Cornudet. der seine Eier verdaute, streckte seine langen Beine unter die Bank gegenüber, lehnte sich zurück, kreuzte die Arme, lächelte wie einer, der eben auf einen guten Witz gekommen ist und begann die„Marseillaise " zu pfeifen. Die ganze Gesellschaft wurde finster. Der Volksgesang miß- fiel offenbar seinen Gefährten. Sie wurden nervös, gereizt und sahen aus, als wollten sie wie die Hunde heulen, die einen Leier- kästen hören. Er merkte es und hörte nicht auf. Zuweilen brummte er sogar den Text: Der Patrioten heil'ge Treue, Du, führe unsrer Rache Wehr, O Freiheit, göttliche, erneue Dein Reich mit Deiner Kämpfer Heer. Die Fahrt ging schneller, der Schnee war härter geworden; und bis Dicppe, die ganzen langen, trüben Stunden der Reise, über die rüttelnd« Straße, während die Nacht sich senkte und dann den Wagen in tiefes Dunkel einschloß, hartnäckig grausam hörte er nicht auf, sein Lied der Rache eintönig zu pfeifen und die erschöpften und verzweifelten Menschen zu zwmgen, daß sie dem Lied von Anfang bis Ende folgten, und jedes Wort bei jedem Takt ein» stellten. Fettchen weinte immerzu, und bisweilen flüchtete ein Schluchzen, das sie nicht hatte hemmen können, zwischen zwei Strophen, in die Finsternis. (Nachdruck dcrdoten.x Oer k)eringsfang an der fchwcdifcbcn Westküste. Von Bernhard Mann. Das Dampfschiff eilt in schneller Fahrt zwischen den Schären dahin. Ein grauweißer Himmel— graublau, hier und da röt- liche Klippen mit dunkler Kante an der Wasserseite— schwarze, in grün schimmernde Wlogen und weiter fort einige Berge in blau— das sind die Grundfarben des Bildes. Auf eine flache Klippenplatte, die sich doch etwas über die Wasserfläche erhebt, ist ein Seehund gekrochen. Er liegt ganz unbeweglich da und rührt den klotzigen Kopf nur wenig, als sicki das Dampfboot nähert. Oben rechts zeichnet sich Marstrands Festungsturm mit scharfen Umrissen gegen den Himmel chjk. Links gewahren wir eine Oeffnung zwischen den Schären. Dunkle Klippen bilden die Kulissen, der Himmel senkt sich im Hintergrund wie ein kolossaler Vorhang auf die Wogen des Weltmeers hinab. Dann schwingt unser Schiff durch den Sillesund, passiert die Landspitze, auf der sich die Sudschanze drohend zeigt, und läuft mit fünf Knoten Fahrt in den Hafen von Marstrand ein. Der ganze Kai glänzt von Heringsschuppen. Es scheint, als kcmme man in eine richtige Heringsstadt. Hering in Tonnen, Hering in Kisten, Heringsschuppen glänzen auf den hohen, weit über das Knie reichenden Stiefeln der Fischer, auf ihren Süd- Western und„Buntjacken", auf den Wachstuchschürzen und bloßen Armen der Heringspacker. Im„Paradies", wo an sommerhellen Sommertagen der Sand unter den feinen Lackstiefeln und den braunen Touristenschuhen der Badegäste knirscht, bewegen sich jetzt grobe Fitcherstiefel oder klappernde Holzschuhe, und zwischen den Bäumen stehen in langen Reihen große, zum Export mit Heringen gefüllte Kisten. Schreiten wir den Kai entlang. Hier werden gewaltige Massen von Heringen in das kleine Fahrzeug geschaufelt, das. mit der glänzenden Ware gefüllt, in einer Stunde nach Gotenburg hinüberlegelt. Da surren die Dampfwinden und stapeln Kiste auf Kiste, Tonne auf Tonne im Laderaum auf. Die Kisten sind mit Heringen gefüllt und durch Zwischenlage von Eis oder Salz schichtenweise unterbrochen. Auf einer Stelle füllen flinke Frauenhände Kiste auf Kiste, während Zerkleinerungsmaschinen das Eis in kleine Stücke zer- malmen. Gerade jetzt segelt ein Fischerboot heran. Es ist in voller Fahrt, plötzlich wird aber das Ruder herumgeworfen, und in langem, zierlichem Bogen schwingt das Fahrzeug zwischen die übrigen Boote, die in doppelten Reihen am Kai angetaut daliegen. Die Bootshaken kommen zur Geltung und werden von muskulösen Fischergestalten mit dem Südwester im Nacken geandhabt. Der Ankömmling ist ein Boot, das draußen auf Treibgarn fischte. Das Netz liegt noch mit vollem Inhalt im Laderaum. Der Handel mit den Ankäufern beginnt, und mit Hilfe der Schnaps- flasche ist das Geschäft bald gemacht. Um aber in richtiger Folge die Heringsfischerei zu beschreiben, müssen wir uns von der kalten Winterszeit in die wärmeren Tage des Spätsommers, in den Zeitpunkt zurückversetzen, wenn der Badeort Marstrand sich den Namen des schwedischen Madeiras verdient. Im August, X'anchmal auch etwas später, wenn die Reihen der Badegäste sich lichten, wenn die Zurückbleibenden sich enger aneinander schließen und jeder die Fehler und Schwächen seiner Nebenmenschen kennt, Verlobungen geschloffen oder auch gelöst werden, das Seebad aber am allerschönsten und erfrischendsten ist, pflegt der Hering seine Vortruppen hierher zu senden und durch sie fem baldiges Erscheinen zu verkünden. Dann beginnt die sogenannte Treibgarnfischerei oder, wie sie gewöhnlich genannt wird, die Garnfischerei. Ist dann der Abend schon, und scheinen sich Himmel und Meer hinter der Paternoster» Schäre miteinander zu versmmelzen, so lohnt es der Mühe, einen Spaziergang nach dem Vorgebirge hinaus zu machen und in aller Ruhe dem Treiben dort draußen auf der See zu folgen. Wir lassen uns am Klippenrande nieder. Zu unseren Füßen wiegt sich der bräunlich-grüne Seetang hin und her, auf und ab, wie eine willen. los wechselnde Masse, in diesem Augenblick seine langen, warzigen Finger ausstreckend, um im nächsten sich wie ein gepreßte« Schwamm zu ballen. Unmittelbar vm. uns gleicht das Meer einem milchgrauen, mächtigen Stücke Seidenzeug. Etwas entfernter hat es die rötliche Abendbeleuchtung des Himmels entliehen. Blickt man weiter in die Ferne hinaus, so wird das Rot der Farbe tiefer und tiefer, bis es schließlich am Horizont mit dem Himmel ver» schmilzt. Dort leuchtet ein goldgelber Streifen, gegen den sich die äußersten Schären wie eine bläuliche Silhouette abzeichnen. Me gelben Farben gehen in ein mattes Rosa und dann in Purpur über, um sich nach und nach zu einem unbestimmten Luftton abzu» schwächen. Setze nun in dieses Bild eine ganze Flottille von Segelbooten, von denen die entferntesten Möven gleichen— die Segel find schlaff, der Wind hat sich gelegt—, lange Riemen brechen dio Spiegelfläche des Wassers. Von den nächsten Booten hört man deutlich das Knarren der Riemen, und die Stimmen der Fischer schallen zu uns herüber. Alle steuern sie in derselben Richtung weit über die letzte Schäre hinaus. So sehen wir die Fischerboote langsam am Horizont ver« schwinden, und erst wenn es dunkel geworden, wenn das elektrische Licht vom Strande herüberstrahlt und die Musik im Kurhaus einen Straußschen Walzer oder eine muntere Polka ertönen läßt, haben die Boote ihr Ziel erreicht. Wir überlassen die festlich gekleidete Badegesellschaft ihrem Vergnügen und folgen den Fischern auf das hohe Meer hinaus. Die Nacht ist hereingebrochen; das Netz, das gewöhnlich auch Treib» garn genannte Makrelnetz, ist ausgeworfen. Es wird von großen Hölzern getragen und ist mit Gewichten beschwert. Ist das Garn ausgelegt, so wird es am Boot befestigt. Darauf läßt man das Ganze treiben. Aber nur der größere und fettere Hering wird auf diese Art gefischt. Er steht in etwa dreimal höherem Preise als die go» wöhnltchere Sorte. Alles ist still und stumm. Der Wind ist ganz eingeschlafen und liegt wie ein schwacher Atemzug über der blanken Wasser» fläche, die sich einem Busen gleich hebt und senkt. Es ist so herrlich unter den glitzernden Sternen. Das Meeresleuchten glimmt an Bug und Steven. Dort drüben blitzt ein Feuer und sendet seine leuchtenden Strahlen wie ein leise gleitender Minutenzeiger über das wette Wpsser. Bald schließt eS die Augen, bald blickt es klar und hell über die träumerisch dunkle Fläche. An der Recling sitzen einige Leute mit dem Kautabak im Munde und unterhalten sich mit langsamen, kargen Worten. Dio Nacht schwindet, und es wird Zeit, die Netze aufzuziehen. Ist der Fang groß, so wird das Netz mit seinem ganzen In. halt im Laderaum geborgen, um erst später am Lande von den Fischen befreit und gereinigt zu werden. � • Der Fang des kleineren Herings beginnt erst später. Der Fisch kommt in großen Zügen in die Fjorde hinein. Viele Tausends von Seevögeln umschwärmen in der Luft und auf dem Wasser die Fische, besetzen Klippen und Schären und trete�l oft in solchen Scharen auf, daß sie die Sonne verdunkeln. Die Tümmler kommen in großer Zahl, schlagen ihre Volten in langen, geordneten Reihen innerhalb der äußeren Schären, und! von Zeit zu Zeit erhebt sich da draußen eine riesige schwarzo Masse, ein Wallfisch, der seinen Wasserstrahl prustend hoch in dio Luft bläst. Ist der Heringszug dicht, so kann man die Fische, wenn sis aneinander vorbei gleiten, im Wasser blinken und blitzen sehen. Ein alter Fischer berichtete, daß die Dampfboote, die derartigo Striche durchkreuzen, mit ihren Schrauben den Hering schaufel- weise aufwerfen. Sobald sich der kleinere Hering in den Fjorden und Buchten zeigt, ist es Zeit, die Waden auszusetzen. DaL Netz wird gewö ch- lich in einem großen Halbkreise gelegt und langsam an Land ge» gegen. Ist die Wade klein und die gefangene Fischmasse gering, so wird sie hoch aufgezogen, daß der Hering geradenwegs in dio Boote wandert. Ist das Netz größer— und man findet solche, die mit Fischen gefüllt für 30 000— 35 000 Mark Ware enthalten—, dann leert man sie durch Senkwaden, die den Hering aufnehmen. Diese werden durch Winden, die auf dem Lande stehen, mög» lichft auf eine Klippe gezogen. Nicht alle Plätze eignen sich hier, für, da der Boden von besonderer Beschaffenheit sein muß. Es ist sehr interessant, dies Aufholen der Heringe zu beobachi» ten. Neben dem Netze liegt ein Boot, von dem aus von Zeit zw Zeit ein großer Senksack in die Tiefe gelassen und dann unten einem eigenartigen Gettmg aufgezogen wird. Es glänzt, glitzert und blinkt, das Wasser läuft ab und tropft— der Sack wird um» gekippt, und eine förml che Heringskaskade ergießt sich in die Luko deS Laderaums.
Ausgabe
26 (14.8.1909) 157
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