Mnlerhaltimgsblatt des Horwärts Nr. 164. Mittwoch, den 11. August. 1909 (Nachdruck$ ertöten.) 30] Die Inlelbauern. RyMan von August Strindöerg. Deutsch von Emil Schering . Auf der anderen Seite lag die Bucht: blank, schwarz; und gerade gegenüber sah sie die Lichter in der Stuga und ein Licht oben im Stall. Der Wind wehte scharf und ging ihr durch den Rücken, zauste an den Haaren und vereiste die Nasenflügel. Halb laufend kam sie aufs Eis hinunter, hin- auf auf die schwankende Fläche, hörte das trockene Schilf um ihre Ohren sausen, unter ihren Füßen knacken. Ueber eine eingefrorene Boje fiel sie nieder. Erhob sich wieder und lief weiter, als sei der Tod ihr auf den Fersen. Als sie das andere Ufer erreichte, fuhr sie mitten durchs Eis, das sich infolge des sinkenden Wasserstandes wie Fensterscheiben auf den Schlammboden gelegt hatte und unter ihrer Last klingend und krachend zerbrach. Sie fühlte, wie die Kälte die Beine hinauf stieg. Aber sie wagte nicht zu schreien, damit niemand komme und frage, wo sie gewesen. Hustend, als wolle ihre Brust springen, schleppte sie sich aus der Wake, schlich sie die Höhe hinauf. Als sie ans Haus kam, ging sie unmittelbar aufs Bett zu, legte sich nieder und bat Lotte, Feuer im Herd zu machen und Fliedertee aufzusetzen. Sie ließ sich die Kleider ausziehen. Decke und Schaffelle über sich werfen; ließ den Ofen mit Knüppelholz heizen, fror aber doch unaufhörlich. Schließlich ließ sie Gustav rufen, der in der Küche saß. Bist Du krank, Mutter?" fragte er mit seiner gewöhn- lichen Ruhe. Jetzt bin ichs," antwortete die Alte pustend,und ich komme nie wieder auf. Schließ die Tür und geh an den Sekretär. Der Schlüssel liegt hinter dem Pulverhorn auf dem Fach; Du weißt doch!" Gustav gehorchte niedergeschlagen. Oeffne die Klappe; zieh die dritte Schublade linker Hand aus und nimm den großen Brief... Ja, den... Leg den ins Feuer." Gustav gehorchte, und bald flammte das Papier im Ofen, rollte sich und verkohlte. Schließ die Tür, mein Junge, und mach den Sekretär zu! Steck den Schlüssel zu Dir! Setz Dich hierher und hör mich an; denn morgen kann ich nicht mehr sprechen." Gustav setzte sich, weinte ein wenig, denn jetzt hörte er, daß es ernst war. Wenn ich die Augen zumache, so nimm das Petschaft Deines Vaters, Du hast es selber, und versiegele alle Schlüssel- löchcr, bis die Gerichtsherren kommen." Und Carlsson?" fragte der Sohn zögernd. Der kriegt sein Altenteil; das wird ihm wohl niemand nehmen! Aber nicht mehr; und kannst Dus auslösen, so tu es! Gott sei mit Dir, Gustav! Du hättest wohl auf meine Hochzeit kommen können; aber Du hast wohl Deine Gründe gehabt. Und jetzt, wenn ich reise, mußt Du verständig sein. Kein Sarg mit silbernem Schild; Du nimmst solch einen gelben, gebeizten. Will der Pastor einige Worte sprechen, so mag er es; Du kannst ihm dafür Vaters Meerschaumkopf geben und seiner Frau ein halbes Schaf. Und Du, Gustav, schau, daß Du Dich bald verheiratest. Nimm ein Mädchen, das Du liebst und halte Dich zu ihr: aber nimm eine aus Deinem Stand; und hat sie Geld, so schadet es nichts! Aber nimm keine, die unter Dir steht: die fressen Dich mir auf wie Läuse: und gleich und gleich gesellt sich gern. Willst Du mir jetzt etwas vorlesen, so will ich sehen, ob ich einschlafen kann." Die Tür öffnete sich, und Carlsson schlüpfte herein, weich, aber zuversichtlich. Bist Du krank, Anna, Eva?" fragte er kurz; dann wollen wir nach dem Doktor schicken." Das ist nicht nötig," antwortete die Alte und drehte sich nach der Wand. Carlsson ahnte den Zusammenhang und wollte wieder gut Freund werden. Bist Du böse auf mich, Anna Eva? Ach was, man wird doch nicht um nichts und wieder nichts böse werden! Soll ich Dir aus dem Buch vorlesen?", Ist nicht nötig!" war alles, was die Alte antwortete. Carlsson merkte, daß hier nichts mehr zu machen war; da er unnütze Arbeit nicht liebte, nahm er die Sache, wie sie war. und setzte sich auf das Holzsofa, um zu warten. Da die geschäftliche Lage klar war und die Alte nicht Lust oder nicht Kraft hatte, sich mitzuteilen, so war nichts mehr hinzuzufügen; und was Gustav und ihn betraf, das würden sie später schon miteinander abmachen. Einen Arzt zu holen, daran dachte niemand, denn die Leute waren es gewohnt, allein zu sterben; auch war jede Verbindung mit dem Festland unterbrochen. Zwei Tage lang bewachten Gustav und Carlsson die Kammer und einander. Wenn der eine auf einem Stuhl oder dem Sofa einschlummerte, machte auch der andere mit einem Auge ein Schläfchen. Sobald sich aber jemand riihrte, fuhr der andere wieder in die Höhe. Am Morgen vor Weihnachten war Frau Carlsson tot. Gustav hatte ein Gefühl, als sei die Nabelschnur jetzt erst durchschnitten; als sei er jetzt erst vom Mutterleib frei und ein selbständiger Mann geworden. Nachdem er seiner Mutter die Augen zugedrückt und ihr das Gesangbuch unter das Kinn gelegt hatte, damit der Mund nicht klaffe, steckte er in Carlssons Gegenwart ein Licht an, holte Petschaft und Lack und versiegelte den Sekretär. Die unterdrückten Leidenschaften erwachten; Carlsson trat vor und stellte sich mit dem Rücken gegen den Sekretär. Holla, was machst Du da, Junge?" fragte er. Ich bin jetzt kein Junge mehr," antwortete Gustav; ich bin jetzt Herr auf Hemsö, und Du bist Altsitzer." Dazu gehören wohl zwei!" meinte Carlsson. Gustav nahm die Flinte von der Wand, zog den Hahn auf, daß das Zündhütchen zu sehen war; trommelte auf den Kolben und brüllte zum erstenmal in seinem Leben: Hinaus! Sonst drücke ich los!" Drohst Du?" Ja, da keine Zeugen da sind!" antwortete Gustav, der in letzter Zeit mit Leuten vom Gericht gesprochen zu haben schien. Das war Bescheid, und den verstand Carlsson. Warte Du nur, bis die Teilung stattfindet," sagte er und ging in die Küche hinaus. Der Weihnachtsabend war dieses Jahr düster. Eine Leiche im Haus und keine Möglichkeit, nach Sarg und Leichenkleid zu schicken; denn der Schnee fiel unaufhörlich. daß Strömungen und Meeresflächen weder trugen noch brachen. Ein Boot in die See zu bringen, war unmöglich, denn das Wasser war ein einziger Eisschlamm, der weder rudern noch fahren noch gehen zuließ. Carlsson und Flod, wie Gustav sich jetzt nennen ließ, gingen umeinander herum; saßen zusammen zu Tisch, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Das Haus war in Un- ordnung; niemand setzte die Arbeit in Gang; jeder verließ sich auf den anderen; fo blieb die meiste Arbeit ungetan. Der Weihnachtstag begann, grau, neblig; wieder schneite es. Nach der Kirche zu kommen, war ebenso unmöglich, wie irgendwohin zu kommen; darum las Carlsson die Predigt in der Küche. Man wußte, daß man eine Leiche im Hause hatte. und keine Weihnachtsfreude kam auf. Das Essen war nach- lässig zubereitet: nicht zur rechten Zeit fertig, und alle waren mißvergnügt. Es lag etwas Dumpfes in der Luft, sowohk draußen, wie drinnen; und da die Leiche der Alten in dee Stube stand, weilten alle in der Küche. Es war wie eine Einquartierung. Wenn man nicht oder trank, schlief man, einer auf dem Sofa, einer auf dem Bett; zum Kartenspiel zu greifen oder die Handharmonika vorzunehmen, fiel nie» mandem ein. Der zweite Weihnachtstag kam und verging, ebensa schwer, ebenso langweilig. Jetzt aber verlor Flod die Geduld. Einsehend, daß eine Zögerung schlimme Folgen haben könne� da die Leiche sich zu verwandeln begann, nahm er Rundqvist mit in den Arbeitsschuppen. Dort tischlerten die beiden einen Sarg, der dann gelb gestrichen wurde. Was man im Hause auftreiben konnte, in das wurde die Tote gehüllt. So war der fünfte Tag gekommen,