Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 131.
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Freitag, den 9. Juli.
( Nachdrud verboten.)
Die Infelbauern.
Roman von August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Ein wunderliches Gefühl von persönlicher Verantwortung bemächtigte sich des Vorlesers, als er die Worte„ Ich bin der gute Hirte" aussprach; er sah bedeutungsvoll zum Fenster hinaus, als fuche er die beiden flüchtigen Mietlinge Rundqvist und Norman.
Die Alte niďte traurig und nahm die Kaße auf die Knie, als öffene sie dem verlorenen Schaf ihre Arme.
Carlsson aber las mit vor Rührung zitternder Stimme, als habe er's selber geschrieben, weiter.
Aber der Mietling fliehtia, er flieht," schmückte er aus denn er ist Mietling( schrie er) und achtet der Schafe nicht."
Ich bin der gute Sirte, und fenne meine Schafe, und meine Schafe fennen mich," fuhr er aus dem Gedächtnis fort, da das ein Spruch aus dem Katechismus war.
Darauf fenfte er die Stimme, schlug die Augen nieder, als trauere er tief über die Bosheit der Menschen, und seufzte hervor, mit starker Betonung und Seitenblicken, nicht ohne verschmitzt verstehen zu geben, daß er mit Schmerz unbekannte Schelme angebe, ohne sie gerade anzuklagen:
Ich habe auch andere Schafe, die nicht aus diesem Schafstall sind; die muß ich heranziehen; und sie sollen meine Stimme hören!"
Und mit einem verklärten Lächeln, prophetisch, Hoffnungsvoll, zuversichtlich, flüsterte er:
wo anders hatte als Carlsson.
1909
Schmiede stieg wie aus einem hungrigen Magen Rundqvists originelleres Buht", das niemand verkennen konnte.
Und bald sah man die verirrten Schafe mit leichten Schritten zum Kochtopf eilen. Die Alte empfing sie, indem sie ihnen ihr Ausbleiben vorwarf. Die Antwort aber blieb feines der Unschuldigen ihr schuldig; sie beteuerten, sie hätten niemand rufen hören, sonst wären sie sofort gekommen.
Carlsson berhielt sich würdig, wie es sich beim Mittags tisch am Sonntag ziemte. Rundqvist aber sprach in dunklen Worten von den höchst merkwürdigen" Fortschritten der Landwirtschaft. Carlsson ersah daraus, daß er von der Oppositionspartei bereits eingeweiht und gewonnen war.
Nach dem Essen, das aus einem in Milch und Pfeffer gekochtem Eiderpaar bestand, zogen sich alle Mannsleute zurück, um zu schlafen; Carlsson aber nahm sein Gesangbuch aus dem Kasten und setzte sich draußen auf die Höhe, wo er einen trockenen Stein fand. Er wandte den Fenstern der Hütte seinen Rüden zu, um etwas einnicken zu können. Die Alte fand das vielversprechend, da der Sonntag nachmittag sonst gewöhnlich verloren ging.
Als Carlsson glaubte, es sei genügend Zeit verflossen, um die Andacht wahrscheinlich zu machen, stand er auf, ging, ohne anzuklopfen, in die Stube und rückte mit dem Wunsche beraus, die Rammer zu sehen.
Die Alte wollte die Sache verschieben und schütte Rein machen vor; Carlsson aber bestand darauf. So wurde er denn auf den Boden geführt.
Da war wirklich unter dem Dachstuhl ein viereckiger Raften eingebaut; auf dem Giebel öffnete er sich mit einem Fenster, das jetzt von einer blaugestreiften Rollgardine verhängt war. Die Kammer enthielt ein Bett und einen kleinen Tisch, der vorm Fenster stand und eine Wasserkaraffe trug. An den Wänden hing etwas, das durch die weißen, verbüllenden Laken wie Kleider aussah und sich, wenn man näher mit seinem Anhänger hervor, dort schlenkerte ein Hosenbein ging, auch als Kleider erwies: hier guckte ein Rockfragen heraus. Darunter stand ein ganzes Heer von Schuhen, Männer- und Frauenstiefeln durcheinander. Hinter der Tür befand sich ein gewaltiger mit Eisen beschlagener Kasten, der ein Schlüsselschild aus getriebenem Kupfer trug.
,, Und es soll eine Herde und ein Hirte sein." " Und ein Hirte!" echote die Alte, die ihre Gedanken ganz Darauf griff er die Postille an; machte zuerst ein saures Gesicht, als er die Anzahl der Seiten überschlug und fah, daß es ein langes Ding" war; faßte dann aber Mut und begann. Die Behandlung des Stoffes paßte nicht ganz zu seinen Absichten, sondern hielt sich mehr an die christlich symbolische Seite; darum war sein Interesse nicht so lebhaft wie beim Tert. In rasendem Lauf eilte er durch die Spalten und steigerte die Geschwindigkeit, wenn er zum Umblättern fam, so, daß er mit dem angefeuchteten Daumen zwei Blätter um die mit Feuchtigkeit, Kampfer, Pfeffer, Wermut berauf einmal umschlug, ohne daß die Alte etwas merkte.
Als er aber sah, das Ende war nahe, fürchtete er, gegen Als er aber sah, das Ende war nahe, fürchtete er, gegen das Amen zu prallen; deshalb verlangsamte er die Schnelligfeit. Aber es war zu spät: beim letzten Umblättern hatte er zu dick auf den Daumen gespuckt und drei Blätter auf einmal genommen; nun traf er aufs Amen ganz oben auf der nächsten Seite, als stieße er mit dem Kopf gegen eine Wand. Die Alte wachte von dem Stoß auf und guckte schlaf
trunken nach der Uhr.
Carlsson wiederholte daher das Amen noch einmal, in Sem er es etwas ausschmückte:
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und um unseres Erlösers willen."
Um den Schluß abzurunden und zu fühnen, was er ver brochen, betete er ein Baterunser, so langsam und ergreifend, daß die Alte, die mitten in die Sonne gekommen war, noch
einmal einniďte.
Sie hatte Zeit sich zu ermuntern, während Carlsson, um alle unangenehmen Erklärungen abzuschneiden, den Kopf in der linken Hand berbarg, um ein leises Gebet zu sprechen, das nicht unterbrochen werden durfte.
Die Alte fühlte sich auch schuldig und wollte nun ihre Aufmerksamkeit dadurch beweisen, daß sie in selbstgewählten Worten zeigte, was sie eingeheimst. Carlsson schnitt ihr aber das Wort ab, indem er bestimmt erklärte, nach dem Grundtert und den eigenen Worten des Erlösers handle es sich um nichts Geringeres: eine Herde und ein Hirtel Einer ausschließlich, einer für alle, einer, einer, einer!
*
In diesem Augenblick hollohte Klara zum Mittagessen. Aus der Tiefe des Waldes antworteten zwei fröhliche Hallohs, denen Flintenknalle folgten; und aus dem Schornstein der
Carlsson zog die Rollgardine auf und öffnete das Fenster, mengte Luft herauszulassen. Dann legte er die Müße auf den Tisch und erklärte, hier werde er gut schlafen. Als die Alte ihre Befürchtung aussprach, die Kälte werde ihm unangenehm sein, bekannte er, er sei gewohnt, falt zu liegen; das sei ein Vorteil, den er in der warmen Küche unmöglich haben könne.
Der Alten ging's etwas zu schnell; sie wollte erst die Seleider fortnehmen, damit sie nicht im Tabaksrauch hingen. Carlsson versprach sofort, er werde nicht rauchen; bat und nicht einmal ansehen; Tante solle sich nicht die Mühe machen, beschwor sie, die Kleider hängen zu laffen. Er wolle sie seinetwegen umzukramen. Er werde abends ins Bett kriechen und morgens selber sein Waschwasser ausgießen und sein Bett machen. Niemand brauche hineinzugucken. Er verstehe wohl, Tante sei um ihre Habseligkeiten besorgt, und hier gebe es ja mehr als genug davon.
Als er die Alte mit seinem Mundwerk herumgekriegt batte, ging Carlsson hinunter, holte Kasten und Brannteweinfrug herauf, bing seine Jacke an einen Nagel am Fenster, stellte seine Wasserstiefel neben die anderen Schuhe.
Darauf bat er um eine Unterredung, bei der Gustav zugegen sein müsse, denn jetzt solle die Arbeit verteilt werden, damit morgen jeder auf seinem Bosten sei.
Nach vieler Mühe wurde Gustav gefunden und veranlaßt, eine Weile in die Stube zu kommen; an den Verhandlungen aber nahm er nicht teil, auf Fragen antwortete er nur mit Einwendungen, warf Schwierigkeiten auf; furz, stellte sich auf die Hinterbeine.
Carlsson versuchte ihn durch Schmeichelei zu gewinnen, ihn durch Sachkenntnis zu erdrücken, ihm Achtung vor der lleberlegenheit des Aelteren beizubringen; das war aber nur Wasser aufs Feuer.