Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 140.
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Donnerstag, den 22. Juli.
( Nachdrud verboten.)
Die Infelbauern.
Noman bon August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Carlsson bekam die Laterne und arbeitete sich gegen den Wind auf die Wiese hinaus, folgte dem Gebell und gelangte in das Kieferngehölz, das die Wiese vom Strande trennte. Das Gebell war verftummt, aber zwischen den rauschenden und fnackenden Föhren hallten Schritte von eisernen Haden gegen den Bergfelsen; frachten Zweige, die jemand brach, der seinen Weg suchte; sprigten Wasserlachen auf; antworteten Flüche auf das Winseln des Hundes.
Wer da?" rief Carlsson.
Der Pastor!" antwortete eine rostige Stimme. Carlsson sah Funken sprühen, die ein eiserner Hacken an einem Granitfindling schlug, und aus einem Didicht stürzte ein kleiner, breitschultriger Mann den Hügel hinab. Das grobe, wetterharte Gesicht wurde von wildem, grauen Backenbart eingerahmt und von kleinen scharfen Augen belebt, deren Brauen Astmoos glichen.
Höllische Wege habt Ihr hier auf der Insel!" zanfte er zum Gruß.
" Herr Jesus, sind Sies, Herr Pastor? In diesem Hundewetter unterwegs?" beantwortete Carlsson achtungsvoll die Willkommsflüche seines Seelsorgers. Aber wo ist denn das Boot?"
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„ Es ist das Fischboot, und das hat Robert in den Hafen gebracht. Laß uns nur unter Dach kommen, denn heute abend weht der Wind einem durch den Leib. Vorwärts marsch!"
Carlsson ging mit der Laterne voran und der Pastor folgte, während der Hund in den Büschen herumschnüffelte, nach einem Birkhuhn, das sich im Bruch eben erhoben und fo gerettet hatte.
Die Alte war dem Laternenschein auf den Hof hinaus entgegen gegangen; als sie den Pastor erkannte, freute sie fich und hieß ihn willkommen.
Der Pastor hatte Fische nach der Stadt bringen wollen und war unterwegs vom Sturm überrascht worden, der ihn zum Landen zwang. Er fluchte und schalt, weil er nicht zur Beit nach der Stadt kommen konnte, um seine Fische los zu werden.
Jetzt sind ja alle Teufel draußen und kraßen nach jedem einzigen Fisch, der im Wasser lebt.
Die Alte wollte ihn in die Stube führen, er aber ging geradeswegs in die Küche hinein, denn er zog das Herdfeuer vor: dort konnte er trocken werden.
Wärme und Licht schienen indessen dem Pastor nicht gut zu bekommen; er zwinkerte mit den Augen, als wolle er sich aufmuntern, während er die nassen Schmierstiefel auszog. Carlsson half ihm unterdessen aus einer graugrünen Soppe, die mit Schaffell gefüttert war. Bald saß der Pastor in wollenem Wams und bloßen Strümpfen an der Ecke des Tisches, den die Alte abgeräumt und mit Kaffeegeschirr gedeckt hatte.
Wer Pastor Nordström nicht kannte, hätte nicht vermutet, daß dieser Mann aus dem Stockholmer Inselmeer ein geistliches Amt bekleidete; so sehr hatten dreißig Jahre Seelforge draußen in den Schären den Mann verwandelt, der einmal recht fein gewesen, als er von der Universität Upsala fam. Ein äußerst knapper Gehalt hatte ihn genötigt, sein Auskommen aus See und Ader zu ergänzen; und da es auch dann noch nicht reichte, mußte er sich an den guten Willen feiner Gemeinde wenden, den er durch geselliges Wesen, indem er sich seiner Umgebung anpaßte, lebendig erhielt.
Doch zeigte sich der gute Wille meist in Kaffeehalben und Bewirtungen, die an Ort und Stelle verzehrt werden mußten, also den Wohlstand des Pfarrhauses nicht erhöhen konnten; eher unvorteilhaft auf den physischen und moralischen Zustand des Empfängers wirkten. Außerdem wußten die Schärenleute aus teuern Erfahrungen, wie in Seenot Gott nur dem half, der sich selber half; auch waren sie unfähig, einen starken östlichen Wind in Zusammenhang mit dem augsburgischen Bekenntnis zu bringen. Sie machten sich deshalb wenig aus der kleinen hölzernen Kapelle, die sie hatten bauen lassen.
1909
Der Kirchgang, der durch lange Ruderfahrten erschwert oder bon ungünstigen Winden unmöglich gemacht wurde, war mehr eine Art Volksmarkt, auf dem man Bekannte traf, Geschäfte machte, Ankündigungen hörte. Und der Pastor war die einBige Behörde, mit der man in Berührung fam; der Länsmann, der die Polizeigewalt ausübte, wohnte weit entfernt und wurde bei Rechtssachen nie bemüht; die machte man vielmehr unter einander ab, mit einigen Kopfstößen unter der Bruft oder einem Schoppen Branntwein,
Nicht eine Spur von Latein und Griechisch konnte man in dieser vom Herdfeuer und zwei Talglichtern beleuchteten Gestalt sehen, einer Kreuzung von Bauer und Seemann . Die einstmals weiße Hand, die in ihrer ganzen Jugend Blätter von Büchern umgewandt hatte, war braun und borkig, hatte gelbe Leberflecke von Salzwasser und Sonnenbrand, war hart und schwielig von Rudern, Segeln, Steuern; die Nägel waren halb abgenagt und trugen von der Berührung mit Erde und Gerätschaften schwarze Ränder. Die Ohr muschel waren mit Haar zugewachsen und gegen Katarrh und Fluß von Bleiringen durchbohrt. Aus der auf das wollene Wams aufgenähten Ledertasche hing eine Haarschnur, die einen Uhrschlüssel aus einem gelben Metall mit einem Karneol trug. In die feuchten wollenen Strümpfe hatte die große Zehe Löcher gerissen, welche die schlingernden Bewegungen der Füße unter dem Tisch unablässig verbergen wollten. Das Wams war unter den Armen von Schweiß gelbbraun geworden, und der Hosenschlitz stand halb offen, weil Knöpfe fehlten.
Er holte eine kurze Pfeife aus der Hosentasche, klopfte sie, während allgemeines achtungsvolles Schweigen herrschte, gegen die Tischkante aus, daß sich ein kleiner MaulwurfsHaufen von Asche und saurem Tabak auf den Boden legte. Aber die Hand war unsicher und das Stopfen ging unregelmäßig vor sich; war zu umständlich, um nicht Unruhe zu
erregen.
Wie steht es heute abend mit Ihnen, Herr Pastor? Ich glaube, Sie sind nicht ganz wohl," fuhr die Alte dazwischen. Der Pastor hob das auf die Brust gesunkene Haupt, sah sich nach den Balken der Decke um, als suche er nach der Sprechenden.
" Ich?" sagte er und stopfte eine Brise Tabak am Pfeifenkopf vorbei. Dann schüttelte er den Kopf, als wolle er in Frieden gelassen werden, und versank in schwermütige Ge danken ohne bestimmte Form.
Carlsson sah, wie er stand, und flüsterte der Alten zu: Er ist nicht nüchern!"
Und im Glauben, einschreiten zu müssen, nahm er die Kaffeekanne und goß die Tasse des Pastors voll, stellte die Branntweinflasche daneben und bat ihn mit einer Verbeu gung, fürlieb zu nehmen.
Mit einem vernichtenden Blick hob der Alte seinen grauen Stopf, als wolle er, daß der Schlag Carlsson rühre; mit Ekel die Tasse von sich schiebend, spuckte er aus:
,, Bist Du hier zu Hause, Knecht?" Dann wendete er sich zur Alten:
,, Gebt mir eine Tasse Kaffee, Frau Flod !"
Und dann versant er für eine Weile in tiefes Schweigen, sich vielleicht an die Größe früherer Tage erinnernd und erwägend, wie diese Unverschämtheit beim Bolk überhand nahm. " Verfluchter Knecht!" schnaubte er noch einmal. Mach, Du hinauskommst, und hilf Robert beim Boot." Carlsson versuchte es mit Schmeichelei, wurde aber sounterbrochen.
daß
fort
,, Weißt Du nicht, wer Du bist?"
Carlsson verschwand durch die Tür.
Nachdem sich der Pastor mit einem Schluck aus der Tasse erfrischt hatte, fuhr er die Alte an, die eine Entschuldigung für den Knecht zu drechseln suchte:"
Scht Ihr die Zugneze draußen?"
Ja, lieber Herr Pastor," öffnete die Alte die Schleusen, und alle Schleppnete auch. Im sechs herum konnte noch niemand wissen, daß für die Nacht Sturm kommen werde; und ich kenne Gustav. Er würde eher zugrunde gehen, als daß er das Garn heute nacht liegen ließe.
Ach was, der weiß sich schon zu helfen!" tröstete der Pastor