Aber das Gesicht hatte man doch waschen können," be- merkte Jta nachgebend, denn sie wollte die Frau nicht er- zürnen. Hab' ich es denn nicht gewaschen? Bei mir sind die Kinder nie schmutzig. Hundertmal am Tage wasch' ich sie." Jta sah deutlich, daß Esther log, aber sie schwieg und dachte nur daran, sie für sich zu gewinnen. Jene ging mit Vergnügen darauf ein, Jta aber reichte.Esther das fremde Kind, nahm das eigene, zog es rasch aus und besah aufmerk- fam. aber stets bemüht, bei Esther keinen Verdacht zu er- regen, sein ganzes Körperchen. Das Kind war in den zwei Wochen stark heruntergekommen. Die helle und glänzende Haut, die früher so weich und doch so fest war, begann an manchen Stellen ganz schlaff zu werden, auf Aermchen und Weinchen war sie mehrfach abgeschürft, besonders aber an den Knien. Note Punkte, Spuren von Flohstichen bedeckten den ganzen Körper, und der Brustkorb begann sich oben am Hals schon zu wölben, gleichsam anzuschwellen infolge einer ge- Heimen Arbeit in den Knochen. Jta wurde still. Der Aerger und die Verzweiflung, die sie beim Anblick dieses kleinen, ehedem so sorgsam gepflegten Körpers empfunden hatte, wur- den jetzt von einem anderen unangenehmen Gefühl abgelöst, vor dem ihr selbst bange war, Sie litt um des Kindes willen, aber noch leidenschaftlicher sehnte sie sich nach jenem schönen, sauberen und gesunden Knaben, von dem man sie eines Tages trennen würde. War denn dieses elende Würm- ckjen ihr Kind? Schmutzig, mit Flecken bedeckt, abgemagert, mit jenem Greisengesichtchen, das Jta bei allen Pflegekindern gesehen hatte, erregte bei Jta trotz aller ihrer gegenteiligen Bemühungen nichts wie Trauer und Verzweiflung. Er ist furchtbar zerstochen," sagte sie endlich vorsichtig, «wie haben Sie das zulassen können?" .(Fortsetzung folgt.! Volksetymologie. i. vor kurzem war im Unterhaltungsblatt die Rede von jener merkwürdigen Spracherscheinung, die man Volksetymologie nennt. und deren Wesen darin besteht, daß das Volk unverstandene Wörter unter Anlehnung an bekannte, aber nichtverwandte Ausdrücke so umbildet, daß sich ein bestimmter Sinn damit verbinden läßt. Diese Erscheinung, die Zeugnis ablegt von den starken, im Volke lebendigen sprachbildenden Kräften, ist interessant genug, um fie einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Zum ersten Male hat der verstorbene Bonner   Gelehrte Karl Gustav An diesen in einer Schrift:Ueber deutsche Volksetymologie'<6. Aufl., Heilbronn  , 1839) das Thema in umfassender und systematischer Weise behandelt. Dieses Buch liegt im wesentlichen den folgenden Ausführungen zugrunde. A n d r e s e n teilt die volkSetymologischcn Spracherscheinungcn in drei Klassen ein. Die unterste Stufe bilden jene Um- formungeu, die lediglich formeller Natur sind und nicht aus logischen Gründen oder mit Rücksicht auf die Be- dcutung des Wortes stattgefunden haben. Dazu gehören Umgestaltungen wie B l u t i g e l au? Blutegel, entzwei aus in zwei(Teile oder Stücke) und ähnliche. Die Umbildungen der zweiten Kategorie sind dagegen unter Berücksichtigung der Bedeutung des Begriffes und der logischen Beziehung erfolgt; so hört man z. B. statt gescheit oftgescheut' sagen, worin ein Anklang an scheuen liegt: einem gescheuten Menschen scheut man sich zu nahe zu treten. Auf der höchsten Stufe endlich stehen solche Worte, die durch die Umformung eine ganz neue Bedeutung gewonnen haben. Weiterhin unterscheidet man in der Theorie zwischen vulgärer (nur im Volksmunde gebräuchlicher) und l i t e r a r i s ch e r(auch in Erzeugnissen der Literatur vorkommender) Volksetymologie, doch ist dieser Unterschied kein prinzipieller: beständig werdenvulgäre" dolksetymologischc Ausdrücke in die Literatur eingeführt und damit zuliterarischen", während umgekehrt viele Ausdrücke, die früher auch literarisch gebräuchlich waren, heute von guten Schriftstellern vermieden werden. Natürlich sind von der wahren Volksetymologie absichtliche Wortverdrehungen zu unterscheiden. Früher fand man mehr Gefallen an derartigen Scherzen als heutzutage. Besonders gros; war darin der geniale Satiriker Johann Fischart  (ge- storben 1500), den man wegen seiner geistsprühenden, icharfpointierten Schreibweise denersten Journalisten' genannt hat. Seine Werke (AffentheuerlicheNaupengeheuerlicheGeschichtS- klitterung",Die Legend des vierhörnigen Hut- leins",«Die F h h a tz' u.a.) zeigen uns, init wie souveräner Gewalt er die deutsche Sprache meisterte. Zahllos sind seine Wort« spiele: die I e s u i t e n nennt er I e s u w i d e r' undJesu- bitter", für Podagra sagt er'Pfotengram" und Pfotenkrampf', die Sarazenen bezeichnet er als Saurezähnen", einenN o ta r alsN o tn a r r", m ela ncho- lisch verdreht er inmaulheu kolisch' usw. Im 17. Jahrhundert gibt eS zwei berühmte Wortverdreher, die indes an Bedeutung nicht an F i s ch a r t heranreichen, beides Geist- liche, die in einer uns heute höchst fremdartig anmutenden Weise predigten: der Hamburger Pastor Johann Balthasar Schupp  (1619 1661) und der Wiener   Hofpredigsr Ulrich M e g e r l e(16441709), der sich Abraham a Santa Clara nannte. Schupp bezeichnet die A l ch y m i e oder Alchhmisterei, wie dieGoldmacher' ihren Humbug hießen, sehr witzig als A l l kuh m i st e r e i'. Bon den Philosophen der damaligen Zeit scheint er auch keine allzu hohe Meinung gehabt zu haben; wenigstens spricht er öfter von einem P h i l o s a u f a u s (Auch heute noch hört man Verdrehungen wie, V i e l o s o f f". Viel sauf"). Abraham a Santa Clara   gefällt sich in einer massenweisen Häufung derartiger scherzhaften Ümdeutungen.- So nennt er den römischen Kaiser Heliogabal  . Höllgabel'. den verlorenen Sohn einenI r r l ä n d e r' usw. Bekanntlich ist Ulrich M e g e r l e auch das Vorbild zu dem Kapuziner, der in SchillersWallen st eins Lager' in ergötzlicher Weise die wirtschaftlichen und moralischen Verwüstungen schildert, die der dreißigjährige Krieg in Deutschland   angerichtet hat: die Bistümer seien setztWüsttümer", die AbteienRaubteien", die deutschen Länder.Elender' usw. Von Schriftstellern der neueren Zeit ist es besonders Fritz Reuter  , dessen Werke zahlreiche Wortverdrehungen enthalten. Diese sind aber wohl nicht, wie bei Fischart, Schupp und M e g e r l e. dem eigenen Gefallen an derartigen Wortspielen ent- sprangen, sondern der plattdeutsche Dichter will uns vielmehr die Sprache seiner Mecklenburger Landsleute in wahrheitsgetreuer Weise vorführen. Hier handelt eS sich nicht um absichtliche Ver- drehungen, sondern um ernst gemeinte Umformungen. die Reuter den braven Mecklenburgern abgelauscht hat, also um echte volksetymologische Erscheinungen. Wir finden da höchst spaßige Bildungen, wieStink st off",sonnenbuhlerisch" statt somnambul(schlafwandelnd),S y p h i l i st e r' für Zivilist. Vagelbunt(Vagel" plattd. V o g e l) für Vagabund.  Karnaljenvagel" für Kanarienvogel und so fort. Wenn wir nun zurv u l g 2 r e n' Volksetymologie der G e g en- wart übergehen, so sehen wir uns häufig vor die schwierige Frage gestellt, ob ein Wort bewußt oder unbewußt umgebildet ist, ob also echte Volksetymologie vorliegt oder nicht. In allen Fällen läßt sich das überhaupt nicht mit Sicherheit entscheiden. Sehr oft aber liegt auch die Absicht klar zu Tage. Belvnßte Wortspiele sind ohne Zweifel zahlreiche Berliner   Ausdrücke wieSteh» umfallkragen' statt Stehumlegekragen.Auto- moppel' statt Automobil,. Omnibuser.' statt Omni» bus,Paletöter" für Paletot..Koofmich' für Kaufmann,Renntier' für Rentier,.Brotfresser' für Professor,Durststillstation' für Destillation u. v. a. Bewußter Scherz wird auch vielfach mit Namen ge- trieben. So wird die nationalliberale Partei häufig sehr treffend alsnationalmiserable' Partei bezeichnet. Die stark antisemitischen Verbindungsstudenten in Heidelberg   nennen das dortige. Cafe E b e r l e i n', in dem viel jüdische Studie- rende verkehren, mit Vorliebe. Cafö Ebräerlein". Weniger gelungen ist die Verdrehung des hiesigenCafö Windsor' in Cafö Schwindsucht". Patienten eines schlcsischen Sana- torium belegen diese Anstalt mit dem vielsagenden Namen: Satanorium'. Jedoch schon bei Bezeichnungen wie dem neugekommenen Kientopp'(aus Kinematograph),Tippfräulein' (Anlehnung an Stenotypistin),Zanktippe'(aus Xanthippe  ) kann man schwanken, ob hier noch die Tatsache der Umformung immer vom Bewußtsein kommt. Ganz sicher aber werden die Umgestaltungen.Reißmatismus' für Rheumatismus und.Ziehjarre' für Zigarre. bei denen die sehr logische und sinngemäße Anlehnung an reißen und ziehen ja offenkundig ist, von vielen Menschen, besonders Landleuten, in vollem Ernste gebraucht. Ebenso steht(es mit der höchst drastischen ländlichen Bezeichnung .ZiehgVifiiner'(aus Zigeuner) und den BerlinismenTrehtoifr" undTritt vir' statt deS französischen   Trottoir. Der Jurist. der den E rb-las s erEr- b la ss er' nennt, will witzig sein; ob aber noch niemals ein nicht juristisch gebildeter Mensch daS Wort so aufgefaßt und gesprochen hat? Absicht liegt vor, wenn man den staatserhaltendcn Gendarm Schand-arm" oderG ä n S d a r m" nennt, wie eS die Demo- kraten von 1348 taten. Bewußt wird auch die 0 in s I o t t s auxconfitures" inJette, o komm vor die Tür' verdreht. Aber ganz ernsthaft hörte Schreiber dieser Zeilen einen Münchener   den bekannten TanzFranyaise" alsFran See' bezeichnen. Vielfach wird im Volke vonSchlampagner" stattChampagner" geredet; hier liegt ein Fall echter Um- deutschung vor, nämlich Anlehnung anschlampampen". schlemmen". Eine sehr drollige Umbildung leistete sich ein Berliner  Schutzmann bei einer der letzien Straßendcmonstrationen. Als