aus einem äBerfammruttgStoIal die Menge heraussirömte und dabei den Sturmgesang der Marseillaise anstimmte, geriet be- sagter Ordnungshüter in furchtbare Aufregung, lief hinter den Demonstranten her und rief dabei einem Kollegen die geflügelten Worte zu:.Du, se singen schon de M a r s ä I j e ll 1 1" Ob der Brave vielleicht an die in West- und Ostpreußen übliche Bezeichnung .Marjell'(=- Mädchen, etwas verächtlich) gedacht hat? Bei Reuter heißt die Marseillaise „ M a m s e l l j ä s"(Mamsell um- gewandelt aus franz. nrz. d0inoiselle= Fräulein), also auch ein Anklang an das schöne Geschlecht.— Denkt nicht vielleicht ferner an eine Emilie oder an Familie, wer statt Faksimile(Nachbildung einer Handschrift).Faksimilie' spricht? In Berlin wird ein Betrunkener bisweilen. m o I u m � ge- heitzen, ein Wort, dessen Herkunft dunkel zu sein scheint. Davon ist neuerdings wieder der Ausdruck. m a n o l i"(der übrigens auch ini Sinne von.verrückt" gebraucht wird) unter merkwürdiger An- lchnung an eine bekannte Zigaretten firma gebildet tvorden.— Scherzhaft bezeichnen sich die Berliner Falzerinnen als »Fa lz g rä fi n n en" oder.Gräfinnen von der Falz" (nämlich— Maschine), wobei die Assimilation(Annäherung, An- gleichung) an Pfalz ja auf der Hand liegt. Scherzhaft wird ferner üt Berlin ein Panamahut.Papamamahut" genannt. Besonders stark ist die vulgäre Volksetymologie auf dem flachen Lande verbreitet. Hier hört man die merkwürdigsten Ausdrücke und Bezeichnungen. Der künstliche Dünger Super- Phosphat wird oft.Suppen faß" geheißen, das drastisch wirkende Abfuhrmittel Gummigutt sehr treffeitd:.Komm- hurtig", Insektenpulver:.Sektenpulver" oder „I e s u i t e n p u l v e r", das Ricinusöl:.Rhinocerosöl" — Vielleicht mit Hinblick auf seine kräftige Wirkung? l Vle ktygiene der Heimarbeit. Auf der Züricher Tagung des Deutschen Vereins für öffent- liche Gesundheitspflege hielt Dozent Dr. K a u p aus Berlin einen Wortrag über die Hygiene der Heimarbeit. Der Referent gab zu- nächst seiner Freude Ausdruck, daß der Deutsche Verein für öffent- liche Gesundheitspflege mit diesem Gegenstand ein Fürsorgethema für eine bestimmte Berufsgruppe in Erörterung zieht, die aller- dings durch ihre Zahl und ihre ungünstigen Gesundheitsverhältuisse die städtischen Behörden in besonderer Weise interessieren sollte. Die Zahl der Heimarbeiter nach der Berufszählung von 1895 mit einer halben Million ist viel zu niedrig gegriffen, es dürfen min- bestens Millionen die Heimarbeit als Hauptberuf betreiben, als Nebenberuf wahrscheinlich noch weitere Hunderttausende. In der Textilarbeit auf dem Lande sind Erwachsene, Kinder und Greise zur Beschäftigung herangezogen. In der Heimarbeit für die Kleidungsindustrie in den Großstädten überwiegend verheiratete Frauen, die zum kärglichen Verdienst des Mannes etwas hinzuverdienen wollen. Ueber das Weberelend auf dem Lande hat Gerhard Hauptmanns plastische Schilderung weitesten Kreisen die Augen geöffnet. Ter Landbesitz ist nahezu geschwunden, die Wohnungs- Verhältnisse sind sehr schlecht. Schlaf- und Wohnraum sind zugleich Nrbcitsraum. Die gebückte Haltung beim Weben,(die überaus lange Arbeitszeit, die unzureichende Ernährung führten zu einer weitgehenden Degeneration dieser Familien. Bemerkenswert ist auch die Entwickclung der Kleineisen-Hausindustrie der Kreise Solingen und Schmalkalden . Hier haben ärztliche Forscher die Aufmerksamkeit der Verwaltungsbehörden schon frühzeitig auf die ungünstigen Gesundheitsverhältnisse dieser Heimarbeiter gelenkt. Polizeiverordnungen, die besondere Entstaubungseinrichtungen für die Schleifscheiben verlangten, eine organisierte Belehrung des einzelnen Arbeiters, brachte den Rückgang der Mortalität des Schleifers in 29 Jahren von 25 auf 11 pro Tausend zustande. Ein Gegenstück zu dieser erfreulichen Erscheinung bieten die Glas- schleiser eines Jndustriebezirks in Deutsch-Böhmen . Das Fehlen jeder Schutzvorrichtung an den Apparaten zwingt die Heimarbeiter zur Einatmung des harten Schleifstaubes und bewirkt direkt eine Zerstörung des Lungengewebes. Ein Drittel der Schleifer geht schon im Alter von 25—40 Jahren zugrunde, und 75 Proz. der Todesfälle sind auf Tuberkulose zurückzuführen. Die entsetzlich niedrigen Löhne gestatten nur eine Ernährung mit Kaffee und Kartoffeln, die auch die Frauen und Kinder vorzeitigem Siechtum und schnellem Tode zuführen. 34 Proz. der Kinder sterben im ersten Lebensjahre. Ein ähnlicher ungünstiger Einfluß der Heim- arbeit auf die Lebensverhältnisse ist auch in der bekannten Spiel- Warenindustrie in der Umgebung Sonnebergs zu finden. Immer größere Bedeutung gewinnen die gesundheitlichen Verhältnisse der Heimarbeiter in der Konfektionsindustrie der Großstädte. Nach den Ermittelungen der Handelskammer zu Berlin wurden 1906 125 000 Personen festgesteüi von denen in der eigentlichen Konfektion und% in der Waschekonfektion beschäftigt waren. Es handelt sich hier allerdings vielfach um Werkstättenarbeiterinnen von Zwischen- meistern, die für die großen Konfektionäre Aufträge übernehmen. Die Arbeitszeit beträgt hier durchschnittlich 14 Stunden, und als Arbeitsräume werden vorwiegend die Wohnräume der Zwischen- meister verwendet. Die gesundheitszerstörende Arbeit an der Näh- Maschine, die Ausströmung giftiger Gase aus dem Bügeleisen, das dichte Nebeneinandersitzen in schlecht gelüfteten Räumen führen häufige Erkrankungen der meist noch jugendlichen Arbeiter, nament- lich an Tuberkulose , herbei. Noch traurigere Verhältnisse finden wir bei den verheirateten Frauen und Witwen, die entweder auf ihre Arbeitskrast allein angewiesen sind, oder den geringen Ver- dienst des Mannes zu erhöhen suchen. Die Erhebungen des Refe» reuten haben ergeben, daß trotz langer Arbeitszeit der geringe Bei- trag der Frau zum Einkommen des Mannes nur eine unzu» reichende Ernährung zuließ. Hier war namentlich bei größerer Kinderzahl in fast allen Fällen Schmalhans Küchenmeister. Noch viel trauriger steht es bei verwitweten Heimarbeiterinnen, die allein für die Familie zu sorgen haben. Selten kommt ein Stück Fleisch auf den Tisch, die Hauptnahrung bilden Kaffee, Suppen und Kartoffeln; die Kinder dieser Kreise bleiben stets schwächlich und blutarm, kommen in der Schule schlecht fort und gelangen nie zur vollen Leistungsfähigkeit. In diesen Familien grassiert doppelt so häufig als bei anderen Arbeitergruppen die Tuberkulose. Gesundheitlich fast noch ungünstiger liegen die Verhältnisse in der Zigarrenhausindustrie. Zu den ungünstigen Arbeitsbedingungen kommt hier die starke Einwirkung von Staub und Nikotin hinzu, die namentlich auf den Gesundheitszustand der Kinder und Frauen sehr ungünstig einwirkt. Auch hier ist der Mißbrauch der Kinder für die Heimarbeit sehr groß, und vielfach sind beim Entrippen der Tabakblätter Kinder im zartesten Alter anzutreffen. Die Häufig- keit von chronischen Erkrankungen und namentlich von Tuberkulose in den Hcimarbeiterfamilien kann aber auch den Konsumenten nicht gleichgültig sein, falls der Staub, der sich auf den Mate- rialien ablagert, Jnfektionskeime enthält und kranke Personen Tabakblätter mit den Lippen berühren. Es ist höchste Zeit, daß gerade für die Zigarrenheimarbeit die Reichsregierung zum Schutz der Konsumenten und Arbeiter besondere Gesundheitsvorschriften herausgibt, die bei strenger Handhabung die Heimarbeit wieder nach den Fabriken zurückleiten. Die Gefahren für die Konsumenten von Heimarbeitsprodukten sind auch bei der Verarbeitung von uckerwaren und Lebensmittel überhaupt sehr groß, so daß die orderung, die Herstellung dieser Gegenstände in der Heimarbeit zu verbieten, gerechtfertigt erscheint. kleines feuilletorh Erdesser in der Südsee. Die eigentümliche Gewohnheit mancher Volksstämme, gewisse Erdarten zu essen, erscheint im ersten Augen- blick höchst befremdlich. Man kann sich nicht gut vorstellen, weshalb ein Mensch vollkommen unverdauliche und zum Aufbau eines leben» den Organismus ganz unzweckmäßige Dinge zu sich nehmen sollte und denkt wohl daran, daß den in Frage stehenden Erdgattungen ganz besondere Eigenschaften innewohnen müßten. Jetzt hat sich nun Gelegenheit geboten, verschiedene von den Südseeinseln stammende Proben»eßbarer Erden" näher zu untersuchen. Das kolonialwirtschaftliche Komitee in Berlin erhielt durch Vermittlung von Missionaren solche wunderliche Leckerbissen, über deren chemische Zusammensetzung und Eigentümlichkeiten Professor Gruner im„Tropenpflanzer" berichtet. Er untersuchte dreierlei Proben: kugelförmige, etwa 5 Zentimeter im Durchmesser haltende Gebilde aus eisenschüssigem Ton, ferner pulverförmigen Eisenocker und endlich lößartigen, bräunlichen, feinsandigen Lehm. Ton wird in tropischen und subtropischen Gegenden sehr viel gegessen und gilt sowohl in rohem Zustand wie schwach geröstet als Nahrungs- mittel. Auch medizinische Wirkungen werden ihm vielfach zuge- schrieben. Die Javanen z. B. glauben, daß das Essen von Ton während der Schwangerschaft gute Dienste leiste. Auch andere mineralische Stoffe werden in den verschiedensten Ländern verzehrt. Auf den Antillen nehmen die Eingeborenen eine rotgelbe Tuff- gattung,!n Neu-Kaledonien einen leicht zerreiblichen Tropfstein. Auch Speckstein und Infusorienerde werden gegessen. Weniger be- kannt ist, daß auch in unseren Gegenden derartige Naturerzeugniffe als Speichclabsonderungsmittel sowie als Mehlzusatz und söge. nannte„Steinbutter" Verwendung finden. Torfarbeiter in Feilen- boch, Aussee , Berchtesgaden und anderwärts kauen den im Torf vorkommenden sogenannten Dopplerit, eine zähe Masse, die aus ulminsaurem Kalk besteht. Die Untersuchung der Südsce-Erden hat gezeigt, daß sie so gut wie ausschließlich aus nichtorganischen Stoffen bestehen. Sie können also ihrer Zusammensetzung nach als Nahrungsmittel für den menschlichen Organismus ia keiner Weise in Betracht kommen. Die ungünstige physikalische Beschaffe i- heit des Materials macht einige der Proben sogar zur Pflanzen- kultur unbrauchbar. Man kann sich demnach die Gewohnheit des ErdessenS eigentlich nur als einen höchst merkwürdigen Jrrgang des Instinkts erklären, der durch einen Kitzel des Gaumens dazu gebracht wird, ein Ding für eßbar zu hallen, das in Wirklichkeit ganz und gar unverdaulich ist. Allert iugs muß ma.i sich fragen. ob nicht in' vielen Fällen ein bloßes Kauen vorliegt, das sehr loohl zu verstehen wäre und in mancher Hinsicht eher nützlich als schäd- lich wirkt. Von eßbaren Erden sollte man jedenfalls überhaupt nicht sprechen, da dieser Ausdruck nicht ganz bezeichnend ist.
Ausgabe
26 (15.9.1909) 179
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