Nun kam Bewegung in die Neugierigen. Man lief und schrie durcheinander. Einige Mutige drängen näher an den Wagen heran, aber der beizende Rauch trieb sie zurück. Andere liefen auf die Straße, zu sehen, ob die Spritze noch nicht käme. Jetzt erschienen auch der Karussellbesitzer und seine Frau. sie jammernd und auf- geregt auf die sie Umringenden einsprechend, er finster und schweigend. Endlich holperte die Spritze über die Wiese. Einige Kommandos erschallten; ein Wasserstrahl schoß auf Rauch und Glut. Hermine, den Mantel eng um die bloßen Knie gezogen, drängte sich durch die Menge, schrie laut auf und raunte davon, zum Gast- hause. Nach geraumer Weile, nachdem das Wasser ausgiebig den Orgel- lasten bestrahlt hatte, wagte sich ein Feuerwehrmann an den Wagen. Einige Bretter krachten. Zwei schwarze, zerfetzte Gestalten wurden aus dem Rauch getragen und auf den Nasen gelegt. Das Schützenfest wurde vertagt. Gegen Mittag stand die Truppe Eisebcin mit blassen, hängenden Köpfen zum Abschied gerüstet im Wirtszimmer und wartete auf das von der Wirtin gutmütig zu- gesagte Mittagbrot. Einzig Frau Eisebein,'hatte ihre Fassung be- halten. Aufgeregt schwatzte sie mit der Wirtin. .Na ja, es ist ja schlimm. Besonders für Eisebein. Er hatte alle Lappen und Decken zum Verpacken vom Karussell und noch vieles andere im Wagen, und das war alles nicht versichert, sagt er. Na, Wernas man wahr ist. Und was die Auguste ist, die soll ja ein paar Wochen liegen müssen. Aber sie hat einen Mann, der ganz nett verdient. Jetzt wird sie wohl bei ihm in der Druckbude helfen müssen; sie soll entstellt sein für Lebenszeit, sagt der Arzt. Ich will nichts gesagt haben, aber man sollte meinen, es wSr die Strafe. So eitel, wie die war. Und unanständig. Na, man soll niemanden nichts Böses nachsagen. Unsre Ciele" sie seufzte schwerja, ob wir die durchdringen! Sie war immer fo'n untüchtiges Ding, viel zuzusetzen hat sie nicht. Der Arzt meint, die Augen würde sie mindestens verlieren die eine Eisenstangs von der Tür hat sie sich ins Auge gestoßen, als sie da in dem Käfig rum rannten und nicht raus konnten; und da soll denn das andere Auge auch mit futschgehn. Na, das wär noch das schlimmste nicht. Aber was mein Mann ist. der ist ja nun ganz und gar verrückt ge- worden. Daß er hier bei der Ciele bleiben will na, helfen kann er ja nicht, aber das kann man ihm ja lassen. Zu Hause nützt er ja doch nichts. Aber sonst" Sie seufzte schwer. »Ja und was sagen Sie bloß zu der Lippschütz I Hat man noch immer nichts von ihr gehört und geseh'n?" Die gefüllten Teller wurden hereingebracht. Nur Frau Eisebein verzehrte ihre Bratwurst ganz. Befriedigt sammelte sie die Wurst- reste von den übrigen Tellern in den mitgebrachten Wachstuchbeutel. «Na und nu müssen wir gehn. Gott ja, so'ne Reise haben wir auch im Leben noch nicht gemacht. Noch nich mal die Unkosten haben wir rausgekriegt. Liefe Du Faultier, hast Du auch Dein Strickzeug nicht mit eingepackt? Na. das wollt ich Dir auch geraten haben. Bilde Dir man ja nicht ein, daß ich heute nicht nach dem Rechten seh' und auf alles aufpasse. Das könnt Ihr Euch alle merken. Ja und nu Adieu, Frau Wirtin. Die Lippschütz muß seh'n, wie sie nach Hause kommt. Heute morgen war sie noch mit ihrem Manne im Bett, aber dann ist sie weggerannt wie sie alle. Und nun wird sie ja noch überall rumhorchen, die neugierige Kruke. Und" Frau Eisebein ließ zum erstenmal in ihrem Leben ihren Rede- ström unterbrechen. Noch dazu von Fridchen Lippschütz. Die kleine alte Dame wurde von zwei Männern triefend die Gasthaustreppe hinaufgetragen. Man hatte sie im Teiche aufgefischt. AlrigKts flugverfucbc. Der Titel dieser Zeilen ist eigentlich schlecht gewählt, denn von Versuchen" kann man bei den Verführungen, die die Berliner jetzt auf dem Tempelhofer Felde erleben, nicht gut reden. Es sind vielmehr die ersten richtigen Flüge, bei denen man nie zum Be- wußtsein kommt, daß es sich umVersuche" handelt. Vom Augen- blick des Abfahrens an bis zum Landen hat man das Gefühl, daß der Lenker seinen Apparat vollkommen in der Gewalt hat, ganz im Gegensatz zu den mehr oder weniger verunglückten Flügen Zipfels mit dem Voisinschen Apparat. Die Eindrücke, die man beim ruhigen Kreisen des Fliegers in den Lüften erhält, sind wirklich unvergeßlich. Man kann ganz gut die Empfindungen der Zuschauer bei der Flugwochc auf dem Felde von Rheims verstehen, die gleich- zeitig IV bis 15 solcher menschlichen Riesenvögcl fliegen sahen und den Anbruch einer neuen Epoche herannahen fühlten. Die Flüge sind fast von allen Teilen des Tempelhofer Feldes gut zu sehen, ebenso der interessante Start; letzterer allerdings meist nur mit einem guten Fernglas, da die Startvorrichtung un- gcfähr 500 Meter von den eigentlichen Zuschauerplätzen entfernt äst. Der Apparat, der unten mit Schlittenkufen versehen ist, wird auf kleinen Untergestellen mit Rädern bis zu diesem sogenannten Startpylon, der sich durch seinen Gerüstaufbau vom Felde scharf abhebt, durch einige Leute geschleppt. Diese besondere Startvor- richtung wird oft den Wrightschen Apparaten als Komplicienz vor- geworfen. Alle anderen Apparate, wie dts Voisins, BleriotS, Laihams usw. fahren in der Weise an, daß sie auf kleinen Rädern zuerst eine Strecke auf dem Boden laufen und dann bei genügender Geschwindigkeit durch Schrägstellung der Höhensteuer steigen. Der Wrightsche Drachenflieger wud zrm Abflug mit einer Sperrklinke auf einer Holzschiene befestigt. Der Apparat ist durch ein Seil, das durch einen Flaschenzug gespannt und über verschiedene Rollen geführt ist, mit einem 700 Kilogramm schloeren Gewicht ver- Kunden, das in einem zirka 8 Meter hohen Holzgerüst aufgehängt wird. Der Abflug vollzieht sich in der Weise, daß zuerst der Motor angelassen wird und die Schrauben ihre volle Geschwindigkeit er- halten. Dann löst der Flieger, der inzwischen seinen Platz ein- genommen hat, die Sperrklinke, so daß der Apparat durch das schwere Gewicht gezogen immer rascher auf der Schiene gleiten kann. Das Steuer ist dabei vorläufig so gestellt, daß der Flug- apparat noch auf die Schienen gedrückt wird. Ist er an dem Ende der Schiene angelangt, so ist seine Geschwindigkeit so groß, daß ev durch eine Verstellung der Höhensteuer durch die gegen die Flächen strömende Luft der Abflug geschieht immer gegen den Wind gehoben wird. Einmal in den Lüften kommt es ganz auf die Ge- fchicklichkeit des Führers an, den Apparat im Gleichgewicht zw halten. Man sieht ganz deutlich, wie Orville Wright fast nnanf« hörlich am Steuerhebel arbeitet und durch das schon oft beschriebene Verwinden" der Tragflüchen den Apparat im Gleichgewicht erhält. Es muß gesagt werden, daß der Apparat besonders beim Fliegen gegen den Wind nicht den Eindruck der größten Stabilität macht, wozu auch die den Wrightschen Drachenfliegern charakteristischen Wellenbewegungen beitragen. Schuld daran sollen die Luftwirbel! über dem Feld haben. Tatsächlich darf sich auch ein etwa mit- genommener Fahrgast während der Fahrt nicht rühren, ohne das Gleichgewicht des ganzen Apparates zu gefährden. Wright muß. wie erwähnt, immer seine eigene Startvorrichtung zum Fliegen benutzen. Er kann aber auch dann von jedem Gelände aus ab» fliegen. Die anderen Flugapparate hingegen, die keiner besonderen Vorrichtungen bedürfen, müssen immer festen Boden zum Anlauf haben, müssen also, wie ein satirisch veranlagter Anhänger des Wright einmal meinte, immer ihr Gelände mit sich führen, sind also von ihrer Startvorrichtung noch abhängiger als Wright. Da Wright seine Flüge oft fast direkt über den Köpfen dev Zuschauer vollführt, kann man sehr gut die Einzelheiten des Apparates, die die Brüder bis zum Verkauf jahrelang ängstlich verborgen hielten, sehen. Der Flieger ist ein Doppeldecker, hat also zioei Tragflächen übereinander im Gegensatz zu dem Bleriot - scheu Apparat, der nur eine Tragfläche hat, also ein Eindecker oder Monoplan ist. Jede von den beiden Flächen, die 1,8 Meter von einander entfernt sind und die aus Baumwollstoff bestehen, ist 12% Meter lang und 2 Meter breit. Das Gerippe der Flächen besteht aus Tannenholz. Die Flächen sind an der Unterseite gewölbt und zwar ungefähr 3 Zoll stark. Die Notwendigkeit der Wölbung war auch schon vom Altmeister der Fliegekunst Lilienthal erkannt. Die Steuerung geschieht neben dem Verwinden der Tragflächen mittels der vor und hinter dem Apparat in ungefähr 3 Meter Entfernunz angeordneten Steuer, die jedes aus je 2 Flächen bestehen. Das vordere Steuer dient zur Höhensteuerung, das rückwärtige Steuer ist das Richtungs- oder Horizontalsteuer. Die beiden Flächen diese» Steuers sind dementsprechend vertikal, die beiden Flächen des Höhensteuers horizontal angeordnet. Zwischen diesen beiden Flächen sind auch deutlich zwei kleinere vertikale halbmondförmige Steuerflächen sichtbar. Die Steuer werden mittels Hebel durch Klaviersaitendraht vom Führersitz aus betätigt. Dieser befindet sich in der Mitte der unteren Tragfläche. Neben dem Führersitz ist auch der Platz für einen Fahrgast. Dort ist auch die Seele des Apparates, von dem das Wohl und Wehe des Fliegers abhängt. der Benzinmotor, untergebracht. Der Motor bietet noch immer den schwierigsten Punkt bei den Fragen der Aviatiker, da sein Ver- sagen, wie das unfreiwillige Bad Lathams im 5ranal, zu den ge, fährlichen Unfällen Veranlassung gibt. Auch Orville Wright mußt« am Dienstag seinen Flug nach fast«instündiger Dauer unter» brechen, weil er einen Defekt an der Zündung befürchtete. Der Motör des Wrightschen Apparates ist natürlich außerordentlich leicht. Er wiegt bei 25 Pfcrdestärken-Leistung, die er in 4 Zylindern bei 1400 Umdrehungen in der Minute entwickelt, nur 90 Kilo, gramm. Bemerkenswert ist, daß dieser Motor immer mit gleich- bleibender Tourenzahl läuft. Die Geschwindigkeit des Fluges ver» ändert Wright nur durch rascheres oder langsameres Steigen und Sinken mit Hilfe des Höhensteuers. Der Motor treibt mittel» Kettenradübersetzung zwei langsamer laufende Schrauben an. Dig Schrauben sind zweiflügelig und aus mit Holz überzogenem Tuch mit einem Durchmesser von fast 3 Meter gebaut. Sie machen 450 Umdrehungen in der Minute. Der Hauptvorzug der Wrightschen Flieger, dem sie in erster Linie ihre Erfolge verdanken, besteht in der Möglichkeit, vom Führersitz aus durch einen Hebel die Trag- flächen in ihren einzelnen Teilen zuverwinden", d. h. ihre Wölbung zu verändern. Wenn der Wind z. B. den Apparat von reckits zu sehr trifft, so wird die Wölbung der rechten Seite ver- größert, wodurch der Luft ein gößcrer Widerstand entgegengesetzt wird, gleichzeitig wird die Wölbung der linken Seite verringert, wodurch dort der Luftwiderstand vermindert wird. Man sieht dies Verwinden ganz deutlich, man sieht aber auch, daß Wright fast unaufhörlich an den beiden Steuerhebeln arbeitet, so daß man ahnt, was die Persönlichkeit beim Bedienen des Apparates aus«