famc Untersuchung gebeten wurde, in der einen Hand und verbarg damit die Nacktheit der Brust, mit der anderen Hand hielt sie die Röcke fest So trat sie, sich zu Tode schämend und am ganzen Leib zitternd, in das Empfangszimmer des Arztes mit einem Gefühl, als ob sie alle schlimmen Krankheiten in sich berge und verheimliche. Der Arzt zog ihr mit einem geschickten Griff die Bluse ab, besah aufmerksam die Brust, drückte sie so stark, daß Jta aufschrie und vor Scham brennend von ihm abrückte, und befahl endlich, das Hemd abzulegen. Dann besah er rasch und aufmerksam von allen Seiten ihren Körper, ob es nicht irgend ein Fleckchen oder sonst etwas Ver- dächtiges gebe. Danach untersuchte er mit derselben geradezu elektrischen Schnelligkeit Nase und Mund, drückte wieder die Brust und befahl ihr, sich in den am Fenster stehenden Unter- suchungsstuhl zu legen. Gehorsam, aber mit Tränen in den Augen, mit dem Gefühl, sie sei das gemeinste Frauenzimmer der Welt, kam Jta dem Befehl nach.... An diese Augen- blicke, die wie ein Vorwurf in ihrem Gedächtnis hafteten, dachte sie später nur selten zurück, und wenn es einmal ge- schah, flehte sie von ganzem Herzen, sie sollten nie, nie wieder- kommen. i(Lortsetzung folgt.Zs (Nachdruck verdaten.) 5] fahrende Leute. Von Anna Reichert. —„Gernrode ." Man stieg aus und in einen der haltenden Wagen der Harz- qnerbahn Wer. „Nun benimm Dich," flüsterte Frau Eisebein Liese zu und stieß sie unsanft in die Seite.„Hier fahren wir dritter Klasse und das Gepäck kommt in den Gepäckwagen— so fein bist Du ja wohl im Leben noch nicht gereist. Du kannst das Stricken sein lassen/ er- laubte sie großmütig;„in dritter Klasse kann man nicht so wie man möchte. Guck durchs Fenster. Jetzt hast Du durch uns ganz umsonst und als feine Dame in dritter Klasse, ivonach die reichsten Leute aus aller Herren Länder kommen, um's gesehen zu haben/ Gehorsani wandte Liese ihr rundes Kindergesicht den Scheiben zu und fragte sich verwundert, was denn eigentlich die Leute im Harz suchten. Berge, Wald, Wiese — darum konnte man doch nicht von weit herkommen? Fridchen, Cäcilie, Vater Eisebein und Seiffert saßen in einer Ecke zusammen und guckten glückselig hinaus. Als Fridchen ihre kleine Taille aufgeregt hin- und herreckte, um besser sehen zu können, bot ihr Vater Eisebein unter galanter Verbeugung seinen Eckplatz an. Sie errötete und lächelte zierlich wie ein Hoffräulein, dem der König die Cour schneidet. Cäcilie sah ihren Vater mit ihren großen seelen- vollen Blauaugen fröhlich und dankbar an, und Seiffert vergaß, daß er in einer Tingeltangelgesellschast war, brach sein Schweigen und plauderte mit den Dreien. Frau Eisebein sah böse hinüber.„Benehmt Euch doch," zischte sie aufgeregt.„Ihr tut ja gerade, als wenn Ihr hier zu Hause wär't. Ans den andenr Abteils gucken sie schon zu uns rüber. Wir sind doch nicht in vierter. Ich habe für Reputation von's Geschäft zu sorgen. Setzt Euch still hin.— Ach", wandte sie sich aufseufzend zu Hermine und Fink, die ihr gegenüber saßen,„man muß es in sich Haben, um sich benehmen zu können, wenn'S d'rauf ankommt. Wenn man auf fo feinen Bühnen aufgetreten ist und so feine Bekannt- schaften gemacht hat wie ich, dann kennt man sich ja aus. Aber Vatter uiid das Kind, die sind oft als wie von der Straße/— Fink stimmte ihr lebhaft zu. „Station Mägdesprung".— Cäcilie, Vater Eisebein und Seiffert kletterten sehr eilig anS dem Wagen heraus. Ach, war das schön, dieses Wandern auf sanft ansteigender Berg- straße! Ein frischer Wind wehte vom blauen, sonnenklaren Himmel über die Berghäupter zu Tal. Still, mit fröhlichen Gesichtern, schritten die drei rüstig voran. Seiffert hatte den Hut abgenommen. Er sah manchmal nachdenklich zu Vater Eisebein hinüber. War's nicht ganz schön, dieses Leben? War er hier nicht ganz gut auf- gehoben in dieser Familie, wo es zwei warme Herzen und feine, freundliche Hände gab? Wenn er fort ging, stand er wieder allein — ganz allein. Vater und Mutter und Freunde— er hatte sie nicht mehr. Kleine, weiße Blütchen wuchsen an der sonnigen Berglehne. Seiffert pflückte ein Sträußchen, tat ein paar Grasspitzchen und zarte grüne Blättchen dazu und befestigte das Bukettchen an Cäciliens Matrosenhütchen. Lächelnd hielt sie still. „Jetzt mußt Du ihn auch eine Blume ins Knopfloch stecken," mahnte Vater Eisebein.„Einen Orden und ein. Angebinde. Ein Andenken an diese schöne Stunde." „Ach, Herr Seiffert hätte ivohl viel zu tun, wenn er von allen schönen Stunden Andenken aufheben wollte." „Meinen Sie?" fragte Seiffeit in seiner langsamen, trocken- ernsten Sprechweise.„Ich glaube, die Andenken gingen gut in ein Pomadenbüchschen/ „Ach!— Nun jedenfalls— hier � warten Sie— ob Sie es nun aufheben oder nicht— ein Blümchen sollen Sie ins Knopfloch bekommen. Das sieht gut aus." Sie pflückte von den weißen und blauen Storchschnabelblütchen, die in Gruppen jenseits des Grabens wuchsen und zog die Stielchen durch das Knopfloch in Scifferts Rock. „Was Sie für eine glückliche Hand haben," sagte der, während sie ihn fchmückre und er ihren Fingcrchen zusah.„Sie haben einen Ruprecht-Storchschnabel erwischt. Der hat einmal viel von sich reden gemacht. Er sollte die Blindheit heilen, sagte man. „Tut er es wirklich?" „Ach nein," seufzte Seiffert.„gegen so ein Unglück wächst kein Kraut— außer einem: Geduld. Geduldigkeit. Danke," sagte er und führte Cäcilchens Fingerspitzen an seine Lippen, als ob sie eine vornehme Dame wäre. Cäcilie war es warm geworden durch das Schreiten in der Sonne. Sie zog deir Mantel aus, und Seiffert nahm ihn über den Arm. „Kinder", meinte Vater Eisenbein, und seine weißen Löckchen flatterten vergnügt um sein rosiges Gesicht,„das ist doch ganz schrecklich nett heute. Ich weitz" nicht, wie's kommt, aber mir ist, als hätte ich nie so eine vergnügte Reise gemacht. Und dabei erzählen wir uns doch fast gar nichts. Gar keine Witze." „Das kommt", klärte Cäcilie mit einem sehr diskreten Lächeln auf,„weil wir— nur zu so wenigen sind." „Meinst Du?" fragte Vater Eisebein harmlos. Cäcilie lächelte schweigend vor sich hin. Als sie aber sah, daß Seiffert mit seinem verdeckten Lächeln verständnisvoll zu ihr hinüberblickte, sah sie ihm voll in die Augen und lachte frisch heraus. „Kinder. Kinder, nun lacht Ihr gar— ja— ich kann mir nicht helfen, ich möchte auch lachen und springen. Wißt Ihr was— hier geht es ein bißchen scharf in die Höh'— Ihr könntet mich beide an die Hand nehmen und ein bißchen ziehen. Dann fällt es nicht so auf, wenn wir so etwas wie Ringelreihen machen." Lachend faßten sie ihn bei den Händen. Aber Vater Eisebein ließ sich nicht ziehen, sondern drückte die beiden jungen Hände nur fest in der seinen und schlenkerte kräftig mit den Armen.„Der Mai ist gekommen"— intonierte er mit seinem schwachen, zittrigen Stimmchen, und zweistimmig stieg der Gesang in die Lüfte. „Nein, so'was, nein, so'was!" keuchte Frau Eisebein, als die drei Nachzügler im Gastzimmer des Wirtshauses, das die Truppe für ihr auf dem Schützenplatz errichtetes Zelt hatte kommen lassen, erschient».„Sollte man's für möglich halten! Wir lauern und lauern eine halbe Ewigkeit und dann kommen sie fidel und' mit Blumen da an wie von einem Ball! Was denkt Ihr denn eigent- lich? Wir sind doch nicht auf einer Vergnügungsreise l" Es mußte wirklich schon spät sein— so kühl kam eS den An- kömmlingen plötzlich vor und so dunkel, als sei die Sonne mit einmal untergegangen. „Den Kaffee haben wir alle weggetruuken. Der wär' ja doch kalt geworden." „Na, so ein kleines Täßchen ist wohl noch drin für jeden", meinte Hermine gutmütig und prüfte die Kanne. Liese saß wieder über den Strickstrumpf gebeugt. Hermine schwatzte animiert mit einigen Herren, unter denen' der Provisor, ein schlankes, blondes Herrchen mit breitem Verlobungsreif am Finger, ihr besonders nahezustehen schien. Seitwärts an einem Tisch saß vor einem Glase Vier ein statt- licher, krausköpfiger Mensch mit braunem, brutalem Gesicht, aus dem die kleinen, kalten, grausamen Augen ihre Blicke wie Stilett» stiche schössen. Das war Fridchen Lippschütz' Mann. Er strich Frau Eisebein, hinter der er saß, vertraulich über Schultern und Nacken.„Wird man heute das ganz besondere Vergnügen haben, die Frau Direktor in höchsteigener Person singen zu hören?" Frau Eisebein lächelte geschmeichelt:„Na— vielleicht. So ganz zum alten Eisen will man sich doch auch nicht werfen lasten. Und hier erwarten's die Leute wohl extra; hier ist alte Kundschaft. Hier kennen sie mich seit fünfundzwanzig Jahren." Sie seufzte in tiefer Befriedigung und reckte sich gerade.„Gott ja, das hätte man sich auch nicht träumen lassen, daß man einmal s o dasteht im Leben I Es ist ja fast wie im Märchen— s o' n Aufschwung 1 Als ich so alt war wie unsre Ciele jetzt, da zog ich mit dem alten Vetter Kahn auf den Dörfern rum als Harfenistin, und er spielte die Geige — das heißt, wirkonnten'snur so eben. Daschliefen wir inHeuhaufen und im Straßengraben und zu essen hatten wir manchmal zwei Tage nichts, und was wir hatten, das war mehr erbettelt als ver- dient. Ich ging ja dann nach Braunschwcig zu dem Luftschiffer, Sie wissen wohl noch, Albertini mit dem Fesselballon. ich mußte da mit dem Fallschirm nieder- fliegen. Als ich aber dabei mal beide Füße brach, hatte ich's dicke. Na, ich war ja durch den Ballon berühmt geworden und die EisebeinS nahmen mich. Himmelhoch haben sie mich gebeten, doch zu ihnen zu kommen. Und der alte Eisebein, was mein Schwiegervater wurde, hat immer erklärt: ich wär' die Seele vons Geschäft. Wenn sie mich nicht hätten!— Und er hat selber dem Jungen geraten, mich zu heiraten, wenn er mal stürbe und er, der Junge, das Geschäft kriegte. Das hat mir mein Mann oft genug selbst erzählt. Ich Hab' ja noch lange darauf warten müssen" sie seufzte—„und
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26 (7.9.1909) 173
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