~T Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 143. Dienstag, den 3. August. 1909 lNachdruck pervsten.t 2i] Die Inrelbauern. NMan von A u g u st S t r i n d b e r g. Deutsch von Emil Schering . � Die Tische wurden abgeräumt; es sollte zum Abendbrot gedeckt werden. Rapp hing farbige Laternen, die er vom Professor gelichen. in die Aeste der Eiche. Norman trug Mausen von Tellern. Rundavist log auf den Knien und zapfte Dünnbier und Branntwein. Die Mädchen trugen Butter in Schobern herbei. Strömling in Diemen auf Schneidebrettern, Pfannkuchen in Stapeln, Fleischklöße in Bocken. � Als alles fertig war. klatschte der Bräutigam mit den Bänden: -„Bitte! nehnit ein Butterbrot!" lud er ein. „Aber wo ist der Pastor?" sperrten sich die alten Frauen. Ohne den Pastor wollte niemand anfangen. „Und der Professor? Wo sind sie geblieben? Es geht fpirklich nicht, daß man ohne sie anfängt!" Man rief und suchte, aber keine Antwort. In Gruppen umstand man die Tische, wie hungrige Hunde mit funkelnden Augen, bereit, sich aufs Essen zu stürzen: aber keine Hand rührte sich und das Schweigen wurde bedrückend. „Vielleicht sitzt der Pastor im Häuschen!" ertönte Rund- gvists unschuldige Stimme. Ohne weiteren Aufschluß abzuwarten, ging Carlsson hinunter, um den geheimen Ort aufzusuchen. Ganz richtig, hei offener Tür saßen da Pastor und Professor, jeder seine Zeitung in der Hand, und waren in lebhaftem Meinungs- austausch begriffen. Die Laterne stand auf dem Boden und warf ein Rampenlicht auf die beiden Thronbesteiger. «Entschuldigen Sie, meine Herren, aber die Butterbröte werden kalt!" „Bist Dus, Carlsson? Achso! Fangt nur an; wir kommen sofort!" „Ja, aber alle Leute warten: mit Respekt zu sagen: die Herren könnten sich wohl etwas beeilen!" „Kommen gleich, kommen gleich! Geh nur, geh nur!" Carlsson hatte mit Befriedigung zu bemerken geglaubt, haß der Pastor„gerührt" war: er entfernte sich und beeilte sich, die Gesellschaft mit der Erklärung zu beruhigen, der ßllastor mache sich zurecht und werde gleich kommch». Einen Augenblick später irrte eine Laterne über den Hof und näherte sich den gedeckten Tischen: zwei schwankende (Schatten folgten. Das bleiche Gesicht des Pastors ward bald am obern Ende des Tisches sichtbar. Die Braut trat mit dem Brotkorb auf ihn zu, um dem peinlichen Warten ein Ende zu machen. Carlsson aber hatte etwas anderes im Sinn: indem er mit einem Messer an die Schüssel mit den Fleischklößen klopfte, schrie er mit lauter Stimme: „Still, gute Leute, der Herr Pastor will einige Worte sagen!" Der Geistliche starrte Carlsson an, schien nicht zu ver» stehen, wo er zu Hause war: sah. daß er einen glänzenden Gegenstand in der Hand hatte: erinnerte sich, daß er letzte Weihnacht eine Rede gehalten, während er eine silberne Kanne in der Hand gehabt: hob die Laterne wie einen Pokal in die Höhe und sprach: „Meine Freunde, wir haben heute ein frohes Fest zu seiern." Er starrte Carlsson an, um etwas über Charakter und Zweck des Festes zu erfahren, denn er war bereits so voll- ständig abwesend, daß sich Jahreszeit, Ort, Ursache. Absicht verflüchtigt hatten. Aber Carlsson grinsendes Gesicht löste ihm das Rätsel nicht. Er starrte in die Luft, um irgendeinen leitenden Faden zu entdecken: sah die farbigen Laternen in der Eiche und erhielt die schwankende Vorstellung von einem riesengroßen Weihnachtsbaum: da hatte er die Spur ge- sunden.. „Dieses frohe Fest des Lichts," stieß er hervor,„da die Sonne der Kälte weicht, und der Schnee— er sah das weiße Tischtuch sich wie ein großes Schneefeld unendlich weit auS« breiten— meine Freunde, da der erste Schnee sich wie cina Decke über den Schmutz des Herbstes legt»-,, nein. � ich glaube, ihr treibt Euren Scherz mit mir,. 5 Er wandte sich fort und machte einen krummen Rücken. „Der Herr Pastor ist kalt geworden!" sagte Carlsson; „er will sich niederlegen! Bitte, fangt an, meine Herr« schaften!" Man ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern stürzt« auf die Schüsseln los, indem man den Pastor seinein Schick- sal überließ. . Dem Pastor war die Bodenkammer des Professors zum Nachtquartier angewiesen worden: um zu zeigen, daß er nüchtern war, lehnte er alle Angebote von Hilfe ab, indem er mit Schlägen drohte. Die Laterne an den Knien, zu- sammengefallen. als suche er Nadeln in dem tauigen Gras, steuerte er auf ein Fenster zu, das erleuchtet war. Aber an der Gartentür strauchelte er und stieß so heftig gegen den Türpfosten, daß die Laterne zerbrach und erlosch. Wie ein Sack schloß sich die Dunkelheit um ihn und er sank auf seine Knie nieder: aber das Fenster mit dem Licht leuchtete ihm wie ein Leitfeuer. Beim Weitergehen verspürte er das un- angenehme Gefühl, daß die Knie seiner schwarzen Hosen bei jedem Schritt feucht wurden, und feine eigenen Kniescheiben schmerzten, als schlügen sie gegen Steine. Schließlich kriegt er etwas sehr Großes, Rundes und Feuchtes zu fassen, er tappt und sticht sich an einem Brief Stecknadeln oder dergleichen: steckt die Hand in eine Boots- dolle oder ähnliches; da hört er das Brausen von Wasser und fühlt, daß er naß wird. Von der Furcht, in die See ge- gangen zu fem, aufgescheucht, erhebt er sich am Mast und findet in einem lichten Augenblick, daß er an einem Tür» Pfosten steht: kommt mit einer Krängung in einen Flur; fühlt eine Treppenstufe an den Knien; hört eine Magd schreien:„Herr Jesus, das Dünnbier!" Von einem dunkeln bösen Gewissen getrieben, kriecht er die Treppe hinauf, stößt sich die Fingerknöchel an einem Schlüssel, kriegt eine Tür auf, die nach innen nachgibt; stürzt in eine Kammer hinein und sieht ein großes gemachtes Bett für zwei; hat soviel Kraft, die Decke aufzuschlagen; kriecht mit Kleidern und Stiefeln hinein, um sich zu verstecken, da man ihn unten mit Schreien verfolgt: glaubt zu sterben oder zu erlösen oder zu ertrinken, und meint, die Menschen rufen nach Dünnbier! Ab und zu erwacht er wieder zum Leben, ward wieder angesteckt, aus der See gezogen, lebte und stand am Weih» nachtstisch: und dann wurde er wieder ausgeblasen wie ein Licht, erlosch, starb, sank und wurde naß. »»» � Inzwischen wurde das Abendbrot unter den Eichen fort» gesetzt und mit Bier und Branntwein so stark befeuchtet, daß keiner an den Pastor dachte. Als man das Essen soweit verschlungen hatte, daß der Boden in Tellern und Schüsseln zu sehen war, ging man in die Stuga hinunter, um zu tanzen. Die Braut wollte dem Pastor etwas Gutes auf die Kammer schicken: aber Carlsson überzeugte sie davon, daß der Pastor am liebsten Ruhe haben wolle; es sei nicht richtig, ihn zu stören. Und dabei blieb es.' Gustav hatte sich von seinem Bundesgenossen abgewandt, als er merkte, daß der überlistet war: er gab sich seinen Ver« gnügungen hin und vergaß allen Groll im Rausch.* Der Tanz ging wie eine Mühle. Der Spielmann saß auf dem Herd und fiedelte. In den offenen Fenstern kühlten sich schwitzende Rücken an der Frische der Nacht. Draußen auf der Höhe saßen die Alten, rauchten, tranken und scherzten im Halbdunkel, im schwachen Feuerschein, der durch die Scheiben der Küche fiel, und bei den Lichtern in der Tanzstube. Draußen aber auf Wiesen und Höhen wanderte Paar um Paar in dem tauigen Gras unter dem schwachen Schimmer des Sternenhimmels, um bei Heuduft und Heimchengezirp das Feuer zu löschen, das die Wärme des Hauses, der starke Geist des Kornbranntweins, der wiegende Schritt des TanzeS in ihnen entzündet hatten.
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26 (3.8.1909) 148
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