Schließlich, da die Eroberer zwar die Stadt ihrer unbeugsamenDisziplin unterworfen, aber doch keine jener Scheusäligkeiten aus-geführt hatten, die ihr Ruf sie auf jedem Schritt ihres Triumph-zuges hatte begehen lassen, faßte man Mut, und der Geschäststriebbeherrschte wieder den Sinn der Gewerbetreibenden der Gegend.Einige waren stark in Havre interessiert, das die französische Armeebesetzt hielt, und sie wollten diesen Hafen zu erreichen versuchen,indem sie zu Lande nach Dieppe gingen und sich dort einschifften.Man wandte sich an die deutschen Offiziere, mtt denen man be-kannt geworden war, und erlangte vom General die Erlaubnis zurAbreise.Eine große vierspännige Postkutsche war also für diese Reisebestellt worden, und da zehn Personen sich bei dem Fuhrmanneingezeichnet hatten, entschloß man sich an einem Dienstag früh ab-zureisen, vor Sonnenausgang, um alles Aufsehen zn vermeiden.Schon seit einiger Zeit war der Boden hart gefroren, und amMontag gegen drei Uhr zogen große schwarze Wolken vom Nordenauf und brachten Schnee, der den ganzen Abend und die ganze Nachtohne Unterlaß fiel.Um halb fünf Uhr morgens trafen sich die Reisenden im HofebeS„Hotel de Normandie", wo die Abfahrt erfolgen sollte.Sie waren noch schlaftrunken und zitterten vor Kälte unterihren Decken. Sie konnten sich in der Dunkelheit kaum sehen; unddie Ueberladung mit den schweren Winterkleidern ließ all diese Ge-stalten fetten Pfaffen in langen Soutanen gleichen. Aber zweiMänner erkannten sich, ein dritter sprach sie an, und sie unterhieltensich:„Ich nehme meine Frau mit", sagte der eine.„Ich mach'sauch so."—„Und ich auch."— Der erste fügte hinzu:„Wirkommen nicht nach Rouen zurück, und wenn die Preußen sich Havrenähern, fahren wir nach England."--- Alle hatten dieselben Ab-sichten; sie waren au» gleichem Stoff.Der Wagen wurde noch nicht angespannt. Eine kleine Laterne,die ein Stallbursche trug, wanderte von Zeit zu Zeit aus einerdunklen Tür, um sofort in einer anderen zu verschwinden. Pferde-Hufe scharrten die Erde— der Stallmist dämpfte den Schall. Undeine zu den Tieren sprechende fluchende Männerstimme drang hintenaus dem Gebäude. Ein leichtes Schellengeraschel verriet, daß mandas Geschirr anlegte; das Rascheln wurde bald ein Helles undanhaltendes Klingen, im Rhythmus der Bewegung des TiereS: zu-weilen verstummte es, dann erscholl es wieder in einem jähen Stoß,den das dumpfe Geräusch des schlagenden Hufes begleitete.Das Tor schloß sich plötzlich. Alles Geräusch hörte auf. Diedurchgefrorenen Gäste waren still geworden; sie blieben unbeweglichund starr.Ein weiter Schleier bon weißen Flocken senkte sich schimmerndund ohne Ende zu Boden; er verlöschte die Formen, bestäubte dieDinge mit einem Eisflaum; und man hörte nichts mehr in demgroßen Schweigen der stillen, winterlich vergrabenen Stadt, alsdieses ungewisse, unnennbare, gleitende Rieseln deS fallenden Schnees— mehr Eindruck als Geräusch, ein Wirbel leichter Atome, die denRaum zu erfüllen, die Welt zu bedecken schienen.Der Mann kam wieder, mit seiner Laterne, und zog an einemStrick ein betrübtes Pferd heraus, das nicht gern folgte. Er stellteeS an die Deichsel, zog die Stränge an und hantierte lange, umdas Geschirr zu befestigen; denn er hatte nur eine Hand frei, dieandere trug das Licht. Als er das zweite Tier holen wollte, be-merkte er, wie alle die Reisenden reglos standen, schon weiß vonSchnee, und sagte zu ihnen:_'„Warum steigen Sie nicht in den Wagen, Sie werden wenigstensunter Dach sein."Daran hatten sie wohl nicht gedacht, und sie eilten. Die drei. Männer brachten ihre Frauen im Hintergrunde des Wagens unterund stiegen ein; die anderen unbestimmten und verhüllten Gestaltennahmen dann die letzten Plätze ein, ohne ein Wort zu wechseln.Der Boden war mit Stroh bedeckt, in das sich die Füße der-krochen. Hinten zündeten die Damen ihre kleinen kupfernen, miteiner künstlichen Kohle versehenen Fußwärmer an, und eine Weilezählten sie halblaut die Vorzüge dieser Apparate auf, indem sie sichDinge wiederholten, die sie ichon lange wußten.Endlich war die Kutsche angeschirrt, mit sechs Pferden statt vier,wegen der schwierigeren Fahrt. Eine Stimme von drinnen fragte:„Ist alles eingestiegen?"— Eine Stimme von drinnen antwortete:„Ja."— Man suhr ab.Der Wagen bewegte sich langsam, langsam, schrittweise vorwärts.Die Räder gruben sich in den Schnee ein; der ganze Kasten klagtemit stunipfcm Krachen; die Tiere glitschten, schnoben, dampften; unddie riefige Peitsche des Kutschers knallte unaufhörlich, schnellte nachallen Seiten, rollte sich zusammen und auseinander wie eine dünneSchlange, und traf auf einmal einen schlaff gewordenen Rücken, dersich dann mit jäher Anspannung straffte.�Fortsetzung folgt.)](Nachdruck Undotcn.)Die Kabylcn*Spanken zittert in seinen Grundfesten, weil die Kabylen Mclillabestürmen, einen kleinen, von altersher zur Deportation benutztenKüstcnort an, grauenvoll unwirtlichen Gestade Nordafrikas._ DieSpanier wisien nur zu gut, was ein regulärer Krieg gegen die seitJahrtausenden unbesiegten Kabylen für sie bedeuten würde: Wahn-witzige Opfer an Blut und im Grunde nur eine verschleierteMethode der Selbstvennchwng gegenüber einem Feinde, dessenfanatische Vendetta ihresgleichen nicht hat, und bei dem letztenEndes nichts zu holen ist, am allerwenigsten so etwas wie Kriegs-kosten.Wer sind die Kabylen? Die Telegramme reden vielfach von„Mauren" und das Wort„Marokkoabenteuer" taucht auf. Das istVertckirrung. Die Kabylen sind eine Rasse für sich, und dermarokkanische Sultan ist zufrieden, wenn er nominell als ihrOberherr gilt und nicht noch obendrein Schmerzensgeld zahlenmuß für eine Rauferei, die sie anstiften. Die Stammes-geschichte der Kabylen geht weit zurück. Der römische Ge-schichtschreiber Sallust erzählt nach den uns leider verlorengegangenen Schriften des Königs Hiempsal II. von Numidien, dieUrbevölkerung der Küste Nordafrikas habe aus Lybiern bestanden.Diese hätten sich dann mit eingewanderten Medern, Persern undArmeniern vermischt und so die Numider gebildet. Von diesemVolk nun stammen die heutigen Berbern ab, die schon in, AltertumBarbari genannt wurden, sich selbst aber als Kabylen bezeichnennach dem einheimischen Wort„Kabila", was eine Vereinigung mehrererReifighütten an einem Punkt bedeutet. So viel scheint sicher, daß schonvor der geschichtlich bekannten Einwanderung der Phönizier eine andereEinwanderung aus Westafien stattgeftmden hat, und daß also diedamaligen Ureinwohner bereits keine reine Raffe mehr darstellten.Nach den Phöniziern kamen Einwanderungen von Griechen,Römern, Juden, Vandalen, Byzantinern, Arabern, Türkern.Spaniern, Franzofen. Alle diese haben gewiß Spuren inder Raffe hinterlaffen; dennoch ist die anthropologische Fest-stellung dadurch erleichtert, daß sich einzelne Kabylenstämme,die zu stolz mid freiheitlich gesinnt waren, in das Atlasgebirgezurückzogen und dort unvermischt nicht nur ihre Rasse, sondern auchihre Sprache, genannt„Tamazirt", erhielten. Das einzig Fremde,das sie aufnahmen, ist der Islam, während sie ihre alten Stammes-sitten treu und gewissenhaft weiterpflegten. Das Tamazirt ist derSprache der Kopten und Somali verwandt, also hamitisch, und stehtim schroffsten Gegensatze zu den indogermanischen Sprachen.Nicht so ihr Körperliches. Vielmehr zählt man sie da mit Uit-recht zu den Hamiten; ihre Farbe ist an den bloßen Köperstellen,die der Sonne ausgesetzt sind, tiefbraun, aber an allenbedeckten Körperstellen ist ihre Haut weiß wie bei Europäern.Die Augen sind meist braun und die Haare schwarz. Danebenkommen— und das ist eine höchst auffällige Erscheinung— blondeLeute mit blauen Augen vor, nach verschiedenen Gewährsmännernetwa 10 Proz. der Bevölkerung. Unter den Rif-Kaby!'en werden dieBlonden sogar auf ein Drittel bis zwei Fünftel geschätzt. Der ver-storbene Anthropologe Lissauer, der noch vor zwei Jahren dieGegenden besuchte, faßt seine Untersuchungen folgendermaßen zu-sammen: Alle reinen Kabylen gehören zur weißen Mittelmeerrasseund sind mehr oder weniger stark untermischt mit blonden, blau-äugigen Individuen bon nordemopäischem Charakter. Alle sprecheneinen zum„Tamazirt" gehörigen Dialekt einer hamitischen Sprache.Wir stehen hier vor Problemen, die völkerkundlich von größterBedeutung sind. Woher stammen die blonden Kabylen? Brocameinte, sie seien Nachkommen der Tamahu oder Nordländer, die derberühmten Inschrift von Karnak zufolge um 1100 vor Christusnach Nordafrika und Aegypten eingedrungen feien. Shaw hielt siefür Abkömmlinge der Vandalen, die 429 nach Christus unterFührung von Genserich von Gibraltar aus übersetzten; indessengeht schon aus Procops Bericht über den Vandalenkrieg hervor, daßAnno b44 von dem so wunderbar schönen Menschenschläge nur noch420 Mann übrig waren. Außerdem berichten bereits vorchristlicheSchriftsteller von„schönen und blonden" Leuten unter den Berbern.Also mit den Vandalen-Enkeln ist es nichts, und was die oben er-wähnten Tamahu betrifft, so wissen wir ja gar nicht, wiedie aussahen. Wir bedürfen auch andererseits dieser verlockendenhistorischen Fatta nicht, um einen bindenden Schluß zumachen. Soweit unsere Kenntnis überhaupt reicht, wissen wir,daß eine große und zusammenhängende blonde Bevölkerung nur inNordeuropa bodenständig oder ureingeboren ist, nirgend anderssonst auf der Erde. Einfach aus diesem Grunde sind wir zu derAnnahme gezwungen, daß die anderswo versprengt und insel-förmig auftauchenden Blonden ebenfalls aus Nordeuropa her-stammen.") Wer das nicht zugibt, müßte dann beispielsweise auchannehmen, die Neger seien auf Haiti oder in den VereinigtenStaaten eingeboren. Zur nordeuropäischen Herkunft derKabylen stimmt auch ihr gedrängtes Vorkommen besonders auf denHöhenzügen Nordafrikas, da sie sich hier immer am wohlsten gefühlthaben müssen.Daß die Kabylen eine hamitische Sprache sprechen, ist keinerleiGegenbeweis gegen ihre Körperlichkeit, die oft direkt den Eindruckvon Schotten oder norddeutschen Landleuten niacht. Man weiß, daßSprachen oft schnell gewechselt werden und daß oft die Sprache der•) Die Frage scheint uns keineswegs derart geklärt, daß dieseHypothese apodiktisch aufgestellt werden könnte. Richtig ist aber, daßneuere anthropologische und ethnologische Forscher, statt wiefrüher die Europäer aus Indien oder jedenfalls Asien herstammenzu laffen, immer mehr einen europäischen Ursprung für sie annehmen.Daß aber selbst die blonde Varietät der Germanen in Nordcuropavon jeher heimisch ist, kann bisher nicht bewiesen werden.Die Red. des Unt.-Blatt.