»Die Zeiten verändern sich und wir uns mit ihnen! ZW danke Gott für jeden Tag, an. dem ich klüger werde!" antwortete Carlsson. Er besuchte Sonntags die Kirche; nahm an allgemeinen Fragen teil und wurde in den Gemeinderat gewählt. Da- durch kam er in nähere Berührung mit dem Pastor und er- lebte den großen Tag, an dem er ihn duzen konnte. Das war einer der größten Träume seines Ehrgeizes; ein ganzes Jahr lang ward er nicht müde, zu erzählen, was er gesagt und was Pastor Nordstrom geantwortet hatte. Hör mal, lieber Nordström," sagte ich,dieses Mal läßt Du mich aber gewähren!" Und da sagte Nordström: Carlsson, Du mußt nicht halsstarrig sein, wenn Du auch ein kluger Kerl und ein verständiger Mann bist-,." Die Folge war, daß Carlsson eine Menge Gemeinde- Angelegenheiten übernahm, unter denen die Feuerschau die be- iliebteste war. Da reiste man auf Kosten des Kirchspiels um­her und trank Kaffeehalbe bei Bekannten. Auch die Wahl zum Reichstag, die allerdings im Innern des Landes stattfand, hatte ihre Verführungen und ihre kleinen Nachwehen, die bis in die Schären zu spüren waren. Zur Wahlzeit und auch sonst wohl einige Male im Jahr kam der Baron mit seinen Jagdherren auf einem Dampfer heraus; dann wurden fünfzig Kronen für das Recht, einige Tage jagen zu können, bezahlt. Punsch und Kognak flössen Tag und Nacht und man schied von den Jägern mit der festen Ueberzeugung: das sind feine Leute. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten� fettcben.*) Erzählung von Guy de Maupassant  . Deutsch von E. W. Mehrere Tage lang waren flüchtige Teile der zerfetzten Armee durch die Stadt gezogen. Das war kein Heer mehr, das waren aufgelöste Horden. Mit langen und wirren Barten, die Uniformen zerlumpt, schlenderten die Leute müde vorwärts, ohne Fahne. ohne Zusammenhalt. Alle schienen erschöpft, zerbrochen, unfähig, einen Gedanken oder einen Entschluß zu fassen: sie marschierten nur mechanisch und fielen vor Müdigkeit um, sobald sie stehen blieben. Es waren hauptsächlich Landwehrleute, friedliche Menschen, ruhige Rentiers, die unter dem Gewicht ihres Gewehrs zusammenbrachen; kleine Mobilgardisten, lebhafte Burschen, leicht zu erschrecken und zu begeistern, so schnell zum Angriff wie zur Flucht bereit; mitten unter ihnen einige rote Hosen, die Trümmer einer in einer großen Schlacht zermalmten Division; dunkle Mäntel von Artilleristen in einer Reihe mit den Infanteristen in verschiedenster Uniform, und bisweilen der aufleuchtende Helm eines Dragoners. der schwerfällig und mühsam dem leichteren Schritt der Linie nachkam. Haufen von Freischärlern mit stolzen Namen»Rächer der Niederlage",Bürger des Grabes",Genossen des Todes" folgten; Banditengesichter. Ihre Führer waren ehemalige Tuch- und Getreidehändler, frühere Fett- und Seifenkrämer, GelegenheitSIrieger, die ihre Taler oder die Länge ihrer Bärte zu Offizieren gemacht hatte. Beladen mit Waffen, Uniformstücken und Tressen, sprachen sie mit dröhnender Stimme, erörterten FeldzugSpläne und behaupteten, das sterbende Frankreich   allein auf ihren prahlenden Schultern zu tragen; aber sie fürchteten sich manchmal vor ihren eigenen Soldaten wahrem Galgengesindel, oft tapfer bis zum Aeußersten, wüsten, räuberischen Gesellen. Das Gerücht ging, die Preußen ständen vor Ronen. Die Nationalgarde, die feit zwei Monaten in den nahen Wäldern sehr vorsichtig rekognoszierte, gelegentlich auch die eigenen Posten abschoß und sich zum Kampf rüstete, wenn sich ein Häschen unter dem Gestrüpp bewegte, war zum heimischen Herd zurückgekehrt. Ihre Waffen und Uniformen, ihr ganzer mörderischer Apparat, mit dem sie bislang die Prellsteine der Landstraßen drei Meilen in der Runde in Schrecken gejagt hatten, war plötzlich verschwunden. Die letzten französischen   Soldaten hatten endlich die Seine über- schritten, um über Saint-Seve und Bourg-Achard Pont-Audemer zu erreichen. Ganz zuletzt kam der General, verzweifelt, wehrlos mit diesen abgerissenen Fetzen. Er war vernichtet in diesem großen Zu­sammenbruch eines Volkes, da? zu siegen gewöhnt, verheerend geschlagen war, trotz seines sprichwörtlichen Heldenmutes; er ging zu Fuß, zwischen zwei Ordonnanzoffizieren. ") Anmerkung des UebersetzerS: Das französische   Original Boule de Suif  (wörtlich: Talgkugel) ist 1880 in denAbenden von Medan" gleichzeitig mit Novellen von Zola  , Huhsmans, Hennique, Ceard und Paul Alexis   erschienen.Fettchen" ist nicht erfunden; die Heldin hieß mit ihrem Namen Adrienne Legay. Diese mit der ganzen Darstcllungskraft und Stilkunst Maupaffants gestaltete wahre Begebenheit ist vielleicht die stärkste Satire auf die bürger- Itrye Moral in der neueren Literatur. Ein tiefes Schweigen, entsetzte und lautlose Erwartung hatte sich auf die Stadt gesenkt. Viele dickwanstige Bourgeois, die ihr Handel entmannt hatte, warteten bebend auf die Sieger und zitterten, daß man ihre Rostspieße oder ihre Küchenmesser als Waffen ansehen könnte. Das Leben war wie erstarrt; die Geschäfte waren geschloffen, die Straßen stumm. Bisweilen schlich sich ein Einwohner, verängstigt durch das Schweigen, hastig an den Mauern entlang. Die Furcht des Harrens sehnt sich schließlich nach der Ankunft des Feindes. Am Tage nach dem Abmarsch der französischen   Truppen, gegen Abend, tauchten plötzlich einige Ulanen auf, die rasch durch die Stadt ritten. Und etwas später wälzte sich eine dunkle Maffe die St. Katharinenhöhe hinab, während zwei andere Haufen auf den Straßen von Darnetal und Boisguillaume mächtig heranfluteten. Die Vorhut der drei Korps traf genau zur gleichen Zeit auf dem Rat- hausplatz zusammen, und auf allen umliegenden Straßen rückte die deutsche Armee heran und entfaltete ihre Bataillone, unter deren hartem und gleichnräßigem Schritt das Pflaster dröhnte. Kommandorufe, in fremdartigen Kehllauten hervorgestoßen, stiegen an den Häusern empor, die tot und verlaffen schienen, während man hinter den geschloffenen Läden spähend nach diesen siegreichen Männern blickte, den Herren über die Stadt, Eigentum und Leben aus.Kriegsrecht". In ihren verdunkelten Räumen waren die Bewohner von dem Entsetzen ergriffen, das die Elementar- ereigniffe erzeugen, die großen mörderischen Erdbeben, gegen die alle Weisheit und alle Kraft unnütz ist. Denn dasselbe Gefühl regt sich jedesmal wieder, wenn die feste Ordnung der Dinge umgestürzt ist; wenn es keine Sicherheit mehr gibt; wenn alles, was die Gesetze der Menschen oder der Natur schützt, sich einer dumpfen und grau- samen Gewalt ausgeliefert steht. Das Erdbeben, das unter den stürzenden Häusern ein ganzes Volk begräbt, der angeschwollene Fluß, der mit den Kadavern der Rinder und den von den Dächern losgerissenen Balken die ertrunkenen Bauern fortträgt, oder die glor- reiche Armee, die niedermetzelt, was sich verteidigt, die anderen zu Gefangenen macht, im Namen des Säbels plündert und einem Gott beim Schalle der Kanonen dankt das sind furchtbare Geißeln, die jeden Glauben an die ewige Gerechtigkeit zerstören, jedes Vertrauen, das man uns lehrt, in den Schutz des Himmels und in die Vernunft des Menschen zu setzen. An jeder Tür aber klopften kleine Abteilungen und verschwanden in den Häusern. Das war die Besetzung nach der Eroberung. Für die Besiegten begann die Pflicht, gegen die Sieger liebenS- würdig zu sein. Nach einiger Zeit, als der erste Schreck vorbei war, trat wieder ein Zustand der Ruhe ein. Vielfach der preußische Offizier an der Familientafel. Er war nicht selten wohl erzogen und beklagte aus Höflichkeit Frankreich   und versicherte, daß er nur mit Widerwillen an diesem Kriege teilgenommen habe. Man war ihm dankbar für diese Empfindung; überdies konnte man gelegentlich seine Gunst brauchen. Wenn man behutsam mit ihm umging, würde man vielleicht ein paar Leute weniger zu füttern haben. Und warum jemanden verletzen, von dem man völlig abhing? So zu handeln, das wäre nicht Kühnheit, sondern Tollkühnheit. Und Tollkühnheit ist nicht mehr das Laster der Bürger von Rouen  , wie einst in jenen Zeiten, als sich ihre Stadt durch heldenhafte Verteidigung Ruhm erwarb. Schließlich sagte man sich und diesen letzten Grund gewährte die ftanzösische Bildung, daß es wohl erlaubt wäre, zu Haufe höflich zu fein, wenn man nur öffentlich keine Vertraulichkeit mit dem fremden Kriegsmann zeigte. Draußen kannte man sich nicht mehr, aber da- heim plauderte man gern, und der Deutsche wärmte sich allabendlich länger am gemeinsamen Herd., Die Stadt nahm allmählich ihr früheres Aussehen an. Die Franzosen gingen noch nicht aus, aber die preußischen Soldaten wimmelten in den Straßen. Schließlich schienen die blauen Husaren- offiziere, die hochmütig ihre großen Mordwerkzeuge über das Pflaster schleiften, nicht sonderlich mehr Mißachtung für die einfachen Bürgers- leute zu haben wie die Jägeroffiziere, die daS Jahr zuvor in den- selben Caföö saßen. Es lag aber doch etwas in der Luft, etwa? NnfaßlicheS und Unbekanntes, eine Atmosphäre unerträglicher Fremdheit, als hätte sich ein Geruch verbreitet, der Geruch der Fremdherrschaft. Er erfüllte die Wohnungen und die Plätze, veränderte den Geschmack der Speisen, gab das Gefühl, daß man auf Reisen sei, ganz fern. unter barbarischen und gefährlichen Stämmen._ Die Sieger forderten Geld, viel Geld. Die Einwohner zahlten in einem fort; sie waren ja auch reich. Aber je wohlhabender ein normännischer Kaufmann wird, um so mehr leidet er unter jedem Opfer, unter jedem Verzicht auf ein Teilchen seines Vermögens, das er in die Hände eines anderen übergehen sieht. Indes, zwei oder drei Meilen unterhalb der Stadt, ström- abwärts, in der Gegend von Croisset, Dieppedalle oder Biesiart. zogen die Schiffer und Fischer häufig aus dem Grund des Wassers die Leiche irgendeines Deutschen  , aufgedunsen in seiner Uniform, den ein Hieb mit dem Meffer oder dem Holzschuh getötet, dem ein Stein- wurf den Kopf zerschmettert oder den man mit einem Stoß von der Brücke herab ins Wasser geworfen hatte. Der Schlamm des Sttomes begrub diese dunklen, wilden und berechtigten Racheatte, namenlose Heldentaten, stumme Angriffe gefährlicher als die Schlachten im Licht der Sonne, ohne den Widerhall des Ruhme?, Denn der Haß gegen den Fremden bewaffnet stets einige Furcht- lose, sie für eine Idee zu sterben bereit sind.