war, demnach kein Eigenname, sondern der ständige Titel dessen, der beim Purimfeste die Rolle des Mardachai, des babylonischen Marduk, d. h. des neuen Jahres zu spielen hatte. Da klingt der ursprünglich göttliche Charakter des jüdischen Narren» königS an. Denn als die„Söhne" des göttlichen„Vaters" erlitten alle die vorderasiatischen BegetationS» und Fruchtbarkeitsgötter den Tod und mußten die menschlichen Vertreter dieser Götter ihr Leben für das Wohl ihres Volkes und das erneute Wachstum der Natur dahingehen. Es scheint demnach, als ob bei den Juden, entsprechend ihrem Aufenthalt in Babylon unter persischer Oberherrschaft, eine Art Verschmelzung des babylonischen Neujahrsfestes und des persischen Frühlingsfestes deS„Bartlosen" stattgefunden habe: der freigelassene Verbrecher vollzog seinen Um» z»g als Marduk(Mardachai), als der von den Toten auferstandene Repräsentant des neuen LebenS, aber er tat es in der lächerlichen Rolle des persischen„Bartlosen", d. h. des Vertreters des alten JahreS, während dieses gleichzeitig durch einen anderen Ver« brecher dargestellt wurde, der als Haman den Tod am Galgen er- leiden mußte. Den Evangelisten schwebte bei ihrer Darstellung der letzten Lebensschicksale des Messias Jesus der angeführte Brauch des jüdischen Purimfestes vor: sie schilderten Jesus als den Haman (den Vertteter des alten Jahres), Barabbas als den Mardachai, den Vertteter deS neuen Jahres, wobei sie um der Symbolik deS Opferlammes willen das Purimfest mit dem wenig später gefeierten Osterfest zusammenfallen ließen; aber sie über- trugen den festlichen Einzug des„Bartlosen" in Jerusalem , fein feindseliges Austreten gegen die Ladeninhaber und Wechsler und feine lächerliche Krönung zum„König der Juden" auf Haman -
Ausgabe
26 (1.7.1909) 125
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