Anterhaltnngsblatt des Vorwärts Nr. 132. Sonnabend, den 10. Juli. 1909 lLachdriiir izervolen.1 «l Die Infelbauerii. Roman von A ü g u st S t r i n d ö e r g. Deutsch von Emil Schering . �.Still, jetzt kommt er!" flüsterte Gustav, doch so laut, daß es Carlsson hörte. Im Glauben, ex sei gemeint, verbarg sich Carlsson in den Büschen. Aber über die jungen Fichten kam ein Vogel geflogen, langsam und trag wie eine Eule, mit schaffen Flügeln, und gleich darauf kam noch einer. ~ Quarr— Quarr— Murr— Murr— Psip! klang es in der Luft, und dann paff! paff! aus beiden Flinten, aus denen Hagel und Rauch wie ein Besen herausfuhren. Es knisterte in den Zweigen einer Birke, und eine Achnepfe fiel einen Steinwurf von Carlsson nieder. Die Schützen liefen hin und holten die Beute: die vcr anlatzte sie zu einem kleinen Meinungsaustausch. '„Der hat seinen Teil," sagte Norman und kräuselte die Brustfedern des noch warmen Vogels, „Ich weiß noch einen, der seinen Teil haben müßte!" meinte Gustav, der trotz dem Jagdfieber noch von Neben- gedanken geritten wurde.„So ein Kerl, soll jetzt auch auf der Kammer liegen!" -„Nein, wirklich?" witterte Norman. „Ja, und dann will er Ordnung in den Hof bringen. Als wiißten wir nicht besser als er, was Ordnung ist. Aber so ist's: neue Besen kehren gut, so lange sie neu sind: doch laßt mir nur Zeit, ich werde es ihm schon zeigen! So einem Freischärler weiche ich nicht! Er soll mir nur kommen, hart wird er liegen!— Still, da streicht die andere zurück." Die Schützen hatten neu geladen und liefen wieder auf ihren Anstand. Carlsson aber schlich sich behutsam nach Hause, entschlossen, zum Angriff überzugehen, sobald ex ge nügend gerüstet. Als er am Abend auf die Kammer kam, die Rollgardine herabließ und das Licht ansteckte, fühlte er sich zuerst etwas beklommen, weil er allein war. Eine gewisse Furcht vor denen, von welchen er sich abgesondert hatte, überfiel ihn. Bisher war er immer gewohnt gewesen, sich zu allen Tages- zeiten in Gesellschaft zu fühlen: immer bereit, angesprochen zu werden: nie um einen Zuhörer verlegen, wenn er plaudern wollte. Jetzt war es still um ihn, so still, daß er, aus Ge- wohnheit, erwartete, angesprochen zu werden: Stimmen zu hören glaubte, wo keine waren. Und sein Kopf, der sich bisher aller Gedanken im gesprochenen Wort entledigte, füllte sich mit einem Ueberschuß von unverbrauchtem Gedankensamen, der keimte und sprengte, um in irgendeiner Form heraus- zukommen: der solche Unlust im Körper verursachte, daß die Muhe des Schlafes sich nicht einfinden konnte. � Er wanderte also auf bloßen Strümpfen auf und ab, in der engen Kammer zwischen Fenster und Tür: richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Arbeit des morgenden Tages. Er ordnete die Beschäftigungen im Kopf und verteilte sie: begegnete im voraus Einwendungen, über- wand Hindernisse. Nachdem er eine Stunde so gearbeitet, hatte er Ruhe im Kopf: der war jetzt geordnet und liniiert wie ein Konto- buch: alle Posten waren an ihrer Stelle eingetragen und zusammengezählt: in einem Augenblick konnte man die Stellung übersehen. i Darauf ging er zu Bett. Als er sich allein zwischen den bemen, frischen Laken befand, ohne fürchten zu müssen, daß jemand ihn im Lauf der Nacht stören werde, fühlte er sich erst Herr seiner eigenen Person: einem Ableger gleich, der nun eigene Wurzeln angesetzt und vom Mutterstrauch ab- geschnitten werden konnte, um sein Leben für sich zu leben, in eigenem Kampf, mit größerer Arbeit, aber auch mit größerer Lust.•• So- schlief er ein, um dem Montagsmorgen und der Arbeitswoche des Lebens zu begegnen. Drittes Kapitel. �Der Knecht legt den Trumpf auf den Tisch, wird Herr auf dem Hof und duckt die jungen Hähne.), Der Blei laichte, der Wacholder knospete, der Faulbeer« bäum blühte und Carlssohn säete Frühlingssaat in die er« frorene Herbstsaat, schlachtete sechs Kühe, kaufte trockenes Stallheu für die anderen, damit sie wieder auf die Beine kommen und in den Wald gelassen werden konnten. Er rüstete und er ordnete, er arbeitete selber für zwei, er hatte eine Fähigkeit, die Leute in Bewegung zu setzen, die allem Wider« stand trotzte. Auf einer Fabrik in Wärmland geboren, von ziemlich unbestimmten Eltern stammend, zeigte er schon früh eine enk- schiedene Unlust zu körperlicher Arbeit, dagegen ein unglaub- liches Erfindungsvermögen, sich dieser unangenehmen Folge des„Sündenfalls" zu entziehen. Zugleich von einem Verlangen getrieben, alle Seiten menschlicher Tätigkeit kennen zu lernen, blieb er nicht unnötig lange auf einer Stelle sitzen. Sobald er gelernt, was er wollte, suchte er einen neuen Wirkungskreis. Auf diese Weise war er vom Schmiedehandwerk zur Landwirtschaft überge- gangen, hatte sich im Stalldienst versucht, beim Kaufmann gehandelt, war Gärtnerbursche, Bahnarbeiter. Ziegelst.reichex und schließlich Rciseprediger gewesen! Durch diese Wandlungen war sein Wesen geschmeidig geworden, hatte er die Fähigkeit erworben, sich in alle Verhält- nisse und in alle möglichen Menschen zu schicken, ihre Absichten zu verstehen, ihre Gedanken zu lesen, ihre geheimen Wünsche zu erraten. Er war mit einem Wort eine Kraft, die ihre Umgebung überragte. Seine niannigfachen Kenntnisse machten ihn fähiger, ein Ganzes zu leiten und zu ordnen, als einem ihm Unterlegenen zu gehorchen: er wollte sich nicht als ein Rad dem Wagen einfügen, sondern sich von dem Wagen tragen lassen. Durch einen Zufall in seine neue Stellung geworfen, sah er sofort ein: hier konnte er von Nutzen sein, hier vermochte er mit seinen Fähigkeiten das jetzt Wertlose zum Ertrag zu bringen, hier werde er deshalb bald geschätzt und schließlich unentbehrlich sein. Er hatte jetzt ein festes Ziel für sein Streben vor sich; und daß die Belohnung in einer verbesserten Lebensstellung auf ihn warte, hatte er hinter sich als sichere Hoffnung und treibende Kraft. Er arbeitete für die anderen, scheinbar und unleugbar: aber zugleich schmiedete er sein eigenes Glück. Und wußte er es so anzustellen, daß es aus- sah, als widme er Zeit und Kraft fremdem Vorteil, so zeigte er damit, daß er klüger als mancher war. der es gern ebenso gemacht hätte, es aber nicht konnte. Das größte Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte, war der Sohn. Bei dem bestimmten Geschmack des Fischers und Jägers für das Ungewisse, für Ueberraschungen, hatte er einen entschiedenen Widerwillen für alles Geordnete, alles Sichere. Ackert man, meinte der. so kriegt man allerhöchstens o viel, wie man berechnet hat: niemals mehr, oft aber viel weniger. Setzt man dagegen Netze, so kriegt man einmal nichts, aber das nächste Mal das Siebenfache von dem, was man erwartet. Führ man aus, um Aale zu fangen', geschah es zuweilen, daß man einen Seehund schoß: lag man einen halben Tag in den Schären, um auf Jägergänse zu lauern, onnte es vorkommen, daß einem Eider vor den Flintenlauf kamen. Immer war es etwas, und oft etwas anderes, als man erwartet hatte. Uebrigens galt die Jagd noch, auch nachdem sie als Vor- recht von den oberen Klassen zu den unteren gekommen war, ür vornehmer und protziger, als hinter Pflug oder Dung- wagen herzugehen. Das war den Leuten so in Fleisch und Blut übergegangen, daß man keinen Knecht dazu bringen konnte, mit einem Paar Ochsen zu fahren: wohl auch weil der Ochse beschnitten,„verändert" war: vor allem aber, weil das Pferd, besonders die Stute, von alters her in aber- gläubischem Ansehen stand. Ein zweiter Stein auf dem Wege war Rundqvist. Eigent- lich war es ein alter Sck�elm. der auf seine Art das irdische Paradies wieder zu gewinnen suchte, ein Paradies ohne schwere Arbeit und mit langen Mittagsschläfchen und vielen
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26 (10.7.1909) 132
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