Anterhaltungsblatt des'Vorwärts Nr. 127. Sonnabend, den 3. Juli. 1909 .(Nachdruck derbsten.) »1 Die Iulclbaiiem. Roman von August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Drinnen in der Stube brannte Feuer im Ofen; auf dem Weißen Klapptisch lag eine reine Decke: auf der Decke stand eine Flasche Branntwein, in der Mitte wie ein Stundenglas zusammengeschnürt: ringsherum Tassen aus schwedischem Porzellan, auf denen Rosen und Vergißmeinnicht abgebildet waren: ein frischgebackenes Brot, gedörrter Zwieback, ein Teller mit Butter, Zuckerdose und Sahnenkanne vervoll- ständigten den Tisch. Carlsson fand ihn reicher, als er von dieser gottverlassenen Gegend erwartet hatte. Aber auch die Stube selbst sah nicht übel aus, als er sie im Schein des Feuers musterte: das kreuzte sich mit dem Talglicht des Messingleuchters, schien in der etwas unreinen Politur des Mahagonisekretärs wider, spiegelte sich in dem lackierten Gehäuse und dem Messingpendel der Wanduhr, funkelte auf den Silbereinlagen der damaszicrten Läufe der Vogelflinten, hob die vergoldeten Buchstaben auf den Rücken der Postillen, Gesangbücher..Kalender, Bauernregeln hervor. „Komm er näher, Carlsson," lud ihn die Alte ein. Carlsson war ein Kind der neuen Zeit und lief wirklich nicht in die Scheune hinaus, sondern trat sofort näher und setzte sich auf ein Banksofa, während die Mädchen seinen Kasten in die Küche schafften, die auf der andern Seite des Flurs lag. Die Alte hakte den Kaffekessel ab und legte die Klärhaut hinein: hakte ihn wieder an und ließ ihn noch etwas kochen. Dann erneuerte sie die Einladung, dieses Mal mit dem Zusatz, Carlsson möge sich an den Tisch setzen. Der Knecht setzte sich und drehte die Mütze zwischen den Fingern. Er paßte auf, wie der Wind wehte, um seine Segel danach zu richten. Er hatte offenbar die feste Absicht, sich mit den Maßgebenden gut zu stellen: da er aber noch nicht wußte, ob die Alte mit sich reden ließ, wagte er es nicht, seinem Mundtverk freien Lauf zr lassen, ehe er nicht wußte, wo das Land lag. „Das ist aber ein feiner Sekretär," begann er und be- fühlte die Messingrosetten. „Hml" sagte die Alte,„es ist aber nicht viel darin." „Oho, das weiß ich wohl," schmeichelte Carlsson und bohrte den kleinen Finger in das Schlüsselloch der Klappe, -„darin isi genug!" „Ja, einmal war wohl ein Stück Geld darin, als wir ihn von der Auktion nach Hause brachten: dann aber mußte der Flod in die Erde, und Gustav mußte Soldat spielen, und seitdem ist keine rechte Ordnung auf dem Hof gewesen. Und dann wurde das neue Haus gebaut, das keinen Nutzen bringt. So kam eins zum andern. Aber nehme er Zucker, Carlsson, und trink er eine Tasse Kaffee." „Soll ich damit anfangen?" sperrte sich der Knecht. ' �„Ja, da noch keiner zu Hause ist," antwortete die Alte. Der verwünschte Junge ist auf der See, mit der Flinte: und den Norman nimmt er immer mit: so wird keine ordentliche Arbeit geleistet. Wenn sie nur fort kommen und einen Vogel jagen können, lassen sie Viehzucht und Fischerei zugrunde gehen. Das ist der Grund, weshalb ich ihn herkommen ließ, Carlsson, damit er nach dem Rechten schaut. Darum soll er sich gleichsam für etwas mehr halten und ein Auge auf die Burschen haben. Will er nicht einen Zwieback nehmen, Carlsson?" „Ja, Tante, soll ich gleichsam etwas mehr sein, damit die andern auf mich hören, dann muß auch eine bestimmte Ordnung gelten. Dann muß ich an Tante einen Rückhalt haben, denn ich weiß, wie's geht, wenn man sich mit den Burschen duzt und gemein macht." So gewann Carlsson das Land, als er wußte, wo es lag. „Was das Scegeschäft anlangt," fuhr er fort,„da mische ich mich nicht hinein: das kenne ich nicht, aber aus dem Land, da weiß ich Bescheid, und da will ich Herr sein." „Ja, das werden wir morgen regeln: dann haben wir Sonntag und können bei Tageslicht alles besprechen. Nun noch eine Halbe, Carlsson, dann kann er sich schlafen legen." Die Alte goß zum zweitenmal Kaffee ein, und Carlsson nahm das Stundenglas, um die Tasse mehr als dreiviertel _ zu füllen. Nachdem er die Mischung hinuntergeschlürft hatte, fühlte er große Lust, das fallen gelassene Gespräch, das ihn äußerst angenehm berührt hatte, wieder aufzunehmen. Aber die Alte war aufgestanden, um sich am Herd zu schaffen zu machen: die Mädchen liefen aus und ein: der Köter gab Laut auf dem Hofe und lenkte die Aufmerksamkeit ab. .„Da haben wir die Burschen," sagte die Alte. Draußen erklangen Stimmen, Absatzeisen klirrten auf den Steinen, und durch die Balsaminen im Fenster sah Carls- son draußen im Mondschein die Gestalten zweier Männer, die Flinten auf der Schulter und eine Tracht auf dem Rücken hatten. Der Köter bellte im Flur, und gleich daraus ward die Tür geöffnet. Herein trat der Sohn in Wasserstiefeln und Jagdjoppe. Mit dem sichern Stolz des glücklichen Jägers schleuderte er Jagdtasche und ein Bündel Eider auf den Tisch an der Tür. „Guten Abend, Mutter, da hast Du Fleisch!" grüßte er, ohne den Kömmling zu bemerken. „Gilten Abend, Gustav! Ihr seid lange fort gewesen," grüßte die Mutter zurück, während sie unwillkürlich einen zufriedenen Blick auf die prachtvollen Eider warf: mit dem kohlschwarzen und kreideweißen Gefieder, der rosenroten Brust und dem seegrünen Nacken.„Ihr habt gute Beute gemacht, sehe ich. Hier haben wir Carlsson, den wir erwarteten." Der Sohn warf einen forschenden Blick aus seinen kleinen, scharfen Augen, die von hellroten Wimpern halb verborgen waren, und änderte sofort sein Gesicht: offen ivar es gewesen, und schüchtern wurde es. „Guten Abend, Carlsson." sagte er kurz und scheu. „Guten Abend," antwortete der Knecht, indem er einen unbefangenen Ton anschlug, bereit, den Ueberlegenen zu spielen, sobald er über den neuen Mann im klaren war. Gustav nahm den Platz auf dem Hochsitz ein, stützte sich mit dem Ellbogen aufs Fensterbrett und ließ sich von der Mutter eine Tasse Kaffee einschenken, in die er sofort Brannt- wein goß. Während er trank, betrachtete er Carlsson heimlich. Der hatte die Vögel genommen und untersuchte sie. „Das sind prächtige Tiere," sagte er und kniff sie in die Brust, um zu fühlen, ob sie fett seien.„Er ist ein guter. Schütze, sehe ich, der Schuß sitzt an der rechten Stelle." Gustav antwortete mit einem listigen Grinsen; er hörte sofort, daß der Knecht nichts vom Weidwerk verstand, da er Schüsse lobte, die in den Brustfedern saßen und die Eider zu Lockvögeln untauglich machten. Carlsson aber schwatzte unverzagt weiter, lobte die Taschen aus Seehundsfell, pries die Flinte, machte sich so klein wie möglich; stellte sich in Seesachen noch unwissender, als er wirklich war.' „Wo hast Du Normann gelassen?" fragte die Alte, die schläfrig wurde. „Er bringt nur die Sachen in den Schuppen," antwortete Gustav,„er kommt gleich." „Rundqvist hat sich schon niedergelegt. Es ist auch Zeit, und Carlsson mutz müde sein, da er lange unterwegs gewesen ist. Ich will ihm zeigen, wo er liegen soll, wenn er mit« kommt."•* Carlsson wäre gern geblieben, um das Stundenglas aus« laufen zu sehen; aber der Wink war so deutlich, datz er dis Geduld der Wirtin nicht länger auf die Probe zu stellen wagte, Die Alte ging mit ihm in die Küche hinaus. Gleich kam sie aber zum Sohn zurück, der sofort seinen freimütigen Ausdruck wieder annahm.» „Nun, wie findest Du ihn?" fragte die Alte;-„er sieht ordentlich und willig aus." „Nein, nein!" antwortete Gustav gedehnt.„Trau ihm nicht Mutter: er schwatzt nur Unsinn." „Was Du sagst! Er kann doch wohl ordentlich sein, wenn er auch ein Mundwerk hat." „Glaub mir, Mutter, das ist ein Schwätzer; mit dem werden wir uns zu schleppen haben, bis wir ihn wieder los werden. Aber das macht nichts: er soll schon arbeiten fürs Essen, und mir soll er nicht zu nahe kommen. Du glaubst
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26 (3.7.1909) 127
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