Da das Wetter keine Zeichen gab, daß es sich bessern Kerde, und man die Aussicht hatte, vierzehn Tage warten zu müssen, mußte man um jeden Preis versuchen, die Leiche nach der Kirche zu schaffen, um sie in die Erde zu bringen. Man schob also das große Netzboot in die See, und alle Manns- leute rüsteten sich zu einer Eisbootsfahrt mit Schlitt-nkufen, Eispickeln, Beilen und Stricken. Früh am sechsten Tage begaben sie sich auf die sebens- gefährliche Fahrt. Bald war eine Strömung offen; dann ruderte man. Tann kam man an eine Fläche, die unterm Eis lag; da mußte man das Boot auf die Schlittenkufen schieben; wenn das gelungen war, mußte man sich Vorspannen und ziehen. Am schlimmsten war es im Eisschlamm; da platschten die Ruder nur auf und nieder, ohne daß das Boot mehr als einige Zoll weiter kam. Oft mußte man vorausgehen und eine Rinne mit Eispickeln und Beilen aufhauen; aber wehe dem, der sich verhieb und aus der Rinne herauskam, wo eine Strömung die dünne Kruste zerfressen hatte. Es war Nachmittag geworden, und noch hatten sie sich nicht die Zeit zum Essen und Trinken genommen. Noch war die letzte freie Meeresfläche zurückzulegen. So weit sie sehen konnten, öffnete sich ein einziges großes Schneefeld, hier und dort mit kleinen runden Erhöhungen; das waren eingeschneite Kobben. Die Krähen kamen von draußen angeflattert und zogen ins Land hinein, um ihren Nachtzweig zu suchen. Zu- weilen dröhnte das Eis, als sei Tauwetter im Anzug, und draußen auf dem offenen Meer brüllten die Sechunde. Die Eisfläche lag östlich nach dem Meer zu offen, aber es war keine Meerwake zu sehen. Verdächtig war aber, daß sie die Eisentealla" rufen zu hören glaubten. Da sie vierzehn Tage lang keine Zeitung bekommen hatten, wußten sie nicht, ob die Leuchttürme brannten; aber zwischen Weihnachten   und Neu- jähr brannten sie sicher nicht. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck derdoien.) 6] fcttchcn. Erzählung von Guy de Maupassant  . Deutsch von E. W. llnter dem Vorwanb, sich die Beine zu vertreten, verkaufte Loiseau im Orte Wein an die Wirte. Ter Graf und der Fabrikant begannen ein politisches Gespräch über die Zukunft Frankreichs  . Ter eine glaubte an die Orleans  , der andere an einen unbekannten Retter, an einen Helden, der erstehen würde, wenn alles der- zweifelte: ein Du Guesclin'), vielleicht eine Jungfrau von Or- leans? oder gar ein erster Napoleon? Ach, wenn der Kronprinz nicht so jung wäre! Cornudct hörte ihm zu und lächelte als Mensch, der im Buche des Schicksals liest. Seine Pfeife durch- duftete die Küche. Schlag zehn Uhr erschien Herr Follenvie. Man erkundigte sich sofort bei ihm; aber er konnte nur zwei-, dreimal ohne Ab- wechselung dieselben Worte wiederholen:Ter Offizier sagte so: Herr Follenvie, Sie verbieten, daß morgen der Wagen der Reisen- den angespannt wird. Ich will nicht, daß Sie ohne meinen Befehl abfahren. Haben Sie gehört? Das genügt." Da wollten sie den Offizier sprechen. Der Graf schickte ihm seine Visitenkarte, auf die Herr Carre-Lamadon seinen Namen und seine sämtlichen Titel hinzusetzte. Der Preuße antwortete, daß er diese zwei Männer zum Empfang zulassen würde, aber nach dem Mittagessen, also gegen 1 Uhr. Die Damen kamen wieder herunter, und man ein wenig, trotz der Angst. Fettchen sah krank und merkwürdig verstört ans. Sie hatten gerade den Kaffee getrunken, als der Bursche die Herren holte. Loiseau ging mit den beiden; aber als man versuchte. Cor- nudet mitzunehmen, um der Aktion mehr Feierlichkeit zu ver- leihen, erklärte er stolz, daß er darauf besteh«, niemals irgend« eine Beziehung mit den Deutschen   zu haben; er zog sich zum Herd- feuer zurück und bestellte wieder ein Glas Bier. Die drei Männer gingen hinauf und wurden in das schönste Zimmer des Gasthofes geführt. Dort empfing sie der Offizier, in eine» Lehnsessel ausgestreckt und die Füße auf dem Kamin. Er rauchte eine lange Porzellanpfeife. Er war in einen schreienden Schlafrock eingehüllt, den er wobl aus der verlassenen Wohnung irgendeines Spießbürgers von schlechtem Geschmack hatte mitgehen heißen. Er stand nicht auf, grüßte sie nicht, sah sie nicht an. Er war ein wunderbares Muster zcner Flegelhaftigkeit, wie sie dein siegreichen Soldaten natürlich ist. *) Anmerkung des UeberseherS: Der connetable Bertrand Du Guesclin   ist ein berühmter französischer Feldherr des 14. Jahrhunderts. Nach einigen Augenblicken entschloß er sich zu sagen: Qu'est-ce que fous foulez?"(Was wollen Sie?)''> Der Graf nahm das Wort:Wir haben den Wunsch. ab-> zureifen." dlon." Darf ich mir die Frage erlauben nach der Ursache dieser Weigerung?" I'srce que ctie ne feux pas."(Weil ich nicht will.)' Ich möchte Sie ehrerbietigst darauf aufmerksam machen, daß Ihr Herr General uns einen Reiseschcin bis nach Dieppe  ausgestellt hat, und ich kann mir nicht denken, daß wir uns irgendetwas hätten zuschulden kommen lassen, was Ihre harten Maßnahuien begründen könnte."» Obe ne kenx pas.., koila tont..., Uous povler tescentre."(Ich will nicht...basta.... Sie können gehen.)! Sie verneigten sich alle drei und zogen sich zurück. Das wurde ein kläglicher Nachmittag. Unbegreiflich, diese deutsche Laune! Die sonderbarsten Einfälle beunruhigten die Köpfe. Alles hielt sich in der Küche auf und stellte sich in endlosen Debatten die unwahrscheinlichsten Dinge vor. Vielleicht sollten sie als Geiseln behalten werden aber zu welchem Zweck? Oder als Gefangene weggeführt? Oder eher ein beträchtliche? Lösegeld zahlen? Bei diesem Gedanken befiel sie eine Panik. Die Reichsten waren am meisten entsetzt; sie sahen sich schon gezwungen, zum Loskauf ihres Lebens volle Geldsäcke in die Hände dieses frechen Soldaten auszuschütten. Sie zermarterten sich das Gehirn, um annehmbare Lügen zu finden, ihren Reichtum zu verheim- lichen, als arm zu gelten, ganz arm. Loiseau entfernte seine goldene Uhrkette und steckte sie in die Tasche. Die hereinbrechende Nacht steigerte die Aengste. Die Lampe wurde angezündet, und da es noch zwei Stunden bis zum Essen waren, schlug Frau Loiseau eine Partie trente et un vor. Das wäre eine Zerstreuung. So» gar Cornndet löschte aus Höflichkeit seine Pfeife aus und bc- teiligte sich. Der Graf mischte die Karten gab und Fettchen hatte gleich einunddreißig. Bald beruhigte das Interesse am Spiel die Furcht, die die Gemüter quälte. Cornudet bemerkte jedoch« daß die Familie Loiseau sich verständigte, um zu mogeln. Gerade als man zu Tiscki gehen wollte, kam Herr Follenvie wieder und sprach mit seiner schleimigen Stimme die Worte:Der preußische Offizier läßt Fräulein Elisabeth Rousset fragen, ob sie noch nicht anderer Meinung geworden ist." Fettchen blieb stehen, ganz blaß; dann wurde sie plötzlich brennrot und bekam einen solchen Wutanfall, daß sie nicht reden konnte. Schließlich platzte sie heraus:Sagen Sie ihm, diesem Schuft, diesem Schweinehund, diesem Aas von Preußen: niemals will ich! Verstanden, nie nie nie!"> Der dicke Wirt ging. Fettchen wurde umringt, ausgefragt« von allen gedrängt, das Geheimnis ihres Besuches zu enthüllen. Zuerst wollt sie nicht, aber die Wut riß sie fort:Was er will? ... Was er'will?... schlafen will er bei mir!"' schrie sie. Der Ausdruck verletzte niemand, so stark war die Entrüstung. Eornudet setzte sein Glas so heftig nieder, daß es zerbrach. Es war ein Schrei der Empörung gegen diesen gemeinen jlriegsknecht, ein Sturm von Zorn, eine Vereinigung aller zum Widerstand, als ob von jedem ein Teil des Opfers verlangt wäre, das von ihr gefordert war. Der Graf er- klärte voll Ekel, daß diese Leute sich wie die alten Barbaren auf- führten. Die Frauen vornehmlich bezeugten Fettchen eine starke und zärtliche Teilnahme. Tie frommen Schwestern, die sich nur bei den Mahlzeiten zeigten, hatten den Kopf gesenkt und sagten nichts. Gleichwohl speiste man, nachdem die erste Wut besänftigt war; aber es wurde wenig gesprochen: m�n grübelte. Die Damen gingen früh zur Ruhe; die Männer rauchten und spielten eine Partie Ecarte, zu der man auch Herrn Follenvie einlud, um ihn geschickt auszufragen, mit welchen Mitteln der Widerstand des Offiziers überwunden werden könnte. Aber er dachte nur an seine Karten, hörte nichts, antwortete nichts und wiederholte unaufhörlich:Spielen, meine Herren, spielen." Seine Aufmerksamkeit war so gespannt, daß er zu spucken vergaß', was feine Brust bisweilen orgeln ließ. Seine.pfeifende Lunge spielte die ganze Asthma-Tonlciter, von den schweren und tiefen Noten bis zu den schrillen Krächztönen junger Hähne, die zu krähen versuchen. Er weigerte sich sogar, hinaufzugehen, als seine Frau, die vor Müdigkeit umfiel, ihn holen wollte. Dann ging sie allein hinauf, denn sie war ein Frühaufsteher, erhob sich immer mit der Sonne, während ihr Alter ein Nachtbruder war, immer bereit, mit Freunden durchzuzechen. Er rief ihr nach:Stell' mir meine Hühnermilch auf den Hcrdl" und nahm sein Spiel wieder auf. Als man sich überzeugt hatte, daß aus ihm nichts herauszubringen war, erklärten sie, daß es Zeit zum Weggehen sei, und jeder suchte sein Bett auf. Am nächsten Tage standen sie noch ziemlich frühzeitig auf. mit einer unbestimmten Hoffnung, mit dem stärkeren Verlangen, fortzukommen, und einem Grauen vor dem Tag, den sie in diesem entsetzlichen kleinen Gasthof zubringen müßten. Aber ach! die Pferde kamen nicht aus dem Stall und der Kutscher blieb unsichtbar. Aus Langeweile sahen sie sich den Wagen. von allen Seiten an.