war Solomon gestanden und hatte der Schlacht mit ge» fpannter Teilnahme zugesehen. Er begleitete Georg mit Glückwünschen und Heilrufen; der aber winkte traurig ab. Er hatte etwas getan, was seinem ganzen Wesen widersprach, schämte sich seines Erfolges und betrachtete mit Entsetzen seinen neuen Rock, an dem die Spuren der Schlägerei zu sehen waren. Nun begann er zu rennen, um früher als der Vater heimzukommen. In Schweiß gebadet/ betrat er die Küche, legte das Ohr an das Schloß der Zimmertür und horchte. Alles still, nur die Nähmaschine schnurrte, die Mutter war allein. O, Gott sei Lob und Dank! Hastig trat er ein und sprudelte die Geschichte seines jüngsten Erlebnisses heraus: „Und jetzt flick mir den Rock, Mutter, flick mir den Rockl" Das Abendessen wurde schweigend eingenommen. Eine dumpfe Verstimmung herrschte im Hause.� Pfanner schmollte noch immer mit seiner Frau. Er hatte die Scheine über alle von ihr versetzten Gegenstände an sich genommen, um sie nach und nach einzulösen. Gott weiß, unter welchen Bitternissen. Jeder Gulden, den er ins Versatzamt trug, war ein Raub am Sparkassenbuch seines Sohnes: an diesem künftigen Ver- mögen, aus dem die Kosten der Rigorosen und des Frei» willigenjahres bestritten werden sollten. Es gab Augen- blicke, in denen er sie haßte, die Schuld an dem Raube trug. Ihn gut zu machen, lag nicht in ihrer Macht, in der seinen aber lag, sie büßen und leiden zu machen. Tag für Tag wiederholte sich dieselbe Tortur. Tag für Tag verlangte er die Hausrechnung zu sehen, ging jeden einzelnen Posten durch, bemängelte jeden. Mit raffinierter Kunst erniedrigte er die Mutter in Gegenwart des Kindes durch sein zur Schau getragenes Mißtrauen. „Wer einmal betrogen hat, gleichviel in welcher Absicht, betrügt wieder! Man muß sich vor ihm in acht nehmen." (Fortsetzung folgt.» Die Lockfpitzcl des Direktoriums. (Schluß.) Die Gleichen schöpften faktisch nicht den geringsten Argwohn gegen Grisel, sondern nahmen alle seine großen Worte, seine FreundschaftSbcteuerwigen und Umarmungen für bare Münze. Sein Eifer fiir die Sache war außerordentlich, und er tat, was er konnte, um die Revolutionäre vorwärts zu drängen, indem er die Stimmung unter dem Militär als vortrefflich ausmalte, Aufstandspläne entwarf und Geld zur Verfügung stellte. Man traute ihm so sehr, daß er in das militärische Komitee aufgenommen wurde, das einen militä« rischen Entwurf zu einer revolutionären Schilderhebung machen sollte. Und als Mitglied dieses militärischen Komitees bekam er nun Gelegenheit, die Führer der Bewegung persönlich und mit Namen kennen zu lernen; denn es fanden, den Grundsätzen des geheimen Direktoriums zuwider, gemeinsame Sitzungen mit dem militärischen Komitee statt. Die Sitzung vom 8. Mai 1736 war kaum geschlossen, als der Polizeiminister mit einer Abteilung Militär erschien, um die Teilnehmer verhaften zu lasten. Sie waren aber schon fast alle fort, so daß die Polizei unverrichteter Sache wieder abzog. Naturgemäß erwachte nun unter den Verschworenen der Gedanke, daß ein Verräter unter ihnen sei. Aber Grisel wußte diesen Argwohn dadurch zu beseitigen, daß er daraus hinwies, wenn die Polizei wirklich von etwas anderem als einem nnbestinimteii Verdacht geleitet gewesen sei. so hätte sie sich zur Zeit eingefunden und gleichzeitig den Ort der borletzten Sitzung aufgesucht, wo die ganzen Papiere der Verschworenen aufgehoben waren. Diesen Platz hatte Grisel faktisch bloß deshalb nicht zur Kenntnis der Polizei gebracht, weil er seine Lage vergesten hatte. Im übrigen waren Cochon und das Direktorium durch Grisel über alles orientiert und mit ihm darin einverstanden, daß er seine Lock- spitzelrolle bis zu Ende spielen solle. Und mit eiserner Stirne hat Grisel seine Tätigkeit als Verschwörer fortgesetzt, zum unmittelbaren Losschlagen getrieben, bis es ihm glücklich gelungen war, die Leiter der Bewegung in die Hände der Polizei zu schaffen: am 10. Mai 1796 wurden sie auf seine Angaben hin verhastet und demnächst in Käfigen nach Vendäme transportiert, wo ein StaatsgerichtShof sie auf sein Zeugnis hin um Hals und Kragen prozessieren sollte. Während die Gefangenen in VendSme»och ihres Schicksals harrten, gelang es in Paris dem Direktorium und seinem Polizei- minister, den in Freiheit gebliebenen Teil der Gleichen durch eine neue Lockspitzelei in eine Schlinge zu locken, die man bloß zuzuziehen brauchte, um die energischsten Revolutionäre zu vertilgen. Unter diesen wog auch nach der Verhaftung Babeufs und seiner Genosten die Neigung vor, einen Handstreich zu unternehmen. Darin bestärkt und auf einen bestimmten Weg geführt wurden sie durch die Tat- sache, daß sich mehrere Offiziere, insbesondere der Oberst M a l o vom 21. Dragonerregiment auf der Ebene von Grcnelle, mit ihnen in Verbindung setzten und ihnen borspiegelten, baß sie Freunde der revolutionären Sache seien und ihre gleichgesinnten Soldaten mit den Revolutionären vereinigen würden, wenn diese sich nur im Militärlager einstellten, unbewaffnet, zum Zeichen ihrer Absicht, sich mit den Truppen zu verbrüdern. Die Revolutionäre gingen auf den Leim, ohne zu ahnen, daß sie es in dem Obersten Mala mit einem würdigen Gegenstück zu Grisel zu tun hatten, das heißt mit einem Lockspitzel der Regierung, der bloß darauf ausging, sie in eine, wie selbst der Direklor Barras in seinen Memoiren sich ausdrückt, .grausame Schlinge* zu locken. In derselben Richtung arbeiteten noch mehrere andere Lockspitzel Cochons , die sich unter die Patrioten eingeschlichen hatten, die Romainville, L'Erest, Mehäe. Die Revolutionäre in ihrer Vertrauensseligkeit glaubten ihrer Sache sicher zu sein, als sie in der Nacht vom 9. zum 19. September 1796, 7— 899 an der Zahl, hauptsächlich mit Schinken, Würsten und Wein- flaschcu bewaffnet, dem Lager von Grenelle zustrebten, wo sie vom Obersten Mala und seinen Leuten mit offenen Armen empfangen zu werden erwarteten. Sie ahnten nicht, daß dieser Judas sie verraten und verkaust hatte, und daß unter ihren Anführern verschiedene andere Lumpenhunde Cochons waren. Faktisch war alles, wie BarraS schreibt,„seit länger als vierzehn Tagen verraten, und die Polizei von Cochon in Verbinduug mit Carnot hatte alles ver- abredet, um die unglücklichen Besucher zu empfangen und zu ver- tilgen. DieS war das Wort von Letourneur, der zu sagen pflegte: wir müssen uns von den Jakobinern besteien, und das geht nur durch den Tod. Die Verschwörer sangen patriotische Hymnen. deren Refrain sie von den Soldaten zu hören glaubten, während diese nach erhaltener Ordre aus die vertrauensseligen Unglücklichen ihre Musketen abfeuerten, so daß von den zuerst Eingetretenen 40 bis 50 fielen.* Von den zahlreichen Verwundeten wurden viele durch die flüchtenden Genossen fortgeschleppt, andere aber und auch zahlreiche Verwundete gefangen genommen, im ganzen 133. zu denen demnächst mehr als die gleiche Anzahl von Verhaftungen kamen. Ein Kriegsgericht trat in Funktion und arbeitete nach Wunsch der Regierung, so daß noch 3l Gefangene standrechtlich erschossen wurden, von den Verurteilungen zu Zuchthaus und Deportation abgesehen. Der Zweck der Lockspitzelei war also erreicht, eine Anzahl der besten Leute der Demokratie aus dem Wege geräumt. Wenn man Barras glauben will, so hat er schon damals bei dem Gedanken an die Moralität der ganzen Staatsaktion ein gelindes Grauen empfunden. Er schreibt:„Ich dachte auch in meinem Gewissen und mit dem aufrichtigen Wunsch, die Anarchisten nicht aufkommen zu lasten, sondern sie tödlich zu treffen, daß, sobald Carnot und Cochon wußten, was vorbereitet ward, hätten sie das Komplott bei der Entstehung verhindern, auflösen, ersticken sollen, anstatt eö zu nähren und zu ichürcn; sie hätten sicherer die Ordnung wiederhergestellt und erhalten durch eine über allen Plänen schwebende Wachsamkeit, als durch Gehen- und Reifwerdenlaffen, um die Eitelkeit als Eni« Kecker zu befriedigen und die Genugtuung deS Blutbades zu ge- nießen.* Sehr möglich, daß Barras dies nur schreibt, um sich möglichst weiß zu waschen. Jedenfalls hat er damals nicht das geringste getan, um diese und ähnliche Polizei- teufcleicn zu verhindern. Und was insbesondere die beiden militärischen Lockspitzel Grisel und Malo angeht, so hat BarraS es mindestens zugelassen, daß Malo gegen die Royalisten eine zweite Lockspitzelei m Szene setzte und für seine beiden Staats- rettereien zum Brigadegeneral befördert wurde, daß ferner Grisel für seine Dienste eine klingende Belohnung erhielt. So hat Grisel, wie Dcville aus dem Pariser Nationalarchiv festgestellt hat, am 6. Mai 1796 19 999 Frank in Assignaten erhalten, am 16. Juli 8999 Frank in Territorialmandaten, was allerdings bei dem niedrigen Kurs deS Papiergeldes zu der Zeit nicht ganz 299 Frank in Gold bedeutete. Außerdcn, hat er einen Ehrensäbel erhalten und wahrscheinlich noch weitere Geldsummen. Grisel war zum Prozeß in Vcndöme als Zeuge geladen. Als er dahin reisen sollte, hatte sich daS Direktorium wieder mit diesem sauberen Handlauger zu beschäftigen. Barras schreibt darüber:.Der Prozeß der Verschwörung Babeuf wird in Vendöme fortgeführt. Der Angeber Grisel ist als Zeuge vorgeladen. Carnot hält es für nötig. damit er unterwegs nicht umgebracht werde, daß er auf einem Umweg reise, und daß man ihm daher Paß und Reisegeld ausfolge. Hat er nicht schon genug Geld bekommen, dieser Provokateur und wahrhafte Mitschuldige derer, die er vor Gericht brachte, und die weniger strafbar sind als er?I Wir alle sagen uns das, indem wir uns ansehen, nicht ohne zu erröten. Indes wird der Polizeiminifter dem Angeber Grisel Geld geben." Er hätte von Rechts wegen in VendSme gar nicht als Zeuge zugelaffcn werden dürfen: das Gesetz untersagte nämlich die Zeugenvernehmung deS Angebers, wenn die Denunziation gesetzlich mit Geld belohnt wird oder„wenn der Denunziant auf irgendeine andere Art auS seiner Denunziation Vorteil ziehen kann*. Diese Bedingungen waren erfüllt. Wenn die Angeklagten auch keine Beweise dafür hatten, daß Grisel Geld bekommen hatte, so war doch unbestreitbar, daß er aus seiner Verräterei Nutzen ziehen konnte. Dieser Gesetzesstelle wurde aber vom Gerichtshof der Sinn untergelegt, daß es sich bloß um Borteile handele, ivoranf der Denunziant gesetzlichen Anspruch habe. Somit erschien Grisel als Zeuge. Er hatte sich, offenbar in dem Bewußtsein, der Gegenstand des allgemeinen AbscheuS der an- ständigen Menschen zu sein, stark angetrunken und befand sich in einem Zustande, der seine Vernehmung als Unmöglichkeit erscheinen � ließ. Sie mußte also auf den anderen Tag verschoben werden und
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26 (21.8.1909) 162
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